Entscheidungsstichwort (Thema)
Geldbuße wegen unzulässigen selbständigen Betreibens des Elektroinstallateur- sowie des Radio- und Fernsehtechnikerhandwerks
Beteiligte
Rechtsanwälte Walter Ratzke und Partnerin |
Verfahrensgang
BayObLG (Zwischenurteil vom 08.03.1999; Aktenzeichen 3 ObOWi 20/99) |
AG Schwandorf (Urteil vom 26.10.1998; Aktenzeichen 2 OWi 2 Js 06240/97) |
Tenor
1. Der Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 8. März 1999 – 3 ObOWi 20/99 – und das Urteil des Amtsgerichts Schwandorf vom 26. Oktober 1998 – 2 OWi 2 Js 06240/97 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben.
Das Verfahren wird an das Amtsgericht Schwandorf zurückverwiesen.
2. Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die ihm entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Der beschwerdeführende Elektroeinzelhändler wendet sich gegen die Auferlegung einer Geldbuße wegen unzulässigen selbständigen Betreibens des Elektroinstallateur- sowie des Radio- und Fernsehtechnikerhandwerks.
1. Der Beschwerdeführer ist gelernter Elektriker. Er betreibt seit 1985 ein Elektroeinzelhandelsgeschäft, welches an fünf Tagen in der Woche je drei Stunden geöffnet ist. Er liefert die verkauften Waren auch aus und schließt sie an. In den angegriffenen Entscheidungen wird auch festgestellt, dass der Beschwerdeführer Reparaturen und Elektroinstallationen durchführt. Aufgrund stark rückgängiger Umsätze arbeitet der Beschwerdeführer seit Juni 1998 daneben als Lagerist.
Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen unzulässigen selbständigen Betreibens des Elektroinstallateur- sowie des Radio- und Fernsehtechnikerhandwerks als stehendes Gewerbe nach §§ 1, 117 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 der Handwerksordnung (im Folgenden: HwO) zu einer Geldbuße in Höhe von 3.000 DM. Dem Beschwerdeführer wurde hierbei zur Last gelegt, von einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt in der zweiten Hälfte des Jahres 1994 an bis Ende des Jahres 1996 das Elektroinstallateur- sowie das Radio- und Fernsehtechnikerhandwerk selbständig als stehendes Gewerbe ausgeübt zu haben, obwohl er gewusst habe, dass er nicht in die Handwerksrolle eingetragen und deshalb zur selbständigen gewerbsmäßigen Handwerksausübung nicht berechtigt gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe seine Tätigkeit auch nicht nur in unerheblichem Umfang im Rahmen eines handwerklichen Nebenbetriebs ausgeübt; sie habe die Tätigkeit im Einzelhandel überwogen. Das Erfordernis der Eintragung in die Handwerksrolle sei verfassungsgemäß; es widerspreche weder europäischem Gemeinschaftsrecht noch deutschem Verfassungsrecht.
