Entscheidungsstichwort (Thema)
Mobilfunk. Funksendeanlage. Nebenanlage. Wohngebiet. Baugebiet. Ausnahme. Befreiung. Grundzüge der Planung
Leitsatz (amtlich)
Eine Mobilfunk- Sende- und Empfangsanlage, die nicht nur dem Nutzungszweck des Baugebiets, sondern der Versorgung des gesamten Stadtgebiets sowie mehrerer Gemeinden in der Umgebung dient, ist keine Nebenanlage im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO.
§ 14 Abs. 2 BauNVO in den Fassungen von 1962, 1968 und 1977 ist nicht auf fernmeldetechnische Nebenanlagen anwendbar.
Normenkette
BauNVO § 14 Abs. 1; BauNVO (1962/1968/1977) § 14 Abs. 2; BauGB § 31 Abs. 1-2; LBO BW § 50 Abs. 2
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 16.10.1998; Aktenzeichen 8 S 1848/98) |
VG Sigmaringen (Entscheidung vom 25.03.1998; Aktenzeichen 1 K 2077/96) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 26. Oktober 1998 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 100 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Klägerin ist Betreiberin eines Mobilfunknetzes. Im Jahre 1996 begann sie, auf dem mit einem Wohnhaus bebauten Grundstück Böllatweg 4 in H. eine Funksende- und Empfangsanlage einzurichten. Hierzu wandelte sie einen Wäschetrockenraum im Keller in einen 22 qm großen Betriebsraum um und errichtete drei Stahlrohrantennenträger von 4,24 bis 4,89 m Höhe auf dem Flachdach des dreigeschossigen Gebäudes.
Das Grundstück Böllatweg 4 liegt im Geltungsbereich des 1972/73 aufgestellten und 1982 geänderten Bebauungsplans „First” der beklagten Stadt. Der Bebauungsplan sieht am Böllatweg ein reines Wohngebiet mit maximal viergeschossiger Flachdachbebauung vor. Nach einer textlichen Festsetzung sind die in § 3 Abs. 3 BauNVO aufgeführten Ausnahmen nicht zulässig. Für das gesamte Gebiet ist eine Sammelantenne vorgesehen; Einzelantennen und Freileitungen sind nicht zugelassen.
Das von der Klägerin nachträglich gestellte Baugesuch lehnte die Beklagte ab. Im Klageverfahren hat die Klägerin geltend gemacht, das Bauvorhaben sei genehmigungsfrei; jedenfalls habe sie einen Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung. Die Klage blieb im ersten und im zweiten Rechtszug erfolglos.
Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit der auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützten Beschwerde.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist zum Teil bereits unzulässig, im übrigen jedenfalls unbegründet.
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Errichtung der Mobilfunk-Basisstation sei gemäß § 50 Abs. 2 LBO BW genehmigungsbedürftig, weil es sich um eine Nutzungsänderung im Sinne dieser Vorschrift handele. Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich die Beschwerde. Sinngemäß möchte sie geklärt wissen, ob § 50 Abs. 2 LBO BW in der Auslegung durch das Berufungsgericht mit Art. 14, mit Art. 12 und mit Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar ist. Insoweit ist die Beschwerde unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Darlegung des geltend gemachten Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung genügt.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn zu erwarten ist, daß die Entscheidung im künftigen Revisionsverfahren dazu dienen kann, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. In der Beschwerdebegründung muß deshalb – als erste Voraussetzung – eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufgeworfen werden (BVerwG, Beschluß vom 2. Oktober 1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ≪91≫, ständige Rechtsprechung). Eine derartige Rechtsfrage wird mit der Frage nach der Verfassungskonformität des § 50 LBO BW nicht formuliert. Soweit es um die Auslegung des § 50 LBO BW geht, fehlt es an der Darlegung eines möglichen Zulassungsgrundes, weil diese Vorschrift zum irrevisiblen Landesrecht gehört (vgl. § 137 Abs. 1, § 173 VwGO, § 562 ZPO). Soweit die Beschwerde geltend macht, die Vorschrift sei mit bestimmten Grundrechtsnormen nicht vereinbar, wird zwar revisibles Recht berührt. Ihrer Darlegungslast würde die Beschwerde jedoch nur dann genügen, wenn sie eine rechtsgrundsätzliche Frage zur Auslegung einer dieser verfassungsrechtlichen Normen des Bundesrechts aufwerfen würde. Daran fehlt es hier jedoch; die Beschwerde macht lediglich geltend, daß das hier einschlägige Landesrecht in verfassungswidriger Weise ausgelegt und angewendet worden sei. Eine rechtsgrundsätzliche Frage des bundesrechtlichen Verfassungsrechts ist damit nicht dargelegt.
