Leitsatz
Die Speicherung von Telekommunikationsdaten ist in ihrer jetzigen Form verfassungswidrig. Die bisher erhobenen Daten seien unverzüglich zu löschen, denn die Bestimmungen sind viel zu unbestimmt und verstoßen gegen das Telekommunikationsgeheimnis.
Sachverhalt
Nach dem angegriffenen Gesetz (§§ 113a und 113b Telekommunikationsgesetz i.V.m. § 100g Abs. 1 Satz 1 StPO) werden seit 2008 Verbindungsdaten aus der Telefon-, Mail- und Internetnutzung sowie Handy-Standortdaten für 6 Monate gespeichert. Abrufbar sind sie für die Strafverfolgung sowie zum Zweck der Gefahrenabwehr. Geklagt hatten im größten Massenklageverfahren in der Geschichte des Gerichts fast 35 000 Bürger.
Die Massenspeicherung von Telefon- und Internetdaten zur Strafverfolgung ist unzulässig, weil nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
- Die Bestimmungen sind viel zu unbestimmt.
- Es fehle insbesondere an hohen Standards für eine Datensicherung.
Aus dem Leitsatz: "Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die gesetzliche Ausgestaltung einer solchen Datenspeicherung dem besonderen Gewicht des mit der Speicherung verbundenen Grundrechtseingriffs angemessen Rechnung trägt. Erforderlich sind hinreichend anspruchsvolle und normenklare Regelungen hinsichtlich der Datensicherheit, der Datenverwendung, der Transparenz und des Rechtsschutzes". Die Verbindungsdaten ermöglichten inhaltliche Rückschlüsse "bis in die Intimsphäre" hinein. So ließen sich aussagekräftige Persönlichkeits- oder Bewegungsprofile gewinnen. Weil zudem Missbrauch möglich ist und die Bürger die Datenverwendung nicht bemerkten, sei die Vorratsdatenspeicherung in ihrer bisherigen Form geeignet, "ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen".
Aber das Gericht befand auch: Eine 6-monatige anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten für qualifizierte Verwendungen im Rahmen der Strafverfolgung, der Gefahrenabwehr und der Aufgaben der Nachrichtendienste, wie sie die §§ 113a, 113b TKG anordnen, ist mit Art. 10 GG nicht schlechthin unvereinbar. Bei einer Ausgestaltung, die dem besonderen Gewicht des hierin liegenden Eingriffs hinreichend Rechnung trägt, unterfällt eine anlasslose Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten nicht schon als solche dem strikten Verbot einer Speicherung von Daten auf Vorrat i.S.d. Rechtsprechung des BVerfG. Eingebunden in eine dem Eingriff adäquate gesetzliche Ausgestaltung kann sie den Verhältnismäßigkeitsanforderungen genügen.
Ein weitgehend offener Datenpool heble aber den notwendigen Zusammenhang zwischen Speicherung und Zweck der Speicherung auf. Das Urteil schließt eine Speicherung der Daten jedoch nicht generell aus und stellt auch nicht die Zulässigkeit der EU-Richtlinie infrage, die Grundlage für das Gesetz in Deutschland ist. Telekommunikationsdaten seien "für eine effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr von besonderer Bedeutung". Daten dürfen deshalb auch künftig unter bestimmten Maßgaben gespeichert und verwertet werden.
Bei der Speicherung handele es sich aber "um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt". Darum müsste ein derartiger Eingriff an strengste Bedingungen geknüpft werden. Diese Voraussetzungen erfüllt das deutsche Gesetz laut dem Urteil nicht. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird derzeit aus Sicht der Verfassungsrichter nicht gewahrt. Außerdem mangle es an der Sicherheit für die Daten und es gebe keine konkreten Angaben, wofür die Daten gebraucht werden sollen.
Die Verfassungsrichter hatten bereits zuvor in einstweiligen Anordnungen die Datennutzung stark eingeschränkt
Link zur Entscheidung
BVerfG, Urteil v. 2.3.2010, 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08.