1. Grundlage für den verfassungsrechtlichen Status des Abgeordneten ist Art. 38 Abs. 1 GG. Diese Norm schützt nicht nur den Bestand und die tatsächliche Ausübung des Mandats (BVerfGE 80, 188 ≪218≫). Sie gewährleistet darüber hinaus, daß die durch die Wahl erworbene Legitimation des Abgeordneten, das Volk im Parlament zu vertreten, von den anderen Verfassungsorganen respektiert wird. Der Status eines Abgeordneten ist daher berührt, wenn die Legitimität seines Mandats im Rahmen einer Kollegialenquete in Abrede gestellt wird (vgl. BVerfGE 94, 351 ≪366 f.≫).
Die Freiheit des Mandats ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Sie kann durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang begrenzt werden. Die Repräsentations und die Funktionsfähigkeit des Parlaments sind als solche Rechtsgüter anerkannt (vgl. BVerfGE 80, 188 ≪219, 222≫; 84, 304 ≪321≫). In seinem Beschluß vom 21. Mai 1996 hat das Bundesverfassungsgericht die Integrität und politische Vertrauenswürdigkeit des Bundestages als ein Rechtsgut von Verfassungsrang angesehen, das jedenfalls in der besonderen Situation des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie in den neuen Ländern der Bundesrepublik die Einführung eines Verfahrens zur Überprüfung eines Abgeordneten auf eine frühere Tätigkeit oder politische Verantwortung für den Staatssicherheitsdienst (vgl. § 44b AbgG) rechtfertigen kann (vgl. BVerfGE 94, 351 ≪367 f.≫).
Der verfassungsrechtliche Status des betroffenen Abgeordneten wird durch das Recht des Parlaments, eine Überprüfung auf eine frühere Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst durchzuführen, allerdings nicht vollständig überlagert. Beide Rechte sind soweit wie möglich zur Geltung zu bringen. Der Status des betroffenen Abgeordneten muß daher sowohl bei der Ausgestaltung als auch der Durchführung des Überprüfungsverfahrens berücksichtigt werden.
2. Gemäß Art. 38 Abs. 1 GG hat der Abgeordnete einen Anspruch darauf, daß sich der 1. Ausschuß in einem die Belange des Abgeordneten berücksichtigenden Verfahren eine sichere Überzeugung bildet und diese in einer Begründung darstellt (a) sowie den Rahmen des vom Bundestag gewählten Feststellungsauftrags einhält (b).
a) In seiner Entscheidung vom 21. Mai 1996 hat der Senat die Sicherungen aufgeführt, die das Überprüfungsverfahren nach § 44b Abs. 2 AbgG von Verfassungs wegen zum Schutze des Abgeordneten enthalten muß (BVerfGE 94, 351 ≪369-371≫). Hierzu gehören zunächst Beteiligungsrechte des Abgeordneten, die nicht nur das rechtliche Gehör gewährleisten, sondern dem betroffenen Abgeordneten auch ermöglichen, aktiv an der Herstellung des Beweisergebnisses mitzuwirken. Ferner muß gewährleistet sein, daß die abschließende Feststellung der Eigenart des gewählten Verfahrens und der zugelassenen Beweismittel Rechnung trägt. Der Ausschuß muß von der Verstrickung des Abgeordneten eine so sichere Überzeugung gewinnen, daß auch angesichts der beschränkten Beweismöglichkeiten vernünftige Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung ausgeschlossen sind. Hierzu hat er die Beweise zu würdigen und das Beweisergebnis zu begründen. Kann der Ausschuß diese sichere Überzeugung nicht erlangen, steht es ihm offen, in den Gründen die Beweislage darzustellen. Mutmaßungen sind ihm verwehrt (BVerfGE 94, 351 ≪370≫).
b) Kraft des aus Art. 38 Abs. 1 GG resultierenden Schutzes der Mandatsausübung in Verbindung mit den Richtlinien zu § 44b AbgG ist der Feststellungsauftrag des 1. Ausschusses begrenzt. Nach Nr. 3 dieser Richtlinien ist dieser darauf beschränkt festzustellen, ob eine hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeit oder eine politische Verantwortung für das MfS/AfNS als erwiesen anzusehen ist (“Verstrickung”). Diese Feststellung trifft der 1. Ausschuß ausschließlich aufgrund der Mitteilungen des Bundesbeauftragten, des Vorbringens des betroffenen Abgeordneten und sonstiger ihm zugeleiteter oder von ihm beigezogener Unterlagen.
