Verfahrensgang
OLG Koblenz (Beschluss vom 17.11.2011; Aktenzeichen 13 UF 992/11) |
AG Bad Neuenahr-Ahrweiler (Beschluss vom 28.10.2011; Aktenzeichen 62 F 388/11) |
AG Bad Neuenahr-Ahrweiler (Beschluss vom 10.10.2011; Aktenzeichen 62 F 388/11) |
Tenor
1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Bad Neuenahr-Ahrweiler vom 10. und 28. Oktober 2011 – 62 F 388/11 – und des Oberlandesgerichts Koblenz vom 17. November 2011 – 13 UF 992/11 – verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an einen anderen Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Koblenz zurückverwiesen.
2. Das Land Rheinland-Pfalz hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
3. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 8.000 EUR (in Worten: achttausend Euro) und für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 4.000 EUR (in Worten: viertausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den Entzug der elterlichen Sorge für ihre beiden Kinder im Wege der einstweiligen Anordnung.
1. Aus der Ehe der Kindeseltern sind die im Jahr 2002 geborene Tochter H. T. und die im Jahr 2004 geborene Tochter S. hervorgegangen. Die Eltern trennten sich im Juli 2006 voneinander. Die Kinder lebten seitdem bei der Mutter. Im Mai 2007 kam es zwischen den Eltern in einem Krankenhaus zu einer Auseinandersetzung. Die Mutter wirft dem Vater vor, sie dabei vor den Kindern körperlich misshandelt zu haben. Durch einstweilige Anordnung des Amtsgerichts Bad Neuenahr-Ahrweiler vom 19. Juli 2007 wurde im Einverständnis mit dem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf die Beschwerdeführerin übertragen. Durch Beschluss des Amtsgerichts Bad Neuenahr-Ahrweiler vom 14. Mai 2009 wurde der Umgang der Töchter mit ihrem Vater geregelt. Die Beschwerde der Mutter gegen diese Entscheidung wurde durch Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 30. September 2009 zurückgewiesen. In der Folgezeit fand jedoch nur ein Besuchswochenende im Dezember 2009 mit Übernachtung beim Vater statt. Weitere für Januar und Februar 2010 vorgesehene Termine scheiterten an der Krankheit der Kinder. Im Februar 2010 begehrte der Vater eine Modifikation und teilweise Erweiterung des Umgangs mit den Kindern. Die Mutter setzte sich hiergegen zur Wehr und beantragte die vorläufige Aussetzung des Umgangs. Im Rahmen ihrer Anhörung bei Gericht im Oktober 2010 gaben beide Kinder an, dass sie Besuche des Vaters ablehnten. Durch Beschluss vom 3. November 2010 ordnete das Amtsgericht in jenem Verfahren die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage an, in welcher Ausgestaltung der Umgang der Kinder mit dem Vater dem Kindeswohl am meisten diene. In diesem Gutachten empfahl die Sachverständige, die Kinder nicht in der Obhut der Mutter zu belassen.
