Verfahrensgang
Hessischer VGH (Urteil vom 17.06.2008; Aktenzeichen 11 C 1975/07.T) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Juni 2008 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Rz. 2
1. In Bezug auf das Vorliegen der Planrechtfertigung macht der Kläger geltend, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe (1.1 und 1.2) und auf einem Verfahrensmangel beruhe (1.3).
Rz. 3
1.1 Als rechtsgrundsätzlich bedeutsam bezeichnet der Kläger die Fragen:
Kann ein anerkannter Naturschutzverein im Klageverfahren geltend machen, dass es einem planfeststellungspflichtigen Vorhaben an dem Erfordernis der Planrechtfertigung fehlt?
Kann eine anerkannte Umweltvereinigung im Sinne des Umweltrechtsbehelfsgesetzes dies geltend machen?
Rz. 4
Diese Fragen würden sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Der Verwaltungsgerichtshof hat offen gelassen, ob der Kläger geltend machen kann, dass dem Vorhaben die Planrechtfertigung fehle, weil die Planrechtfertigung für das streitige Projekt gegeben sei (UA S. 7). Er hat mithin für die Prüfung der Planrechtfertigung unterstellt, dass der Kläger insoweit rügebefugt ist.
Rz. 5
1.2 In Bezug auf das Vorliegen der Planrechtfertigung bezeichnet der Kläger drei Fragen als rechtsgrundsätzlich bedeutsam:
Rz. 6
1.2.1 Wie ist der Begriff des “Bedarfs” in der luftverkehrlichen Planfeststellung rechtlich zu definieren?
Rz. 7
Mit dieser Frage möchte der Kläger seine Auffassung bestätigt wissen, dass für den Neu-/Ausbau einer luftverkehrlichen Infrastruktur ein öffentliches Bedürfnis bestehen müsse; das gelte jedenfalls, wenn es sich um den Bau eines neuen Regionalflughafens und nicht um die Konversion eines Militärflugplatzes handele (Beschwerdebegründung S. 27).
Rz. 8
Ob diese Rechtsauffassung zutrifft, wäre in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Der Verwaltungsgerichtshof hat ein öffentliches Bedürfnis für den Ausbau des Verkehrslandeplatzes Kassel-Calden zu einem regionalen Verkehrsflughafen bejaht. Er ist davon ausgegangen, dass die mit dem Vorhaben verfolgten öffentlichen Interessen generell geeignet sein müssen, entgegenstehende Eigentümerrechte zu überwinden (UA S. 8). Die Planrechtfertigung des Vorhabens hat er auch im Hinblick auf diese Anforderung bejaht.
Rz. 9
1.2.2 Kann alleine ein prognostiziertes Passagierpotenzial einen Luftverkehrsbedarf und damit eine Planrechtfertigung begründen?
Rz. 10
Diese Frage richtet sich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass für den Ausbau des Verkehrslandeplatzes Kassel-Calden ein konkreter Bedarf an Luftverkehrsdienstleistungen nachgewiesen sei; die Bedarfsprognose der Intraplan Consult GmbH gelange im “wahrscheinlichen Szenario” für das Prognosejahr 2020 zu einem Passagieraufkommen von 640 000 Passagieren bei ca. 8 300 jährlichen Flugbewegungen (UA S. 10).
Rz. 11
Der Kläger macht mit der Beschwerde geltend, dass ohne eine konkrete Nachfrage der Luftverkehrsgesellschaften eine Planrechtfertigung nicht vorliegen könne; ein prognostiziertes Passagierpotenzial reiche nicht aus (Beschwerdebegründung S. 26 f.). Ob diese Auffassung zutrifft, könnte in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden. Denn ob es zur Feststellung eines Luftverkehrsbedarfs ausreicht, das Passagieraufkommen zu prognostizieren, oder ob eine Nachfrage der Luftverkehrsgesellschaften hinzutreten muss, hängt von den tatrichterlich zu würdigenden Umständen des Einzelfalls ab. Der Verwaltungsgerichtshof hat die vorliegende Passagierprognose als hinreichend gesichert angesehen und es auf ihrer Grundlage nicht für erforderlich gehalten, dass bereits jetzt konkrete Nutzungsabsichten von Luftverkehrsgesellschaften vorliegen; auch wenn von Seiten der Luftverkehrswirtschaft teilweise erklärt werde, die Nutzung des ausgebauten Flughafens sei derzeit nicht geplant, sei das Nachfragepotenzial nach den nicht erschütterten Feststellungen der Fluggastprognose vorhanden und es bestehe die realistische Chance, dass das Angebot an die Luftverkehrsgesellschaften auch eine Nachfrage von dieser Seite erzeuge (UA S. 21). An diese Feststellungen und ihre tatrichterliche Würdigung wäre der Senat in einem Revisionsverfahren gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden.
Rz. 12
Der Kläger bezweifelt darüber hinaus, dass die prognostizierten Fluggastzahlen überhaupt einen Bedarf im Rechtssinne begründen können; es handele sich nicht um Fluggäste, die nur wegen eines Flughafens Kassel-Calden fliegen würden; ohne den Flughafen würden sie von einem anderen Flughafen fliegen (Beschwerdebegründung S. 26). Der Verwaltungsgerichtshof hat dahinstehen lassen, ob diese Behauptung zutrifft, weil es für die Feststellung eines hinreichenden Bedarfs nicht erforderlich sei, neue Potenziale zu generieren (UA S. 21). Das steht mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Einklang. Das Bundesverwaltungsgericht hat Bedarfsprognosen, die die Zahl der auf dem Flughafen zu erwartenden Passagiere und der Flugbewegungen prognostizieren, für die Planrechtfertigung als ausreichend angesehen (Urteile vom 8. Juli 1998 – BVerwG 11 A 53.97 – BVerwGE 107, 142 ≪146 f.≫ und vom 13. Dezember 2007 – BVerwG 4 C 9.06 – BVerwGE 130, 83 ≪101 f., Rn. 51≫). Den Nachweis, dass die Passagiere ohne das Vorhaben auf den Flug verzichten würden, hat es nicht verlangt. Inwiefern diese Rechtsprechung der Überprüfung oder Fortentwicklung bedürfen sollte, zeigt die Beschwerde nicht auf.
