Verfahrensgang
VG Greifswald (Urteil vom 11.09.1997; Aktenzeichen 1 (2) A 1766/95) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 11. September 1997 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 380 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die Kläger beanspruchen als Miterben einer ungeteilten Erbengemeinschaft die Rückübertragung eines Grundstücks nach den Vorschriften des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen – VermG –. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage abgewiesen. Es hat den geltend gemachten Schädigungstatbestand der unlauteren Machenschaft nach § 1 Abs. 3 VermG verneint, weil die Nichtbeteiligung der in der DDR lebenden Miterben an dem seinerzeitigen Enteignungsverfahren nicht als Ausdruck der Absicht bewertet werden könne, den Eigentumszugriff überhaupt erst zu ermöglichen.
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet.
Soweit sie sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO berufen, genügt ihr Rechtsbehelf allerdings nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO; denn sie begnügen sich mit Einwänden gegen die tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen der Vorinstanz, ohne eine konkrete klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage zu benennen, wie es für die Darlegung dieses Revisionszulassungsgrundes erforderlich ist.
Berechtigt ist demgegenüber ihre Rüge, das angegriffene Urteil beruhe i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf einem Mangel gerichtlicher Sachaufklärung. In diesem Zusammenhang beanstanden sie sinngemäß, daß das Gericht ihren unter Beweis gestellten Vortrag nicht nachgegangen sei, wonach den in der DDR lebenden Erben die Enteignung gezielt verheimlicht worden sei, um ihnen den Rechtsschutz abzuschneiden und den Beigeladenen das Grundstück zu verschaffen. Obwohl die Kläger die Vernehmung der Zeugen W. und N. ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 11. September 1997 nur zum Beweis der Tatsache benannt haben, daß ihnen die Erben bekannt gewesen seien, was das Gericht als wahr unterstellt hat, liegt eine Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO vor. Das Verwaltungsgericht durfte sich nicht mit der Annahme begnügen, daß der Zugriff auf das Grundstück materiell durch das DDR-Recht gedeckt gewesen sei (vgl. Urteil vom 29. Februar 1996 – BVerwG 7 C 49.94 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 67). Nach dem durch den Akteninhalt bestätigten Klagevorbringen bestanden nämlich hinreichende Anhaltspunkte für die Behauptung der Kläger, daß der Rat des Kreises mit der Mißachtung der Vorschriften über das Enteignungsverfahren die Absicht verfolgte, die vorgenommene Enteignung überhaupt erst zu ermöglichen; danach hat der Rat des Kreises einerseits bei der Enteignung des Grundstücks vermerkt, daß mit dem – bereits im Jahre 1924 verstorbenen – Eigentümer Ludwig M. keine Verhandlungen geführt werden könnten, weil dessen Aufenthalt nicht bekannt sei, andererseits aber bei zuvor geführten Verhandlungen mit Vertretern der Erbengemeinschaft nach Ludwig M. deren Recht an dem Grundstück nicht in Zweifel gezogen. Unter diesen Umständen mußte es sich dem Verwaltungsgericht auch ohne einen dahin gehenden Beweisantrag der Kläger aufdrängen, Ermittlungen darüber anzustellen, welches der Grund der unterlassenen Verfahrensbeteiligung war. Nur auf der Grundlage des Ergebnisses solcher Ermittlungen hätte es Feststellungen dazu treffen dürfen, ob der Verfahrensverstoß auf einen unlauteren Erwerb des Grundstücks i.S.d. § 1 Abs. 3 VermG zielte. Aus demselben Grunde durfte das Verwaltungsgericht solche Nachforschungen nicht deshalb für entbehrlich halten, weil „allein die Verletzung von Bekanntgabevorschriften nicht zur Verwirklichung des Tatbestandes des § 1 Abs. 3 VermG” führe, sondern die Enteignungsbehörde damit die Absicht verfolgen müsse, die vorgenommene Enteignung überhaupt erst zu ermöglichen. Im Hinblick auf das Vorbringen der Kläger lag hier die Annahme einer solchen Absicht derart nahe, daß sie ohne weitere Aufklärung des Sachverhalts nicht verneint werden konnte. Möglicherweise hat das Verwaltungsgericht diese Aufklärung im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für entbehrlich gehalten, nach der allein in der Nichtbeteiligung von Grundstückseigentümern mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland am Enteignungsverfahren in der Regel keine unlautere Machenschaft im genannten Sinne liegt (Beschluß vom 11. November 1996 – BVerwG 7 B 274.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 94; Urteil vom 20. März 1997 – BVerwG 7 C 23.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 108). Dieser vom beschließenden Senat aufgestellte Erfahrungssatz knüpft ausdrücklich daran an, daß Westbürger nach der damaligen Behördenpraxis wegen ihres Wohnsitzes generell von der Beteiligung an Enteignungsverfahren ausgeschlossen waren und deshalb nicht ohne weiteres angenommen werden kann, daß diese allgemeine Diskriminierung die Überwindung eines konkret erwarteten Widerstandes und damit die Verwirklichung des Eigentumszugriffs im Einzelfall bezweckte. Da es für eine solche an den Wohnsitz anknüpfende Behördenpraxis gegenüber DDR-Bürgern keine Veranlassung gab, deutet deren Nichtbeteiligung an einem Enteignungsverfahren jedenfalls dann ohne weiteres auf die Möglichkeit einer unlauteren Machenschaft hin, wenn wie hier – den Behörden die Eigentümer bekannt waren und sie mit diesen in Kontakt standen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Franßen, Kley, Herbert
Fundstellen