Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 03.06.2019; Aktenzeichen 3 S 2458/18) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 3. Juni 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde hat Erfolg.
Rz. 2
1. Die Revision ist allerdings nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.
Rz. 3
Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist.
Rz. 4
Der Antragsteller hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob und unter welchen Voraussetzungen die Beeinträchtigung bzw. Verriegelung einer besonderen Aussichtslage als Folge der Umsetzung eines Bebauungsplans zu den in die Abwägung gemäß § 1 Abs. 7 BauGB einzustellenden rechtlichen Interessen i.S.d. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO zählt.
Rz. 5
Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, denn sie ist so unbestimmt formuliert, dass sie für eine Vielzahl gedachter Fallgestaltungen einer Antwort zugänglich ist. Es ist nicht Aufgabe der Revisionsinstanz, abstrakte Rechtsfragen im Stil einer Kommentierung für alle denkbaren Sachverhaltsvarianten aufzuarbeiten (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2018 - 4 BN 2.18 - ZfBR 2018, 469 Rn. 2 und vom 12. Juni 2018 - 4 BN 28.17 - BauR 2018, 1724 Rn. 13). Wann ein privater Belang so stark betroffen ist, dass er im Rahmen der Abwägung besonders beachtet werden muss, lässt sich im Übrigen nicht allgemeinverbindlich festlegen. Das gilt auch für den vom Antragsteller geltend gemachten privaten Belang der Erhaltung einer besonderen Aussichtslage. Dessen Bedeutung unterliegt zudem weitgehend der tatrichterlichen Beurteilung durch das Normenkontrollgericht (BVerwG, Beschlüsse vom 22. August 2000 - 4 BN 38.00 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 142 = juris Rn. 10 und vom 24. März 2016 - 4 BN 44.15 - juris Rn. 8).
Rz. 6
2. Die Beschwerde ist aber begründet, weil das Urteil an einem Verfahrensmangel leidet, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat die Anforderungen an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO überspannt.
Rz. 7
Erforderlich, aber auch ausreichend für die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 2004 - 4 CN 1.03 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 165 S. 137). An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind grundsätzlich auch dann keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es um das Recht auf gerechte Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) eines Eigentümers geht, dessen Grundstück außerhalb des Bebauungsplangebiets liegt (mittelbar Betroffener). Auch insoweit reicht es aus, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen (BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 - 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 ≪218 f.≫). Antragsbefugt ist hiernach, wer sich auf einen abwägungserheblichen privaten Belang berufen kann; denn wenn es einen solchen Belang gibt, besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass die Gemeinde ihn bei ihrer Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat (BVerwG, Urteil vom 30. April 2004 a.a.O. S. 137; Beschluss vom 22. August 2000 - 4 BN 38.00 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 142 = juris Rn. 7). Die Antragsbefugnis ist jedoch dann nicht gegeben, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet (BVerwG, Urteile vom 24. September 1998 a.a.O. S. 217 und vom 18. November 2002 - 9 CN 1.02 - BVerwGE 117, 209 ≪211≫). Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn das Interesse des Betroffenen geringwertig, nicht schutzwürdig, für die Gemeinde nicht erkennbar oder sonst makelbehaftet ist (BVerwG, Beschluss vom 2. März 2015 - 4 BN 30.14 - ZfBR 2015, 380 Rn. 3). Die Prüfung, ob das der Fall ist, ist allerdings nicht unter Auswertung des gesamten Prozessstoffes vorzunehmen (BVerwG, Urteil vom 24. September 1998 a.a.O. S. 218) und darf nicht in einem Umfang und in einer Intensität erfolgen, die einer Begründetheitsprüfung gleichkommt (BVerwG, Beschluss vom 8. Juni 2011 - 4 BN 42.10 - ZfBR 2011, 566 = juris Rn. 8). Das Normenkontrollgericht ist daher insbesondere nicht befugt, für die Entscheidung über die Antragsbefugnis den Sachverhalt von sich aus weiter aufzuklären. Deswegen vermag die im Laufe des Verfahrens fortschreitende Sachverhaltsaufklärung durch das Normenkontrollgericht die Antragsbefugnis eines Antragstellers nicht nachträglich in Frage zu stellen. Andererseits muss das Gericht widerstreitendes Vorbringen des Antragsgegners, auf dessen Grundlage sich die maßgeblichen Tatsachenbehauptungen in der Antragsschrift als offensichtlich unrichtig erweisen, nicht ausblenden, sondern kann auf der Grundlage des wechselseitigen Schriftverkehrs darüber befinden, ob es einen abwägungserheblichen Belang des Antragstellers geben kann (zusammenfassend: BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2013 - 4 BN 13.13 - ZfBR 2014, 159 Rn. 4; ferner Beschluss vom 14. September 2015 - 4 BN 4.15 - ZfBR 2016, 154 Rn. 10).