2. Auch die Frage, „ob eine Mobilfunk-Sendeanlage, bestehend aus einer Empfangsanlage auf dem Dach und einem Betriebsraum im Keller, die auf und in einem bestehenden Wohnhaus installiert wird, als Nebenanlage grundsätzlich gemäß § 14 Abs. 1 BauNVO 1968 oder ausnahmsweise gemäß § 14 Abs. 2 BauNVO 1968 in einem reinen Wohngebiet zulässig sein kann”, rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Soweit sie hier entscheidungserheblich ist, ist sie nämlich auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens ohne weiteres zu verneinen.
Nach dem (in allen Fassungen der Baunutzungsverordnung gleichlautenden) Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind nach dieser Vorschrift nur solche untergeordneten Nebenanlagen allgemein zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen. Eine der Zulässigkeitsvoraussetzungen für diese Nebenanlagen ist also ihre funktionale Zu- und Unterordnung zum Nutzungszweck einzelner Grundstücke im Baugebiet oder des gesamten Baugebiets selbst (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Dezember 1976 – BVerwG 4 C 6.75 – Buchholz 406.11 § 29 BBauG Nr. 19 – NJW 1977, 2090). Das bedeutet, daß – im Unterschied zu § 14 Abs. 2 BauNVO – nur solche Nebenanlagen gemeint sind, deren (Hilfs-)Funktion sich auf einzelne Baugrundstücke oder auf das konkrete Baugebiet beschränkt. Unter Zugrundelegung dieses allgemein anerkannten Verständnisses des § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO (vgl. etwa Stock, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 1999, § 14 Rn. 29; Fickert/Fieseler, BauNVO, 9. Aufl. 1998, § 14 Rn. 11.2; Knaup/Stange, BauNVO, 8. Aufl. 1997, § 14 Rn. 32; Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB ≪1995≫, § 14 Rn. 27; Boeddinghaus/Dieckmann, BauNVO, 3. Aufl. 1995, § 14 Rn. 20) ist nicht zweifelhaft, daß zumindest die hier streitige Mobilfunk-Sendeanlage der Klägerin keine Nebenanlage im Sinne dieser Vorschrift ist. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts dient sie nicht (nur) dem Nutzungszweck des Baugebiets, sondern der Versorgung des gesamten Stadtgebiets der Klägerin sowie mehrerer Gemeinden in der Umgebung.
Das Vorhaben der Klägerin ist auch keine Nebenanlage im Sinne von § 14 Abs. 2 BauNVO 1962/1968/1977. Ob dies – wie das Berufungsgericht meint – schon daraus folgt, daß Nebenanlagen im Sinne dieser Vorschrift nur der Versorgung der Baugebiete der betroffenen Gemeinde dienen dürfen, jedoch unzulässig sind, wenn sie überörtliche Bedeutung haben, kann hier offen bleiben. Denn Nebenanlagen für fernmeldetechnische Zwecke werden in dieser Vorschrift nicht genannt. Daß auch eine erweiternde Auslegung der Vorschrift auf fernmeldetechnische Nebenanlagen nicht möglich ist, zeigt ihre Ergänzung durch die Baunutzungsverordnung 1990. Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO 1990 ist der mit § 14 Abs. 2 BauNVO 1962/1968/1977 wörtlich übereinstimmende § 14 Abs. 2 Satz 1 BauNVO 1990 für fernmeldetechnische Nebenanlagen nicht unmittelbar anwendbar, sondern gilt für sie nur deshalb, weil dies in Satz 2 ausdrücklich angeordnet wird. Der Zweck der Ergänzung des § 14 Abs. 2 BauNVO 1962/1968/1977 bestand darin, den Anwendungsbereich dieser Vorschrift auf fernmeldetechnische Nebenanlagen zu erweitern, weil auch sie der Versorgung der Baugebiete dienen könnten, jedoch vom Begriff der Elektrizität nicht erfaßt würden (vgl. Bielenberg, a.a.O., Rn. 1 a, mit Nachweis). Danach kann die Mobilfunk-Sendeanlage der Klägerin, wenn alle übrigen Voraussetzungen gegeben sein sollten, erst seit der Änderung der Baunutzungsverordnung eine Nebenanlage im Sinne von § 14 Abs. 2 BauNVO 1990, nicht jedoch bereits eine Nebenanlage im Sinne von § 14 Abs. 2 BauNVO 1968 sein.
3. Nicht klärungsbedürftig ist die Frage, ob für eine Mobilfunk-Sendeanlage in einem reinen Wohngebiet eine Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB gewährt werden kann. Gemäß § 31 Abs. 1 BauGB können von den Festsetzungen des Bebauungsplans (nur) solche Ausnahmen zugelassen werden, die im Bebauungsplan ausdrücklich vorgesehen sind. Ausdrücklich vorgesehen sein kann auch die in § 14 Abs. 2 BauNVO normierte Ausnahme für die dort aufgeführten Nebenanlagen. Denn gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO wird grundsätzlich mit der Festsetzung eines Wohngebietes auch § 14 BauNVO Bestandteil des Bebauungsplans. Wenn § 14 Abs. 2 BauNVO auf Mobilfunk-Sendeanlagen anwendbar ist, kommt deshalb ihre Zulassung über eine Ausnahme in einem reinen Wohngebiet grundsätzlich in Betracht.