Rz. 13
1.2.3 Wann ist der Aus-/Neubau eines Verkehrsflughafens nicht mehr vernünftigerweise geboten?
Rz. 14
Diese Frage richtet sich gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass das Argument, der für Kassel-Calden prognostizierte Verkehrsbedarf könne auch von anderen Flughäfen bedient werden, nicht geeignet sei, die Planrechtfertigung in Zweifel zu ziehen; die Frage, ob ein festgestellter Bedarf durch eine Ausbaumaßnahme am Standort Kassel-Calden bedient oder den vorhandenen Einrichtungen überlassen werde, habe die Planfeststellungsbehörde in Ausschöpfung der planerischen Gestaltungsfreiheit im Rahmen der Abwägung der für und gegen das Vorhaben sprechenden Belange zu entscheiden (UA S. 9).
Rz. 15
Die Beschwerde verkennt nicht, dass diese Auffassung mit der bereits vorhandenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts übereinstimmt (Beschwerdebegründung S. 39 f.). Die Möglichkeit, andere Flughäfen zu nutzen, ist nach dieser Rechtsprechung eine Frage der Abwägung und damit keine Frage der Planrechtfertigung (Urteile vom 20. April 2005 – BVerwG 4 C 18.03 – BVerwGE 123, 261 ≪272≫ und vom 9. November 2006 – BVerwG 4 A 2001.06 – BVerwGE 127, 95 ≪111, Rn. 59≫; Beschluss vom 16. Juli 2007 – BVerwG 4 B 71.06 – juris Rn. 9). Die Beschwerde meint jedoch, dass der vorliegende Fall Fragen aufwerfe, die in der genannten Rechtsprechung nicht thematisiert worden seien. Zu klären sei, ob die Frage des vernünftigerweise Gebotenseins unter Ausblendung der bereits vorhandenen Infrastruktur beantwortet werden könne (Beschwerdebegründung S. 28, S. 40). Zudem bestehe in jeder deutschen Planungsregion/Verkehrszelle ein Fluggastpotenzial. Seine Größe hänge maßgeblich davon ab, ob sich in ihr eine Großstadt mit mehr als 200 000 Einwohnern befinde. Das Bestehen eines Fluggastpotenzials könne deshalb keinerlei abgrenzende Wirkung zukommen (Beschwerdebegründung S. 41).
Rz. 16
Aus diesem Vorbringen ergibt sich ein weiterer Klärungsbedarf nicht. Es geht von Voraussetzungen aus, die in den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs keine Grundlage finden. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs hat die Bedarfsprognose die bereits vorhandenen Flughäfen nicht ausgeblendet, sondern sie sowohl im ersten Schritt, also bei der Ermittlung der Gesamtheit der potenziellen Luftverkehrspassagiere als auch bei der anschließenden Aufteilung dieses Fluggastpotenzials auf die in Betracht kommenden Flughäfen berücksichtigt. Bereits im ersten Schritt wurde die landseitige Erschließung der vorhandenen Flughäfen einschließlich Reise- und Transportkosten in die Betrachtung einbezogen (UA S. 10). Für die Aufteilung des Fluggastpotenzials auf die in Betracht kommenden Flughäfen waren u.a. der für die Reise erforderliche finanzielle und zeitliche Aufwand und das am jeweiligen Flughafen verfügbare Luftverkehrsangebot maßgebend (UA S. 10). Ausgehend hiervon hat Intraplan bezogen auf das Prognosejahr 2020 und das “wahrscheinliche Szenario” für den Flughafen Kassel-Calden einen Marktanteil am Fluggastaufkommen aus der Region von 16,3 %, für den Flughafen Frankfurt/Main von 24,8 %, den Flughafen Paderborn/Lippstadt von 21,0 %, den Flughafen Hannover von 14,8 % und die übrigen Flughäfen von 23,1 % errechnet (UA S. 11).
Rz. 17
Den Schluss, dass Intraplan hinsichtlich der Nachfrage nach Passagierflügen für den Flughafen Kassel/Calden lediglich eine Situation darstelle, die es “überall in Deutschland” gebe, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht gezogen. Insoweit stellt der Kläger in der Beschwerdebegründung der tatrichterlichen Würdigung des Bedarfsgutachtens lediglich ihre eigene Bewertung der Tatsachen entgegen. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage ergibt sich daraus nicht.
Rz. 18
1.3 Einen Verfahrensmangel sieht der Kläger darin, dass der Verwaltungsgerichtshof das Qualitätssicherungsgutachten der Prog Trans AG berücksichtigt hat, das der Beklagte erst während des gerichtlichen Verfahrens in Auftrag gegeben und vorgelegt hat. Damit habe der Verwaltungsgerichtshof seine Entscheidung auf Umstände und Tatsachen gestützt, die erst nach dem gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO maßgeblichen Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage entstanden seien (Beschwerdebegründung S. 43).
