Verfahrensgang
Hamburgisches OVG (Urteil vom 19.08.2011; Aktenzeichen 12 Bf 24/11.F) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Hamburg vom 19. August 2011 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Rz. 1
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 65 Abs. 1 Hamburgisches Disziplinargesetz – HmbDG – liegt nicht vor.
Rz. 2
Der Beklagte war als beamteter Lehrer an einer Gesamtschule tätig. Im Mai 2008 wurde gegen ihn durch Strafbefehl eine Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB) und Kindern (§ 176 Abs. 1 StGB), wegen des Besitzes kinderpornografischer Schriften (§ 184b Abs. 4 Satz 2 StGB), wegen Nötigung (§ 240 Abs. 1 und 2 StGB) sowie wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201a StGB) festgesetzt. Die Vollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt und der Beklagte erhielt die Weisung, jede Kontaktaufnahme mit fremden Kindern und Jugendlichen zu vermeiden. In dem Strafbefehl wurden ihm insgesamt 18 Straftaten zur Last gelegt. U.a. soll er in seiner Eigenschaft als Lehrer und Fußballtrainer seiner Schule in mehreren Fällen in den Jahren 1997 bis 1998 und 2005 bis 2006 sexuell motivierte Handlungen an Schülern begangen haben.
Rz. 3
Nach Bekanntwerden der Vorwürfe im Jahre 2007 wurde ein Disziplinarverfahren gegen den Beklagten eingeleitet. Er wurde zum ... umgesetzt, wo er bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand zum Ablauf des ... 2009 tätig war. Das Verwaltungsgericht hat dem Beklagten das Ruhegehalt aberkannt; die Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht hat die tatsächlichen Feststellungen im Strafbefehl der Entscheidung im Disziplinarverfahren zugrunde gelegt. Die Revision gegen sein Urteil hat es nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 65 Abs. 1 HmbDG), die ihr die Beschwerde beimisst.
Rz. 4
1. Die Revision ist nicht zur Klärung der von der Beschwerde in die folgende Formulierung gekleideten Fragen zuzulassen:
“Begeht ein aktiver Beamter ein schweres Dienstvergehen, wird er jedoch nicht suspendiert, keine Gehaltskürzung vorgenommen und in diesem Zusammenhang mit der Wahrnehmung wichtiger anderer Aufgaben betraut, wie etwa der Mitwirkung als Prüfer in einem Staatsexamen, dann indiziert das Dienstvergehen nicht die Höchstmaßnahme auf Grund eines nicht reparablen Vertrauensverlustes, sondern es bedarf einer Einzelfallprüfung, ob gleichwohl die Höchstmaßnahme geboten ist, jedenfalls dann, wenn der Beamte inzwischen auf Grund seiner Schwerbehinderung in den Ruhestand versetzt worden ist.”
Rz. 5
Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (Beschluss vom 2. Oktober 1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ≪91≫ = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18; Beschluss vom 2. Februar 2011 – BVerwG 6 B 37.10 – NVwZ 2011, 507 = Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 173; stRspr). Daran fehlt es hier, weil die aufgeworfenen Fragen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt sind.
Rz. 6
Zunächst ist es ohne Bedeutung, ob sich der Beamte im Zeitpunkt der Disziplinarmaßnahme noch im aktiven Dienst befindet oder schon – wegen Erreichens der allgemeinen Altersgrenze oder aus anderen Gründen – im Ruhestand ist. Wäre für den noch aktiven Beamten die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten, so tritt an deren Stelle für den Ruhestandsbeamten die Aberkennung des Ruhegehalts (§ 9 Abs. 2 Satz 1 HmbDG). Durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand die Ausübung der Disziplinarbefugnis nicht beeinträchtigt. Denn auch Disziplinarmaßnahmen gegen Ruhestandsbeamte verfolgen den Zweck, die Integrität des Berufsbeamtentums zu wahren und damit die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes sicherzustellen. Es wären Rückwirkungen auf das Vertrauen in die Integrität der Beamtenschaft zu erwarten, wenn ein Ruhestandsbeamter trotz eines erheblichen, während seiner aktiven Dienstzeit begangenen Dienstvergehens, durch das er das Vertrauen in seine Zuverlässigkeit zerstört hat, weiterhin sein Ruhegehalt beziehen könnte und berechtigt bliebe, die Amtsbezeichnung und die im Zusammenhang mit dem früheren Amt verliehenen Titel zu führen. Auch gebietet der Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, dass ein Beamter, der nach Begehung einer schwerwiegenden Verfehlung in den Ruhestand tritt, nicht besser gestellt werden darf als ein Beamter, der bis zum Abschluss des Disziplinarverfahrens im aktiven Dienst verbleibt. Auf diese Weise wird die Disziplinarmaßnahme nicht von dem mehr oder weniger zufälligen oder gar gesteuerten Ausscheiden aus dem aktiven Dienst abhängig gemacht (vgl. Beschlüsse vom 26. Oktober 2011 – BVerwG 2 B 69.10 – juris Rn. 31 f., vom 26. August 2009 – BVerwG 2 B 66.09 – juris Rn. 9 f. und vom 13. Oktober 2005 – BVerwG 2 B 19.05 – Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2, Urteile vom 26. Januar 1999 – BVerwG 1 D 34.97 – juris Rn. 16 und vom 28. Juli 2011 – BVerwG 2 C 16.10 – RiA 2011, 267 ≪271≫ Rn. 32, jeweils m.w.N. stRspr, bestätigt durch BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. November 2001 – 2 BvR 2138/00 – NVwZ 2002, 467).
