Verfahrensgang
Tenor
• Der Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 2. August 2010 – 2 Ws 172/10 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Nürnberg zurückverwiesen.
• Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
• Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine Beschwerdeentscheidung, mit der das Oberlandesgericht die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt hat.
I.
1. Der am 1. September 1940 geborene Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 27. Juli 1967 wegen fünf sachlich zusammentreffender Verbrechen des Mordes, vier davon in Tateinheit mit drei Verbrechen des besonders schweren Raubes, zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Mit Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 10. November 1987 wurde hieraus eine lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe gebildet.
Der Verurteilung lagen folgende Taten zugrunde: Am 20. September 1962 tötete der Beschwerdeführer bei einem Überfall auf eine Sparkassenfiliale in Ochenbruck einen dort anwesenden Angestellten mit drei Schüssen. Am 30. November 1962 tötete der Beschwerdeführer bei einem Überfall auf eine Sparkassenfiliale in Neuhaus/Pegnitz einen anwesenden Kunden mit zwei Schüssen. Am 29. März 1963 tötete der Beschwerdeführer bei einem Überfall auf ein Waffengeschäft in Nürnberg die Inhaberin und deren Sohn mit vier beziehungsweise drei Schüssen. Am 1. Juni 1965 schließlich tötete der Beschwerdeführer nach einem Handtaschendiebstahl den ihn verfolgenden Hausmeister eines Kaufhauses in Nürnberg mit fünf Schüssen. Im Anschluss an diese Tat wurde er festgenommen. Seitdem befindet sich der Beschwerdeführer ununterbrochen in Haft.
Mit Beschluss vom 5. Mai 1993 setzte die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg in Straubing wegen der besonderen Schwere der Schuld eine Mindestvollstreckungsdauer von 38 Jahren fest, die am 31. Mai 2003 erreicht war.
2. Der Beschwerdeführer wurde mehrfach kriminalpsychiatrisch begutachtet. Unter anderem sprach sich im Jahr 2005 der Sachverständige Professor Dr. N. gegen eine bedingte Entlassung aus: Um in Freiheit Konflikte bewältigen zu können, bedürfe der Beschwerdeführer sozialer Kompetenz, die er bislang noch nicht erworben habe. Eine Entlassung könne erst dann ohne Gefahr für die Allgemeinheit verantwortet werden, wenn der Beschwerdeführer sowohl innerhalb der Justizvollzugsanstalt wie auch außerhalb gezeigt habe, dass er über die erforderliche soziale Kompetenz verfüge. Eine längerfristige Prognose werde daher erst dann möglich sein, wenn der Beschwerdeführer über einen längeren Zeitraum seine Zuverlässigkeit bei Erprobungen belegt habe.
3. Im Mai 2007 begann der Beschwerdeführer eine einzelpsychotherapeutische Behandlung bei Professor Dr. O. Zur Bewertung der durchgeführten Psychotherapie erstellte Professor Dr. P. im Jahr 2008 ein weiteres fachpsychiatrisches Gutachten und äußerte die Einschätzung, dass der Beschwerdeführer von der Psychotherapie deutlich profitiere. Der Beschwerdeführer erfahre in dieser Therapie eine Zuwendung und Aufmerksamkeit, die er als positive Wertschätzung erlebe, was für einen Therapieerfolg grundlegend sei.
4. Nachdem der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 14. September 2007 die Aussetzung der weiteren Strafvollstreckung zur Bewährung beantragt hatte, holte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 6. November 2008 ein kriminalpsychiatrisches Prognosegutachten ein. In seinem Gutachten vom 19. Juli 2009 äußerte der vom Gericht beauftragte Sachverständige Professor Dr. P. im Ergebnis die Erwartung, dass der Beschwerdeführer außerhalb des Strafvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen werde. Er stimme den vom Vorgutachter Professor Dr. N. festgestellten psychopathologischen Bedingungsfaktoren für das kriminelle Verhalten des Beschwerdeführers uneingeschränkt zu. Es handele sich dabei um eine schizoide Persönlichkeitsakzentuierung beziehungsweise -störung, dissoziale Verhaltensweisen, einen Überlegenheitsdünkel und die in der Adoleszenz bewusst gewählte „kriminelle Identität” des Beschwerdeführers. Im Hinblick auf die drei letztgenannten Bedingungsfaktoren seien wesentliche Veränderungen und eine grundsätzliche Nachreifung zu konstatieren. Die schizoide Persönlichkeitsstörung – die mangelnde Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Antizipation unter Berücksichtigung der Reaktionen anderer – sei heute nicht mehr prominent. Der Beschwerdeführer wisse Beziehungen mittlerweile zu schätzen. Seine kriminelle Karriere sei als reaktive psychoneurotische Symptombildung entstanden. Eine vergleichbare Trotzreaktion und Aufspaltung seines Erlebens mit Entwicklung einer heimlich gelebten kriminellen Identität sei heute nicht mehr zu erwarten. Der Beschwerdeführer habe durch langjährige Beziehungen zu den früheren Pfarrern der Justizvollzugsanstalt, zu seinem Betreuer, zu einem früheren Klassenkameraden und nicht zuletzt zu seinem Therapeuten Professor Dr. O. tragfähige Beziehungen etabliert, in denen auch kontroverse Perspektiven diskutiert und ausgehalten werden könnten. Insofern sei auch nicht zu erwarten, dass der Beschwerdeführer bei Vollzugslockerungen gravierende Straftaten begehen oder die Lockerungen anderweitig missbrauchen werde.
5. In seinem Therapiebericht vom 19. Oktober 2009 führte Professor Dr. O. aus, dass der Beschwerdeführer während der langjährigen Therapie eine tragfähige Entwicklungsperspektive entwickelt habe. Er verhalte sich ressourcenorientiert und damit realitätsbezogen. Seine Zukunftsplanung sei durchaus nachvollziehbar und an seinen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Grenzen orientiert. Es werde zukünftig eine lockerungsbegleitende Einzelpsychotherapie empfohlen. Ein deliktnahes Verhalten habe sich während der langjährigen Therapie zumindest in den letzten Jahren nicht erkennen lassen. Das integrierte Training sozialer Kompetenzen habe der Beschwerdeführer zunehmend verinnerlicht. Er habe gelernt, seine Selbstkontrolle zu verbessern und zu stabilisieren und neue Denkstile zu entwickeln. Auch mit der Entwicklung und dem Erleben von Werten und Empathiefähigkeit habe er sich auseinandergesetzt und auch in diesem Bereich – wenngleich altersbedingt begrenzte – Fortschritte erzielt.
