Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 18.06.2013; Aktenzeichen 11 LC 206/12) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. Juni 2013 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 500 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beteiligten streiten über eine tierschutzrechtliche Anordnung, mit der der Klägerin untersagt wurde, Pferde auf mit Stacheldraht eingezäunten Weiden zu halten, wenn der Stacheldraht nicht in einem Abstand von mindestens 50 cm durch eine gut sichtbare, weniger verletzungsträchtige Absperrung nach innen abgesichert ist. Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage hat die Klägerin insbesondere geltend gemacht, dass von den auf ihren Weiden vorhandenen Stacheldrahtzäunen wegen deren Gestaltung, der Größe und Lage der Weiden sowie wegen der Rasse und Ausbildung ihrer Pferde keine tierschutzwidrige Verletzungsgefahr ausgehe. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts hat keinen Erfolg. Das Urteil leidet weder an dem geltend gemachten Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO noch ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in der erforderlichen Weise (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) dargetan.
1. Die Klägerin meint, mit der Ablehnung der von ihr in der mündlichen Verhandlung beantragten Einholung eines Sachverständigengutachtens habe das Oberverwaltungsgericht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG). Ein solcher Gehörsverstoß, der einfachrechtlich allerdings weniger § 108 Abs. 2 VwGO als die Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 und 2 VwGO betrifft, liegt nur vor, wenn die Ablehnung des Beweisantrags – auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Sicht des Tatsachengerichts – im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, Beschlüsse vom 22. Januar 2001 – 1 BvR 2075/98 – NJW-RR 2001, 1006 ≪1007≫ und vom 30. Januar 1985 – 1 BvR 393/84 – BVerfGE 69, 141 ≪144≫ m.w.N.). Das ist jedoch nicht der Fall.
Hat das Tatsachengericht die erforderliche Sachkunde, um den streitigen Sachverhalt beurteilen zu können, so kann es im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) die Einholung eines Sachverständigengutachtens ablehnen (Rechtsgedanke des § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO). Entsprechend ist es auch nicht ohne Weiteres verpflichtet, zusätzlich ein Sachverständigengutachten einzuholen, wenn zu einer beweiserheblichen Tatsachenfrage von den Beteiligten bereits Gutachten in das Verfahren eingebracht worden sind. Wird ein hierauf gerichteter Beweisantrag gestellt, so ist über diesen nach pflichtgemäßem Ermessen unter Auswertung der vorliegenden Gutachten zu entscheiden (§ 98 VwGO, § 412 ZPO entsprechend). Ein Verfahrensmangel liegt nur dann vor, wenn sich die Einholung eines zusätzlichen Gutachtens wegen fehlender Eignung der bereits gegebenen Erkenntnis- und Beurteilungsgrundlagen hätte aufdrängen müssen, etwa weil sie grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweisen, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit der Erkenntnisquelle bestehen, so dass sie nicht geeignet sind, dem Gericht die für die Entscheidung notwendige Sachkunde zu vermitteln (stRspr, vgl. etwa Urteil vom 6. Oktober 1987 – BVerwG 9 C 12.87 – Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 S. 2, Beschlüsse vom 4. Oktober 2001 – BVerwG 6 B 39.01 – Buchholz 448.0 § 23 WPflG Nr. 11 S. 2 f. und vom 29. Mai 2009 – BVerwG 2 B 3.09 – Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 5 Rn. 7).
a) Das Oberverwaltungsgericht hat den Beweisantrag in erster Linie mit der Begründung abgelehnt, dass es aufgrund der vorliegenden Sachverständigenäußerungen hinreichend sachkundig sei und verweist hierfür zunächst auf die vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz herausgegebenen „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten” (Stand Juni 2009 – im Folgenden: Leitlinien) sowie die im März 1999 herausgegebenen „Empfehlungen zur Freilandhaltung von Pferden” des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (im Folgenden: Empfehlungen).
Dem hält die Klägerin entgegen, die Leitlinien und Empfehlungen seien zu Unrecht als sachverständige Äußerung gewertet worden, denn sie erhöben nicht den Anspruch festzulegen, welche Umzäunung tierschutzrechtlich zulässig sei. Damit verkennt sie jedoch, dass der Sachverstand Dritter, der in den Leitlinien und Empfehlungen verkörpert ist, lediglich dazu dient, dem Gericht die tatsächliche Sachkunde zu vermitteln, auf deren Grundlage es die ihm zustehende rechtliche Würdigung vornimmt. Entsprechend ist es ohne Bedeutung, dass sich die Leitlinien – zutreffend – keine rechtliche Verbindlichkeit beimessen und lediglich Hilfestellung bei der Rechtsanwendung sein wollen (vgl. Urteil vom 17. Februar 1978 – BVerwG 1 C 102.76 – BVerwGE 55, 250 ≪256≫).