Rz. 7
Auch dass im Falle des Beklagten nach Bekanntwerden der Vorwürfe keine vorläufige Dienstenthebung nach § 37 HmbDG und keine Gehaltskürzung nach § 38 HmbDG erfolgt sind, führt nicht zu einer geringeren Schwere des Dienstvergehens. Nach § 11 Abs. 1 HmbDG ergeht die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme nach pflichtgemäßem Ermessen, wobei auf die Schwere des Dienstvergehens sowie auf das gesamte dienstliche und außerdienstliche Verhalten des Beamten abzustellen ist und insbesondere eine Reihe von im Gesetz genannten Umständen zu berücksichtigen sind. Der Umstand, dass ein Beamter nach der Aufdeckung des Dienstvergehens auf einem anderen Dienstposten weiterbeschäftigt worden ist, rechtfertigt keine mildere Disziplinarmaßnahme. Über die Frage seines Verbleibs im Beamtenverhältnis ist nicht von seinem Dienstvorgesetzten, sondern von den Gerichten zu entscheiden. Deren Aufgabe ist es zu beurteilen, ob aufgrund des Dienstvergehens ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten ist. Ist das der Fall, so vermag daran auch eine Weiterverwendung auf einem anderen Dienstposten nichts zu ändern (Urteile vom 11. Januar 2007 – BVerwG 1 D 16.05 – juris Rn. 65, vom 8. Juni 2005 – BVerwG 1 D 3.04 – juris Rn. 26, vom 9. April 2002 – BVerwG 1 D 14.01 – juris Rn. 36, vom 20. Februar 2002 – BVerwG 1 D 19.01 – Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 11, vom 26. August 1997 – BVerwG 1 D 68.96 – Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 13 und vom 22. Mai 1996 – BVerwG 1 D 72.95 – Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 6; stRspr).
Rz. 8
2. Soweit das Beschwerdevorbringen dahin zu verstehen ist, dass außerdem auch als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehen wird, ob bei der Prüfung der Schwere des Dienstvergehens bei bestimmten Handlungen von einer Indizwirkung ausgegangen werden kann und es zur Entkräftung einer solchen Indizwirkung hinreichend gewichtiger entlastender Umstände bedarf oder ob – wie die Beschwerde meint – gleichermaßen alle belastenden und entlastenden Umstände geprüft und bewertet werden müssten und Zweifelsfragen zugunsten des Beamten zu entscheiden seien, rechtfertigt dies ebenfalls nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.
Rz. 9
Als maßgebendes Bemessungskriterium ist die Schwere des Dienstvergehens gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 HmbDG richtungweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen zunächst nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 3 Abs. 1 HmbDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen ist. Sie indiziert bei einem Lehrer, der ihm anvertraute Schüler sexuell missbraucht hat (§ 174 Abs. 1 Nr. 1, § 176 Abs. 1 StGB), die Höchstmaßnahme. Ein solches Verhalten stellt bei einem Lehrer ein außerordentlich schweres Versagen im Kernbereich seiner dienstlichen Pflichten dar. Er beeinträchtigt nicht nur das Ansehen des Berufsbeamtentums, sondern zeigt damit in der Regel seine Nichteignung für den Lehrerberuf. Ein Lehrer ist nach dem umfassenden Bildungsauftrag der Schule nicht nur zur Vermittlung von Wissen, sondern auch zur Erziehung der Kinder verpflichtet. Er muss insbesondere die geistige und sittliche Entwicklung der ihm anvertrauten Kinder fördern und schützen (Urteil vom 19. August 2010 – BVerwG 2 C 5.10 – Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 12 Rn. 17). Schüler, Eltern, Dienstherr und Öffentlichkeit müssen sich unbedingt darauf verlasen können, dass sexuelle Übergriffe von Lehrern auf Schüler unterbleiben. Deshalb ist bei sexuellem Missbrauch von anvertrauten Schülern unter 16 Jahren durch Lehrer gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 1, § 176 Abs. 1 StGB die Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Dienst indiziert, wenn es in der Gesamtheit an hinreichend gewichtigen entlastenden Gesichtspunkten fehlt (vgl. für den Fall eines außerdienstlich erfolgten sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB Urteil vom 25. März 2010 – BVerwG 2 C 83.08 – BVerwGE 136, 173 Rn. 18, Beschluss vom 23. Juni 2010 – BVerwG 2 B 44.09 – juris Rn. 5 ff. = IÖD 2010, 189). Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (vgl. Urteil vom 25. März 2010 a.a.O. Rn. 20 m.w.N.). Das Oberverwaltungsgericht hat sich bei seiner Entscheidung an diesen Rechtssätzen orientiert. Darüber hinausgehende klärungsbedürftige Fragen von fallübergreifender Bedeutung zeigt die Beschwerde nicht auf. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab.
Rz. 10
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 76 Abs. 4 Satz 1 HmbDG. Ein Streitwert für das Beschwerdeverfahren muss nicht festgesetzt werden, weil das Verfahren gerichtsgebührenfrei ist (§ 75 Abs. 1 HmbDG).
Unterschriften
Herbert, Dr. von der Weiden, Thomsen
Fundstellen