Entscheidungserheblich ist die Frage hier jedoch nicht in der allgemeinen Formulierung, die die Beschwerde gewählt hat. Für den vorliegenden Rechtsstreit, in dem es um ein Wohngebiet in einem 1972/73 aufgestellten und 1982 geänderten Bebauungsplan geht, ist die Frage vielmehr auf solche Wohngebiete einzugrenzen, die durch einen unter der Geltung der BauNVO 1962/1968/ 1977 aufgestellten Bebauungsplan festgesetzt worden sind. Für sie gilt nämlich gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO noch § 14 Abs. 2 BauNVO in seiner alten Fassung. Daraus folgt aber zugleich, daß eine Mobilfunk-Sendeanlage im hier betroffenen Plangebiet im Wege der Ausnahme nicht zugelassen werden darf, weil § 14 Abs. 2 BauNVO 1962/ 1968/1977 auf fernmeldetechnische Anlagen nicht anwendbar ist, wie bereits ausgeführt worden ist.
4. Mit ihrer Frage, welche Anforderungen § 31 Abs. 2 BauGB an die Erteilung einer Befreiung im Falle der Errichtung einer Mobilfunk-Sendeanlage stellt, macht die Beschwerde sinngemäß geltend, das Berufungsgericht habe verkannt, daß Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB erforderten. Eine rechtsgrundsätzliche Frage dürfte hiermit nicht formuliert sein. Jedenfalls sind die Ausführungen der Beschwerde zu § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB nicht entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat zwar bezweifelt, daß die Klägerin gerade auf das von ihr für ihr Vorhaben gewählte Grundstück angewiesen sei. Nach seiner Rechtsauffassung könnte die Befreiung hier aber auch dann nicht erteilt werden, wenn unterstellt wird, daß Gründe des Allgemeinwohls eine Befreiung erfordern. Entscheidungstragend hat das Berufungsgericht nämlich darauf abgestellt, daß die Grundzüge der Planung berührt würden; zu den Grundzügen der Planung gehöre hier nämlich die Entscheidung des Satzungsgebers, durch den Ausschluß von Läden, Handwerks- und Beherbergungsbetrieben sowie insbesondere von Antennen und Freileitungen derartige gewerbliche Anlagen soweit wie irgend möglich von dem festgesetzten Wohngebiet fernzuhalten. Rechtsgrundsätzliche Fragen hierzu wirft die Beschwerde nicht auf. Sie stellen sich auch nicht. Nach Wortlaut und Sinn des § 31 Abs. 2 BauGB gilt für alle drei Fallgruppen der Vorschrift, daß eine Befreiung nicht schon erteilt werden kann, wenn die jeweiligen speziellen Voraussetzungen einer der Nrn. 1 bis 3 vorliegen, sondern daß zusätzlich die Grundzüge der Planung nicht berührt werden dürfen (und zudem die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist).
5. Als Verfahrensfehler macht die Beschwerde geltend, das Berufungsgericht habe zu Unrecht ohne weitere Nachprüfung angenommen, daß für die Mobilfunk-Sendeanlage auch andere Standorte in Betracht kämen. Diese Aufklärungsrüge greift nicht durch. Einen Verfahrensfehler nach § 86 VwGO begeht ein Gericht nur dann, wenn es die Aufklärung einer entscheidungserheblichen Beweistatsache unterläßt. Beurteilungsmaßstab ist hierfür ausschließlich die Rechtsauffassung, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt. Sieht das Tatsachengericht davon ab, bestimmte Ermittlungen anzustellen, weil aus seiner materiellrechtlichen Sicht hierfür keine Veranlassung besteht, so begeht es allenfalls einen materiellen Fehler, jedoch niemals einen Verfahrensfehler. So ist es auch hier. Selbst wenn es aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen keinen Alternativstandort geben sollte, wie die Beschwerde geltend macht, wäre nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts eine Zulassung der Anlage im Wege der Befreiung ausgeschlossen, weil die Grundzüge der Planung berührt würden. Für eine Ermessensentscheidung gibt § 31 Abs. 2 BauGB erst dann Raum, wenn alle tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift vorliegen.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Den Wert des Streitgegenstandes setzt der Senat gemäß § 14 Abs. 1 und 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG fest.
Unterschriften
Gaentzsch, Lemmel, Rojahn
Fundstellen
BauR 2000, 703 |
NVwZ 2000, 680 |
DÖV 2000, 474 |
NuR 2000, 383 |
VBlBW 2000, 146 |
ZfBR 2000, 276 |
BRS 2000, 393 |
DVBl. 2000, 830 |
GV/RP 2000 |
UPR 2000, 225 |
FSt 2000, 732 |
FuBW 2000, 616 |
FuHe 2000, 619 |
www.judicialis.de 1999 |