Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft das gegen den Verein “H…” ausgesprochene Betätigungsverbot. Sie richtet sich gegen die Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern sowie die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, mit denen die gegen diese Verfügung erhobene Klage abgewiesen wurde.
I.
1. Das Bundesministerium des Innern stellte mit Verfügung vom 10. Januar 2003 fest, dass sich die Tätigkeit des Vereins “H…”, des Beschwerdeführers, gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte, dass der Beschwerdeführer Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer Belange befürworte und dass seine Tätigkeit derartige Gewaltanwendung hervorrufen solle. Das Ministerium verbot die Betätigung des Beschwerdeführers im räumlichen Geltungsbereich des Vereinsgesetzes, beschlagnahmte das Vermögen des Beschwerdeführers und zog es zugunsten des Bundes ein. Darüber hinaus wurden nach näherer Anordnung Sachen und Forderungen Dritter beschlagnahmt und eingezogen. Zur Begründung für die Annahme der Voraussetzungen des Betätigungsverbots führte das Ministerium unter anderem aus: Der Gründer des Beschwerdeführers, ein vormaliges Mitglied der “Muslimbruderschaft” in Jordanien, habe im Jahre 1953 ein Buch veröffentlicht, das bis heute als ideologische Grundlage der Organisation diene. Darin werde unter anderem vertreten, dass ein “Kampf der Kulturen”, insbesondere zwischen Islam und Christentum, unausweichlich sei. Ein Dialog, geprägt vom Prinzip der Gleichheit und der Toleranz, sei unmöglich, da mit dem Islam unvereinbar. Dieser unausweichliche Kampf sei sowohl auf ideologischer, wirtschaftlicher, politischer als auch auf militärischer Ebene zu führen. Der militärische Kampf gegen die Ungläubigen sei im Sinne eines “aktiven Jihad” für jeden Muslim verpflichtend.
Überdies hebt die Verbotsverfügung eine Fülle von Erklärungen in unterschiedlichen Veröffentlichungen hervor, die der Organisation des Beschwerdeführers zuzuschreiben seien und die gegen den Gedanken der Völkerverständigung verstießen. In diesen werde vornehmlich das Existenzrecht des israelischen Staates verneint. Selbstmordattentate radikaler Palästinenser würden in diesem Zusammenhang als legitimes Mittel im Kampf gegen die Juden bezeichnet.
2. Mit Gerichtsbescheid (§ 84 VwGO) wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen gerichtete Klage des Beschwerdeführers ab: Sowohl das Verbot der Tätigkeit des Beschwerdeführers als auch die getroffenen Nebenentscheidungen seien nicht zu beanstanden. Die Tätigkeit des Beschwerdeführers richte sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Der uneingeschränkten Anwendung des Verbotsgrundes aus § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 Alt. 3 GG stehe Verfassungsrecht nicht entgegen. Der Beschwerdeführer erfülle weder die Voraussetzungen einer Religionsgesellschaft noch diejenigen einer Weltanschauungsgemeinschaft.
Nach entsprechendem Antrag des Beschwerdeführers und mündlicher Verhandlung wies das Bundesverwaltungsgericht die Klage schließlich durch Urteil ab.
3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung der Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 140 GG durch die Verbotsverfügung, den Gerichtsbescheid und das klageabweisende Urteil. Er meint, entgegen der Würdigung des Bundesverwaltungsgerichts handele es sich bei ihm um eine Religions- beziehungsweise eine Weltanschauungsgemeinschaft, zumindest aber um eine religiöse Vereinigung; seine Tätigkeit falle als Ausdruck der religiösen Überzeugungen seiner Mitglieder in den Schutzbereich der religiösen Vereinigungsfreiheit. Das ausgesprochene Betätigungsverbot könne weder unmittelbar noch mittelbar auf Art. 9 Abs. 2 GG gestützt werden. Das Bundesverwaltungsgericht habe zudem die Abwägung der widerstreitenden Rechtsgüter, der religiösen Vereinigungsfreiheit einerseits und des Gedankens der Völkerverständigung andererseits, im Sinne “praktischer Konkordanz” fehlerhaft vorgenommen und dabei die Tragweite der religiösen Vereinigungsfreiheit verkannt. Überdies habe der mit dem ausgesprochene Betätigungsverbot verfolgte Zweck mit milderen Mitteln erreicht werden können.
II.
Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers angezeigt.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Mangels eines Sitzes in der Bundesrepublik Deutschland ist die Beschwerdefähigkeit des Beschwerdeführers nicht gegeben.
