Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 18.12.1998; Aktenzeichen 9 A 3484/94) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 1998 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 840 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die klagende Gemeinde leitete bis zum 30. September 1993 das im Ortsteil E… anfallende Abwasser ungeklärt in einen Fluß ein. Seit 1. Oktober 1993 wird das Schmutzwasser aus E… in eine neue Zentralkläranlage geleitet und dort gereinigt. Bei der Projektierung dieser Kläranlage war von Anfang an geplant, auch das Schmutzwasser aus E… dort zu behandeln. Unter Würdigung verschiedener Tatsachen ist das Oberverwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, daß die neue Kläranlage spätestens am 1. April 1993 in Betrieb gegangen ist.
Das beklagte Landesumweltamt lehnte es für das Veranlagungsjahr 1990 ab, Aufwendungen für die Errichtung der Kläranlage mit der für die Einleitung der Abwässer aus E… geschuldeten Abwasserabgabe zu verrechnen. Dagegen wendet sich die vom Oberverwaltungsgericht abgewiesene Klage der Gemeinde. Ihre Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision blieb ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Der Rechtssache kommt die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht zu.
Die Beschwerde hält folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig:
“Ist es mit § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG in der Fassung des 3. Änderungsgesetzes vom 02.11.1990 (BGBl. I 1990, 2425) vereinbar, bei Zentralkläranlagen, an die nacheinander mehrere Ortsteile einer Gebietskörperschaft angeschlossen werden, den Zeitpunkt der Inbetriebnahme ausschließlich auf den Moment zu fixieren, in dem die der Verminderung oder der Beseitigung der Schädlichkeit des Abwassers dienenden neuen oder modifizierten abwassertechnischen Behandlungsabläufe der Einrichtung durch die Beschickung mit Abwasser (unter Berücksichtigung einer notwendigen Einfahrphase) tatsächlich in Gang gesetzt werden, oder kommt bei Zentralkläranlagen die ‘Inbetriebnahme’ nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG 1991 auch zum Zeitpunkt eines späteren Anschlusses weiterer Ortsteile in Betracht, wenn auch dies bereits Gegenstand einer einheitlichen abwassertechnischen Genehmigungsplanung der Kläranlage war?”
Diese Frage läßt sich – soweit ihr fallübergreifende Bedeutung zukommt – auf der Grundlage des Abwasserabgabengesetzes und der hierzu vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten, ohne daß es hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf:
Werden Abwasserbehandlungsanlagen errichtet, deren Betrieb eine Minderung eines der der Ermittlung der Schadeinheiten zugrunde zu legenden Werte beim Einleiten in das Gewässer um mindestens 20 v.H und eine entsprechende Verringerung der Schadstofffracht erwarten läßt, so können die für die Errichtung oder Erweiterung der Anlage entstandenen Aufwendungen mit der für die in den drei Jahren vor der vorgesehenen Inbetriebnahme der Anlage insgesamt für diese Einleitung geschuldeten Abgabe verrechnet werden (§ 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG in der hier anzuwendenden Fassung des Dritten Änderungsgesetzes vom 2. November 1990 – BGBl I S. 2425 – Abwasserabgabengesetz 1991). Für die Berechnung des Dreijahreszeitraums ist dabei nicht der Zeitpunkt der ursprünglich vorgesehenen, sondern derjenige der tatsächlichen Inbetriebnahme der neuen Anlage maßgeblich (vgl. Urteil vom 17. Oktober 1997 – BVerwG 8 C 26.96 – Buchholz 401.64 § 10 AbwAG Nr. 2 S. 1). Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, daß die Inbetriebnahme einer Abwasserbehandlungsanlage im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG dann vorliegt, wenn die der Verminderung oder der Beseitigung der Schädlichkeit des Wassers dienenden Abwasserbehandlungsabläufe der neuen Einrichtung durch die Beschickung mit Abwasser tatsächlich in Gang gesetzt werden. Ist eine Anlage einmal in Betrieb genommen worden, kann sie nicht nochmals in Betrieb genommen werden. Es kann dann lediglich eine Erweiterung der Anlage in Betrieb genommen werden. Eine Erweiterung der Anlage im Sinne des § 10 Abs. 3 AbwAG liegt aber im vorliegenden Fall zweifellos nicht vor.