a) Mit angegriffenem Beschluss des Amtsgerichts Bad Neuenahr-Ahrweiler vom 10. Oktober 2011 wurde der Beschwerdeführerin daraufhin im Wege der einstweiligen Anordnung ohne vorherige Anhörung die elterliche Sorge für die beiden Töchter entzogen und das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Vater übertragen. Ferner wurde die Herausgabe der Kinder an das Jugendamt angeordnet. Das Jugendamt wurde mit Zustimmung des Vaters ermächtigt, die Kinder vorübergehend in einer geeigneten Einrichtung oder Pflegefamilie unterzubringen. Es bestehe die begründete Besorgnis, dass bei Nichteingreifen das Kindeswohl beeinträchtigt werde. Demgemäß seien nach §§ 1666, 1632 BGB die getroffenen Maßnahmen zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung geboten. Die Sachverständige komme in ihrem nachvollziehbaren und überzeugenden Gutachten zu der Feststellung, dass die Mutter einer Wiederaufnahme und Fortsetzung der Umgangskontakte extrem ablehnend gegenüberstehe und ihre übersteigerten Ängste gegenüber dem Ehemann auf die Kinder übertrage. Die Kinder äußerten Angst und Ablehnung gegenüber dem Vater und beriefen sich dabei auf Ereignisse, die mit ihrem eigenen Erleben nicht in Einklang stünden. Die früheren positiven Äußerungen oder Signale der Kinder hinsichtlich der Umgangskontakte würden nach Abbruch der Kontakte zunehmend durch von der Mutter beeinflusste Negativäußerungen überlagert. Bei Aussetzung der Umgangskontakte sehe die Sachverständige Risiken in Form der Beeinträchtigung der Bindungsbereitschaft, der Verfestigung des negativen Vaterbildes mit der Gefahr einer Selbstwertproblematik, der nicht gelingenden Persönlichkeits- und Autonomieentwicklung, des Stehenbleibens auf einer kindlichen Abhängigkeitsbeziehung von der Mutter sowie einer zukünftigen Belastung der Beziehung zur Mutter. Ebenso wie die Sachverständige sehe das Gericht keine Aussicht auf eine Verhaltensänderung der Mutter. Die Verhängung von Zwangsmitteln werde die Mutter nicht davon abhalten, ihre Ängste und ihre Ablehnung des Vaters weiter auf die Kinder zu übertragen. Auch die Bestellung eines Umgangspflegers verspreche keinen Erfolg, da die notwendige Mitwirkung der Mutter nicht zu erwarten sei. Das Gericht folge daher der Empfehlung der Gutachterin, die Kinder aus dem mütterlichen Haushalt herauszunehmen, um sie dem negativen Einfluss der Mutter zu entziehen und ihnen den Zugang zum Vater wieder zu ermöglichen. Dem Gericht sei bewusst, dass damit eine erneute Traumatisierung der Kinder verbunden sei. Die Alternative könne hier aber nur ein Abbruch der Kontakte oder Schaffung der Voraussetzungen, die Kontakte zu ermöglichen, sein. Letzteres sei nach sachverständiger Äußerung unbedingt geboten.
b) Durch angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts Bad Neuenahr-Ahrweiler vom 28. Oktober 2011 wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Anhörung der Kinder der Beschluss über den Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 10. Oktober 2011 aufrechterhalten. Die Gründe, die zum Erlass der Entscheidung geführt hätten, bestünden fort.
c) Die hiergegen eingelegte Beschwerde wurde durch angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 17. November 2011 zurückgewiesen. Das Amtsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Ergebnisse des im Umgangsverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens die getroffene Maßnahme erforderlich machten und die besondere Situation den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertige. Die Mutter versuche in ungewöhnlich hartnäckiger Art und Weise, den Umgang des Vaters mit seinen Töchtern zu boykottieren. Die Kinder unterlägen einer permanenten und effizienten Beeinflussung, einer Negativ-Programmierung durch die Mutter. Dieses Verhalten greife massiv in das Kindeswohl ein, wie die Sachverständige überzeugend dargelegt habe. Eine Maßnahme, deren Ziel die Abwendung der akuten Kindeswohlgefährdung sei, müsse den dauernden Kontakt der Kinder zur Mutter zunächst einmal unterbrechen, um deren fortlaufende Manipulation zu unterbinden. Insofern seien der Entzug der elterlichen Sorge und die Herausnahme aus der mütterlichen Obhut gerechtfertigt. Sie könnten nicht durch mildere Mittel ersetzt werden, etwa durch eine Umgangspflegschaft oder den zeitweiligen Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die Zeiten des Umgangs.
d) Die daraufhin beim Oberlandesgericht Koblenz erhobene Anhörungsrüge wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 28. Dezember 2011 als unbegründet zurückgewiesen.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin in erster Linie eine Verletzung ihres Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen.
Es werde nicht hinreichend erkennbar, dass das Amtsgericht seiner Prüfung die von Verfassungs wegen hohen Anforderungen der §§ 1666 ff. BGB zugrunde gelegt habe. Den angegriffenen Beschlüssen sei inhaltlich die für eine Trennung des Kindes von seinen Eltern erforderliche schwerwiegende Gefährdung des Kindeswohls mit der für eine Entscheidung erforderlichen Sicherheit nicht zu entnehmen. Vor allem sei nicht erkennbar, dass die Fachgerichte sich mit den erheblichen traumatisierenden Folgen der plötzlichen und für die Kinder unverständlichen Herausnahme auseinandergesetzt hätten. Der Entzug der elterlichen Sorge widerspreche dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da als milderes Mittel die Bestellung eines Umgangspflegers oder die Anwendung von Zwangsmitteln in Betracht gekommen wäre, um den Umgangsvergleich durchzusetzen.