Die Beschränkung des Feststellungsauftrags resultiert nicht nur aus der Beschränkung der Erkenntnismittel, sondern zugleich aus der Eigenart dieser nur ausnahmsweise zugelassenen Kollegialenquete. Die Überprüfung von Abgeordneten auf ein der Wahl vorausliegendes Verhalten gehört grundsätzlich nicht zu den parlamentarischen Aufgaben. Die Legitimation des Abgeordneten folgt aus dessen Wahl. Sie bildet die Grundlage für die repräsentative Stellung des Parlaments und liegt dessen Handeln voraus. Erhält aber das Parlament seine Legitimation erst durch die Wahl seiner Mitglieder, dann kann es ihm allenfalls in besonderen Ausnahmefällen gestattet sein, über die Wahlprüfung hinaus die Legitimität seiner Mitglieder in Zweifel zu ziehen.
3. Der Inhalt der aus dem Abgeordnetenstatus folgenden Rechte bestimmt die Reichweite und Intensität der Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht. Aus Art. 38 Abs. 1 GG folgt kein im Organstreitverfahren verfolgbares Recht auf eine inhaltliche Überprüfung der Richtigkeit der von dem 1. Ausschuß getroffenen Feststellungen durch das Bundesverfassungsgericht. Denn der im Organstreitverfahren einforderbare Inhalt der Rechte aus dem Abgeordnetenstatus gegenüber dem Parlament ist vor dem Hintergrund der Parlamentsautonomie auszulegen. Dabei geht es nicht um das übliche Spannungsverhältnis zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und Parlament in dessen Funktion als Gesetzgeber. Die im Hinblick auf die Normenkontrolle entwickelten differenzierten Maßstäbe verfassungsgerichtlicher Prüfungsintensität sind daher hier nicht anwendbar. Gegenstand der in diesem Organstreit erstrebten verfassungsgerichtlichen Kontrolle ist nicht ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz, sondern eine parlamentarische Untersuchung, die nicht in die Rechtsordnung hineinwirkt, sondern im politischen Raum verharrt. Auch in diesem Zusammenhang ist aber die Balance zwischen dem autonom handelnden Parlament und dem für die Einhaltung des verfassungsrechtlichen Rahmens verantwortlichen Bundesverfassungsgericht zu wahren. Dies schließt es aus, daß das Bundesverfassungsgericht die Feststellungen des 1. Ausschusses im einzelnen nachvollzieht, sich über deren Richtigkeit eine eigene Überzeugung bildet und dadurch selbst zum Untersuchungsorgan wird.
Der Rechtsgedanke der Parlamentsautonomie, der für Beschlüsse parlamentarischer Untersuchungsausschüsse in Art. 44 Abs. 4 GG einen besonderen Ausdruck gefunden hat, schließt zwar eine verfassungsgerichtliche Kontrolle des Prüfungsberichts nach § 44b AbgG nicht aus, begrenzt sie aber. Grundsätzlich hat das Bundesverfassungsgericht das Ergebnis einer in parlamentarischer Eigenverantwortung durchgeführten Personalenquete zu respektieren. Es kann nicht seine Überlegungen und seine Überzeugung, ob der Abgeordnete mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet hat, an die Stelle derjenigen des Parlaments oder des 1. Ausschusses setzen. Die Feststellung, Würdigung und Beurteilung der Tatsachen durch das Parlament unterliegen nicht verfassungsgerichtlicher Kontrolle.
Hingegen ist es Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, im Organstreitverfahren die Einhaltung der Verfahrensstandards zu überprüfen, die zur Sicherung der Rechte aus Art. 38 Abs. 1 GG von Verfassungs wegen erforderlich sind. Das bedeutet, daß das Gericht die Feststellungen des 1. Ausschusses an Hand objektiver Kriterien im Hinblick auf eine Verletzung mandatsschützender Verfahrensvorschriften und eine Überschreitung seines Untersuchungsauftrags zu kontrollieren hat.
