Verfahrensgang

OVG für das Land NRW (Aktenzeichen 2 A 6054/96)

 

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. Dezember 1998 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 32 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Keiner der vorgetragenen Gründe kann zur Zulassung der Revision führen.

1. Der Rechtssache kommt die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht zu.

Die Kläger halten § 100 Abs. 1 BVFG für höchstrichterlich auslegungsbedürftig, „wobei darüber entschieden werden (müsse), wann, für welchen Personenkreis und bis wann altes Recht auf den Personenkreis des § 1 bis 3 BVFG anzuwenden ist” (S. 2 unten der Beschwerdeschrift); „darüber hinaus (sei) zu klären, ob dieser Personenkreis … sich auch dann auf § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG berufen kann, wenn er das Herkunftsgebiet (Vertreibungsgebiet) vor dem 01.01.1993 noch nicht verlassen hatte, seinen Wohnsitz innerhalb des Deutschen Reiches aber als deutscher Volkszugehöriger oder Abkömmling eines deutschen Volkszugehörigen bereits vor dem 01.01.1993 durch Vertreibung oder Flucht verloren hatte bzw. in dem Gewahrsamsland geboren wurde und ihm die Rückkehr in die BR Deutschland unter Zwang verwehrt worden ist” (S. 2 f. der Beschwerdeschrift). Die Beschwerde läßt es bereits an einer Darlegung fehlen, in welcher Hinsicht es auf diese Fragen in einem Revisionsverfahren der Kläger ankommen soll; derartiges hätte indessen nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO zu einer ordnungsgemäßen Darlegung eines Zulassungsgrundes im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gehört. Abgesehen davon kommt eine Revisionszulassung unter dem Gesichtspunkt grundsätzlicher Bedeutung auch deswegen nicht in Frage, weil die aufgeworfenen Fragen, soweit sie im Falle der Kläger überhaupt rechtserheblich sein können und nicht ohnehin nur die rechtliche Subsumtion im Einzelfall betreffen, sich ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lassen:

§ 100 Abs. 1 BVFG ordnet die Anwendung alten Rechts nach Maßgabe der Absätze 2 bis 8 auf „Personen im Sinne der §§ 1 bis 3” an. Ob die Kläger unter diesen Personenkreis fallen oder nicht, ist keine Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung, sondern betrifft die Rechtsanwendung im Einzelfall.

Auch zur Klärung der Frage, ob die Kläger, die das Herkunftsgebiet noch nicht verlassen haben, sich auf „§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG berufen” können, weil ihnen die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland („Rückkehr”) vor dem Stichtag des 1. Januar 1993 „unter Zwang verwehrt worden” ist (S. 3 oben der Beschwerdeschrift), braucht kein Revisionsverfahren durchgeführt zu werden; denn dem Gesetz ist kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß der hinter dieser Fragestellung stehende Rechtsstandpunkt der Kläger seine Berechtigung haben könnte. Die Kläger erfüllen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG überdies ungeachtet des Stichtagserfordernisses auch in weiterer Hinsicht nicht; denn sie haben ihr Herkunftsgebiet nicht „im Wege des Aufnahmeverfahrens” verlassen und sind, ausgehend von den in tatsächlicher Hinsicht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO), auch weder deutsche Staatsangehörige noch deutsche Volkszugehörige.