Zur Vermittlung von Sachkunde sind die Leitlinien und Empfehlungen offenkundig geeignet. Die Leitlinien sind das Werk einer achtköpfigen Personengruppe, in der wissenschaftlich und praktisch mit Fragen des Tierschutzes und der Haltung von Pferden befasste Sachverständige vertreten waren. Auf der Grundlage ihrer Ausführungen zur Entwicklungsgeschichte und Ethologie des Pferdes sowie der arttypischen Verhaltensweise und der Besonderheiten des Gesichtsfeldes der Pferde folgern die Leitlinien im Interesse einer größtmöglichen Sicherheit für Tier und Mensch allgemein die Notwendigkeit einer gut sichtbaren Einzäunung und bewerten die alleinige Einzäunung mit Stacheldraht oder Knotengitter als tierschutzwidrig. Die Empfehlungen, die ihrerseits von Pferdehaltern, Wissenschaftlern und Verbands- sowie Behördenvertretern unter Federführung des Tierschutzdienstes Niedersachsens erarbeitet worden sind, enthalten auf der Grundlage, dass eine Einzäunung keine erhöhte Verletzungsgefahr darstellen dürfe und gut sichtbar sein müsse, die Aussage, dass die alleinige Einzäunung mit Glattdraht, Stacheldraht und Knotengitterzäunen äußerst verletzungsträchtig sei; sie könne nur toleriert werden, wenn ein gut sichtbarer Innenzaun vor direktem Kontakt schütze.
Diese allgemeinen Aussagen sind aus sich heraus plausibel. Dass es erforderlich gewesen wäre, sich mit der Gewährleistung der Verkehrssicherungspflicht auseinanderzusetzen, drängt sich nicht auf. Es ist weder näher dargelegt noch sonst ersichtlich, dass außer Stacheldraht nicht auch andere verkehrssichere Arten der Einzäunung zur Verfügung stünden, zumal nur die nicht zusätzlich abgesicherte Einzäunung mit Stacheldraht als tierschutzwidrig betrachtet wird. Die Aussagen der Leitlinien und Empfehlungen, die auch keiner rechtlichen Grundlage bedürfen, um sie als sachverständige Äußerungen würdigen zu können, werden zudem durch eine Reihe weiterer, von dem Beklagten vorgelegter Äußerungen sachkundiger Stellen bestätigt, auf die das Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil zusätzlich Bezug nimmt. Folglich ist nicht zu beanstanden, dass sich das Oberverwaltungsgericht ebenso wie die Amtstierärztin auf diese Erkenntnisquellen gestützt und daraus eigene Sachkunde abgeleitet hat.
b) Darüber hinaus hat sich das Oberverwaltungsgericht in seinem ablehnenden Beweisbeschluss auf die Stellungnahme der Amtstierärztin berufen; auf der Grundlage der in verschiedenen Vermerken enthaltenen Äußerungen und der Aussage der Amtstierärztin vor dem Verwaltungsgericht hat es sich in seinem Urteil mit den konkreten Einwendungen der Klägerin auseinandergesetzt und auch mit Blick auf die geltend gemachten Besonderheiten des Falles – auf welche die Leitlinien und Empfehlungen nicht näher eingehen – eine Verletzungsgefahr bejaht. Auch das ist nicht zu beanstanden.