Nach diesem Maßstab sind die Rechte des Antragstellers aus Art. 38 Abs. 1 GG durch den Prüfungsbericht vom 8. Mai 1998 und das zu ihm führende Verfahren, soweit es der Nachprüfung unterliegt, nicht verletzt worden (1., 2.). Nach der Auffassung der Richterin Graßhof und der Richter Kirchhof, Winter und Jentsch, die das Urteil trägt, gilt dies auch in bezug auf die Einhaltung des Überprüfungsauftrags durch den 1. Ausschuß (3. a). Die Richterin Limbach und die Richter Kruis, Sommer und Hassemer, deren Auffassung das Urteil insoweit nicht trägt, sehen in den letzten vier Sätzen des Berichts (BTDrucks a.a.O., S. 50) hingegen eine Überschreitung des Prüfungsauftrags, die den Antragsteller in seinem durch Art. 38 Abs. 1 GG geschützten Abgeordnetenstatus verletzt (3. b).
1. Die vom Antragsteller in den Mittelpunkt gerückten Rügen, mit denen er die Feststellung, Würdigung und Beurteilung der Tatsachen angreift, sind der verfassungsgerichtlichen Prüfung entzogen. Dazu rechnen die Einwände des Antragstellers gegen die Überzeugungsbildung der Mehrheit der Ausschußmitglieder. Des weiteren gehören dazu die Angriffe gegen die Überzeugungen der Mehrheit davon, welche der Beweismittel ergiebig oder unergiebig sind, was glaubhaft oder unglaubhaft ist, was allenfalls Vermutungen stützt oder aber Gewißheit schafft. Auch die in dem Bericht für die einzelnen Feststellungen gegebenen Begründungen sind vom Bundesverfassungsgericht nicht auf ihre Überzeugungskraft nachzuprüfen. Die zu den Feststellungen führenden Gedankengänge sind dargestellt und genügen damit dem Begründungserfordernis.
2. Die Verfahrensrügen sind, soweit sie zulässig sind, unbegründet. Der Antragsteller hatte im Verlauf des Überprüfungsverfahrens hinreichend Gelegenheit, an den Untersuchungen mitzuwirken. Er hat diese Möglichkeit durch die Übergabe eigener Unterlagen wie auch die Abgabe eigener Einschätzungen zur Beweislage genutzt. Die ihm letztlich für seine Erklärungen zur Verfügung stehende Zeit war ausreichend. Daß seine Ausführungen die Mehrheit des Ausschusses nicht zu überzeugen oder zumindest in ihrer abschließend gebildeten Überzeugung nicht zu erschüttern vermochten, bedeutet keinen Verfahrensfehler. Der Antragsteller hat nicht hinreichend dargetan, daß sich die Mehrheit im Ausschuß von vornherein seinen Ausführungen verschlossen und insbesondere die von ihm zur Entlastung eingereichten Entscheidungen von Gerichten und Staatsanwaltschaft ignoriert habe. Der Bericht belegt im Gegenteil die Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Antragstellers. Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß der 1. Ausschuß im Bericht nicht alle Einwände erschöpfend abgehandelt hat. Das wäre nicht einmal bei einer gerichtlichen Entscheidung zu verlangen (vgl. BVerfGE 86, 133 ≪146≫). Deshalb reicht es aus, daß die vom Antragsteller eingereichten Entscheidungen verschiedener Gerichte und Äußerungen der Staatsanwaltschaft im Bericht als Untersuchungsgrundlagen erwähnt werden (BTDrucks 13/10893, S. 5 f.).
Der Antragsteller kann auch nichts für sich daraus herleiten, daß bei den Sitzungen des 1. Ausschusses nicht alle Mitglieder durchgängig anwesend waren (vgl. § 67 GOBT). Es ist ausreichend, daß sich die Mitglieder ihre Überzeugung vor der abschließenden Abstimmung über die Berichtsentwürfe auf der Grundlage der angesammelten schriftlichen Unterlagen und Protokolle (vgl. § 73 GOBT) bilden konnten. Der Bericht ist in der Sitzung des 1. Ausschusses vom 8. Mai 1998 ausweislich des darüber gefertigten Protokolls mit der erforderlichen Mehrheit von zwei Dritteln der Ausschußmitglieder (vgl. Nr. 1 Abs. 4 der Richtlinien) beschlossen worden. Daß die Ausschußmitglieder zur eigenverantwortlichen Entscheidung berufen sind, sie mithin nicht an den ursprünglich entlastenden Entwurf des Ausschußsekretariates gebunden waren, ist eine § 44b AbgG und §§ 57, 67 GOBT zu entnehmende Selbstverständlichkeit.