Rz. 19
Damit ist ein Verfahrensmangel nicht schlüssig dargelegt. Ob ein Verwaltungsakt rechtwidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt und der Kläger deshalb gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verlangen kann, dass das Gericht den Verwaltungsakt aufhebt, ist keine Frage des Prozessrechts, sondern des materiellen Rechts; diesem ist auch zu entnehmen, zu welchem Zeitpunkt die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage erfüllt sein müssen (Urteile vom 31. März 2004 – BVerwG 8 C 5.03 – BVerwGE 120, 246 ≪250≫ und vom 13. Dezember 2007 – BVerwG 4 C 9.07 – BVerwGE 130, 113 ≪115, Rn. 10≫). Für die planerische Rechtfertigung eines luftverkehrsrechtlichen Vorhabens ist nicht anders als für die planerische Abwägung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Plan maßgebend (Urteil vom 13. Dezember 2007 – BVerwG 4 C 9.06 – a.a.O. S. 109 Rn. 68 m.w.N.). In diesem Zeitpunkt muss für das Vorhaben gemessen an den Zielsetzungen des Luftverkehrsgesetzes ein Bedarf bestanden haben. Dass das Gericht bei der Prüfung, ob ein solcher Bedarf im maßgebenden Zeitpunkt bestand, Beweismittel nur heranziehen darf, wenn sie bereits im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Plan vorlagen, folgt daraus nicht. Einen derartigen Grundsatz des Verfahrensrechts hat der Senat auch in seinem Beschluss vom 26. Juni 1992 – BVerwG 4 B 1 bis 11.92 – (juris) nicht aufgestellt. Dort hat der Senat für den Fall, dass eine in Betracht kommende Planungsalternative nicht geprüft wurde, dargelegt, dass es auch für die Frage, ob nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass die angegriffene Entscheidung ohne den angenommenen Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre, ebenfalls auf den Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses ankomme; das spätere Vorbringen der Planfeststellungsbehörde im Prozess könne nur insoweit beachtet werden, als es erläuternden Charakter besitze (a.a.O. Rn. 70). Auch insoweit ging es allein um die Frage des materiellen Rechts, welcher Zeitpunkt für die Prüfung der Erheblichkeit eines Abwägungsmangels maßgebend ist.
Rz. 20
Das Qualitätssicherungsgutachten diente nicht der Feststellung einer möglicherweise nach Beschlussfassung über den Plan neu entstandenen Bedarfslage, sondern allein der Überprüfung, ob Intraplan den Bedarf im Ergebnis zutreffend ermittelt hatte. Selbst wenn dies anders wäre, wäre die Berücksichtigung dieses Gutachtens nicht verfahrens-, sondern allenfalls materiellrechtlich fehlerhaft.
Rz. 21
2. Auch die in Bezug auf den gemeinschaftsrechtlichen Natur- und Artenschutz geltend gemachten Zulassungsgründe rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.
Rz. 22
2.1 Zur Vereinbarkeit der nationalen Rechtsgrundlagen für den Artenschutz mit dem Gemeinschaftsrecht (UA S. 44 f.) formuliert der Kläger zwei Grundsatzfragen. Im Zusammenhang mit der zweiten Frage rügt er zudem einen Verstoß gegen die richterliche Hinweispflicht.
Rz. 23
2.1.1 Mit der ersten Frage möchte er geklärt wissen:
Ist das strikte europarechtliche Artenschutzsystem der Art. 12 und 16 der FFH-RL dahingehend auszulegen,
– dass es für eine europarechtskonforme, der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs genügende und dem effet utile entsprechende Umsetzung dieses Schutzsystems in nationales Recht nicht ausreichend ist, wenn Art. 12 und 16 FFH-RL im nationalen Recht lediglich wortwörtlich wiederholt (Unterfrage 1 aa) oder in Bezug genommen werden (Unterfrage 1 bb)?
– dass es der Anwendbarkeit einer nationalen Norm entgegensteht,
– wenn deren Regelungsgehalt auch bei der Einschlägigkeit eines Verbotstatbestandes des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL vorsieht, dass Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen für eine Ablehnung des Eingriffs, also auch Zweifel am Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL, nicht zu Lasten des Eingreifenden gehen (Unterfrage 2)?
– wenn die Norm die Regel-Ausnahme-Systematik des Art. 12 und 16 FFH-RL in die Regelung zur Zulassung eines Eingriffs integriert (Unterfrage 3)?
– wenn die Norm vorsieht, dass bei Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL die Ausnahme durch die nationalen Behörden zuzulassen “ist” (Unterfrage 4)?
– wenn die Norm regelt, dass ein Eingriff in die Schutzgüter des Art. 12 FFH-RL zu genehmigen ist, wenn und soweit nicht eine Abweichung nach Art. 16 Abs. 1 FFH-RL zulässig ist, oder sie – anders formuliert – alle in den vorstehenden Unterfragen formulierten Probleme in sich vereint (Unterfrage 5)?
Rz. 24
2.1.1.1 Die Unterfrage 1 würde sich nur stellen, soweit es um die Bezugnahme auf Art. 12 und 16 FFH-RL geht (Unterfrage bb). Denn § 6a HENatG in der dem Urteil zugrunde liegenden Fassung vom 16. April 1996, zuletzt geändert durch Gesetz vom 6. Mai 2005 (UA S. 41), wiederholt den Wortlaut der Art. 12 und 16 FFH-RL nicht.