3. Die Akte des Ausgangsverfahrens lag der Kammer vor.
4. Die Verfassungsbeschwerde wurde der Regierung des Landes Rheinland-Pfalz, dem Kindesvater und dem Verfahrensbeistand der Kinder zugestellt. Die Landesregierung Rheinland-Pfalz hat keine Stellungnahme abgegeben. Der Kindesvater und der Verfahrensbeistand haben sich den Gründen der angegriffenen Entscheidungen angeschlossen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt.
1. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Eltern-rechts der Beschwerdeführerin geboten (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungs-rechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde offensichtlich zulässig und begründet ist (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
a) Die Beschwerdeführerin wird durch die angegriffenen Entscheidungen in ihrem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt.
aa) Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Die Erziehung des Kindes ist damit primär in die Verantwortung der Eltern gelegt, wobei dieses „natürliche Recht” den Eltern nicht vom Staate verliehen worden ist, sondern von diesem als vorgegebenes Recht anerkannt wird. Die Eltern können grundsätzlich frei von staatlichen Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen (BVerfGE 60, 79 ≪88≫). In der Beziehung zum Kind muss aber das Kindeswohl die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein (BVerfGE 60, 79 ≪88≫ m.w.N.). Der Schutz des Elternrechts, das Vater und Mutter gleichermaßen zukommt, erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts (vgl. BVerfGE 84, 168 ≪180≫; 107, 150 ≪173≫).
Soweit es um die Trennung des Kindes von seinen Eltern als dem stärksten Eingriff in das Elternrecht geht, ist dieser allein unter den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 GG zulässig. Danach dürfen Kinder gegen den Willen des Sorgeberechtigten nur aufgrund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen (vgl. BVerfGE 72, 122 ≪137 f.≫). Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern berechtigt den Staat auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramtes, die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen (vgl. BVerfGE 24, 119 ≪144 f.≫; 60, 79 ≪91≫). Das elterliche Fehlverhalten muss vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (BVerfGE 60, 79 ≪91≫).
Wenn Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen und damit zugleich die Aufrechterhaltung der Trennung der Kinder von ihnen gesichert wird, darf dies zudem nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (vgl. BVerfGE 60, 79 ≪89≫). Dieser gebietet es, dass Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs sich nach dem Grund des Versagens der Eltern und danach bestimmen müssen, was im Interesse des Kindes geboten ist. Der Staat muss daher nach Möglichkeit versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen (vgl. BVerfGE 24, 119 ≪145≫; 60, 79 ≪93≫). In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht befunden, dass der Gesetzgeber mit § 1666 Abs. 1 in Verbindung mit § 1666a BGB eine Regelung geschaffen hat, die es dem Familiengericht ermöglicht, bei Maßnahmen zum Schutze des Kindes auch dem grundgesetzlich verbürgten Elternrecht hinreichend Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 60, 79 ≪90≫; 72, 122 ≪138≫).
Grundsätzlich ist die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und die Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im einzelnen Fall Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Ihm obliegt lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts oder vom Umfang seines Schutzbereiches beruhen. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben lassen sich die Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts aber nicht starr und gleichbleibend ziehen. Sie hängen namentlich von der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung ab (BVerfGE 72, 122 ≪138≫; stRspr). Bei gerichtlichen Entscheidungen, die Eltern oder Elternteilen das Sorgerecht für ihr Kind entziehen, besteht wegen des sachlichen Gewichts der Beeinträchtigung der Eltern in ihren Grundrechten aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 2 Abs. 1 GG Anlass, über den grundsätzlichen Prüfungsumfang hinauszugehen (BVerfGE 55, 171 ≪181≫; 72, 122 ≪138≫). Daher können neben der Frage, ob die angefochtene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen, auch einzelne Auslegungsfehler nicht außer Betracht bleiben (vgl. BVerfGE 60, 79 ≪91≫; 75, 201 ≪222≫).
bb) Danach sind die Fachgerichte in den angegriffenen Entscheidungen den Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG nicht gerecht geworden.