6. Mit Verfügung vom 21. Januar 2010 beantragte die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, die Restfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen. In einer Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Straubing vom 25. Januar 2010 wurde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer unter keinen Umständen ohne vorherige Entlassungsvorbereitung und ohne eine intensive Lockerungsphase in einem Übergangswohnheim entlassen werden sollte. Zunächst müsse ein weiteres Sachverständigengutachten zur Frage der Gewährung von Vollzugslockerungen eingeholt werden. Die in der Einzeltherapie erzielten Fortschritte seien zwar erfreulich und bemerkenswert; es müsse jedoch berücksichtigt werden, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um einen Schwerstkriminellen mit hochproblematischer, gestörter Persönlichkeit handele und diese Störung über Jahrzehnte als nicht therapierbar angesehen worden sei.
7. Mit Beschluss vom 4. März 2010 setzte die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg in Straubing die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung aus. Zur Begründung verwies das Gericht im Wesentlichen auf die Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. P. Ein weiteres Zuwarten auf längst überfällige, aber dem Beschwerdeführer bisher stets versagte Vollzugslockerungen sei unter Berücksichtigung des Freiheitsrechtes des Beschwerdeführers in Abwägung mit dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit keinesfalls mehr vertretbar. Vorherige Vollzugslockerungen seien nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen auch entbehrlich.
Am 11. März 2010 legte die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer sofortige Beschwerde ein.
In einer Stellungnahme vom 12. März 2010 sprach sich der Anstaltspsychologe Dr. K. gegen eine Entlassung ohne vorherige Vollzugslockerungen aus. Nachdem der Beschwerdeführer 45 Jahre in Haft verbracht habe, sei bei seiner Entlassung ein enormer Kulturschock zu erwarten, der durch eine Fortsetzung der Psychotherapie in vierzehntägigen Abständen nicht aufgefangen werden könne.
Mit Schreiben seines Verteidigers vom 9. April 2010 beantragte der Beschwerdeführer, die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft zu verwerfen. Zur Begründung verwies er auf die Ausführungen von Professor Dr. P. und Professor Dr. O. sowie darauf, dass er in ein Wohnheim der Caritas entlassen werden solle, das mit einer 24-Stunden-Betreuung eine optimale Hilfestellung und Überwachungsfunktion gewährleiste.
8. Am 4. Mai 2010 wurde der Beschwerdeführer zur Besichtigung des Übergangswohnheims nach Regensburg ausgeführt. Nach den hierüber angefertigten Vermerken gab der Beschwerdeführer im Rahmen des Vorstellungsgesprächs über seine Taten bereitwillig Auskunft. Gegenüber dem Leiter des Wohnheims habe er erklärt, dass der Bankangestellte das Geld verteidigt habe, als wäre es sein eigenes, „da drücke man halt ab”. Der Beschwerdeführer habe seine Straftaten mit denen anderer Gefangener verglichen und erklärt, er selbst habe nur Menschen erschossen, während andere Täter nach der Tötung noch einiges mit ihren Mordopfern angestellt hätten. In einem Nachbereitungsgespräch zur Ausführung habe der Beschwerdeführer erklärt, die heutigen Kassiererinnen und Kassierer in Kaufhäusern und Banken hätten von den Straftaten, die er begangen habe, letztlich profitiert. Aufgrund seiner Taten gäbe es mittlerweile Anweisungen, bei Raubüberfällen keinen Widerstand zu leisten und das Geld nicht so zu verteidigen, als wäre es das eigene. Auf die Wirkung dieser Äußerungen auf den Leiter des Wohnheims angesprochen, habe der Beschwerdeführer erklärt, dass er die Banküberfälle nicht habe rechtfertigen, sondern vielmehr nur darauf habe hinweisen wollen, dass die von ihm Getöteten das Opfer hätten erbringen müssen, damit nicht später „jeder Hippie mit Spielzeugpistole” eine Bank habe ausrauben können.
9. Mit einem Gutachten vom 26. Mai 2010 nahm der Sachverständige Professor Dr. K. Stellung zur Frage der Eignung des Beschwerdeführers für die Gewährung von Vollzugslockerungen sowie zur Kriminalprognose und Entlassungsfähigkeit, gegebenenfalls ohne vorherige Vollzugslockerungen. Darin führte er aus, der Beschwerdeführer wirke ungeachtet seines Alters ausgesprochen lebhaft, aktiv und antriebsstark. Er sei daran interessiert, seine eigene Position zu verdeutlichen und seine – wenn auch negative – Berühmtheit vor dem Vergessen zu bewahren. Unverkennbar sei die wirklich eindrucksvolle emotionale Unansprechbarkeit des Beschwerdeführers für die menschliche, emotionale Dimension seiner Verbrechen. Man habe den Eindruck, dass diese Taten psychisch keineswegs 45 Jahre zurücklägen, sondern in der Erinnerung des Beschwerdeführers noch sehr präsent seien, und dass sie intensiv abgeschirmt würden als grandiose Allmachterlebnisse und als Inszenierungen der eigenen Stärke und Unbezwingbarkeit. Emotional beständen enorme Defizite im Hinblick auf Mitgefühl, Fürsorglichkeit, aber auch im Hinblick auf das Wahrnehmen und Verstehen der Wünsche und Gefühle anderer. Der Beschwerdeführer sei immer noch in einem erstaunlichen, untaktischen Maß bereit, die Schuld auf andere abzuschieben und dabei eigene Formen des Versagens zu bagatellisieren und als Missgeschick darzustellen. Es bestehe die Symptomatik einer sehr ausgeprägten schizoiden Persönlichkeitsstörung, verbunden mit ausgeprägten psychopathologischen Merkmalen