1. Eine Verfassungsbeschwerde kann gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG von jedermann mit der Behauptung erhoben werden, in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein. Voraussetzung hierfür ist jedoch die Fähigkeit, überhaupt Träger zumindest eines der als verletzt gerügten Grundrechte zu sein. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung von Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 140 GG geltend.
Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich um eine ausländische juristische Person im Sinne des Verfassungsrechts. Art. 19 Abs. 3 GG bestimmt, dass die Grundrechte auch für inländische juristische Personen gelten, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Das Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG kann zwar seinem Wesen nach auch von einer juristischen Person in Anspruch genommen werden; kraft ausdrücklicher verfassungsrechtlicher Regelung in Art. 19 Abs. 3 GG ist es aber nur den inländischen juristischen Personen verbürgt. Ausländischen juristischen Personen hat das Bundesverfassungsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung lediglich die im Grundgesetz verankerten so genannten prozessualen Grundrechte zuerkannt, die hier nicht in Rede stehen (vgl. dazu BVerfGE 12, 6 ≪8≫; 21, 362 ≪373≫; 61, 82 ≪104≫). Wortlaut und Sinn des Art. 19 Abs. 3 GG verbieten eine ausdehnende Auslegung auf ausländische juristische Personen (vgl. BVerfGE 21, 207 ≪209≫). Diese sind auch nicht befugt, zur Wahrung etwaiger Rechte Dritter, etwa ihrer Mitarbeiter oder Mitglieder, Verfassungsbeschwerde einzulegen (vgl. BVerfGE 21, 207 ≪209≫).
2. Für die Beantwortung der Frage, ob es sich um eine inländische oder eine ausländische juristische Person handelt, kommt es auf deren Sitz und nicht auf die Staatsangehörigkeit der hinter ihr stehenden Personen an (vgl. BVerfGE 21, 207 ≪209≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 18. Januar 2002 – 1 BvR 2284/95 –, NJW 2002, S. 1485).
Der Beschwerdeführer verfügt nach den einhelligen Feststellungen in den angegriffenen Entscheidungen in der Bundesrepublik Deutschland über keine Organisation und keinen bekannten Verwaltungssitz. Diesen Feststellungen zufolge ist nicht nachweisbar, dass er überhaupt dem Recht irgendeines Staates gemäß verfasst wäre. Die Existenz eines Verwaltungssitzes in London wird lediglich vermutet. Der Beschwerdeführer trägt selbst vor, dass er in Deutschland keine Organisation gehabt habe und dass es sich bei ihm um einen ausländischen Verein im Sinne des § 15 VereinsG – mit einer “Anhängerschaft” von etwa 200 Personen in Deutschland – handele. Auch aufgrund dieser Angaben kann nicht von einem Sitz des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ausgegangen werden. Anderes ergibt sich auch nicht aus den in der angegriffenen Verbotsverfügung aufgeführten Aktivitäten im Bundesgebiet, die “Anhängern” des Beschwerdeführers zugerechnet werden.
3. Die Beschwerdefähigkeit des Beschwerdeführers lässt sich schließlich nicht damit begründen, dass juristische Personen mit Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union aufgrund des gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbots – zumindest unter bestimmten Voraussetzungen – bei einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung von Art. 19 Abs. 3 GG wie inländische juristische Personen zu behandeln sein könnten. Die im Schrifttum umstrittene Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen im Bereich von Art. 19 Abs. 3 GG eine Gleichstellung im Inland ansässiger juristischer Personen und solcher, die nur einen Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union aufweisen, geboten ist, kann hier offen bleiben (vgl. zu dieser Problematik etwa Dreier, in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2004, Art. 19 Abs. 3 Rn. 20 f. und Rn. 83 f.).
Der Beschwerdeführer hat zu einem Sitz seiner Organisation in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union nichts vorgetragen. Den Anlagen zu seiner Beschwerdeschrift lässt sich lediglich entnehmen, dass in der Vergangenheit innerhalb der Organisation des Beschwerdeführers in Großbritannien bestimmte Ausschüsse (“committees”) gewählt wurden, was auf gewisse verfestigte Strukturen hinweist. Gleichwohl geht der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Organisation konspirativ vor und legt einen etwaigen Verwaltungssitz in Großbritannien nicht offen. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Mittelpunkt der Tätigkeit des Beschwerdeführers in Großbritannien oder einem anderen Staat der Europäischen Union liegt, zumal sich der Beschwerdeführer als global tätige Organisation versteht und arabischen Ursprungs ist.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Bryde, Eichberger, Schluckebier
Fundstellen
NJW 2008, 2171 |
NVwZ 2008, 670 |
NPA 2009 |