Die Ausführungen lassen nicht hinreichend deutlich erkennen, dass die Gerichte die hohen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Trennung eines Kindes von seinem Elternteil gegen dessen Willen (§ 1666 Abs. 1 BGB) sowie für die Abänderung einer bereits bestehenden Sorgerechtsregelung (§ 1696 BGB) berücksichtigt haben, die in § 1666 Abs. 1, § 1666a, § 1696 BGB ihren einfachrechtlichen Ausdruck gefunden haben. Das Oberlandesgericht erkennt zwar, dass es sich bei den getroffenen Anordnungen um ungewöhnliche und harte Entscheidungen handelt, deren Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit nicht auf der Hand liegen. Das Oberlandesgericht zieht daraus jedoch ebenso wenig wie das Amtsgericht die verfassungsrechtlich gebotene Konsequenz einer besonders sorgfältigen Darlegung der Erfordernisse des Kindeswohls einerseits und der Notwendigkeit der ergriffenen Maßnahmen andererseits.
(1) Die von den Gerichten getroffenen Feststellungen belegen nicht hinreichend, dass eine die Grundrechtseingriffe rechtfertigende Beeinträchtigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls der Kinder H. T. und S. besteht oder zu befürchten ist. Inwiefern die angeordneten Maßnahmen ihre Grundlage in § 1666 BGB oder in § 1696 BGB finden sollen, geht aus den Entscheidungen nicht klar hervor. Für die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ist dies allerdings im Ergebnis unerheblich. Der Gesetzgeber hat in beiden Bestimmungen den potentiellen Konflikt zwischen elterlichem Erziehungsrecht und den zu schützenden Rechten des Kindes, insbesondere dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Kindes, in verfassungsmäßiger Weise konkretisiert. Die gerichtlichen Feststellungen genügen angesichts des erheblichen Grundrechtseingriffs weder zur Begründung einer Gefährdung des Kindeswohls im Sinne des § 1666 BGB noch zur Feststellung triftiger, das Wohl des Kindes nachhaltig berührender Gründe im Sinne des § 1696 BGB.
(a) Voraussetzung der Entziehung der elterlichen Sorge ist gemäß § 1666 BGB eine Gefährdung des Kindeswohls, also ein bereits eingetretener Schaden des Kindes oder eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich für die weitere Entwicklung des Kindes eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. Diederichsen, in: Palandt, BGB, 71. Aufl., § 1666 Rn. 10).
Die Abänderung gemäß § 1696 BGB setzt triftige, das Kindeswohl nachhaltig berührende Gründe voraus. Die für die Abänderung maßgebenden Gründe müssen die mit einer Änderung verbundenen Nachteile deutlich überwiegen. Maßgebend ist das Wohl des Kindes (vgl. Büte, in: Johannsen/Henrich, Familienrecht, 5. Aufl. 2010, § 1696 Rn. 11).
Die Ausführungen des Oberlandesgerichts lassen keine hinreichenden Erwägungen dazu erkennen, in welcher Art und welchen Ausmaßes seelische Schäden durch das Verbleiben der Kinder bei der Mutter zu befürchten sind. Das Gericht lenkt seinen Blick weitgehend auf die von ihm als negativ bewerteten Verhaltensweisen der Mutter, ohne die sich daraus seiner Auffassung nach ergebenden schwerwiegenden Konsequenzen für die Kinder näher darzulegen. Hinsichtlich der Kinder führt das Oberlandesgericht zwar aus, durch das Verhalten der Mutter werde den Kindern die Vaterfigur genommen und so ohne jede Not eine wesentliche Entwicklungskomponente für die Kinder ausgeblendet beziehungsweise extrem negativ besetzt. Die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Folgen für das weitere Leben der Kinder, die fast vorhersagbaren Persönlichkeitsdefizite würden von der Sachverständigen eindringlich beschrieben. Sie seien aber ohnehin inzwischen fast Allgemeingut und jedenfalls dem Senat aus einer Reihe von Verfahren mit ähnlichen Grundtendenzen des betreuenden Elternteils bekannt. Worin die negativen Folgen für die weiteren Leben der Kinder sowie deren fast vorhersagbare Persönlichkeitsdefizite bestehen, wird jedoch nicht dargelegt. Der nicht konkretisierte Hinweis auf die Beschreibungen der Sachverständigen führt insofern nicht weiter, weil auch aus deren Gutachten nicht hinreichend deutlich hervorgeht, worin genau die hier von Verfassungs wegen zu fordernde schwerwiegende Entwicklungsgefahr für die Kinder besteht. Es kann darum anhand der Ausführungen des Oberlandesgerichts nicht beurteilt werden, ob die vom Gericht für wahrscheinlich gehaltenen Entwicklungen von solcher Art und Gewicht sind, dass sie den schweren Eingriff in das Elternrecht der Mutter rechtfertigen könnten.