Rz. 8
Das Interesse des Eigentümers eines Grundstücks außerhalb des Plangebiets, von einer Lärmzunahme aufgrund des Zu- und Abfahrtsverkehrs zum Plangebiet verschont zu bleiben, kann nach den Umständen des Einzelfalls einen abwägungserheblichen Belang darstellen, wenn sich der durch die Planung ausgelöste Verkehr innerhalb eines räumlich überschaubaren Bereichs bewegt und vom übrigen Straßenverkehr unterscheidbar ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. August 1998 - 4 C 5.98 - NVwZ 1999, 523 ≪527≫; Beschlüsse vom 13. Dezember 2007 - 4 BN 41.07 - NVwZ 2008, 426 Rn. 5 und vom 12. Juni 2008 - 4 BN 8.08 - BauR 2008, 1416 Rn. 10). Der Senat hat ferner entschieden, dass eine planbedingte Zunahme des Verkehrslärms auch unterhalb der Grenzwerte zum Abwägungsmaterial gehört (BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 2007 - 4 BN 16.07 und 4 VR 1.07 - ZfBR 2007, 580 = juris Rn. 5) und damit die Antragsbefugnis eines Betroffenen begründen kann. Ist der Lärmzuwachs allerdings nur geringfügig, geht er mithin über die Bagatellgrenze nicht hinaus, oder wirkt er sich nur unwesentlich auf das Nachbargrundstück aus, so muss er nicht in die Abwägung eingestellt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1999 - 4 CN 1.98 - NVwZ 2000, 807 ≪808≫; Beschlüsse vom 11. August 2015 - 4 BN 12.15 - BRS 83 Nr. 49 = juris Rn. 6 m.w.N., vom 13. Juli 2017 - 4 BN 10.17 - BauR 2017, 1972 und vom 24. August 2017 - 4 BN 35.17 - BRS 85 Nr. 193 = juris Rn. 6). Ob vermehrte Verkehrslärmbeeinträchtigungen mehr als geringfügig zu Buche schlagen, lässt sich nicht durch reine Subsumtion ermitteln (Paetow, NVwZ 1985, 309 ≪312≫). Vielmehr bedarf es einer wertenden Betrachtung der konkreten Verhältnisse unter Berücksichtigung der jeweiligen Vorbelastung und der Schutzwürdigkeit des jeweiligen Gebiets (BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 2007 a.a.O. m.w.N.; siehe auch schon Beschluss vom 19. Februar 1992 - 4 NB 11.91 - BRS 54 Nr. 41 S. 120). Das ist in erster Linie Aufgabe des Tatrichters (BVerwG, Urteil vom 17. September 1998 - 4 CN 1.97 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 126 S. 109 f.; Beschlüsse vom 21. Dezember 2010 - 4 BN 44.10 - juris Rn. 9, vom 20. Juli 2011 - 4 BN 22.11 - BauR 2012, 76 Rn. 6 und vom 11. August 2015 a.a.O.). Im Beschluss vom 19. Februar 1992 - 4 NB 11.91 - (NJW 1992, 2844) hat der Senat zudem darauf hingewiesen, dass sich die Schwelle der Abwägungsrelevanz bei Verkehrslärmerhöhungen nicht allein durch einen Vergleich von Lärmmesswerten markieren lässt. Selbst eine Lärmzunahme, die, bezogen auf einen rechnerisch ermittelten Dauerschallpegel, für das menschliche Ohr kaum wahrnehmbar ist, kann nach dieser Entscheidung zum Abwägungsmaterial gehören (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 2007 a.a.O.).
Rz. 9
Der Antragsteller vertritt als Testamentsvollstrecker die Interessen einer Erbengemeinschaft (§ 2205 Satz 1, § 2211 Abs. 1, § 2212 BGB). Zum Nachlass gehört eine außerhalb des Plangebiets, aber in unmittelbarer Nachbarschaft zur geplanten Tiefgaragenzufahrt gelegene Eigentumswohnung.