und dissozialen Anteilen. Trotz guter Intelligenz und völlig ungestörten kognitiven Funktionen sei die Fähigkeit des Beschwerdeführers, Emotionen nachzuvollziehen, nach wie vor nur minimal entwickelt. Bei der Schilderung eines der Sparkassenüberfälle sei der Beschwerdeführer in ein kräftiges, anhaltendes Lachen geraten. Bereits dieses Lachen mache alle Illusionen darüber, dass es ihm zwischenzeitlich gelungen wäre, Opferempathie zu entwickeln, weitgehend zunichte. Auch bei den Schilderungen der anderen Taten imponierten die Opfer allein als Hindernisse, die es auszuräumen galt, während es nicht die mindesten Hinweise darauf gebe, dass der Beschwerdeführer inzwischen über deren Leben und vorzeitiges Sterben nachgedacht habe. Im Verlauf der Gespräche habe der Beschwerdeführer eine gewisse Emotion, nämlich eine heftige und gereizte Reaktion, insbesondere da gezeigt, wo er sich kritisiert fühlte oder wo er das Gefühl gehabt habe, dass man in seinen privaten Bereich, in den „Geheimbereich seiner grandiosen Erinnerungen” einzudringen versuche. So etwas wie ein vorsichtiges Vertrauen sei ausschließlich gegenüber seinem Therapeuten Professor Dr. O. sichtbar geworden, von dem der Beschwerdeführer das Gefühl habe, dass dieser ihn vorbehaltlos akzeptiere und moralisch nicht kritisiere. Man habe allerdings den Eindruck, dass dafür eine essenzielle Bedingung gewesen sei, dass Professor Dr. O. die Tatversionen des Beschwerdeführers nicht infrage gestellt und insbesondere nicht den Punkt berührt habe, wie weit damals ein intensiver Wunsch vorgelegen habe, andere Menschen zu töten, um sich auf diese Weise als Übermensch, stark und unverletzlich über den Regeln stehend, zu erleben. Der Beschwerdeführer verfüge offenbar über gewisse manipulative Fähigkeiten, da es ihm gelungen sei, die Sachverständigen immer wieder von dem Thema der Motivation für Serienmord wegzuführen, wenn sie daran rührten. Auch bei der jetzigen Begutachtung habe sich der Beschwerdeführer gegen entsprechende Nachfragen des Sachverständigen verwahrt und ihm schließlich direkt das Recht abgesprochen, solche Fragen zu stellen. Insgesamt imponiere der Beschwerdeführer als ein Mann mit einem emotionalen Defekt und einem in den Taten zu Tage getretenen hohen destruktiven Potenzial, bei dem anzunehmen sei, dass die Tötungsdelikte zu einem erheblichen Teil Selbstzweck gewesen seien und den psychischen, destruktiven Bedürfnissen des Beschwerdeführers gedient hätten. Diese Taten seien jeweils mit Schusswaffen begangen worden, mit denen sich der Beschwerdeführer reichlich versehen habe. Solche Waffen seien von dem Beschwerdeführer auch in seinem jetzigen Alter und künftighin problemlos einsetzbar. Bei den Begutachtungen habe sich der Eindruck ergeben, dass die zahlreichen Haftjahre nahezu spurlos am Beschwerdeführer vorbeigegangen seien, während die Taten noch ganz frisch und markant das eigene, gelebte Leben repräsentierten. Wie bedeutsam die in diesen Vorerfahrungen zu Tage getretenen destruktiven Bedürfnisse im Entlassungsfall sein würden, sei schwer zu beurteilen. Die Positionen des Vorgutachters Professor Dr. P. und des behandelnden Therapeuten Professor Dr. O. gründeten sich auf die einem gewissen Wunschdenken folgende Hoffnung, die persönliche Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und Professor Dr. O. reiche aus, um Gefühle der sozialen Eingebundenheit in einem Umfang herzustellen, dass der Beschwerdeführer auch in seinen sonstigen sozialen Kontakten bereit sein werde, auf gefährliche Fantasien und destruktives Agieren zu verzichten. Nach den vom Beschwerdeführer geäußerten Wünschen, mit hoher Geschwindigkeit Motorrad oder Auto zu fahren und sich im Gleitschirmfliegen zu versuchen, sei dessen Risikobereitschaft ungebrochen. Wie sich für den Beschwerdeführer in Freiheit möglicherweise auftretende Frustrationen, Kränkungen, Angriffe, aber auch finanzielle Nöte darstellen würden, sei nicht kalkulierbar. Auch wenn der Beschwerdeführer den Wunsch nach Waffenbesitz in der Begutachtung immer wieder heruntergespielt habe, sei im Gespräch der Fortbestand seiner Waffenleidenschaft gut zu spüren gewesen. Aus diesen Gründen erscheine es sehr gewagt, den Beschwerdeführer ohne zwischenzeitliche Lockerungsphase schlagartig in Freiheit zu entlassen. Zur Erprobung der Vorsätze des Beschwerdeführers sollte eine ausreichend lange Lockerungsphase eingeschaltet werden, in der zu beobachten sei, wie er mit entsprechenden sozialen Situationen zurechtkomme. Als Beispiel hierfür könne die Ausführung des Beschwerdeführers am 4. Mai 2010 gelten, die sehr gut illustriere, worin die schizoide Persönlichkeitsstruktur zum Ausdruck komme: in der völligen Unfähigkeit des Beschwerdeführers, die emotionale Wirkung eigenen Redens über seine Tötungsdelikte und die Opfer auf die Zuhörer zu antizipieren und sich darauf einzustellen. Dass der Beschwerdeführer bei einer forcierten Entlassung ohne Lockerungsphase keine erheblichen Straftaten begehen werde, sei zwar nicht völlig ausgeschlossen, durch nachweisbare Veränderungen an den Risikofaktoren jedoch nicht belegt, und insofern sei die Entlassung ein mit erheblichen Risiken belastetes Vorgehen.
10. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 2. August 2010 hob das Oberlandesgericht Nürnberg den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg vom 4. März 2010 auf und ordnete an, dass die Vollstreckung des Strafrestes nicht zur Bewährung ausgesetzt wird.