Rz. 25
Dass eine nationale Rechtsvorschrift, die die Genehmigung eines Eingriffs davon abhängig macht, dass Art. 12 und 16 FFH-RL nicht entgegenstehen, und insoweit auf diese Vorschriften Bezug nimmt, mit der FFH-Richtlinie vereinbar ist, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in Verfahren, in denen das BNatSchG in der vor In-Kraft-Treten des Ersten Gesetzes zur Änderung der BNatSchG vom 12. Dezember 2007 (BGBl I S. 2873, berichtigt BGBl I 2008 S. 47) geltenden Fassung anzuwenden war, wiederholt entschieden, dass Befreiungen von den artenschutzrechtlichen Verbotstatbeständen, auch soweit diese gemeinschaftsrechtlich geboten sind, auf der Grundlage von § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG a.F., der ebenfalls auf Art. 12, 16 der FFH-RL Bezug nahm, erteilt werden können (Urteile vom 16. März 2006 – BVerwG 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 ≪316 ff., Rn. 562 ff≫, vom 21. Juni 2006 – BVerwG 9 A 28.05 – BVerwGE 126, 166 ≪Rn. 40≫, vom 12. März 2008 – BVerwG 9 A 3.06 – BVerwGE 130, 299 ≪365, Rn. 215, 365 ff., Rn. 232 ff.≫ und vom 9. Juli 2008 – BVerwG 9 A 14.07 – NuR 2009, 112 ≪Rn. 112≫, dort für Befreiungen von Vorschriften der Vogelschutz-Richtlinie; Beschluss vom 13. März 2008 – BVerwG 9 VR 9.07 – Buchholz 451.91 Europäisches Umweltrecht Nr. 33 ≪Rn. 38 ff.≫). Es hat außerdem entschieden, dass Eingriffe auf der Grundlage von landesrechtlichen Vorschriften, die § 6a Abs. 1 Nr. 4 HENatG wörtlich entsprechen, zugelassen werden können (Urteil vom 17. Januar 2007 – BVerwG 9 A 20.05 – BVerwGE 128, 1 ≪Rn. 158≫ zu § 19 Abs. 2 Nr. 2 NatSchG LSA). Den europarechtlichen Bestimmtheitsanforderungen trügen diese Regelungen hinreichend Rechnung; durch die unmittelbare Bezugnahme auf die Verbots- und Ausnahmetatbestände des einschlägigen Gemeinschaftsrechts sei die vollständige Anwendung des europäischen Prüfprogramms sichergestellt (Urteile vom 21. Juni 2006 und vom 17. Januar 2007 jeweils a.a.O.). Anhaltspunkte für weitergehende gemeinschaftsrechtliche Anforderungen an die Umsetzung des artenschutzrechtlichen Schutzsystems hat das Bundesverwaltungsgericht nicht gesehen. Derartige Anhaltspunkte ergeben sich auch nicht aus den vom Kläger herangezogenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (Urteile vom 15. März 1990 – Rs. C-339/87 – Slg. 1990, I-851, vom 17. Mai 2001 – Rs. C-159/99 – Slg. 2001, I-4007, vom 20. Oktober 2005 – Rs. C-6/04 – Slg. 2005, I-9017 und vom 10. Mai 2007 – Rs. C-508/04 – Slg. 2007, I-3787). In sämtlichen genannten Entscheidungen ging es um nationale Rechtsvorschriften, die – anders als § 6a HENatG – vom Schutzregime der FFH-RL abwichen, weil sie Ausnahmen von den grundsätzlichen Verboten zuließen, obwohl nicht alle gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Voraussetzungen hierfür vorlagen (Urteile vom 15. März 1990 a.a.O. Rn. 28, vom 17. Mai 2001 a.a.O. Rn. 31, vom 20. Oktober 2005 a.a.O. Rn. 106 ff. und vom 10. Mai 2007 a.a.O. Rn. 57 ff., 126 ff.). Durch die Bezugnahme auf Art. 12 und 16 FFH-RL wird zugleich der Ausnahmecharakter des Art. 16 FFH-RL gewahrt (Beschwerdebegründung S. 73).
Rz. 26
2.1.1.2 Die Unterfrage 2 würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass nach § 6a Abs. 1 HENatG Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen für eine Ablehnung der Eingriffsgenehmigung nicht zu Lasten des Bürgers gingen, der ein mit einem Eingriff verbundenes Projekt verwirklichen wolle (UA S. 42). Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, dass die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 Buchst. c FFH-RL für eine Abweichung von den in Rede stehenden artenschutzrechtlichen Verboten vorliegen. Zweifel, die zur Anwendung einer “Beweislastregelung” hätten führen können, bestanden hiernach nicht.
Rz. 27
2.1.1.3 Mit der Unterfrage 3 zeigt der Kläger keinen über die Unterfrage 1 hinausgehenden Klärungsbedarf auf. Er wiederholt seine Auffassung, dass § 6a HENatG den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen nicht genüge und dass Art. 16 FFH-RL seinen Charakter als Ausnahmeregelung verliere (Beschwerdebegründung S. 89). Insoweit wird auf die Ausführungen unter 2.1.1.1 Bezug genommen.
Rz. 28
2.1.1.4 Die Unterfrage 4 wäre in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Denn die Planfeststellungsbehörde hat sich nicht darauf beschränkt, das Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL zu prüfen. Sie hat die Abweichung von den artenschutzrechtlichen Verboten – wie der Verwaltungsgerichtshof festgestellt hat (UA S. 47, 64) – in der Form der “Befreiung” zugelassen und in diesem Rahmen gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG a.F. auch geprüft, ob überwiegende Gründe des Gemeinwohls die Befreiung erfordern (PFB S 420 f.). Inwieweit dieses Vorgehen gemeinschaftsrechtlichen Bedenken ausgesetzt sein sollte, zeigt der Kläger nicht auf.
Rz. 29
2.1.1.5 Mit der zusammenfassenden Unterfrage 5 zeigt der Kläger einen über die Unterfragen 1 bis 4 hinausgehenden Klärungsbedarf nicht auf.
Rz. 30
2.1.2 Mit der zweiten Frage möchte der Kläger geklärt wissen,
ob das strikte europarechtliche Artenschutzsystem der Art. 12 und 16 FFH-RL dahingehend auszulegen ist, dass es einer unmittelbaren Heranziehung von Art. 16 Abs. 1 FFH-RL als Rechtsgrundlage für nationale Ausnahmezulassungen entgegensteht.
Rz. 31
Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn das Urteil beruht nicht auf der hilfsweise bejahten unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 16 Abs. 1 FFH-RL (UA S. 45), sondern auf seine Anwendung über § 6a Abs. 1 Nr. 4 HENatG (UA S. 64).