Rz. 10
Der Antragsteller macht Lärmbeeinträchtigung durch den Zu- und Abfahrtsverkehr zur Tiefgarage geltend. Zu deren Nachweis hat er im Verfahren zwei Gutachten, u.a. des TÜV Hessen vom 16. Mai 2019 vorgelegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Antragsbefugnis gleichwohl verneint. Der Antragsteller könne sich nicht auf eine zusätzliche Lärmbelastung der Eigentumswohnung durch die Tiefgaragenzufahrt berufen, weil die Lärmbelastung so geringfügig sei, dass sie von der Antragsgegnerin nicht in die Abwägung habe eingestellt werden müssen. Nach der im Bebauungsplanverfahren durchgeführten schalltechnischen Untersuchung ergebe sich für die von der Tiefgarageneinfahrt ca. 20 m entfernte Wohnung ein Beurteilungspegel von nachts (von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) zwischen 30 und 35 dB(A) und am Tag (von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr) von weniger als 35 dB(A). So geringe Lärmimmissionen seien nicht abwägungsrelevant. Die vom Antragsteller gegen die schalltechnische Untersuchung vorgebrachten Einwendungen seien unbegründet, was sich u.a. aus den Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung ergebe. Auch die vorgelegten Gutachten zu den von der Tiefgaragenzufahrt ausgehenden Lärmimmissionen gäben keine Veranlassung zu einer Beweiserhebung, insbesondere nicht - wie beantragt - zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens. Die schalltechnische Untersuchung sei ausreichend, um dem Gericht die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermitteln. Das gelte auch für etwaige "Bemessungsunsicherheiten". Wie der Gutachter in der mündlichen Verhandlung dargelegt habe, würden diese durch die von ihm angestellte Worst-Case-Betrachtung minimiert. Die Behauptung des Antragstellers, die Zahl der Fahrbewegungen sei zu niedrig angesetzt worden, sei unbegründet und fände auch keine Entsprechung in den von ihm vorgelegten Gutachten.
Rz. 11
Hiermit überspannt der Verwaltungsgerichtshof die Anforderungen an die Darlegung der Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, weil er den entsprechenden Vortrag des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Gutachten einer abschließenden materiell-rechtlichen Prüfung unterzogen hat, die sich in Umfang und Intensität von einer Begründetheitsprüfung kaum unterscheidet (UA S. 10 bis 17). Dies widerspricht der Funktion des Normenkontrollverfahrens, weil damit die gebotene objektive Rechtskontrolle im Rahmen der Begründetheitsprüfung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 9. April 2008 - 4 CN 1.07 - BVerwGE 131, 100 Rn. 13) umgangen wird. Die Prüfung der Antragsbefugnis durch den Verwaltungsgerichtshof verfehlt im Übrigen den rechtlichen Maßstab auch insoweit, als er maßgeblich auf die Einhaltung der Grenzwerte nach der TA Lärm abstellt, aber nicht - wie es geboten gewesen wäre - prüft, ob die Lage der geplanten Tiefgaragenzufahrt zu einem mehr als geringfügigen Lärmzuwachs führen wird. Eine solche Prüfung wäre umso mehr veranlasst gewesen, als sich die bisherige Zufahrtssituation zum Plangebiet und zum Innenhof, insbesondere zur Tiefgarage des Hotels M., über R.straße und R.hof (vgl. Fichtner Water & Transportation, Erläuterungsbericht vom Juli 2016, S. 3 und 5) grundlegend ändert und folglich die Annahme im Gutachten des TÜV Hessen, in der Rh.straße 2 bis 4 entstünde durch die Ein- und Ausfahrt der Tiefgarage ein erheblicher Neuverkehr von ca. 610 Kfz/24 h (GA S. 20), nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen ist.
Rz. 12
Weil auch ein Revisionsverfahren nur zu einer Zurückverweisung an den Verwaltungsgerichtshof führen könnte, macht der Senat von seiner Befugnis nach § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen. Aus diesem Grund bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob (auch) die vom Antragsteller in Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erhobenen Divergenzrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) erfolgreich und ob die weiteren vom Antragsteller erhobenen Verfahrensrügen ausreichend dargelegt sowie begründet gewesen wären.
Rz. 13
3. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14892015 |