Zutreffend ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die beamteten Tierärzte im Rahmen der Durchführung des Tierschutzgesetzes als gesetzlich vorgesehene Sachverständige eigens bestellt und regelmäßig zu beteiligen sind (§ 15 Abs. 2 TierSchG); ihr Gutachten erachtet der Gesetzgeber gemäß § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG grundsätzlich als ausreichend und maßgeblich dafür, einen Verstoß gegen die Grundpflichten zur artgerechten Tierhaltung nach § 2 TierSchG nachzuweisen. Dementsprechend konnte das Oberverwaltungsgericht die in verschiedenen Vermerken festgehaltenen Äußerungen der Amtstierärztin heranziehen und auf der Grundlage ihrer Erkenntnis die von der Klägerin erhobenen individuellen Einwendungen zurückweisen. Nichts anderes gilt für die Aussage der Amtstierärztin vor dem Verwaltungsgericht, zumal es sich der Sache nach – zumindest überwiegend – nicht um eine Vernehmung als sachverständige Zeugin im Sinne von § 414 ZPO, sondern um ein mündliches Sachverständigengutachten handelt. Auf der Basis dieser Äußerungen hat sich das Oberverwaltungsgericht sowohl mit der Frage einer Differenzierung nach der Pferderasse als auch mit der Ausbildung der von der Klägerin gehaltenen Pferde als Kutschpferde auseinandergesetzt und diese Umstände mit Blick auf die Gefahr von erheblichen Verletzungen gewürdigt. Gleiches gilt für die Gestaltung der Zäune und der Weiden. Soweit die Klägerin der Verwertung der Äußerungen der Amtstierärztin entgegenhält, das Oberverwaltungsgericht habe es versäumt, sich mit deren Glaubwürdigkeit auseinanderzusetzen, ist nicht erkennbar, weshalb sich dem Oberverwaltungsgericht eine Parteilichkeit der Amtstierärztin hätte aufdrängen müssen. Allein die geltend gemachten Umstände, dass die Amtstierärztin im Dienste des Beklagten steht und bereits im Verwaltungsverfahren beteiligt war, tragen eine solche Folgerung nicht. Im Übrigen zeigt die Klägerin Mängel der sachverständigen Äußerung der Amtstierärztin, die sich dem Oberverwaltungsgericht hätten aufdrängen müssen, nicht näher auf. Folglich ist es nicht zu beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht den Beweisantrag aufgrund eigener Sachkunde bezüglich des von ihm erfassten Beweisthemas abgelehnt hat.
c) Soweit das Oberverwaltungsgericht den Beweisantrag im Übrigen auch mit der Begründung abgelehnt hat, die unter Beweis gestellten Tatsachen seien nicht erheblich, ist diese Begründung zwar nicht tragfähig. Wäre eine Stacheldrahteinzäunung für Pferde der Rassen Tinker und Friese unbedenklich, so wäre die auf alle Pferde bezogene Anordnung insoweit rechtswidrig. Im Ergebnis gilt nichts anderes für die unter Beweis gestellte Art der Einzäunung mit Stacheldraht. Allein der Umstand, dass die Klägerin ihre Weiden teilweise auch mit einer Kombination von Knotengitter und Stacheldraht eingezäunt hat, ändert nichts daran, dass die unter Beweis gestellte Art der Einzäunung von der auf jede Stacheldrahteinzäunung bezogenen tierschutzrechtlichen Anordnung erfasst wird. Im Lichte der die Ablehnung des Beweisantrags in erster Linie tragenden Begründung kommt es hierauf jedoch nicht weiter an.
2. Sofern die Klägerin mit ihrem Vortrag, die Argumentation des Oberverwaltungsgerichts sei widersprüchlich, ein Innenzaun – in Form einer stromführenden Litze – mache keinen Sinn, einen Verfahrensfehler geltend machen möchte, ist dieser weder hinreichend bezeichnet (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) noch gegeben. Zwar ist der Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt, wenn ein Verstoß gegen die Denkgesetze gegeben ist. Dass ein gut sichtbarer Innenzaun – etwa in Form einer breiten weißen, stromführenden Litze – gegenüber schlechter wahrnehmbarem Stacheldraht die Verletzungsgefahr der Pferde mindert, liegt aber auf der Hand. Aus dem gleichen Grund kann auch das Vorbringen, dass es bei der Klägerin in der Vergangenheit nicht zu Verletzungen ihrer Pferde durch Stacheldraht gekommen sei, die Überzeugungsbildung des Gerichts nicht fehlerhaft erscheinen lassen.
3. Schließlich ist auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht in der erforderlichen Weise (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) dargetan.
Mit der Frage:
„Stellen die ‚Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten’ des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie die ‚Empfehlungen zur Freilandhaltung von Pferden’ des niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, der Bezirksregierung Weser-Ems und des Tierschutzdienstes Niedersachsen Sachverständigenäußerungen dar, auf deren Grundlage in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren ohne weitere Beweisaufnahme tatsächliche Verhältnisse im Rahmen einer Pferdehaltung als tierschutzwidrig oder tierschutzgerecht gewürdigt werden dürfen?”,
ist bereits keine konkrete Rechtsfrage herausgearbeitet, die sich in allgemeinverbindlicher Weise klären ließe. Ob und inwieweit es sich bei den Leitlinien und Empfehlungen der Sache nach um Sachverständigenäußerungen handelt und diese in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren ausreichende Grundlage für die richterliche Überzeugung sein können, ist primär eine Frage tatrichterlicher Bewertung und richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 und 3, § 39 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Kley, Dr. Wysk, Rothfuß
Fundstellen