3. Wegen Stimmengleichheit im Senat läßt sich nicht feststellen, daß der 1. Ausschuß mit seinem Bericht den Prüfungsauftrag überschritten hat (§ 15 Abs. 3 Satz 3 BVerfGG).
a) Nach Auffassung der vier Richter, die das Urteil trägt, hat der 1. Ausschuß die nach seiner Überzeugung erwiesenen Feststellungen (vgl. BTDrucks 13/10893, S. 6 – 33, 36 – 38, 49/50) im Rahmen seines gesetzlich bestimmten und umgrenzten Untersuchungsauftrags getroffen.
aa) (1) Der Auftrag des 1. Ausschusses in dem Verfahren gemäß § 44b AbgG besteht in der “Überprüfung auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit oder politische Verantwortung für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik”. Dieser Untersuchungsauftrag rechtfertigt sich aus dem Zweck, das Vertrauen in das Parlament zu fördern. Der Gesetzgeber des § 44b AbgG sah dieses Vertrauen in besonderer Weise als gestört an, wenn dem Parlament Repräsentanten angehören, bei denen der Verdacht besteht, daß sie durch Überwachung politisch Andersdenkender eine Diktatur unterstützt und Freiheitsrechte der Bürger verletzt haben (vgl. BVerfGE 94, 351 ≪368≫). Das Überprüfungsverfahren beruht daher auf der Prämisse, daß die frühere Tätigkeit eines Abgeordneten für den Staatssicherheitsdienst diesem die Legitimität nehme, Abgeordneter des Deutschen Bundestages zu sein. Auch wenn die Feststellung einer solchen Verstrickung das Mandat und die aus ihm folgenden Rechte unberührt läßt, so kann sie in der Sache zu dem Verdikt führen, daß der betroffene Abgeordnete politisch unwürdig sei, dem Parlament anzugehören (BVerfGE 94, 351 ≪367≫). Damit ist die Aufgabe des Ausschusses nicht auf die bloße Beschreibung eines geschichtlichen Geschehens ausgerichtet, sondern auf die Bildung einer parlamentarisch verantworteten und begründeten Überzeugung von dem die Legitimität des Mandats in Frage stellenden Sachverhalt. Der Untersuchungsauftrag umfaßt demgemäß die Feststellung aller Tatsachen, welche die Grundlage dafür abgeben können, daß die Öffentlichkeit sich ein Urteil über die Verstrickung des Abgeordneten mit dem MfS und damit über seine politische Würdigkeit zur Wahrnehmung eines Bundestagsmandats bilden kann. Der Ausschuß trifft also die Feststellung der Verstrickung, auf die die Öffentlichkeit eine politische Bewertung des Verhaltens des Abgeordneten gründen mag; diese Bewertung selbst vorzunehmen, ist dem Ausschuß aber versagt.
(2) Dazu gehört zunächst ein Sachverhalt, der zur Überzeugung des Ausschusses den Tatbestand einer wissentlichen Zusammenarbeit mit dem MfS beweist. Allerdings kann diese Feststellung allein nicht stets eine hinreichende Grundlage für die Beurteilung der Legitimität eines Abgeordnetenmandats abgeben (vgl. insoweit zutreffend die Stellungnahme des Landtags Brandenburg zu dem am 21. Mai 1996 entschiedenen Organstreitverfahren des Antragstellers, BVerfGE 94, 351 ≪362≫).
(2 a) Hiervon geht zunächst auch die Absprache zur Durchführung der Richtlinien gemäß § 44b AbgG (vgl. dazu BVerfGE 94, 351 ≪355 f.≫) aus. In Nr. 6 vierter Spiegelstrich verlangt sie sogar ausdrücklich den Nachweis einer Mitarbeit in einem Ausmaß, das deren Bewertung zuläßt. Auch im sechsten Spiegelstrich fordert sie von dem Ausschuss die Wertung, ob eine festgestellte Zusammenarbeit mit dem MfS Dritte belastet oder benachteiligt hat.