Die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung hänge nach § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB nur noch davon ab, ob sie unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden könne. Das sei entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer nicht der Fall. Der Senat sei vielmehr davon überzeugt, dass beim Beschwerdeführer derzeit das Risiko eines erneuten schwerwiegenden Versagens noch zu groß erscheine und das hinzunehmende Restrisiko übersteige. Dies ergebe sich aus einer Gesamtabwägung aller entscheidungserheblichen Gesichtspunkte unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze. Da es sich bei den begangenen Morden um die schwersten Straftaten handele, sei auch das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit sehr hoch zu veranschlagen. Die Strafaussetzung dürfe nicht zu einem Rückfallmord führen. Die besonders hohe Wertschätzung des Lebens rechtfertige die weitere Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht nur in den Fällen, in denen eine fortbestehende Gefährlichkeit des Verurteilten positiv festgestellt werden könne, sondern auch dann, wenn nach Erfüllung des verfassungsrechtlichen Gebotes ausreichender richterlicher Sachaufklärung eine günstige Gefährlichkeitsprognose nicht gestellt werden könne. Verbleibende Zweifel gingen zulasten des Verurteilten.
Während sich die Strafvollstreckungskammer bei ihrer Entscheidung maßgeblich auf das Gutachten von Professor Dr. P. vom 19. Juli 2009 gestützt habe, wonach bei dem Beschwerdeführer in Bezug auf dessen dissoziale Verhaltensmuster und seinen Überlegenheitsdünkel wesentliche Veränderungen und eine grundsätzliche Nachreifung eingetreten seien, teile der Senat demgegenüber die Einschätzung des Sachverständigen Professor Dr. K., wonach die Symptomatik einer sehr ausgeprägten schizoiden Persönlichkeitsstörung, verbunden mit ausgeprägten psychopathologischen Merkmalen und dissozialen Anteilen, nach wie vor bestehe. Der Sachverständige Professor Dr. K. habe sich nachvollziehbar mit der Auffassung des Sachverständigen Professor Dr. P. auseinandergesetzt und im Einzelnen dargelegt, warum er ihr nicht folge. Dabei seien seine Ausführungen vor allem deshalb überzeugend, weil ihm aufgrund seiner späteren Gutachtenerstattung weitere für die Beurteilung der Kriminalprognose relevante Erkenntnisquellen zur Verfügung gestanden hätten. So habe er sein Gutachten auch auf die jüngeren Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt Straubing vom 25. Januar 2010, des Anstaltspsychologen Dr. K. vom 12. März 2010 sowie auf die Berichte über die Ausführung des Beschwerdeführers am 4. Mai 2010 gestützt. Damit habe ihm eine breitere Prognosebasis zur Verfügung gestanden als Professor Dr. P. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers bestehe das Gutachten auch nicht nahezu ausschließlich aus dem Versuch einer Deliktsanalyse. Vielmehr habe der Sachverständige im Rahmen der Rückfallprognose zu Risikofaktoren aus den vier Bereichen der anamnestischen Daten, des Ausgangsdelikts, der postdeliktischen Persönlichkeitsentwicklung und des sogenannten sozialen Empfangsraums Stellung genommen. Im vorliegenden Fall komme es zudem entscheidend auf die Betrachtung der Anlassdelikte und auf die Prüfung an, ob eine aktive Auseinandersetzung mit den Taten erfolgt sei. Der Beschwerdeführer müsse sich in einem Erkenntnisprozess erarbeiten, welche Charakterschwächen zu seinen Taten geführt hätten, und er müsse Tatsachen schaffen, die es überwiegend wahrscheinlich machten, dass er seine Charaktermängel weitestgehend behoben habe. Von einer Aufarbeitung der Tat könne nur gesprochen werden, wenn der Beschwerdeführer die Tat als Fehlverhalten verinnerlicht und sich diese in ihrer konkreten Bedeutung und ihren Folgen so bewusst gemacht habe, dass eine Wiederholung des Gesetzesverstoßes wenig wahrscheinlich sei. Daran fehle es hier. Aufgrund der schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. K. und der geschilderten Verhaltensweisen des Beschwerdeführers sei der Senat überzeugt, dass eine hinreichende Auseinandersetzung mit und Distanzierung von seinen Taten nicht erfolgt sei. Auch die Einzelpsychotherapie bei Professor Dr. O. habe bislang noch nicht dazu geführt, dass der Beschwerdeführer im erforderlichen Umfang erkannt habe, welche Charakterschwächen zu seinen Taten geführt hätten. Die Ursachen seiner Straffälligkeit suche er weniger bei sich selber und weise die Schuld daran zum Teil den Opfern zu. Die Opfer sehe er auch heute noch als Hindernisse und als Schwierigkeiten, die es auszuräumen galt. Dass er seine Opfer nicht nur kampfunfähig gemacht, sondern zum Teil durch weitere gezielte Kopfschüsse getötet habe, begründe er immer noch damit, er habe seinen Opfern weiteres Leid ersparen wollen. Hierin zeige sich, dass die mangelnde Tataufarbeitung auf einem fortbestehenden emotional bedingten Persönlichkeitsdefizit beruhe. Dass der Beschwerdeführer seine Taten weiterhin bagatellisiere, belege auch, dass er sie gegenüber dem Sachverständigen als „Murks” bezeichnet habe. Die Bagatellisierung des eigenen Handelns habe sich auch anlässlich seiner Ausführung am 4. Mai 2010 in das Übergangswohnheim der Caritas gezeigt. Die Äußerung des Beschwerdeführers, die heutigen Kassiererinnen und Kassierer in Kaufhäusern und Banken hätten letztlich von seinen Straftaten profitiert, lasse auch den Fortbestand des bereits von Professor Dr. N. festgestellten Überlegenheitsdünkels erkennen.
Die letztgenannten neueren Erkenntnisse aufgrund der Äußerungen und des Verhaltens des Beschwerdeführers bei seiner Ausführung hätten dem Sachverständigen Professor Dr. P. bei der Erstellung seines Gutachtens nicht zur Verfügung gestanden. Dessen Einschätzung, dass bei dem Beschwerdeführer eine wesentliche Nachreifung eingetreten sei, werde aus den positiven Einflüssen der Therapie bei Professor Dr. O. gefolgert. Das Entstehen der Beziehung des Beschwerdeführers zu Professor Dr. O. habe der Sachverständige Professor Dr. K. jedoch nachvollziehbar damit erklärt, dass Professor Dr. O. die Tatversionen des Beschwerdeführers nicht in Frage gestellt und nicht die Tatmotivation berührt habe. Bei der Begutachtung durch Professor Dr. K. habe sich der Beschwerdeführer gegen tatbezogene Nachfragen verwahrt und dem Gutachter schließlich direkt das Recht abgesprochen, solche Fragen zu stellen.