Rz. 32
2.1.3 Aus diesem Grund kann auch dahinstehen, ob der Verwaltungsgerichtshof die Beteiligten darauf hätte hinweisen müssen, dass nach seiner Rechtsauffassung eine unmittelbare Anwendung des Art. 16 FFH-RL in Betracht kommt (vgl. Beschwerdebegründung S. 97). Selbst wenn ein solcher Hinweis geboten gewesen sein sollte, würde das Urteil nicht – wie in § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vorausgesetzt – auf dem Verfahrensmangel beruhen.
Rz. 33
2.2 Den Einwand des Klägers, die Beeinträchtigungen der neun genannten Fledermausarten seien nicht vollständig erfasst worden und weitere Arten wie die Breitflügelfledermaus und das Graue Langohr würden ebenfalls erheblich beeinträchtigt, hat der Verwaltungsgerichtshof aus zwei Gründen zurückgewiesen: Der Kläger sei mit dieser Rüge nach § 61 Abs. 3 BNatSchG ausgeschlossen (UW S. 51, 53 bis 58). Darüber hinaus sei die Rüge aber auch der Sache nach nicht gerechtfertigt (UA S. 51, 58 bis 64).
Rz. 34
Ist eine Entscheidung – wie hier – auf mehrere, jeweils für sich selbständig tragfähige Gründe gestützt worden, kann eine Beschwerde nach § 132 Abs. 2 VwGO nur Erfolg haben, wenn der Zulassungsgrund bei jedem der Urteilsgründe zulässig vorgetragen und gegeben ist (Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328). Im vorliegenden Fall greift die Rüge gegen die sachliche Zurückweisung der Einwendung nicht durch. Schon aus diesem Grund kann auch die zur gemeinschaftsrechtlichen Zulässigkeit der Präklusion formulierte Frage nicht zur Zulassung der Revision führen.
Rz. 35
Der Kläger möchte rechtsgrundsätzlich geklärt wissen:
Sind die Art. 12 und 16 FFH-RL vor dem Hintergrund des effet utile dahingehend auszulegen, dass die Ermittlungen, die die zuständige nationale Stelle ihrer Ausnahmeentscheidung nach Art. 16 Abs. 1 FFH-RL zugrunde legt, auf den besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und Quellen beruhen müssen, die zum Zeitpunkt der Ausnahmeentscheidung aktuell sind?
Rz. 36
Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat weder ausdrücklich noch konkludent den Rechtssatz aufgestellt, dass nur die im Zeitpunkt der artenschutzrechtlichen Bestandsaufnahme bekannten wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigt und nur die in diesem Zeitpunkt verfügbaren wissenschaftlichen Mittel und Quellen ausgeschöpft werden müssen, neuere wissenschaftliche Erkenntnisse hingegen unberücksichtigt bleiben können. Er hat vielmehr festgestellt, dass die Gutachter bei den Netzfängen, die sie zur Bestimmung von reproduzierenden Fledermäusen und von Jungtieren vorgenommen haben, den verbesserten Erkenntnissen zu den Methoden des Netzfangs Rechnung getragen und ab 2003 Netze mit einer Länge von 80 m statt – wie bisher – mit 30 m eingesetzt hätten; die Netzfänge hätten zu dem jeweiligen Zeitpunkt dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entsprochen (UA S. 60). Das im Zeitpunkt der jeweiligen Netzfänge keine veralteten Methoden verwendet wurden, war für die Zurückweisung des Einwands des Klägers überdies nicht allein tragend. Der Verwaltungsgerichtshof hat auf der Grundlage aller durchgeführten fledermauskundlichen Untersuchungen (regelmäßig-systematische und stichprobenhafte Detektorbegehungen mit Beobachtung des morgendlichen Schwarmverhaltens zur Suche nach Wochenstubenquartieren, Netzfänge, Gebäude-, Kasten- und Baumhöhlenkontrollen sowie Befragungen ortskundiger Personen ≪UA S. 58 f.≫) ausgeschlossen, dass im Untersuchungsgebiet Wochenstuben oder Wochenstubenkolonien von Fledermausarten vorkämen. In Bezug auf die Netzfänge hat er festgestellt, dass bei allen durchgeführten Netzfängen, also auch bei denen mit einer Netzlänge von 80 m, insgesamt acht Fledermäuse gefangen wurden, und zwar sieben adulte Männchen und ein nicht säugendes Weibchen; es habe kein Hinweis auf eine Wochenstubenkolonie gefunden werden können (UA S. 60). Die Gutachter hätten das Untersuchungsgebiet zu Recht als sog. “Männchengebiet” charakterisiert; auch bei den späteren Netzfängen seien ganz überwiegend Männchen gefangen worden; lediglich bei der Zwergfledermaus habe es überhaupt durch ein säugendes Weibchen einen relativ sicheren Hinweis auf eine Wochenstubenkolonie gegeben; diese habe aber nicht im Untersuchungsbereich nachgewiesen werden können (UA S. 61 f.). Auf der Grundlage dieser tatsächlichen Feststellungen ist der Verwaltungsgerichtshof davon ausgegangen, dass die verbesserten Erkenntnisse zu den Fangmethoden hier keinen Anlass zu weiteren Netzfängen im Untersuchungsgebiet geben mussten. Dass der Kläger die vorliegenden Untersuchungen anders bewertet, verleiht der Sache keine grundsätzliche Bedeutung.
Rz. 37
2.3 In Bezug auf die Rechtfertigung einer Abweichung nach Art. 16 FFH-RL wirft der Kläger die folgenden Rechtsfragen auf:
Sind Art. 12 und 16 FFH-RL dahingehend auszulegen, dass dann, wenn sich die Populationen der betroffenen Arten nach Anhang 4 FFH-RL in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet bereits vor Zulassung einer Ausnahme nach Art. 16 Abs. 1 FFH-RL in einem ungünstigen Erhaltungszustand befinden,
– die Zulassung einer Ausnahme nur unter “außergewöhnlichen Umständen” zulässig ist (und hinreichend nachgewiesen ist, dass die Ausnahmezulassung den ungünstigen Erhaltungszustand dieser Populationen nicht verschlechtern oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes nicht behindern kann – Frage 1)?