(2 b) Auch sind inzwischen typische Strukturen einer Zusammenarbeit mit dem MfS bekannt geworden, die eine an sich bewußt verwirklichte tatbestandsmäßige Verletzung privater Geheimnisse in einem anderen Licht erscheinen lassen: Die – rechtsstaatswidrigen – Bedingungen einer anwaltlichen Tätigkeit in der DDR waren bei politischen Strafverfahren nicht selten mit Risiken für Anwalt und Mandant verbunden, wenn der Anwalt bei der Wahrnehmung seines Mandats jede Zusammenarbeit mit dem MfS oder ähnlichen Stellen verweigerte. Wenn ein Anwalt in solchen Fällen nach einer Abwägung mit den Belangen des Mandanten, seinen Berufspflichten und seinem berechtigten Interesse an der Fortführung seiner – auch mandantenschützenden – Anwaltstätigkeit mit dem MfS zusammenarbeitete, um dessen Vertrauen zu gewinnen und so die Belange des Mandanten gegenüber zuständigen Stellen verfolgen zu können, so schützte er letztlich seinen Mandanten vor dem Staat der DDR.
Da aber nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Wertung des § 44b AbgG die Legitimität des Mandats eines Abgeordneten erst dann in Frage gestellt wird, wenn er Bürger hintergangen und verraten hat (vgl. BVerfGE 94, 351 ≪367≫), so gehört auch dieser Sachverhalt zur Feststellung der äußeren und inneren Tatsachen, die der Öffentlichkeit die Beurteilung erlauben, ob ein Abgeordneter würdig ist, ein Parlamentsmandat wahrzunehmen. Hätte der Ausschuß sich solcher Feststellungen zu enthalten, so würde sich dem Bürger aus der bloßen Feststellung einer bewußten Zusammenarbeit mit dem MfS die Annahme einer Verletzung der anwaltlichen Treuepflicht eher nahelegen als die Annahme eines letztlich den Mandanten schützenden Verhaltens. Die Legitimität des Abgeordnetenmandats wäre auch dann in Frage gestellt, wenn die vom Ausschuß herangezogenen Unterlagen an sich den sicheren Rückschluß auf eine mandantenschützende Tätigkeit des Betroffenen zulassen. In einem solchen Fall verbietet es die von Art. 38 Abs. 1 GG gewährleistete freie Ausübung des Mandats, die Untersuchung gemäß § 44b AbgG auf die Bildung der Überzeugung von einer bewußten Zusammenarbeit zu beschränken und damit Mutmaßungen der Öffentlichkeit zu veranlassen, die nach Kenntnis des Ausschusses nicht begründet sind.
(3) Stützt sich ein Bericht auf eine sehr umfangreiche und detaillierte Darstellung von Einzelfeststellungen, so rechtfertigt es der Untersuchungsauftrag, diese in ihrem Sinnzusammenhang und zusammenfassend als Feststellung oder Widerlegung der eine Verstrickung insgesamt begründenden Tatsachen in die Veröffentlichung aufzunehmen. Der Betroffene und die Öffentlichkeit können sich dadurch über Inhalt und Reichweite be- und entlastender Feststellungen vergewissern. Beließe der Ausschuß es bei der Darstellung von Einzelfeststellungen, so bestünde die Gefahr, daß diese Mutmaßungen veranlassen und zu einer Gesamtwürdigung führen, die von den Tatsachenfeststellungen des Ausschusses nicht getragen wird.
(4) Gegen einen Inhalt des Untersuchungsauftrags, der auch die Feststellung von Handlungszielen umfaßt, kann auch nicht eingewandt werden, deren Ermittlung stoße auf besondere Schwierigkeiten und trage ein besonderes Fehlerrisiko in sich, wenn die Beweismittel auf Urkunden und die Angaben des Betroffenen beschränkt sind.
Die belastende Feststellung eines Handlungsziels kann der Ausschuß – ebenso wie jede andere festzustellende innere Tatsache – nur aus äußeren Tatsachen und den Angaben des Betroffenen folgern. Er muß sich über jede dieser Tatsachen eine sichere Überzeugung bilden. Auch insoweit kann er sich nicht mit Mutmaßungen begnügen (vgl. BVerfGE 94, 351 ≪370≫). Die Beschränkung der Beweismittel mag es mit sich bringen, daß diese sichere Überzeugung von den Handlungszielen des Abgeordneten seltener gewonnen werden kann als diejenige von dem Vorliegen einer bewußten Zusammenarbeit mit dem MfS. Dieser Umstand kann jedoch nicht dazu führen, daß der Ausschuß von solchen Feststellungen generell abzusehen hat.
bb) Nach diesen Maßstäben konnte der 1. Ausschuß im Rahmen seines Untersuchungsauftrags in seinem Bericht nicht nur die Einzelfeststellungen zu den Gliederungsnummern 2 bis 7 treffen, sondern auch die zusammenfassenden Feststellungen zu den Handlungszielen des Antragstellers unter der Gliederungsnummer 8. Diese Feststellungen stützt der Ausschuß auch auf eine Begründung.