Wie das Oberverwaltungsgericht weiter zutreffend entschieden hat, kommt eine Verrechnung von Aufwendungen für die Errichtung einer neuen Abwasserbehandlungsanlage nur mit denjenigen Abwasserabgaben in Betracht, die für Einleitungen geschuldet werden, hinsichtlich derer sich aufgrund der Inbetriebnahme der neuen Abwasserbehandlungsanlage eine nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AbwAG beachtliche Verminderung der Schädlichkeit des eingeleiteten Abwassers ergibt. Wirkt sich die Inbetriebnahme einer neuen Abwasserbehandlungsanlage nicht auf eine bestehende Einleitung aus, kann eine Verrechnung mit der hierfür geschuldeten Abgabe nicht erfolgen. Bei einem nachträglichen Anschluß an eine bereits in Betrieb genommene und nicht erweiterte Anlage ist eine Verrechnung mit Aufwendungen für die Anlage gemäß § 10 Abs. 3 AbwAG folglich nicht möglich. Dies gilt auch dann, wenn geplant war, die Abwässer bereits mit Inbetriebnahme der neuen Abwasserbehandlungsanlage in diese überzuleiten.
Dieses Ergebnis verstößt auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Die durch § 10 Abs. 3 AbwAG geschaffene Verrechnungsmöglichkeit ist eine Ausnahme von dem in § 3 Abs. 1 Satz 1 AbwAG normierten Verursacherprinzip. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AbwAG richtet sich die Abwasserabgabe nach der Schädlichkeit des Abwassers. Obwohl eine Verringerung der Schädlichkeit des Abwassers erst mit Inbetriebnahme der Anlage oder Inbetriebnahme einer Anlagenerweiterung erfolgt, ist eine Verrechnung in den drei Jahren vor der Inbetriebnahme möglich. Das in § 10 Abs. 3 AbwAG verankerte “Bauphasenprivileg” soll nämlich finanzielle Anreize zur Schaffung oder Verbesserung von Abwasserbehandlungsanlagen geben. Zur Vermeidung der andernfalls eintretenden Doppelbelastung durch den Investitionsaufwand und die gleichzeitig zu entrichtenden Abwasserabgaben soll der Einleiter als Betreiber der künftigen Anlage schon während der auf drei Jahre geschätzten Bauzeit weniger oder keine Abwasserabgabe zahlen müssen (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1997 – BVerwG 8 C 26.96 – a.a.O. ≪3≫ und vom 22. Dezember 1998 – BVerwG 8 C 7.97 –, zur Veröffentlichung in Buchholz unter 401.64 § 10 AbwAG vorgesehen, UA S. 7). Bei § 10 Abs. 3 AbwAG handelt es sich somit um einen gesetzlichen Privilegierungstatbestand, bei dessen Ausgestaltung der Gesetzgeber – worauf das Oberverwaltungsgericht zu Recht hinweist – einen weitreichenden Gestaltungsspielraum hat. Deshalb konnte der Gesetzgeber beispielsweise Aufwendungen für den Kanalbau trotz hoher Kosten und großer Bedeutung für den Gewässerschutz gänzlich von der Verrechnungsmöglichkeit des § 10 Abs. 3 AbwAG ausnehmen. (Eine Änderung ist insoweit erst durch den mit dem Vierten Gesetz zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes vom 5. Juli 1994 – BGBl I S. 1453 – eingefügten § 10 Abs. 4 AbwAG erfolgt.) Erst recht verpflichtete der Gleichheitsgrundsatz den Gesetzgeber nicht – ohne Rücksicht auf die Praktikabilität der Gesetzesanwendung –, die ohnedies sehr differenzierten Regelungen des Abwasserabgabengesetzes im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit noch weiter zu differenzieren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 13, 14 GKG.
Unterschriften
Dr. Müller, Krauß, Postier
Fundstellen