– solche “außergewöhnlichen Umstände” nur bei der unmittelbaren Gefährdung höchster Güter, wie z.B. menschlichen Lebens und menschlicher Gesundheit, vorliegen (Frage 2)?
– solche “außergewöhnlichen Umstände” jedenfalls nicht in Umständen liegen können, die nicht Bestandteil der Planungsziele sind und auf deren Verwirklichung das Projekt an sich nicht ausgerichtet ist (Frage 3)?
Rz. 38
2.3.1 Die erste Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorliegen “außergewöhnlicher Umstände” bejaht, weil das Vorhaben konkrete positive Auswirkungen für die beeinträchtigten Arten habe (UA S. 77 f.). In Bezug auf diese Rechtsauffassung zeigt der Kläger mit den beiden folgenden Fragen einen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf nicht auf.
Rz. 39
2.3.2 Dass außergewöhnliche Umstände nicht nur – wie der Kläger mit der zweiten Frage geltend macht – bei der unmittelbaren Gefährdung höchster Güter vorliegen, ergibt sich bereits aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Juni 2007 (Rs. C-342/05 – Slg. 2007, I-4713). In dieser Entscheidung hat der Gerichtshof die Erteilung von Genehmigungen für die Jagd auf Wölfe, deren Erhaltungszustand in Finnland im maßgebenden Zeitpunkt nicht günstig war (a.a.O. Rn. 27), für möglich gehalten, obwohl eine unmittelbare Gefährdung höchster Güter, wie z. B. des menschlichen Lebens oder der menschlichen Gesundheit, nicht in Rede stand. Er hat zwar festgestellt, dass die Republik Finnland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 12 und 16 FFH-RL verstoßen hat, dass sie die Jagd auf Wölfe aus präventiven Gründen erlaubt hat, ohne dass nachgewiesen war, dass die Jagd zur Verhütung ernster Schäden im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Buchst. b) FFH-RL geeignet war. Im Übrigen hat er die Klage jedoch – anders als von der Generalanwältin beantragt (Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 30. November 2006 Rn. 58) – abgewiesen. Auch insoweit hat er zwar festgestellt, dass Entscheidungen, denen keine Beurteilung der Auswirkungen zugrunde liegt, die der mit ihnen genehmigte Abschuss der Wölfe auf die Bewahrung eines günstigen Erhaltungszustands dieser Population in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet haben kann, und die keine genaue und angemessene Begründung für die Annahme enthalten, dass es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt, gegen Art. 16 Abs. 1 FFH-RL verstoßen (Rn. 31); die Kommission hatte jedoch keinen hinreichenden Beweis für eine derartige Verwaltungspraxis erbracht (Rn. 39). Insoweit hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass sich trotz der in Ausnahmefällen genehmigten Jagd der Erhaltungszustand der Wölfe spürbar immer weiter verbessert hatte (Rn 38). Dass die finnischen Behörden überhaupt Abschussgenehmigungen erteilt hatten, obwohl der Erhaltungszustand des Wolfes ungünstig war, hat mithin nicht zu einer Verurteilung geführt. Von einer unmittelbaren Gefährdung höchster Güter, wie des menschlichen Lebens oder der Gesundheit, hat der Gerichtshof die Zulassung einer Ausnahme nicht abhängig gemacht. Auf derartige Gefahren hatte sich Finnland auch nicht berufen. Es hatte lediglich geltend gemacht, die Abschussgenehmigungen dienten der Verhütung ernster Schäden im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Buchst. b FFH-RL, also insbesondere dem Schutz von Tierhaltungen (vgl. Schlussanträge Kokott Rn. 36, 39).
Rz. 40
Ob die Generalanwältin in ihren Schlussanträgen weitergehende Anforderungen an eine Ausnahme nach Art. 16 Abs. 1 FFH-RL gestellt hat (vgl. Rn. 51 bis 55), kann dahinstehen. Denn soweit es um die Bedingung ging, dass die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen, ist der Gerichtshof den Schlussanträgen – anders als bei den übrigen Fragen – nicht gefolgt.
Rz. 41
2.3.3 Dass außergewöhnliche Umstände nicht nur – wie der Kläger mit der dritten Frage geltend macht – in den gesetzlich zulässigen Planungszielen gesehen werden können (Beschwerdebegründung S. 153), ist ebenfalls durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Juni 2007 geklärt. Der Gerichtshof hat Ausnahmen auch bei einem ungünstigen Erhaltungszustand der Populationen unter außergewöhnlichen Umständen weiterhin als zulässig angesehen, wenn hinreichend nachgewiesen ist, dass sie den ungünstigen Erhaltungszustand dieser Population nicht verschlechtern oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes nicht behindern können (a.a.O. Rn. 29). Sodann hat er darauf abgestellt, wie sich eine Ausnahme auf das in Art. 16 Abs. 1 FFH-RL genannte Ziel der Bewahrung eines günstigen Erhaltungszustandes der Population innerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets auswirkt (Rn. 29). Insoweit ist er den Erwägungen der Kommission in ihrem “Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-RL 92/93/EWG” gefolgt (Nr. 47 bis 51 des Abschnitts III). Diese geht davon aus, dass, soweit es um Arten in einem ungünstigen Erhaltungszustand geht, Auslegung und Umsetzung von Art. 16 Abs. 1 FFH-RL auf das globale Ziel des günstigen Erhaltungszustands auszurichten sind (a.a.O. Nr. 47).