Der Sachverständige Professor Dr. P. habe den Wegfall der schizoiden Persönlichkeitsakzentuierung unter anderem aus seiner Anwendung des strukturierten klinischen Interviews für Persönlichkeitsstörungen (SKID-II) geschlossen, bei dem sich der Beschwerdeführer nicht als persönlichkeitsgestört, insbesondere nicht als schizoid beschrieben habe. Hierzu habe der Sachverständige Professor Dr. K. jedoch nachvollziehbar ausgeführt, dass das Nichtankreuzen entsprechender Merkmale im SKID-II-Verfahren nicht gegen das Vorliegen eines markanten Sachverhalts spreche, da dieser vom Beschwerdeführer selbst kaum wahrgenommen werde. Seine abweichende Kriminalprognose habe Professor Dr. K. weiter auch damit erklärt, dass Professor Dr. P. bestimmte Fragen zur Motivation der Tötungsdelikte nicht vertieft habe. Auch der Sachverständige Professor Dr. P. habe jedoch Bagatellisierungstendenzen festgestellt. Auf Nachfrage habe der Beschwerdeführer diesem gegenüber seine schwerwiegenden Taten auf einen stark ausgeprägten „jugendlichen Leichtsinn, eine Abenteuerlust” zurückgeführt. Dass der Beschwerdeführer seine Charakterschwächen gerade noch nicht erkannt habe, zeige sich auch darin, dass er nach seiner Entlassung eine mögliche Aushilfstätigkeit in einem Wachdienst in Erwägung ziehe. Ihm sei insoweit also nicht bewusst, dass die damit verbundene Nähe zu seiner Faszination für Waffen eine konkrete Bedeutung für die Tatbegehung hatte und damit die Gefahr einer Wiederholung in sich berge. Beim Beschwerdeführer bestehe nach wie vor ein Empathiemangel, eine emotionale Unberührbarkeit, Kälte und Gleichgültigkeit anderen gegenüber, bei gleichzeitiger Lebhaftigkeit und Durchsetzungsbereitschaft. Deshalb bestehe die Gefahr, dass die emotionale Unempfindlichkeit und mangelnde Erregbarkeit, die mit einer hochgradigen pathologischen Angstfreiheit verbunden sei, dazu führe, dass der Beschwerdeführer starke Reize suche, die einen „Kick” verursachten und ihm das Gefühl ermöglichten, inneres Leben, Erregung und Aufregung zu spüren. Im Hinblick auf die fortbestehenden Prognoserisiken sei mit einem hohen Rückfallrisiko hinsichtlich gravierender, den Anlasstaten vergleichbarer Gewalttaten zu rechnen.
Der Senat sei überzeugt, dass das grundsätzlich als protektiver Faktor zu wertende vorgerückte Lebensalter des Beschwerdeführers nicht zu einer Verminderung der übrigen Risikofaktoren führe. Trotz seines Lebensalters von fast 70 Jahren und eines zwischenzeitlich erlittenen Herzinfarkts verfüge der Beschwerdeführer nach den Feststellungen des Sachverständigen über eine erstaunliche Vitalität, ein energisches Auftreten bei guter Intelligenz sowie völlig ungestörte kognitive Funktionen und eine ungebrochene Waffenliebe sowie Risikobereitschaft. Der Senat schließe sich insofern den Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. K. an. Wegen der nach wie vor bestehenden Gefährlichkeit des Beschwerdeführers sehe sich der Senat außer Stande, bezüglich der bisher nicht erfolgten Vollzugslockerungen von der Möglichkeit des § 454a Abs. 1 StPO Gebrauch zu machen. Er sei sich der Pflicht bewusst, auch im Aussetzungsverfahren die Rechtmäßigkeit der Versagung von Lockerungen zu überprüfen. Da die Ablehnung der Aussetzung jedoch nicht auf die fehlende Erprobung des Beschwerdeführers in Lockerungen, sondern auf das von ihm weiterhin ausgehende erhebliche Risiko für die Allgemeinheit gestützt werde, könne eine Entscheidung nach § 454a StPO nicht erfolgen. Wegen der eindeutig negativen Legalprognose und angesichts des Umstandes, dass der Sachverständige Professor Dr. K. keinen Zeitraum für eine Entlassungsvorbereitung angeregt habe, sei die Festlegung eines künftigen Entlassungszeitpunkts derzeit nicht möglich.
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 1, Art. 2, Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG. Zur Begründung verweist er insbesondere darauf, dass ihm schon längst Vollzugslockerungen hätten gewährt werden müssen. Auch der Sachverständige Professor Dr. K. befürworte letztlich Lockerungen und eine soziale Reintegration. Das Willkürverbot sei verletzt, da das Oberlandesgericht einseitig auf das Gutachten von Professor Dr. K. abgestellt und das Entlassungsgutachten von Professor Dr. P., der als einziger vom Gericht beauftragt worden sei, nicht berücksichtigt habe. Auch das Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. N. sei außer acht gelassen worden. Es habe kein Grund vorgelegen, das positive Entlassungsgutachten von Professor Dr. P. gewissermaßen durch ein anderes Gutachten zu ersetzen. Dieses Vorgehen des Oberlandesgerichts sei willkürlich. Zumindest aber hätte das Oberlandesgericht auch den Empfehlungen des Sachverständigen Professor Dr. K. zur Gewährung von Vollzugslockerungen folgen müssen.
2. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2011 hat der Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde um einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ergänzt.
3. Der Kammer hat das Vollstreckungsheft vorgelegen. Der Freistaat Bayern hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
III.
Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (vgl. § 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG), und gibt ihr statt. Hierzu ist sie nach § 93b in Verbindung mit § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG berufen, da die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt sind und die Verfassungsbeschwerde nach diesen Grundsätzen offensichtlich begründet ist.
