Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung
Verfahrensgang
OLG Hamburg (Beschluss vom 16.01.1996; Aktenzeichen 15 UF 210/95 S) |
Tenor
Die Vollstreckung aus dem Beschluß des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 16. Januar 1996 – 15 UF 201/95 S, 15 UF 210/95 S – wird zunächst bis einschließlich 9. Februar 1996 untersagt.
Eine weitere Entscheidung über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung bleibt vorbehalten.
Gründe
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist jedenfalls in dem aus dem Entscheidungsausspruch ersichtlichen Umfang zulässig und begründet. Es kann derzeit nicht abschließend darüber befunden werden, ob die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für den Erlaß einer weiterreichenden einstweiligen Anordnung gemäß §§ 32, 93d Abs. 2 BVerfGG erfüllt sind. Bis dahin ist jedoch eine vorläufige Regelung geboten (vgl. auch BVerfGE 88, 185 ≪186 f.≫). Am 29. Januar 1996 hat der Kindesvater bereits einen Vollstreckungsversuch unternommen, der nur durch die zufällige Abwesenheit der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder nicht zum Erfolg geführt hat. Mit weiteren Vollstreckungsversuchen in unmittelbarer Zukunft ist zu rechnen.
Die Folgenabwägung auf der Grundlage der bislang glaubhaft dargelegten Tatsachen ergibt vorläufig, daß der Schutz der Familie im Zusammenwirken mit den Zielen des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25. Oktober 1980 (BGBl II, 1990, 206) nicht nur berührt wird, wenn eine einstweilige Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht ergeht und die Kinder deshalb vorläufig dem neben der Mutter sorgeberechtigten Vater entzogen bleiben. Vielmehr besteht die erheblich schwerwiegendere Gefahr einer Beeinträchtigung, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergeht. Denn die Beschwerdeführerin hat dargelegt, daß ihr Ehemann im Fall einer Rücküberstellung seinerseits die Kinder unter Verletzung des Sorgerechts der Mutter nach Ägypten bringen werde. Dies hat das Hanseatische Oberlandesgericht in seiner Entscheidung nicht berücksichtigt.
Ziel des Haager Übereinkommens ist es, die Beteiligten von einem widerrechtlichen Verbringen des Kindes ins Ausland abzuhalten und die Sorgerechtsentscheidung am Ort des früheren gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes sicherzustellen (vgl. OLG Düsseldorf, FamRZ 1994, 185 (186) m.w.N.). Ergeht die einstweilige Anordnung, so wird aber weder das bereits in den Niederlanden eingeleitete Sorgerechtsverfahren noch die Durchsetzung einer etwaigen positiven Entscheidung für den Ehemann gefährdet oder unmöglich gemacht. Sowohl in den Niederlanden als auch in der Bundesrepublik Deutschland gilt das Europäische Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechtsverhältnisses vom 20. Mai 1980 (BGBl II, 1990, 220; für die Niederlande BGBl II, 1991, 392). Ägypten hingegen ist nicht Vertragsstaat des Haager Übereinkommens und hat auch das Europäische Sorgerechtsübereinkommen nicht unterzeichnet. Ein Zurückholen der Kinder wäre mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden oder sogar unmöglich. Die Durchsetzung einer Entscheidung der niederländischen Gerichte über das Sorgerecht wäre nicht gewährleistet.
Bei Ergehen der einstweiligen Anordnung wird also nur ein vorübergehender Zustand geschaffen. Ihr Nichtergehen hingegen brächte die konkrete Gefahr eines irreparablen Schadens mit sich. In diesem Fall überwiegt auch und gerade unter Berücksichtigung der Ziele des Haager Übereinkommens das Interesse der Mutter an einer vorläufigen Aussetzung.
Unterschriften
Böckenförde, Kirchhof, Sommer
Fundstellen
Haufe-Index 1134564 |
NJW 1996, 1953 |
IPRspr. 1996, 88 |