Das Bayerische Oberste Landesgericht hat die Rechtsbeschwerde des Beschwerdeführers verworfen. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen trügen den Vorwurf in objektiver und subjektiver Hinsicht. Ob eine Tätigkeit zu den handwerksmäßigen gehöre, sei aufgrund der jeweils maßgeblichen Verordnung über das Berufsbild und die Prüfungsanforderungen zu entscheiden. Unter Zugrundelegung der für Elektroinstallateure geltenden Verordnung sei der ganz überwiegende Teil der verrichteten Tätigkeiten diesem Gewerbe zuzuordnen. Zwar habe das Amtsgericht die Art der Reparaturen und Installationen nicht näher festgestellt. Es ergebe sich jedoch zweifelsfrei aus dem Gesamtzusammenhang der getroffenen Feststellungen, dass es sich um Fachreparaturen von Elektrogeräten und um Elektroinstallationen handele. Deren Durchführung erfordere eine Vielzahl von Kenntnissen und Fertigkeiten aus dem Kernbereich des Elektroinstallateurhandwerks. Einige der von ihm vorgenommenen Tätigkeiten fielen auch unter die für Radio- und Fernsehtechniker geltende Verordnung. Soweit die Tätigkeiten des Beschwerdeführers nur Teilbereiche des jeweiligen Spektrums abdeckten, stellten sie sich bei qualitativer Betrachtung als wesentliche Tätigkeiten dar, die in den Kernbereich des jeweiligen Handwerks fielen und ihm sein wesentliches Gepräge gäben. Ein eintragungsfreies Minderhandwerk sei deshalb auszuschließen. Die handwerklichen Tätigkeiten seien auch nicht in Form eines Nebenbetriebes zu dem Elektroeinzelhandelsgeschäft ausgeübt worden. Hierzu müsse der gewerbliche Charakter des Gesamtunternehmens durch den Handels- und nicht den Handwerksbetrieb bestimmt werden; der handwerkliche Betrieb müsse im Verhältnis zu dem Betrieb im Übrigen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten von untergeordneter Bedeutung sein. Nach den tatrichterlichen Feststellungen habe sich die handwerkliche Tätigkeit des Beschwerdeführers nicht auf die im Handelsgeschäft veräußerten Waren und Materialien beschränkt. Das ergebe sich aus den vom Amtsgericht festgestellten Umsätzen. Die vom Beschwerdeführer erhobenen verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Bedenken griffen nicht durch.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen beide Gerichtsentscheidungen. Er rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und 3, Art. 12 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG sowie die Verletzung der Niederlassungsfreiheit nach europäischem Recht. Es sei willkürlich, dass beide Gerichte darauf verzichtet hätten, einen konkreten Sachverhalt unter eine konkrete Strafbestimmung zu subsumieren. Sie hätten nicht unterschieden zwischen dem Anschluss eines Elektrogerätes durch Eindrücken des bereits verbundenen Steckers in eine vorhandene Steckdose und einer Reparatur. In gleicher Weise werde er in seinen Rechten dadurch verletzt, dass keinerlei Quantifizierung der jeweiligen Tätigkeiten vorgenommen worden sei. Um einen Nebenbetrieb aufgrund der festgestellten Umsätze auszuschließen, wäre es zwingend erforderlich gewesen, hierfür das Verhältnis der „erlaubten” zu den „unerlaubten” Umsätzen festzustellen. Die angegriffenen Entscheidungen führten zu einer einseitigen Bevorzugung des Handwerks gegenüber dem nicht eintragungspflichtigen Handel, weil die Gerichte den Wert der Arbeitsleistung inklusive des Wertes des gelieferten Materials als Handwerksleistung betrachteten. Ferner wendet er sich gegen den Fortbestand des Meistervorbehalts.
3. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bayerische Staatsministerium der Justiz, das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Verkehr und Technologie, das Bundesverwaltungsgericht, der Deutsche Industrie- und Handelstag, der Zentralverband des Deutschen Handwerks und der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels Stellung genommen.
a) Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die angegriffenen Entscheidungen für verfassungsgemäß. Das Bayerische Oberste Landesgericht habe nachvollziehbar dargelegt, dass die handwerkliche Betätigung des Beschwerdeführers sich nicht auf die im Handelsgeschäft veräußerten Waren und Materialien beschränkt habe, sondern nach Art und Umfang weit darüber hinausgegangen sei; in Verbindung mit den festgestellten Umsätzen finde deshalb die Verneinung eines Nebenbetriebs durch das Amtsgericht eine tragfähige Grundlage.