Das Amtsgericht hatte in der vom Oberlandesgericht bestätigten Entscheidung unter Berücksichtigung des Ergebnisses des Sachverständigengutachtens das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung ebenfalls bejaht. Es führte aus, im Falle einer Aussetzung der Umgangskontakte bestünden Risiken in Form der Beeinträchtigung der Bindungsbereitschaft, der Verfestigung des negativen Vaterbildes mit der Gefahr einer Selbstwertproblematik, der nicht gelingenden Persönlichkeits- und Autonomieentwicklung, des Stehenbleibens auf einer kindlichen Abhängigkeitsbeziehung von der Mutter sowie einer zukünftigen Belastung der Beziehung zur Mutter. Ein bereits eingetretener Schaden der Kinder lässt sich dieser Aufzählung und auch den weiteren Ausführungen des Amtsgerichts nicht entnehmen, es wird vielmehr von Gefahren für das Kindeswohl ausgegangen, die sich möglicherweise in der Zukunft verwirklichen. Das Ausmaß der eventuell eintretenden Schäden wird jedoch nicht näher festgestellt. Die in Anlehnung an das Sachverständigengutachten beschriebene, zu erwartende Entwicklung der Kinder ist zweifelsfrei nicht das, was einem Kind zu wünschen ist. Dass die Kinder damit im rechtlichen Sinne besonders gravierende Entwicklungseinbußen zu gegenwärtigen hätten, erschließt sich indes nicht. Auch das Amtsgericht setzt sich insoweit nicht damit auseinander, dass für den Entzug des Sorgerechts nicht eine irgendwie geartete Kindeswohlgefährdung ausreicht, sondern eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten sein muss. Das Amtsgericht übernimmt vielmehr die Einschätzung der psychologischen Sachverständigen, dass es sich bei den aufgezählten Risiken um eine Kindeswohlgefährdung handele, ohne die tatsächlichen Ausführungen und Wertungen der Sachverständigen einer spezifisch rechtlichen Bewertung zu unterziehen, derer es hier bedürfte, um das Gewicht der Kindesbelange im Verhältnis zum Elternrecht der Mutter würdigen zu können.
(b) Auf der anderen Seite befassen sich die Entscheidungen auch nicht hinreichend mit den für das Kindeswohl nachteiligen Folgen der Maßnahmen. Eine Maßnahme kann nicht ohne Weiteres als im Sinne der §§ 1666, 1696 BGB aus Gründen des Kindeswohls geboten angesehen werden, wenn sie ihrerseits nachteilige Folgen für das Kindeswohl haben kann.
Das Oberlandesgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, dass die Folgen der Fremdunterbringung für die Kinder nicht gravierender sein dürfen als die Folgen eines weiteren Verbleibens bei der Mutter. So lässt die Entscheidung des Oberlandesgerichts eine nähere Auseinandersetzung mit dem Umstand vermissen, dass die Kinder im Wege der getroffenen Anordnungen in eine ihnen fremde Umgebung verbracht werden und ihnen die bisherige Bezugsperson genommen wird, wobei die Situation aus Kindessicht dadurch verschärft wird, dass vorläufig auch der Vater nicht als Betreuungsperson in Betracht kommt und die Kinder für einige Zeit in einer Pflegestelle unterzubringen sind. Unzureichend sind auch die Darlegungen zu möglichen nachteiligen Folgen hinsichtlich der überraschenden Herausnahme der Kinder aus der Obhut der Mutter.