(1) Unter der Gliederungsnummer 1 stellt der Ausschuß seinem Bericht (vgl. BTDrucks a.a.O., S. 3) das Ergebnis voran, daß er mit der erforderlichen Mehrheit eine inoffizielle Tätigkeit des Antragstellers für das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR als erwiesen festgestellt habe. Alle folgenden sieben Gliederungspunkte dienen der Begründung dieses Ergebnisses und der Beachtung der dem Ausschuß dafür vorgegebenen Verfahrensregeln. Dabei werden unter der Gliederungsnummer 8 in einer Gesamtschau die zuvor im einzelnen als erwiesen angesehenen Einzelfälle einer Tätigkeit des Antragstellers für das MfS in ihrer Bedeutung für die Überzeugung des Ausschusses von der als erwiesen angesehenen Verstrickung dargestellt. Die dabei zusammenfassend getroffenen Feststellungen finden ihre Grundlage in zuvor dargestellten Einzelfeststellungen und halten sich im Rahmen des Untersuchungsauftrags. Eine politische Bewertung der Verstrickung des Antragstellers liegt darin nicht, zumal der letzte Satz des Prüfungsberichts die Ziele des MfS und damit die Tätigkeit der Organisation beschreibt, mit der der Antragsteller nach den Feststellungen des Ausschusses zusammengearbeitet hat.
(2) Die von dem Ausschuß gegebene Begründung ist abgestuft.
(2 aa) Mit seinen Ausführungen zu 5.3, 6 und 7 trifft und begründet der Ausschuß eine Reihe von Einzelfeststellungen, mit denen er je im konkreten Fall seine sichere Überzeugung davon darlegt, daß die Behauptung des Antragstellers widerlegt sei, wonach er schon nicht den Tatbestand einer bewußten Zusammenarbeit mit dem MfS verwirklicht habe und die konkreten Informationen, über die das MfS in bezug auf seine Mandanten verfügt habe, ihre Quelle insbesondere beim Zentralkomitee der SED fänden. Diese Einzelfeststellungen gehen unter der Gliederungsnummer 8 des Berichts in die zusammenfassende Feststellung der Widerlegung dieser Einlassung des Antragstellers ein.
(2 bb) Seine Überzeugung, der Antragsteller habe die von ihm bestrittene Zusammenarbeit mit dem MfS in dessen Interesse geleistet, gründet der Ausschuß auf eine Vielzahl von Einzelfeststellungen zu Inhalt, Art und Weise und Zeitabfolge von Berichten und Erklärungen des Antragstellers (vgl. etwa BTDrucks a.a.O., S. 13 ≪zu 6.1.2≫, S. 15, 17 ≪zu 6.1.4≫, S. 18, 19, 20 ≪zu 6.1.5≫, S. 24 ≪zu 6.2.3≫, S. 25. Diese konkreten Beweisergebnisse führen den Ausschuß unter Gliederungsnummer 8 seines Berichts zu der zusammenfassenden Feststellung, daß die Zusammenarbeit des Antragstellers mit dem MfS sich zur Überzeugung des Ausschusses so darstelle, daß der Antragsteller Anweisungen der Führungsoffiziere ausgeführt und darüber hinaus noch eigene Vorschläge an das MfS gemacht habe. Aus diesem allen zieht der Ausschuß den Schluß, daß der Antragsteller sich bei seiner Anwaltstätigkeit nicht nur – wie er behauptet – davon leiten ließ, seine wegen politischer Taten angeklagten Mandanten vor dem Staat der DDR zu schützen.
b) aa) Die anderen vier Richter sind der Auffassung, daß Inhalt des Überprüfungsauftrags nach Zweck und Struktur des in § 44b AbgG vorgesehenen und in den Richtlinien ausgeformten Verfahrens nur die Schaffung einer Tatsachengrundlage ist, von der aus ein Urteil über die politische Würdigkeit zur weiteren Mandatsausübung abgegeben werden kann und nicht schon dessen politische Bewertung. Bereits die Feststellung des in § 44b Abs. 1 AbgG bezeichneten Sachverhalts belastet den Abgeordneten in seiner Organstellung gemäß Art. 38 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 94, 351 ≪370≫).