b) Nach der Stellungnahme des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Technologie ist der von der Handwerksordnung verlangte Befähigungsnachweis für den selbständigen Betrieb eines Handwerks als stehendes Gewerbe mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Ob vorliegend ein handwerklicher Nebenbetrieb tatsächlich vorgelegen habe, könne dahinstehen, da er gemäß § 3 Abs. 1 HwO nur dann nicht dem Handwerksrecht unterliege, wenn die Tätigkeit nur in unerheblichem Umfang ausgeübt werde. Im Hinblick darauf, dass beide in § 3 Abs. 2 HwO genannten Unerheblichkeitskomponenten unterschritten sein müssten, hätten sich die Gerichte auf die Prüfung der Über- bzw. Unterschreitung der Umsatzkomponente beschränken können. Zwar seien die im Zusammenhang mit den Verkäufen erbrachten geringfügigen, untergeordneten Tätigkeiten dem Handelsumsatz zuzurechnen. Aber die Kosten für Geräte, Gegenstände und Ersatzteile, die im Rahmen einer handwerklichen Tätigkeit eingebaut und verarbeitet würden, zählten zum Handwerksumsatz. Die tatrichterlichen Feststellungen zu den erzielten einzelnen Umsätzen enthielten allerdings keine ausdrücklichen Angaben, ob diese Kriterien beachtet worden seien; die Angaben zu den durchgeführten Arbeiten sprächen aber eindeutig dafür, dass den Handwerksumsätzen nur die Beistellung solchen Materials zugerechnet worden sei, das auch eingebaut bzw. be- oder verarbeitet worden sei. Danach überstiegen die Umsätze im Handwerksbetrieb des Beschwerdeführers die Umsätze eines vergleichbaren Ein-Mann-Betriebes um ein Mehrfaches.
c) Das Bundesverwaltungsgericht hat auf seine bisherige Rechtsprechung verwiesen.
d) Nach Auffassung des Deutschen Industrie- und Handelstages mangelt es dem Urteil des Amtsgerichts an der notwendigen Differenzierung bei der Festlegung von handwerklicher und nichthandwerklicher Tätigkeit. Das Anschließen der Geräte aus dem Handelsgeschäft könne nicht als handwerkliche Tätigkeit angesehen werden. Dem Handwerk zuzuordnen sei nur der durch vollhandwerkliche Tätigkeit erzielte Umsatz einschließlich des hierfür benötigten Materials. Umsätze, die im Rahmen eines handwerklichen Nebenbetriebs erzielt würden oder die aus handwerksähnlichen oder minderhandwerklichen Tätigkeiten stammten, fielen nicht darunter. Im Übrigen seien unter den wirtschaftlichen und politischen Bedingungen der neunziger Jahre Zweifel daran möglich, ob der Handwerksvorbehalt noch geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sei, nachdem die rechtfertigenden Kriterien der „Erhaltung des Leistungsstandes” sowie der „Ausbildung des Nachwuchses für die gewerbliche Wirtschaft” in ihrer Bedeutung tatsächlich geschwunden seien.
e) Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Der Beschwerdeführer werde durch seine Handelstätigkeiten nicht so privilegiert, dass er hinsichtlich aller handwerklichen Tätigkeiten von dem Befähigungsgrundsatz befreit wäre. Keine wesentliche Tätigkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 HwO liege allerdings vor, wenn ein Fachhandelsgeschäft die von ihm verkauften Geräte betriebsbereit mache. Der so genannte „make ready-Service” zähle zu den typischen Serviceleistungen, die der Kunde hier erwarte. Die Handwerksordnung trage dieser Nahtstelle im Verhältnis Handwerk/Handel in § 3 Abs. 3 (Hilfsbetriebsregelung), der auch den Gewährleistungsbereich betreffe, Rechnung. Die Grenze zur handwerksrechtlich relevanten Tätigkeit werde dann überschritten, wenn beispielsweise Handelsbetriebe einen kompletten Reparaturkundendienst anböten. Die Bandbreite und Vielzahl der Arbeiten, die tatrichterlich festgestellt worden seien, ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Beschwerdeführer in den Jahren 1994 bis 1996 wesentliche Teiltätigkeiten des damaligen Elektroinstallateur- und des Radio- und Fernsehtechnikerhandwerks ausgeübt habe.