Der angegriffene Beschluss verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. insbesondere BVerfGE 117, 71 ≪97 ff.≫), ergeben sich die verfassungsrechtlichen Grenzen eines möglicherweise lebenslangen Freiheitsentzuges vor allem aus dem Übermaßverbot. Dieses verlangt, dass das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des Verurteilten und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor unter Umständen zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen zu einem gerechten und vertretbaren Ausgleich gebracht wird.
a) Das Übermaßverbot stellt zunächst materielle Anforderungen an die Prognoseentscheidung. Je länger der Freiheitsentzug dauert, umso strenger sind die Voraussetzungen für dessen Verhältnismäßigkeit. Der nachhaltige Einfluss des gewichtiger werdenden Freiheitsanspruchs stößt jedoch dort an Grenzen, wo es im Blick auf die Art der von dem Betroffenen drohenden Gefahren, deren Bedeutung und Wahrscheinlichkeit vor dem staatlichen Schutzauftrag für die Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit unvertretbar erscheint, den Betroffenen in die Freiheit zu entlassen (vgl. BVerfGE 117, 71 ≪97 f.≫). Die im Rahmen der Aussetzungsentscheidung zu treffende Prognose betrifft die Verantwortbarkeit der Aussetzung mit Rücksicht auf unter Umständen zu erwartende Rückfalltaten. Je höherwertige Rechtsgüter in Gefahr sind, desto geringer muss das Rückfallrisiko sein.
b) Darüber hinaus begründet das Übermaßverbot verfahrensrechtliche Anforderungen. Sie betreffen vor allem das Verfahren zur Wahrheitserforschung und damit insbesondere die Ermittlung der Prognosebasis, die der Aussetzungsentscheidung zugrunde liegt. Denn es ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf ausreichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben (vgl. BVerfGE 117, 71 ≪102, 105≫). Die verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung haben sowohl dem Sicherheitsaspekt als auch dem hohen Wert der Freiheit des Verurteilten Rechnung zu tragen. Sie steigen mit zunehmender Dauer des Freiheitsentzuges, mit der auch die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte zunimmt. Vor allem wenn die bisherige Dauer der Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe die Mindestverbüßungszeit übersteigt, gewinnt der Anspruch des Verurteilten auf Achtung seiner Menschenwürde und seiner Persönlichkeit zunehmendes Gewicht für die Anforderungen, die an die für eine zutreffende Prognoseentscheidung erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu stellen sind. Das Gericht hat sich daher auch von Verfassungs wegen um eine möglichst breite Tatsachenbasis für seine Prognoseentscheidung zu bemühen und alle prognoserelevanten Umstände besonders sorgfältig zu klären (BVerfGE 117, 71 ≪106 f.≫; vgl. auch BVerfGE 109, 133 ≪165≫).
Besondere Bedeutung für die im Aussetzungsverfahren zu treffende Prognoseentscheidung haben Vollzugslockerungen. Die Entscheidung der Vollzugsbehörde über die Gewährung von Lockerungen betrifft – grundsätzlich außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 64, 261 ≪280≫) – die Form des Freiheitsentzugs, wirkt sich aber auch auf die – den Anforderungen des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG unterliegende – Prognoseentscheidung der Gerichte im Aussetzungsverfahren aus. Für den Richter im Aussetzungsverfahren erweitert und stabilisiert sich die Basis der prognostischen Beurteilung, wenn dem Gefangenen zuvor Vollzugslockerungen gewährt worden sind. Gerade das Verhalten anlässlich solcher Belastungserprobungen stellt einen geeigneten Indikator für die künftige Legalbewährung dar (vgl. BVerfGE 109, 133 ≪165 f.≫; 117, 71 ≪108≫).
Dieser Umstand begründet besondere Prüfungspflichten der Gerichte im Aussetzungsverfahren. Will das Gericht die Ablehnung der Aussetzung (auch) auf die fehlende Erprobung des Gefangenen in Lockerungen stützen, darf es sich nicht mit dem Umstand einer – von der Vollzugsbehörde zu verantwortenden – begrenzten Tatsachengrundlage abfinden. Es hat selbstständig zu klären, ob die Begrenzung der Prognosebasis zu rechtfertigen ist, weil die Versagung von Lockerungen auf hinreichendem Grund beruhte (BVerfGE 117, 71 ≪108≫).
Die unberechtigte Versagung von Lockerungen begründet ein von der Exekutive zu verantwortendes Prognosedefizit. Sie darf nicht unbesehen zum Nachteil des Gefangenen gehen. Die Konsequenzen dieser Prognoseunsicherheit für die Aussetzungsentscheidung haben die Gerichte auf Grundlage einer wertenden Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles und vor dem Hintergrund des Spannungsverhältnisses zwischen dem Freiheitsanspruch des Gefangenen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit, das auch hier nach einem vertretbaren und gerechten Ausgleich verlangt, zu finden. Dabei ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:
aa) Das Freiheitsgrundrecht des Gefangenen verbietet eine generelle Folgenlosigkeit einer verfassungswidrigen Lockerungspraxis im Aussetzungsverfahren. Es wäre mit dem besonderen Gewicht der materiellen Freiheitsgarantie unter den grundgesetzlich geschützten Rechten, die auch in der verstärkten prozeduralen Sicherung durch den Richtervorbehalt in Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG zum Ausdruck kommt (vgl. BVerfGE 10, 302 ≪323≫; 105, 239 ≪248≫), nicht zu vereinbaren, würde die Vollzugsbehörde die richterliche Entscheidung im Aussetzungsverfahren über eine Schmälerung der Entscheidungsgrundlage gleichsam zwangsläufig präjudizieren.
bb) Gleichzeitig kommt dem von Verfassungs wegen ohnehin hoch zu veranschlagenden Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit vor dem Hintergrund des mangels Erprobung bestehenden Prognosedefizits gesteigerte Bedeutung zu. Die Verwertbarkeit des Umstandes fehlender Erprobung bei der Entscheidung über die Aussetzung generell auszuschließen, würde ein Risiko auf die Allgemeinheit verlagern, das im Einzelfall erheblich sein kann. Dem hat das Bundesverfassungsgericht Rechnung getragen und seine Aussage, dass Vollzugslockerungen von Rechts wegen nicht notwendigerweise Voraussetzung für eine bedingte Entlassung sind (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2002 – 2 BvR 461/02 –, juris), im Kontext der lebenslangen Freiheitsstrafe um die Feststellung ergänzt, dass eine Erprobung in Lockerungen der Aussetzung des Strafrests regelmäßig vorausgehen muss (vgl. BVerfGE 117, 71 ≪108 f.≫). Gerade bei einem langjährigen Vollzug zeigt sich typischerweise in besonderem Maß die Notwendigkeit, die Resozialisierungsfähigkeit des Gefangenen in sorgfältig gestuftem Vorgehen durch Lockerungen zu testen und ihn schrittweise auf die Freiheit vorzubereiten (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. März 1998 – 2 BvR 77/97 –, NJW 1998, S. 2202 ≪2204≫; vgl. auch BVerfGE 117, 71 ≪108≫). Den in Freiheit nicht erprobten Gefangenen nach langen Jahren des Vollzugs unvorbereitet in die Freiheit zu entlassen, begründete für sich genommen einen erheblichen Risikofaktor für einen Rückfall.