Rz. 42
Ausgehend hiervon ist nicht ernsthaft zweifelhaft, dass der ungünstige Erhaltungszustand der Population einer Fledermausart einer Ausnahme nach Art. 16 Abs. 1 FFH-RL jedenfalls dann nicht entgegensteht, wenn nicht nur ausgeschlossen ist (UA S. 79 f.), dass sich der Ist-Zustand infolge der Verwirklichung des Projekts verschlechtern oder die erteilte Befreiung einer günstigen Entwicklung entgegenstehen wird, sondern wenn das Vorhaben darüber hinaus konkrete positive Auswirkungen für die Populationen der betroffenen Arten haben wird (UA S. 77, 81). Nach den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs wird der als Ausgleichsmaßnahme planfestgestellte sogenannte Prozessschutz, d.h. die Einstellung der forstlichen Nutzung von Laubwaldgesellschaften, mittel- und langfristig sehr positive Effekte auf die betroffenen Fledermausarten haben und zu einer deutlichen Verbesserung des Lebensraumpotenzials und der Habitatqualität für Fledermäuse führen (UA S. 78). In direkter Nachbarschaft zum Hegeholz würden 35,6 ha, sechs Kilometer vom Flughafen entfernt 16,6 ha aus der forstlichen Nutzung genommen. Die Ausweisung derartiger Naturwaldzellen sei eine unumstrittene und fachlich sehr wirkungsvolle Maßnahme (UA S. 78). Die Gutachter prognostizierten nachvollziehbar, dass aufgrund dieses Prozessschutzes deutlich positive Bestandsentwicklungen zu erwarten seien (UA S. 79). Das Vermeidungs-, Ausgleichs- und Kompensationskonzept enthalte Maßnahmen, die in der praktischen Umsetzung erprobt seien und deren Wirksamkeit durch Erfolgskontrollen Bestätigung erfahren habe (UA S. 80). Auch das Anbringen von Fledermauskästen in benachbarten Waldbereichen und im verbleibenden Waldgebiet werde binnen kurzer Zeit Wirksamkeit entfalten (UA S. 80). Weitere Maßnahmen, die das Offenland betreffen, würden die Nahrungsraumqualität im Umfeld des Hebeholzes kurzfristig sehr deutlich verbessern (UA S. 80 f.). Inwiefern das Vorhaben ausgehend von diesen tatsächlichen Feststellungen das Ziel gefährden sollte, einen günstigen Erhaltungszustand der betroffenen Fledermauspopulationen innerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets zu fördern und zu bewahren, ist nicht dargelegt und auch nicht ersichtlich.
Rz. 43
2.4 In Bezug auf die Alternativenprüfung im Rahmen von Art. 12 und 16 FFH-RL bezeichnen die Kläger folgende Fragen als rechtsgrundsätzlich:
Sind die Art. 12 und 16 FFH-RL dahingehend auszulegen,
– dass unter Planungsalternativen im Sinne des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL auch solche Veränderungen an dem geplanten Projekt zu verstehen sind, die die Identität des Projekts berühren, sodass sie bei objektiver Betrachtung nicht mehr als vom Antrag des Vorhabenträgers umfasst angesehen werden können (“anderes Projekt” – Frage 1a)?
– dass eine echte Planungsalternative im rechtlichen Sinne, die der Alternativenprüfung im Rahmen von Art. 16 Abs. 1 FFH-RL zu unterziehen ist, unter bestimmten Umständen auch darin liegen kann, dass von der Verwirklichung des Projekts abgesehen wird (sog. Nullvariante – Frage 1b)?
– dass bei der Frage, ob eine Alternative “zufriedenstellend” im Sinne des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL ist, die Verhältnismäßigkeitsprüfung unmittelbar an den gesetzlich zulässigen Planungszielen auszurichten ist (Frage 2a)?
– dass jedenfalls aber Aspekte, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verwirklichung der gesetzlich zulässigen Planungsziele stehen, wie z.B. die Wirtschaftsförderung und die Aufwertung einer Region, allenfalls zusätzlich neben den gesetzlich zulässigen Planungszielen Berücksichtigung bei der Frage finden können, ob im Rahmen von Art. 16 Abs. 1 FFH-RL eine Alternative als nicht “zufriedenstellend” ausgeschlossen werden kann (Frage 2b)?
Ist Art. 16 Abs. 1 FFH-RL im Zusammenhang mit dem effet utile nach dem Urteil des EuGH vom 14. Juni 2007 dahingehend auszulegen, dass jedenfalls bei einem ungünstigen Erhaltungszustand der Populationen der betroffenen Arten eine Alternative nicht schon dann als “anderes Projekt” oder als dem Vorhabenträger unzumutbar ausgeschieden darf, wenn zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Buchst. c FFH-RL vorliegen, sondern dass eine Alternative nur dann “keine anderweitige zufriedenstellende Lösung” darstellt, wenn sie den “außergewöhnlichen Umständen” nicht gerecht wird, die im jeweiligen konkreten Fall eine Ausnahme nach Art. 16 Abs. 1 FFH-RL trotz eines ungünstigen Erhaltungszustandes rechtfertigen (Frage 3)?
Rz. 44
2.4.1 Die Frage 1a bedarf, soweit sie entscheidungserheblich wäre, nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren.
Rz. 45
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits geklärt, dass der Begriff der Alternative im Sinne des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL in engem Zusammenhang mit den Planungszielen steht, die mit dem Vorhaben verfolgt werden; eine Alternativlösung setzt voraus, dass sich die zulässigerweise verfolgten Planungsziele trotz ggf. hinnehmbarer Abstriche auch mit ihr erreichen lassen (Urteil vom 12. März 2008 a.a.O. S. 352, Rn. 170 im Anschluss an das Urteil vom 17. Mai 2002 – BVerwG 4 A 28.01 – BVerwGE 116, 254 ≪261 f.≫). Ist dies nicht der Fall, handelt es sich nicht mehr um eine Alternative im rechtlichen Sinne, sondern um ein anderes Projekt (Urteil vom 13. Dezember 2007 – BVerwG 4 C 9.06 – a.a.O. S. 108, Rn. 67). Ob die einschränkende Maßgabe, dass Abstriche am Grad der Zielvollkommenheit hinzunehmen sein können, auch für die artenschutzrechtliche Alternativenprüfung außerhalb der Gebiete des Natura 2000 Netzes gilt, hat der 9. Senat in seinem Urteil vom 9. Juli 2008 – BVerwG 9 A 14.07 – NuR 2009, 112 ≪Rn. 122≫; zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen) offen gelassen; weitergehende Abstriche von den Planungszielen fordert sie jedenfalls nicht.