Als Abkömmlinge einer deutschen Staatsangehörigen (der Mutter der Klägerin zu 1) fallen die Kläger zu 1, 3 und 4 auch nicht unter den Personenkreis des § 1 Abs. 3 BVFG; denn diese Vorschrift betrifft nur den Ehegatten eines Vertriebenen. Soweit die Kläger geltend machen, den Vertriebenenstatus gemäß § 7 BVFG a.F. als Abkömmlinge der Mutter der Klägerin zu 1 erlangt zu haben, bedarf der vom Berufungsgericht (S. 17 f. des Berufungsurteils) eingenommene Rechtsstandpunkt schon deshalb keiner revisionsgerichtlichen Überprüfung, weil seine Richtigkeit auf der Hand liegt. Das Aufnahmeverfahren nach den §§ 26 ff. BVFG ist nur (noch) für Personen vorgesehen, die die Aussiedlungsgebiete als Spätaussiedler im Sinne des § 4 Abs. 1 BVFG verlassen wollen, um im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren ständigen Aufenthalt zu nehmen. Für eine analoge Anwendung dieser Regelung auf Abkömmlinge eines Vertriebenen fehlt es an einer Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes. Dies hat das Oberverwaltungsgericht unter Hinweis auf die Materialien des Aussiedleraufnahmegesetzes und des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes offensichtlich zutreffend ausgeführt: Die vom Gesetz gewollte Beschränkung des für das Aufnahmeverfahren in Betracht kommenden Personenkreises, aber auch die Regelung des § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG über die Einbeziehung des Ehegatten und von Abkömmlingen von Personen im Sinne des Satzes 1 (d.h. von Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten, die nach Verlassen dieser Gebiete die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen), darf nicht durchbrochen werden, indem die Regelung im Wege einer Analogie auf weitere Personenkreise erstreckt wird, mögen diese auch als Kinder von Vertriebenen zu dem nach altem Recht vom Gesetz begünstigten Personenkreis gezählt haben (s. auch Beschluß des Senats vom 12. April 1999 – BVerwG 5 B 19.99 –).

Auch unter dem von der Beschwerde immer wieder ins Feld geführten Gesichtspunkt der Vermeidung gleichheitswidriger Ergebnisse (Art. 3 Abs. 1 GG) läßt sich derartiges schon deshalb nicht begründen, weil es im Rahmen der Ausgestaltung sozialer Leistungsgesetze – darunter fällt auch das Vertriebenen- und Flüchtlingsrecht – weitgehend im Ermessen des Gesetzgebers steht, welchen Personenkreis er erfassen und nach einer gesetzlichen Neuregelung auch weiterhin begünstigen will.

Die Frage, „wie Vertriebene im Sinne des § 1 bis 3 BVFG, für die gem. § 100 Abs. 1 BVFG a.R. weitergilt, ihren … Aufnahmeanspruch geltend machen können bzw. ob dieser Personenkreis einen Aufnahmeanspruch hat” (S. 5 unten der Beschwerdeschrift), ist allein schon deshalb nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil diese Frage sich aus den vorstehenden Gründen in einem Revisionsverfahren der Kläger nicht stellen würde, in dem allein darüber zu entscheiden wäre, ob den Klägern gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides bzw. auf Einbeziehung in einen solchen zusteht. Es bedarf auch nicht erst der Klärung in einem Revisionsverfahren, daß es neben dem Aufnahmeverfahren nach §§ 26 ff. BVFG, in welchem die Kläger nach den zutreffenden Feststellungen der Vorinstanz keinen Erfolg haben können, kein weiteres, speziell für die Kläger in Betracht kommendes und vom Bundesverwaltungsamt durchzuführendes Verfahren mit dem Ziel der „Aufnahme” als Vertriebene bzw. Umsiedler nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG gibt (s. auch Beschluß des Senats vom 14. September 1999 – BVerwG 5 B 57.99 –).