cc) Vor dem Hintergrund dieses Spannungsverhältnisses hat das Gericht im Aussetzungsverfahren zunächst die Pflicht, auf die Vollzugsbehörde einzuwirken. Ist diese bei der Entscheidung über Lockerungen dem grundrechtlich garantierten Freiheitsanspruch des Gefangenen nicht oder nicht hinreichend gerecht geworden, muss es ihr im Aussetzungsverfahren – unter Ausschöpfung seiner prozessualen Möglichkeiten – von Verfassungs wegen deutlich machen, dass Vollzugslockerungen geboten sind (vgl. BVerfGE 117, 71 ≪108 f.≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. März 1998 – 2 BvR 77/97 –, NJW 1998, S. 2202 ≪2204≫). Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrfach ausdrücklich festgestellt, dass zu diesen – vom zuständigen Gericht im Einzelfall zu prüfenden – Möglichkeiten auch ein Vorgehen auf der Grundlage von § 454a Abs. 1 StPO gehört (vgl. BVerfGE 117, 71 ≪108≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. März 1998 – 2 BvR 77/97 –, NJW 1998, S. 2202 ≪2204≫; BVerfGK 15, 390 ≪406≫).
Die Vorschrift des § 454a Abs. 1 StPO ermöglicht es den Vollstreckungsgerichten, dem Freiheitsgrundrecht des Betroffenen über eine effektive Begrenzung der nachteiligen Folgen des Prognosedefizits praktische Wirksamkeit zu verleihen, ohne damit unverantwortbare Risiken auf die Allgemeinheit zu verlagern. Das Gericht kann nach dieser Vorschrift die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung anordnen, ohne dass dies zur sofortigen Freilassung des Betroffenen führt. Die Norm gestattet dem Gericht, den zukünftigen Entlassungszeitpunkt so festzulegen, dass der Vollzugsbehörde eine angemessene Erprobung des Verurteilten in Lockerungen möglich bleibt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. März 1998 – 2 BvR 77/97 –, NJW 1998, S. 2202 ≪2204≫; BVerfGK 15, 390 ≪406 ff.≫). Die nachteiligen Folgen des Prognosedefizits für das Freiheitsgrundrecht des Gefangenen werden auf diese Weise wirksam beschränkt. Anders als bei bloßen Hinweisen der Gerichte im Aussetzungsverfahren wird sichergestellt, dass eine rechtswidrige Schmälerung der Prognosebasis seitens der Exekutive nicht uneingeschränkt zulasten des Gefangenen geht (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 26. August 2005 – 2 Ws 202/05 –, juris).
Eine unverantwortbare Risikoverlagerung zulasten der Allgemeinheit ist damit nicht verbunden. Das Vollstreckungsgericht kann den Entlassungszeitpunkt so wählen, dass der Vollzugsbehörde ein angemessener Zeitraum für eine aussagekräftige Erprobung zur Verfügung steht. Dieser Zeitraum ist von Gesetzes wegen nicht beschränkt. Hat ein Sachverständiger für eine Entlassungsvorbereitung einen bestimmten Zeitraum für erforderlich gehalten, kann sich das Gericht bei Festlegung des Entlassungszeitpunkts hieran orientieren. Dass damit eine unter Umständen weit in die Zukunft gerichtete Entlassungsentscheidung getroffen wird, kann im Einzelfall verantwortbar sein. Denn in der gesamten Zeit bis zur Entlassung des Gefangenen ist eine Korrektur der Aussetzungsentscheidung unter erleichterten Voraussetzungen möglich. Nach § 454a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 StPO kann das Vollstreckungsgericht – ungeachtet der Widerrufsmöglichkeit nach § 56f Abs. 1 StGB – die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes bis zur Entlassung des Betroffenen wieder aufheben, wenn die Strafaussetzung aufgrund neu eingetretener oder bekanntgewordener Tatsachen unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht mehr verantwortet werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. April 1993 – 2 BvR 1706/92 –, NJW 1994, S. 377; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Februar 2001 – 2 BvR 1261/00 –, NJW 2001, S. 2247; BVerfGK 15, 390 ≪407≫).
Zudem kann der Verurteilte in der – sofort zu treffenden – Aussetzungsentscheidung einem engmaschigen Netz von Auflagen und Weisungen unterworfen und sogleich einem Bewährungshelfer unterstellt werden, der bereits in der Zeit bis zur Entlassung Kontakt zu dem Gefangenen aufnehmen und ihn im Erprobungszeitraum zusätzlich unterstützen kann. § 454a Abs. 1 StPO berücksichtigt die Regelung des § 56a Abs. 2 StGB, nach der die Bewährungszeit nicht erst mit dem tatsächlichen Entlassungszeitpunkt, sondern mit der Rechtskraft der Aussetzungsentscheidung beginnt. Der Gesetzgeber hat diesen Beginn nicht nur deshalb für sinnvoll gehalten, weil auch Taten, die der Gefangene in der entlassungsvorbereitenden Phase begeht, den Widerruf der Strafaussetzung auslösen können, sondern weil es im Einzelfall gerade angebracht sein kann, den Gefangenen schon in dieser Phase durch einen Bewährungshelfer betreuen zu lassen. Schließlich wird das durch eine frühzeitige Aussetzungsentscheidung begründete Risiko durch die Verlängerung der – mit Rechtskraft der Aussetzungsentscheidung beginnenden – Bewährungszeit kompensiert: Liegen zwischen Aussetzungsentscheidung und festgelegtem Entlassungszeitpunkt mindestens drei Monate, verlängert sich die Bewährungszeit um den dazwischen liegenden Zeitraum (§ 454a Abs. 1 StPO).