Rz. 46
Die Frage, ob eine Planung bereits dann ein anderes Projekt ist, wenn sie bei objektiver Betrachtung nicht mehr vom Antrag des Vorhabenträgers umfasst wäre, würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Verzicht auf das Vorhaben nicht als echte Planungsalternative angesehen, weil die Verweisung der Fluggäste auf andere Flughäfen sämtliche Ziele verfehlen würde, die – neben der Bedarfsdeckung – mit dem Ausbau des Flughafens in Bezug auf den Standort Kassel-Calden berechtigterweise angestrebt würden (UA S. 66); auf den Antrag des Vorhabenträgers hat er insoweit nicht abgestellt.
Rz. 47
Die Frage 1b wäre ebenfalls nicht entscheidungserheblich. Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht generell ausgeschlossen, dass auch der Verzicht auf ein Vorhaben, die sog. Nullvariante, eine Alternative im Rechtssinne sein könne. Maßgebend dafür, den Verzicht auf den Ausbau des Flughafens Kassel-Calden nicht als Alternative im Rechtssinne zu qualifizieren, waren – wie dargelegt – die mit dem vorliegenden Projekt verfolgten Ziele.
Rz. 48
Um diesem Einwand vorzubeugen, machen die Kläger geltend, die mit dem Flughafenausbau neben der Bedarfsdeckung verfolgten Ziele, auf die der Verwaltungsgerichtshof entscheidend abgestellt habe, seien nicht geeignet, die Nullvariante als Alternative auszuscheiden, weil derartige wirtschaftlichen Ziele nicht zu den gesetzlich zulässigen Zielen im Rahmen der Luftverkehrsplanung gehörten (Beschwerdebegründung S. 157 bis 159). Dass diese Auffassung nicht zutrifft, ist in der Rechtsprechung des Senats bereits geklärt. Nach der Rechtsprechung des Senats sind zwar für die Planrechtfertigung allein die Ziele des jeweiligen Fachplanungsgesetzes, hier also des Luftverkehrsgesetzes, maßgebend; die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur gehören nicht zu diesen Zielen (Urteil vom 26. April 2007 – BVerwG 4 C 12.05 – BVerwGE 128, 358 ≪375, Rn. 52≫). Das Luftverkehrsgesetz verbietet jedoch nicht – wie der Senat weiter entschieden hat –, mit einem Vorhaben auch über den Luftverkehr hinausgehende Interessen zu verfolgen (a.a.O.). Das Planungsinstrumentarium darf auch zur Erreichung von Zielen nutzbar gemacht werden, die über bloße Bedarfsdeckungsmaßnahmen hinausgehen (Urteil vom 17. Mai 2002 a.a.O. S. 261, dort zum FStrG). Dass derartige Planungsziele – wie auch der Verwaltungsgerichtshof erkannt hat (UA S. 15) – das Vorhaben nicht rechtfertigen können, macht ihre Verfolgung nicht unzulässig. Gemeinschaftsrechtliche Fragen stellen sich insoweit nicht. Dass im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Alternativenprüfung Abstriche am Grad der Zielvollkommenheit als typische Folge des Gebots, Alternativen zu nutzen, hinnehmbar sind, wenn das Ziel(-Bündel) als solches erreichbar bleibt, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt (Urteil vom 17. Mai 2002 a.a.O. S. 262). Inwieweit Abstriche von einem Planungsziel hinzunehmen sind, hängt maßgebend von seinem Gewicht und dem Grad seiner Erreichbarkeit im jeweiligen Einzelfall ab. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs würde die Verweisung der Fluggäste auf andere Flughäfen sämtliche Ziele verfehlen, die – neben der Bedarfsdeckung – mit dem Ausbauvorhaben verfolgt werden. In welcher Weise die genannte Rechtsprechung auf der Grundlage dieser tatsächlichen Feststellungen rechtsgrundsätzlich fortzuentwickeln sein könnte, zeigt die Beschwerde nicht auf. Dass wesentliche Planungsziele sich nur erreichen lassen, wenn das Vorhaben verwirklicht wird, der Verzicht auf das Vorhaben mithin keine Alternative im Rechtssinne ist, bedeutet im Übrigen nicht, dass das Vorhaben auch im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Buchst. c FFH-RL aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses notwendig ist.
Rz. 49
2.4.2 Mit den Fragen 2a und b möchte der Kläger geklärt wissen, unter welchen Voraussetzungen eine Alternative “zufriedenstellend” ist. Diese Fragen würden sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen; der Verwaltungsgerichtshof ist nicht davon ausgegangen, dass der Verweis der Fluggäste auf andere Flughäfen eine Alternative ist (UA S. 66). Im Übrigen geht der Kläger wiederum zu Unrecht davon aus, dass die neben der Bedarfsdeckung mit dem Ausbau des Flughafens angestrebten Ziele nicht gesetzlich zulässig seien.
Rz. 50
2.4.3 Die Frage 3 bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Ihr liegt die Auffassung zugrunde, dass “außergewöhnliche Umstände” im Sinne des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Juni 2007 nur bei unmittelbarer Gefährdung höchster Güter, wie z.B. menschlichen Lebens und menschlicher Gesundheit, vorlägen. Dass diese Auffassung nicht zutrifft, wurde bereits unter 2.4.2 dargelegt.
Rz. 51
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Rubel, Dr. Jannasch, Dr. Philipp
Fundstellen