Die Ansicht der Beschwerde, es sei „mit dem Willen des Gesetzgebers”, wie er aus der Weitergeltung des alten Rechts hervorgeht, „nicht zu vereinbaren, (daß) eine Aufnahme nur noch für die zukünftige(n) Spätaussiedler zulässig sein soll”, während „Personen, die den Vertriebenenstatus qua Geburt erworben haben (und) den Aufnahmeantrag vor Inkrafttreten des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes geltend gemacht haben, (über den) die Behörde … offensichtlich fehlerhaft entschieden hat …, … von einer Aufnahme ausgeschlossen werden sollen” (S. 6 oben der Beschwerdeschrift), erweist sich ebenfalls als unzutreffend, ohne daß hierzu erst ein Revisionsverfahren durchgeführt werden müßte. Dem Rechtsstandpunkt der Beschwerde liegt die offensichtliche Fehlvorstellung zugrunde, der Gesetzgeber müsse bei der Schaffung einer Übergangsregelung zwingend (auch) diejenigen Personen berücksichtigen, die bei einem von ihnen für rechtlich gebotenen Verhalten der Behörden bereits unter der Geltung des alten Rechts die von ihnen angestrebte Rechtsposition erlangt hätten.

Soweit die Beschwerde geltend macht, vor dem Stichtag des 1. Januar 1993 seien Personen in der Verwaltungspraxis „eindeutig bevorzugt worden”, die „sich illegal in die BR Deutschland begeben” haben (S. 8 der Beschwerdeschrift), ist schon deshalb kein Anspruch der Kläger auf Gleichbehandlung dargetan, weil – wie die Beschwerde selbst vorträgt (a.a.O., S. 8 unten) – „die Regelung des § 27 Abs. 1 BVFG dies … völlig anders (regelt)” und eine dem Gesetz widerstreitende Gleichbehandlung nicht verlangt werden kann.

Ein revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf ist auch nicht mit der von der Beschwerde aufgeworfenen „Grundsatzfrage” verbunden, „ob Abkömmlinge eines Aussiedlers, der mit einem Aufnahmebescheid ausgesiedelt ist und gleichzeitig auch Vertriebener und deutscher Staatsangehöriger ist, nur dann durch Eintragung in den Aufnahmebescheid oder Registrierschein … Aufnahme finden kann, wenn er gemeinsam mit dem Aussiedler das Herkunftsgebiet verläßt oder sich auf einen ‚Härtefall’ berufen kann” (S. 8 der Beschwerdeschrift). In letzterer Hinsicht würde sich diese Frage in einem Revisionsverfahren schon deshalb nicht stellen, weil weder die Beschwerde „Härtegründe” geltend macht noch insbesondere solche Umstände von der Vorinstanz festgestellt worden sind. Die weiteren von der Beschwerde in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen, daß „die Bezugsperson (Elternteil, Großelternteil) nach (ihrem) alleinigen Gutdünken darüber entscheidet, wer in (ihren) Aufnahmebescheid einbezogen wird oder nicht, und die Einbeziehung durch willkürliches Verlassen des Herkunftsgebietes vereiteln” könne (S. 9 oben der Beschwerdeschrift), „die Einbeziehungsmöglichkeit wäre allein in die Entscheidungskompetenz der Person, die Inhaberin eines Aufnahmebescheides geworden ist, gestellt” (S. 9 unten der Beschwerdeschrift), „hoheitliche Aufgaben (könnten aber) nicht auf eine Privatperson übertragen werden” (S. 10 oben der Beschwerdeschrift), sind von zu geringem rechtlichen Gewicht, um den persönlichen Geltungsbereich des Aufnahmeverfahrens mit der Folge eines revisionsgerichtlichen Klärungsbedarfs in Frage zu stellen. Die Beschwerde geht völlig über die gesetzliche Aufgabe des Aufnahmeverfahrens hinweg, den Zuzug von Spätaussiedlern schon zu regeln, bevor die hierfür in Betracht kommenden Personen die Aussiedlungsgebiete verlassen, und hierbei zugleich individuell klarzustellen, wer im Wege dieses Verfahrens in das Bundesgebiet aufgenommen werden soll.