2. Die angegriffene Entscheidung hält diesen Maßstäben nicht stand. Angesichts einer Haftdauer von mehr als 45 Jahren ist das Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers als so erheblich anzusehen, dass an die Prognoseentscheidung nach § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB strengste Anforderungen zu stellen sind, denen der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts nicht mehr gerecht wird.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts genügt insoweit nicht mehr den verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Verfahren zur Wahrheitserforschung, da das Gericht die Rechtmäßigkeit der Versagung von Lockerungen nicht hinreichend geprüft hat. Das Oberlandesgericht geht zu Unrecht davon aus, eine Entscheidung nach § 454a StPO könne nicht erfolgen, weil die Ablehnung der Aussetzung nicht auf die fehlende Erprobung des Beschwerdeführers in Lockerungen, sondern auf das von ihm weiterhin ausgehende erhebliche Risiko für die Allgemeinheit gestützt werde; wegen der eindeutig negativen Legalprognose und angesichts des Umstandes, dass der Sachverständige Professor Dr. K. keinen Zeitraum für eine Entlassungsvorbereitung angeregt habe, sei die Festlegung eines künftigen Entlassungszeitpunkts derzeit nicht möglich.
Die Notwendigkeit, in Fällen, in denen einer Strafaussetzung mit sofortiger Wirkung ein durch die rechtswidrige Versagung von Lockerungen bedingtes Prognosedefizit entgegensteht, die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 454a StPO zu prüfen, beruht darauf, dass derartige Prognosedefizite von Verfassungs wegen zwar einerseits nicht zulasten des Schutzes der Allgemeinheit vor drohenden weiteren Straftaten, andererseits aber auch nicht beliebig zulasten des Inhaftierten gehen können. Die auf einen künftigen Zeitpunkt terminierte Strafaussetzung, die Erprobungen vor der Freilassung sowie, unter Berücksichtigung der Erprobungsergebnisse, gegebenenfalls eine zum Schutz der Allgemeinheit erforderliche rechtzeitige Aufhebung der Aussetzungsentscheidung ermöglicht, zielt darauf, ohne Beeinträchtigung des Schutzes der Allgemeinheit auch dem Freiheitsinteresse des Gefangenen in Fällen praktisches Gewicht zu verschaffen, in denen sein Freiheitsgrundrecht durch rechtswidrig herbeigeführte Prognosedefizite beeinträchtigt ist. Wenn das Oberlandesgericht demgegenüber die verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer solchen Abmilderung des Spannungsverhältnisses zwischen Freiheitsinteresse des Gefangenen und Schutzanspruch der Allgemeinheit im konkreten Fall der Sache nach mit der Begründung verneint, ein Prognosedefizit bestehe nicht, weil auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Professor Dr. K. zur Überzeugung des Gerichts ein nicht hinnehmbares Risiko für die Allgemeinheit ganz unabhängig von fehlender Erprobung in Lockerungen feststehe, vernachlässigt es die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die zu treffende Prognoseentscheidung. Diese ist ihrer Natur nach eine Entscheidung unter Unsicherheit. Eben deshalb sind, insbesondere in einem Fall wie dem hier vorliegenden, höchste Anforderungen an eine Sachverhaltsaufklärung zu stellen, die die in der Natur der Sache liegenden Unsicherheiten so weit wie möglich reduziert (s.o. unter 1.). Fehlende Erprobung in Lockerungen begründet daher grundsätzlich ein Prognosedefizit. Ob besondere Fälle denkbar sind, in denen angesichts positiv vorliegender Erkenntnisse ausnahmsweise ein Prognosedefizit ungeachtet des Fehlens von Lockerungserprobungen, die angebracht gewesen wären, verneint werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung, denn für das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalles ergibt sich aus der angegriffenen Entscheidung nichts.
Im Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. K. vom 26. Mai 2010, auf das das Oberlandesgericht sich für seine Einschätzung beruft, wird vielmehr explizit festgestellt, dass eine Haftentlassung des Beschwerdeführers „völlig ohne zwischenzeitliche Lockerungsphase” als „wirklich sehr gewagt” gelten müsse, da auf der bisherigen Prognosegrundlage nicht kalkulierbar sei, in welcher Weise der Wunsch des Beschwerdeführers nach Waffenbesitz wieder praktisch werden könne und wie er mit möglichen Frustrationen, Kränkungen und finanziellen Nöten umgehen werde. Damit stützt das Gutachten – und mittelbar der Sache nach das Gericht – seine Prognose auch und gerade auf die fehlende Erprobung des Beschwerdeführers in Vollzugslockerungen.
Gerade weil nach den Äußerungen und dem Verhalten des Beschwerdeführers im Rahmen der psychiatrischen Begutachtungen begründete Zweifel an einer adäquaten Aufarbeitung seiner Straftaten bestehen und durchaus fraglich erscheint, ob er schon jetzt ohne erhebliche Gefahren für die Allgemeinheit aus der Haft entlassen werden könnte, sich andererseits aber mehrere Sachverständige mit nachvollziehbarer Begründung für eine Erprobung in Vollzugslockerungen ausgesprochen haben, wird das Gericht ein Vorgehen nach § 454a Abs. 1 StPO nach Maßgabe der oben genannten Grundsätze zu erwägen haben. Dabei wird sich das Gericht auch nicht darauf zurückziehen können, dass in dem Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. K. kein konkreter Zeitraum für eine Entlassungsvorbereitung genannt worden sei. Zum einen könnte das Gericht hierzu noch die Auskunft eines Sachverständigen einholen; zum anderen erscheint es mit Blick auf die jederzeitige Aufhebbarkeit einer Aussetzungsentscheidung nach § 454a Abs. 2 StPO ebenso verantwortbar, dass das Gericht aus eigener Sachkunde heraus einen Entlassungszeitpunkt festlegt, der trotz der außerordentlich langen Haftdauer noch vergleichsweise weit in der Zukunft liegen kann. Ein solches Vorgehen würde den Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers erheblich stärken und zugleich den Druck auf die Vollzugsbehörden erhöhen, dem Beschwerdeführer die Gelegenheit zu geben, sich in Vollzugslockerungen zu erproben.
3. Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfGE 34, 293 ≪307≫; 84, 192 ≪192≫).
4. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Lübbe-Wolff, Landau, Huber
Fundstellen