f) Nach der Äußerung des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels verwischt sich die idealtypische Abgrenzung von Handwerk und Handel in der Praxis. Der Verbraucher verlange von den Fachgeschäften des Einzelhandels mehr Service; nur dann sei er bereit, einen höheren Preis zu akzeptieren. Auch die Reparatur von verkaufter Ware gehöre zu den klassischen Serviceleistungen von Fachgeschäften des Einzelhandels. Handwerkliche Tätigkeiten in gewissem Umfang seien für eine Vielzahl von Sparten des Einzelhandels unumgänglich. Dabei handele es sich in der Regel um Tätigkeiten, die auch ein geschickter Heimwerker ohne spezielle Fachausbildung vornehmen könnte. Diese Tätigkeiten müssten dem Einzelhandel auch zugestanden werden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b, § 93 BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 BVerfGG sind gegeben. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seiner Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit der Beschwerdeführer Verstöße gegen andere als die in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Bestimmungen, insbesondere solche des europäischen Rechts, rügt. Außerdem ist die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der Rüge der Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) unzulässig, da dieses Grundrecht im Verhältnis zur Berufsfreiheit subsidiär ist.
2. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zum Befähigungsnachweis für das Handwerk bereits entschieden (vgl. BVerfGE 13, 97). Die Frage, ob die Anforderungen der Meisterprüfung angesichts geringerer Anforderungen an EU-Handwerker noch gerechtfertigt sind, kann hier dahingestellt bleiben. Denn der Beschwerdeführer macht in erster Linie geltend, dass die von ihm ausgeübten Tätigkeiten nicht den „Kern” eines bestimmten handwerklichen Berufs beträfen und damit als Minderhandwerk oder als Hilfsbetrieb ohne Eintragung in die Handwerksrolle ausgeübt werden dürften. Er behauptet hingegen nicht, die in der Verordnung über die für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum geltenden Voraussetzungen der Eintragung in die Handwerksrolle (EWG/EWR-Handwerk-Verordnung – EWG/EWR HwV) vom 4. August 1966 (BGBl I S. 469, zuletzt geändert durch Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften vom 25. März 1998 ≪BGBl I S. 596≫) zu erfüllen und damit ebenso wie ein EU-Handwerker qualifiziert zu sein.
Die hier einschlägigen Regelungen der Handwerksordnung (§§ 1 bis 3) stellen sich gegenüber dem Nichthandwerker, beispielsweise einem Einzelhandelskaufmann, als einschränkende Berufsausübungsregelung dar. Der Einzelhandelskaufmann hat seinen Beruf so auszuüben, dass die Schwelle zum erlaubnispflichtigen Handwerk nicht überschritten wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Berufsausübungsregelungen zulässig, wenn sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, d.h. wenn sie auf sachgerechten und vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls beruhen, wenn das gewählte Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (vgl. BVerfGE 30, 292 ≪316 ff.≫; 99, 202 ≪211≫).
3. Der Beschwerdeführer beanstandet vor allem Auslegung und Anwendung von § 3 HwO, der wie folgt lautet:
§ 3
(1) Ein handwerklicher Nebenbetrieb im Sinne des § 2 Nr. 2 und 3 liegt vor, wenn in ihm Waren zum Absatz an Dritte handwerksmäßig hergestellt oder Leistungen für Dritte handwerksmäßig bewirkt werden, es sei denn, daß eine solche Tätigkeit nur in unerheblichem Umfang ausgeübt wird, oder daß es sich um einen Hilfsbetrieb handelt.
(2) Eine Tätigkeit im Sinne des Absatzes 1 ist unerheblich, wenn sie während eines Jahres den durchschnittlichen Umsatz und die durchschnittliche Arbeitszeit eines ohne Hilfskräfte arbeitenden Betriebs des betreffenden Handwerkszweigs nicht übersteigt.