Das Amtsgericht führte in diesem Zusammenhang aus, ihm sei bewusst, dass mit der Herausnahme der Kinder deren erneute Traumatisierung verbunden sein werde. Die Schwere des Eingriffs sei jedoch die Folge der massiven Umgangsverweigerung. Auch das Amtsgericht hat damit die Folgen der plötzlichen Herausnahme der Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung sowie der Trennung von ihrer Mutter und die vorübergehende Unterbringung in einer Pflegestelle nicht hinreichend ins Verhältnis zu den negativen Folgen eines weiteren Verbleibens der Kinder bei der Mutter gesetzt.
(2) Die angegriffenen Entscheidungen lassen zudem eine hinreichende Auseinandersetzung mit den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vermissen. Das Oberlandesgericht erkennt zwar, dass es sich bei den getroffenen Anordnungen um ungewöhnliche und harte Entscheidungen handelt, deren Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit nicht auf der Hand liegen. Gleichwohl verzichtet es auf eine nähere Begründung der Verhältnismäßigkeit der ergriffenen Maßnahmen. Gerade wegen dieses ungewöhnlichen Charakters der Anordnungen und der damit für Mutter und Kinder verbundenen Härten hätte es hier jedoch besonders sorgfältiger Erwägungen und Ausführungen zur Erforderlichkeit bedurft.
(a) Dass die getroffenen Anordnungen einen legitimen Zweck verfolgen und auch geeignet sind, den verfolgten Schutzzweck zu erreichen, ist den Ausführungen hinreichend deutlich zu entnehmen.
(b) Nicht hinreichend dargelegt ist jedoch, dass die Anordnungen zur Erreichung des verfolgten Zwecks erforderlich sind. Die Erforderlichkeit beinhaltet das Gebot, aus den zur Erreichung des Zweckes gleich gut geeigneten Mitteln das mildeste, also die geschützte Rechtsposition am wenigsten beeinträchtigende Mittel zu wählen (BVerfGE 100, 313 ≪375≫). In Anbetracht des massiven Eingriffs in das Elternrecht der Beschwerdeführerin, der nicht offensichtlich schweren Kindeswohlgefährdung im Fall des Verbleibens bei der Mutter und der aus Sicht des Kindeswohls nicht offensichtlich unproblematischen Wirkungen der ergriffenen Maßnahmen hätten sich die Gerichte intensiv damit auseinandersetzen müssen, ob mildere Mittel zur Verfügung gestanden hätten, die ebenso geeignet gewesen wären, die Kontakte der Kinder zum Vater zu fördern. An die Geeignetheit des milderen Mittels sind hier angesichts der genannten Besonderheiten des Falls keine überzogenen Anforderungen zu stellen.
(aa) Es hätte nahe gelegen, als milderes Mittel Maßnahmen in den Blick zu nehmen, die zur Wiederaufnahme des Umgangs des Vaters mit den Kindern beitragen. Wie die Sachverständige in ihrem Gutachten ausgeführt hat, dienen gerade die Umgangskontakte dem Kindeswohl. Das Gericht hätte darum genauer darlegen müssen, warum die Wiederherstellung des Umgangs mit dem Vater kein geeignetes Mittel zur Wahrung des Kindeswohls ist. Wäre nach genauerer Prüfung die Wiederaufnahme des Umgangs als milderes Mittel grundsätzlich in Betracht gekommen, hätte in einem zweiten Schritt untersucht werden müssen, ob wirksame Maßnahmen zur in der Vergangenheit problematischen Realisierung des Umgangs zur Verfügung stehen. Neben der Anordnung von Zwangsmitteln wären hierzu insbesondere die Installation einer Umgangspflegschaft oder die Anordnung einer Therapie der Kinder zu zählen gewesen. Hiermit hat sich das Oberlandesgericht jedoch, insofern folgerichtig, gar nicht befasst. Erwähnung finden diese alternativen Mittel im Beschluss des Amtsgerichts. Sie werden jedoch auch dort nicht mit der angesichts des erheblichen Grundrechtseingriffs gebotenen Sorgfalt erörtert.