Zur Feststellung des Sachverhalts gehört auch der innere Tatbestand eines bewußten und gewollten Handelns. Die Würdigung und Wertung (“…als erwiesen anzusehen…”) gehört hierzu nur insoweit, als sie für die Subsumtion des ermittelten Sachverhalts unter eines der Feststellungskriterien (z.B. unterzeichnete Verpflichtungserklärung, nachweisliche Berichte über Personen, Annahme von Vergünstigungen und Auszeichnungen, vgl. Nr. 6 der Absprache) notwendig ist. Demgemäß darf der Ausschuß die zugelassenen Erkenntnismittel nur daraufhin würdigen, ob sie einen Schluß auf ein Handeln für das Ministerium für Staatssicherheit zulassen und dies ausreichend belegen. Eine darüber hinausgehende Deutung und Bewertung des Tatsachenmaterials ist dem 1. Ausschuß – abweichend von der Reichweite des Prüfungsauftrags eines regulären Untersuchungsausschusses – nach dem Willen des Gesetzgebers verwehrt. Er muß vielmehr die Dokumente sprechen lassen.
Aussagen darüber, welche Strategien der Abgeordnete mit der festgestellten Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst langfristig verfolgt hat, lassen sich von der Feststellung des Sachverhalts trennen. Sie sind auch nicht deren notwendiger Bestandteil. Mit solchen Aussagen nimmt der Ausschuß schon im rechtlich besonders geordneten Feststellungsverfahren selbst an der kontroversen Auseinandersetzung im politisch-parlamentarischen Raum teil, für die seine feststellende Tätigkeit erst die Grundlage schaffen soll. Insofern ist zwischen der im Verfahren zu treffenden Feststellung und dem politischen Zweck des Untersuchungsverfahrens zu unterscheiden (vgl. dazu auch BVerfGE 94, 351 ≪367, 2. Absatz≫).
Der Gesetzgeber hat bei der hier zu beurteilenden Personalenquete darauf verzichtet, rechtliche Konsequenzen an eine belastende Feststellung des Überprüfungsausschusses zu knüpfen. Der Bundestag kann nicht einmal eine Empfehlung an den Abgeordneten aussprechen, sein Mandat niederzulegen. Die eigentliche Würdigung der Vorwürfe, die Bewertung ihres politischen Gewichts, wurde bewußt der Öffentlichkeit überlassen. Diese soll durch öffentliche Meinungskundgabe oder im Rahmen der nächsten Wahl die Frage beantworten, ob der belastete Abgeordnete würdig ist, das Volk im Parlament zu vertreten. Dementsprechend hat der Ausschußvorsitzende Wiefelspütz in der Debatte zu § 44b AbgG erklärt: “…wir treffen Feststellungen. Die Würdigung haben die Fraktionen und Gruppen zu treffen und die deutsche Öffentlichkeit” (Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages 12/64, S. 5369).
Das Verbot, sich als Ausschuß auch über die von dem Abgeordneten langfristig verfolgten Ziele zu äußern, ist auch unmittelbar durch Art. 38 Abs. 1 GG geboten. Schutz für die durch diese Vorschrift gewährleistete freie Ausübung des Mandats als Teil der organschaftlichen Rechtsstellung kann der Abgeordnete gegenüber Maßnahmen des Gesamtorgans Bundestag, dem er angehört, nur im Wege der Organklage erreichen. Aussagen des Bundestages, die sich mit dem Verhalten des Abgeordneten außerhalb der Mandatsausübung und vor der Wahl befassen, können nicht nur in seine – hier nicht zu behandelnde – grundrechtliche Stellung als Bürger, sondern zugleich auch in seine Stellung als Mandatsträger eingreifen. Dürfte der Ausschuß im Verfahren nach § 44b AbgG Aussagen über die von dem Abgeordneten mit der Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst langfristig verfolgten Ziele mit dem Anspruch treffen, sie seien aufgrund der zugelassenen Erkenntnismittel als erwiesen anzusehen, so wäre der Abgeordnete gegenüber solchen Zuschreibungen schutzlos, obwohl gerade diese ihn unter Umständen besonders empfindlich in seiner Organstellung verletzen. Die Durchführung einer Personalenquete, die auch einen solchen Auftrag noch mit umfaßte, würde schon als solche notwendig in Art. 38 Abs. 1 GG eingreifen.