Ohne über die vorstehenden Erörterungen hinausgehenden rechtlichen Gehalt ist sodann auch die auf „§ 9 und § 10 BVFG a.F. sowie … Art. 116 Abs. 1 GG” gestützte Ansicht der Beschwerde, die Beklagte müsse „auch weiterhin durch Eintragung oder Einbeziehung in den Aufnahmebescheid die Aufnahme des Abkömmlings zulassen” und dürfe nicht „einem Teil dieses Personenkreises … diese Aufnahme … verweigern, ohne gegen das Gleichheitsgebot und die Selbstbindung der Verwaltung zu verstoßen” (S. 10 der Beschwerdeschrift).

Auch der Hinweis der Beschwerde auf § 27 Abs. 2 BVFG (Beschwerdeschrift, a.a.O.) läßt dies nicht als revisionsgerichtlich klärungsbedürftig erscheinen; denn diese Vorschrift gilt nur für Personen, die – abgesehen von dem Erfordernis, die Aussiedlungsgebiete im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen zu haben – die „sonstigen Voraussetzungen” nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG erfüllen, nämlich hier die Eigenschaft als (Abkömmling eines) „Spätaussiedlers”. Die Mutter der Klägerin zu 1, die das Aussiedlungsgebiet bereits 1992 unter der Geltung des vor dem 1. Januar 1993 geltenden Rechts verlassen hat, ist jedoch keine Spätaussiedlerin.

2. Die Revision kann auch nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zugelassen werden.

Die von der Beschwerde behauptete Abweichung von dem der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entnommenen Rechtssatz, daß „für Aussiedler im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG … die vor dem 01.01.1993 geltenden Vorschriften nach der Übergangsvorschrift des § 100 BVFG mit bestimmten Maßgaben weiterhin Anwendung” finden (S. 4 unten der Beschwerdeschrift), liegt nicht vor. Die Beschwerde hat keinen Rechtssatz bezeichnet, der dem Berufungsurteil entscheidungstragend zugrunde liegt, aber zu dem genannten Rechtssatz in Widerspruch steht. Die Beschwerde hebt darauf ab, daß das Oberverwaltungsgericht entschieden hat, daß „nach der hier für die Anwendung des bisherigen Rechts gemäß § 100 Abs. 1 BVFG allein in Betracht zu ziehenden Vorschrift des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG … Aussiedler nur (noch) sein (kann), wer das Aussiedlungsgebiet vor dem 1. Januar 1993 endgültig verlassen hat” (S. 11 Mitte des Berufungsurteils). Die Richtigkeit dieses Gesetzesverständnisses folgt aber unmittelbar aus dem Gesetz, das in § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG die Aussiedlereigenschaft ausdrücklich mit der Erfüllung der Stichtagsvoraussetzung 1. Januar 1993 verknüpft; ein Widerspruch zu dem zuvor genannten Rechtssatz aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nicht erkennbar. Daß das Berufungsgericht – wie die Beschwerde meint – „fälschlicherweise davon ausgegangen (ist), daß die Kläger auch keine Aussiedler sind, obwohl feststand, daß sie ihren Wohnsitz vor dem 01.01.1993 verloren hatten und durch die Zurückverschleppung aufgrund der Kriegseinwirkungen die Voraussetzungen des § 4 BVFG erfüllen” (S. 5 oben der Beschwerdeschrift), deutet nicht auf eine Divergenz hin, sondern betrifft eine Frage nach der richtigen Anwendung des Gesetzes, hier nach den neben dem Stichtagserfordernis geltenden gesetzlichen Voraussetzungen der Aussiedlereigenschaft. Im übrigen sind die Kläger zu 1, 3 und 4 in den Jahren 1960 bzw. 1982 und 1986 in der früheren Sowjetunion geboren worden und dort immer noch wohnhaft.

Von einer weiteren Begründung der Beschwerdezurückweisung wird nach § 133 Abs. 5 Satz 2, zweiter Halbsatz VwGO abgesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes auf § 13 Abs. 1, § 14 Abs. 1 und 3 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Säcker, Dr. Bender, Dr. Rothkegel

 

Fundstellen

Dokument-Index HI566329

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