(3) Hilfsbetriebe im Sinne des Absatzes 1 sind unselbständige, der wirtschaftlichen Zweckbestimmung des Hauptbetriebs dienende Handwerksbetriebe, wenn sie
- Arbeiten für den Hauptbetrieb oder für andere dem Inhaber des Hauptbetriebs ganz oder überwiegend gehörende Betriebe ausführen oder
Leistungen an Dritte bewirken, die
- als handwerkliche Arbeiten untergeordneter Art zur gebrauchsfertigen Überlassung üblich sind oder
- in unentgeltlichen Pflege-, Instandhaltungs- oder Instandsetzungsarbeiten bestehen oder
- in entgeltlichen Pflege-, Instandhaltungs- oder Instandsetzungsarbeiten an solchen Gegenständen bestehen, die in dem Hauptbetrieb selbst erzeugt worden sind, sofern die Übernahme dieser Arbeiten bei der Lieferung vereinbart worden ist, oder
- auf einer vertraglichen oder gesetzlichen Gewährleistungspflicht beruhen.
Auslegung und Anwendung der §§ 1 bis 3 HwO können vom Bundesverfassungsgericht – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Normen die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f., 96≫; 85, 248 ≪257 f.≫; 87, 287 ≪323≫).
So liegt es hier. Die angegriffenen Entscheidungen werden dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht.
a) Die einschlägigen Regelungen der Handwerksordnung genügen als solche insofern den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG, als ab einem bestimmten qualitativen oder quantitativen Umfang handwerklicher Arbeiten die Gefahr besteht, dass in einem als Einzelhandelsgeschäft bezeichneten Betrieb tatsächlich nicht Handel betrieben, sondern ein Handwerk ausgeübt wird. Aus der maßgeblichen gesetzlichen Regelung folgt indessen, dass der Gesetzgeber den tatsächlichen Gegebenheiten des Wirtschaftslebens Rechnung zu tragen sucht und fließende Übergänge zwischen den Bereichen zu schaffen trachtet. Dazu hat er in mehrfacher Hinsicht Schwellen normiert, wobei unterhalb der jeweiligen Schwelle der Erwerb eines Meisterbriefes zur selbständigen Berufsausübung nicht erforderlich ist.
Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht unter Beachtung der verfassungsrechtlich garantierten Berufsfreiheit in zahlreichen Entscheidungen den Kernbereich (vgl. BVerwGE 67, 273), die Neben- und Hilfsbetriebe (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 1992, S. 547 ≪549≫; Buchholz 451.45 § 2 Nrn. 5 und 7; a.a.O., § 3 Nr. 2) und das Minderhandwerk (BVerwG, NVwZ-RR 1992, S. 547 ≪548 f.≫; Buchholz 451.45 § 2 Nr. 5) voneinander abgegrenzt.
Auch die Strafgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung dieser Normen die Ausstrahlungswirkung von Art. 12 Abs. 1 GG in der Form zu beachten, dass sie in tatsächlicher Hinsicht feststellen, ob die Tätigkeiten des Betroffenen die Anwendung von § 1 HwO erforderlich erscheinen lassen; dazu sind die Abgrenzung vom Minderhandwerk und die konkrete Prüfung aller Tatbestandsvarianten, die für Hilfsbetriebe gelten, erforderlich.
b) Vorliegend sind die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen dieser Aufgabe nicht hinreichend nachgekommen.
Zum einen hat das Amtsgericht nicht im Einzelnen ermittelt, ob es sich bei den Tätigkeiten, die dem Beschwerdeführer zur Last gelegt werden, um solche handelt, die den Kernbereich des Handwerks ausmachen, oder ob es sich um ein den Vorschriften der Handwerksordnung nicht unterfallendes Minderhandwerk handelt, was unter anderem bei der Installation von Satellitenempfangsanlagen oder beim Anbringen verkaufter Beleuchtungskörper naheliegend ist. Eine solche Montagetätigkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und den eingeholten Stellungnahmen als Minderhandwerk zu qualifizieren. Dieser Gesichtspunkt findet jedoch in den angegriffenen Entscheidungen keine Berücksichtigung. Der Sachverhalt ist daher insoweit nicht aufgeklärt.