bb) Die Schlußpassage auf Seite 50 des Berichts des 1. Ausschusses (“Dr. Gysi hat seine herausgehobene berufliche Stellung…”) ist als eine über den Sachverhalt der Tätigkeit für das MfS/AfNS hinausgehende Zuschreibung eines strategischen Ziels vom Inhalt des Untersuchungsauftrags nicht mehr umfaßt. Im Gesamtzusammenhang des Berichts können die dort gemachten Aussagen nur als Vorwurf einer groben Verletzung anwaltlicher Berufspflichten verstanden werden. Dabei werden sie in ihrer Einseitigkeit der besonderen Situation anwaltlicher Vertretung von Regimegegnern in einer Diktatur nicht gerecht.
Die Schlußpassage geht über das hinaus, was dem 1. Ausschuß nach § 44b AbgG und den dazu ergangenen Richtlinien und Absprachen aufgegeben ist. Sie ist nicht Teil der Feststellung eines konspirativen Zusammenwirkens mit dem Staatssicherheitsdienst. Die in Nr. 6 der Absprache genannten Kriterien (abgedruckt in BVerfGE 94, 351 ≪356 f.≫) sind auf nachweisliche – und damit auch widerlegbare – Feststellungen eines Handelns beschränkt. Die Aussage, der Antragsteller habe seine herausgehobene berufliche Stellung als einer der wenigen Rechtsanwälte in der DDR mißbraucht, um deren politische Ordnung vor seinen Mandanten zu schützen, beschreibt mehr als eine innere Tatsache (z.B. Vorsatz, Absicht). Dieser in einem Sinnzusammenhang mit den folgenden drei Sätzen stehende Satz ist vielmehr eine Zuschreibung von langfristigen Strategien. Die Schlußpassage enthält keine Feststellungen, sondern Mutmaßungen. Sie ist nicht deskriptiv, sondern askriptiv formuliert und überdies doppelsinnig. Der Sinn der Beschränkung der Tätigkeit des 1. Ausschusses auf Feststellungen wird damit unterlaufen: Der Antragsteller kann deren Unwahrheit nicht aufzeigen. Vielmehr wird er gezwungen, die politische Auseinandersetzung mit einer Aussage zu suchen, die von dem Ausschuß mit dem Geltungsanspruch einer Feststellung aufgrund eines rechtlich geordneten Prüfungsverfahrens getroffen worden ist.
Die letzten vier Sätze des Berichts sind – das haben auch die Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung eingeräumt – keine Zusammenfassung oder Würdigung des Vorhergehenden. Sie eröffnen vielmehr ein neues Thema; denn den zuvor getroffenen Feststellungen über die Verstrickung wird eine Deutung im Sinne einer Strategie unterlegt, die auf einen Mandantenverrat hinausläuft. Dieses Verdikt wird weder vom innerparlamentarischen Zweck der Kollegialenquete gerechtfertigt, noch kann es angesichts der bewußten Beschränkung der Beweismittel rechtsstaatlich belegt werden. Die Schlußpassage ist daher eher geeignet, den Verdacht zu nähren, das Überprüfungsverfahren werde als ein Mittel der politischen Auseinandersetzung gebraucht, um den betroffenen Abgeordneten politisch zu diskreditieren. In seinen Berichten über die Abgeordneten Rolf K. und Dr. Christa L., die ebenfalls jeweils mit der Feststellung schließen, eine inoffizielle Mitarbeit für das MfS sei als erwiesen anzusehen, hat der 1. Ausschuß hingegen auf Aussagen darüber, welche Ziele die Abgeordneten mit ihrer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst verfolgt haben, verzichtet (vgl. BTDrucks 13/10498, S. 8, und BTDrucks 13/11104, S. 15) und damit seinen Feststellungsauftrag beachtet.
Die vier den Bericht abschließenden Sätze belasten den Abgeordneten nicht nur wegen ihrer erschwerten Widerlegbarkeit, sondern auch deshalb intensiver, weil sie ihn in seinem Berufsethos als Anwalt disqualifizieren. Dabei lassen diese Aussagen die Arbeitsbedingungen unter einer Diktatur außer Acht, die einen Anwalt dazu zwingen können, in Verfahren mit politischem Einschlag gewisse Konzessionen an die Staatsorgane zu machen, um für seine Mandanten etwas zu erreichen.