(bb) Zum einen hätte genauerer Betrachtung bedurft, ob zur Durchsetzung des bestehenden Umgangsbeschlusses die Anordnung von Zwangsmitteln gemäß §§ 88 ff. FamFG in Betracht kommt. Soweit das Amtsgericht ausführt, die Verhängung von Zwangsmitteln werde die Mutter nicht davon abhalten, ihre Ängste und ihre Ablehnung des Vaters weiterhin auf die Kinder zu übertragen, ist dem Beschluss nicht zu entnehmen, auf welche konkreten Umstände das Gericht diese Annahme stützt, da – soweit ersichtlich – bisher keine Vollstreckungsversuche unternommen wurden. Ein Gericht kann aber grundsätzlich nicht ohne nähere Darlegung die von der Rechtsordnung zur Durchsetzung des Rechts vorgesehenen Instrumente für untauglich erklären.
(cc) Zum anderen wäre die Möglichkeit genauer zu erörtern gewesen, vor einer Fremdunterbringung und Entzug des Sorgerechts eine Umgangspflegschaft gemäß § 1684 Abs. 3 Sätze 3 – 6 BGB zur Gewährleistung der Durchführung der Umgangskontakte anzuordnen. Zwar führt das Amtsgericht aus, auch die Bestellung eines Umgangspflegers verspreche keinen Erfolg, da die notwendige Mitwirkung der Mutter nicht zu erwarten sei. Vielmehr wären wieder längere Unterbrechungen der Kontakte zu erwarten, mit der Folge, dass sich die Kinder weiter vom Vater entfernten. Hier fehlt es jedoch an differenzierten Erwägungen zu der Möglichkeit der Installation einer Umgangspflegschaft. Die Umgangspflegschaft umfasst den Anspruch auf Herausgabe des Kindes zur Durchführung des Umgangs sowie das Recht, für die Dauer des Umgangs den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen. Insbesondere für den Fall der Umgangsverweigerung durch einen Elternteil und die damit einhergehende Beeinträchtigung des Kindeswohls ist sie als geeignete Maßnahme anzusehen. Da die Umgangspflegschaft den Eingriff auf das zunächst erforderliche Maß beschränkt, ist sie als milderes Mittel einem vollständigen Entzug des Sorgerechts nach § 1666 BGB vorzuziehen. Ihre Anordnung kann nur dann unterbleiben, wenn die Umgangspflegschaft offensichtlich aussichtslos ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 – XII ZB 247/11 – FamRZ 2012, S. 99 ≪101 f.≫). Zwar hilft die Bestellung eines Umgangspflegers nicht weiter bei einem Elternteil, der sich – trotz Androhung und Verhängung von Zwangsgeldern – nachhaltig und erfolgreich geweigert hat, einen Umgang einzuräumen (Ziegler, in: Klein, Das gesamte Familienrecht, Bd. 3, § 1684 Rn. 37 ≪Dez. 2011≫). Dies ist aus den angegriffenen Entscheidungen und der beigezogenen Akte jedoch nicht ersichtlich. Die Anordnung von Zwangsmitteln wurde offensichtlich mangels Antrags des Vaters gar nicht erst in Erwägung gezogen, so dass auch die Einrichtung einer Umgangspflegschaft nicht ohne nähere Begründung als aussichtslos angesehen werden kann.
(dd) Schließlich wäre auch eine Therapieauflage in Betracht zu ziehen gewesen, wonach der Mutter auferlegt wird, die Kinder einer therapeutischen Behandlung zuzuführen, um die Umgangskontakte mit dem Vater zu fördern. Hierzu finden sich keinerlei Überlegungen.
b) Die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 10. und 28. Oktober 2011 und des Oberlandesgerichts vom 17. November 2011 beruhen auf den Verstößen gegen das Elternrecht der Beschwerdeführerin. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gerichte bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls von einer Sorgerechtsentziehung und Abänderung der Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts abgesehen hätten.
c) Es erscheint angezeigt, nur den Beschluss des Oberlandesgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an einen anderen Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG), weil der Beschwerdeführerin damit besser gedient ist. Denn es liegt in ihrem Interesse, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung über die von der Sachverständigen angeregte Entziehung ihres Sorgerechts zu erhalten (vgl. BVerfGE 84, 1 ≪5≫; 94, 372 ≪400≫).
2. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
3. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪366 ff.≫).
Unterschriften
Gaier, Paulus, Britz
Fundstellen