Des Weiteren haben die Gerichte nicht danach unterschieden, inwieweit die Tätigkeiten des Beschwerdeführers in den Kernbereich des Elektroinstallateur- oder in den Kernbereich des Radio- und Fernsehtechnikerhandwerks fielen. Dies kann insbesondere eine Rolle für die Beurteilung spielen, ob die so genannte Unerheblichkeitsgrenze nach § 3 Abs. 1 und 2 HwO überschritten ist. Denn die Grenze der Unerheblichkeit unterscheidet sich in der Höhe nach dem jeweils ausgeübten Handwerk. Es fehlt an Feststellungen, die den gesamten Sachverhalt berücksichtigen.
Außerdem ist als nicht zum Handwerk gehörender Umsatz derjenige zu betrachten, der aus handwerksähnlicher Tätigkeit stammt (§ 18 HwO i.V.m. Anlage B zur HwO). Folgt man der Stellungnahme des Deutschen Industrie- und Handelstages, haben die Gerichte nicht danach unterschieden, ob gewisse Tätigkeiten des Beschwerdeführers nur als handwerksähnlich anzusehen sind, wie beispielsweise das Kabellegen im Hochbau (vgl. Nr. 16 der Anlage B zur HwO).
Das Amtsgericht hat ferner nicht danach differenziert, welche Umsätze aus einem einheitlichen Lebenssachverhalt dem Handel zuzurechnen sind und welche auf handwerklichen Tätigkeiten beruhen. Hierfür kann als Beispiel die Lieferung von Nachtspeicheröfen samt Anschluss genannt werden. Unterschiedslos werden aus der Rechnung vom 29. August 1996 die Beträge von 2.443 DM für Nachtspeicheröfen und 336 DM für den Thermostaten den Arbeitskosten für Aufstellen und Anschluss in Höhe von insgesamt 212 DM zugeschlagen. Es fehlt zudem jede Erläuterung dafür, warum es sich insoweit nicht um handelsübliche Serviceleistungen, sondern um eine Tätigkeit aus dem Kernbereich des Handwerks handelt. Eben dieser Nahtstelle im Verhältnis zwischen Handwerk und Handel trägt § 3 Abs. 3 HwO (Hilfsbetrieberegelung) Rechnung.
All dies deutet darauf hin, dass die Gerichte in den angefochtenen Entscheidungen die Bedeutung von Art. 12 Abs. 1 GG für die Auslegung der einfachrechtlichen Vorschriften verkannt haben. Hätten sie die Handwerksordnung, die empfindliche Eingriffe in die Freiheit selbständiger Berufsausübung enthält, grundrechtsfreundlich ausgelegt, hätten sie den Ausnahmevorschriften in § 3 HwO das ihnen von Verfassung wegen zukommende Gewicht beigemessen und die Verhängung einer Geldbuße davon abhängig gemacht, dass zuvor alle zugunsten des Beschwerdeführers streitenden Umstände aufgeklärt und berücksichtigt sind.
c) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf dem dargelegten Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG, da nicht auszuschließen ist, dass die Gerichte anders entschieden hätten, wenn sie nach einer verfassungskonformen Auslegung der Handwerksordnung den Sachverhalt entsprechend ermittelt und die Rechtsanwendung hierauf gestützt hätten. Die angegriffenen Entscheidungen sind daher aufzuheben, damit dies nachgeholt werden kann.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kühling, Jaeger, Hömig
Fundstellen
NVwZ 2000, 777 |
NVwZ 2001, 187 |
DVP 2000, 360 |
GewArch 2000, 240 |
GewArch 2000, 278 |