Verfahrensgang
OVG Berlin (Urteil vom 27.11.2003; Aktenzeichen 6 B 10.03) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 27. November 2003 wird verworfen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde ist unzulässig. Die behaupteten Verfahrensmängel sind nicht in einer Weise bezeichnet, die den gesetzlichen Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.
Die Beschwerde rügt zunächst, die Entscheidung des Berufungsgerichts sei im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen. Denn die Entscheidung sei entgegen der Vorschrift des § 117 Abs. 4 VwGO nicht innerhalb von zwei Wochen, sondern erst nahezu vier Monate nach ihrer Verkündung vollständig abgefasst an die Geschäftsstelle gelangt. Die von der Rechtsprechung für maßgeblich gehaltene Frist von fünf Monaten sei lediglich als äußerste Grenze zu werten. Eine Verletzung des § 117 Abs. 4 VwGO sei bereits zu einem früheren Zeitpunkt möglich und vorliegend auch erfolgt. Der Beschwerde ist im Ansatz darin zu folgen, dass § 117 Abs. 4 VwGO nicht lediglich eine Ordnungsvorschrift, sondern zwingendes prozessuales Verfahrensrecht darstellt. Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist ein Verstoß gegen diese Vorschrift aber, sofern die Fünfmonatsfrist nicht überschritten ist, nicht als absoluter Revisionsgrund gemäß § 138 Nr. 6 VwGO zu beurteilen, bei dem das Urteil stets als auf Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen ist. Vor Ablauf der Fünfmonatsfrist liegt ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vielmehr nur vor, wenn infolge der verzögerten Abfassung der Urteilsgründe nicht mehr gewährleistet ist, dass die Entscheidungsgründe das Beratungsergebnis und die für die Entscheidung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO leitenden Erwägungen zuverlässig wiedergeben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. April 2001 – BVerwG 4 B 31.01 – Buchholz 310 § 117 VwGO Nr. 47 m.w.N.). Die Beschwerde enthält keine substanziierten Hinweise darauf, dass die Entscheidungsgründe des Berufungsgerichts das Beratungsergebnis sowie die in der Beratung angestellten maßgebenden Erwägungen nicht zutreffend wiedergeben und auch die Beurkundungsfunktion des Berufungsurteils hinsichtlich seines Tatbestandes nicht mehr sichergestellt erscheint. Mit dem pauschalen Vorbringen, es sei, “ohne dass es … (hierauf) … ankäme”, davon auszugehen, dass die Begründung des Berufungsurteils in der konkret vorliegenden Form auf dem langen Zeitraum zwischen Verkündung der Entscheidung und Absetzung des Urteils beruhe, ist ein Verfahrensfehler nicht in der erforderlichen Weise dargetan.
Die Beschwerde beanstandet ferner, das Berufungsgericht habe bei der Heranziehung von Lageberichten und Auskünften des Auswärtigen Amtes zur Türkei den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör verletzt (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG). So habe das Berufungsgericht die Beweisanträge der Kläger abgelehnt, den früheren Staatsminister im Auswärtigen Amt zum empirischen Wahrheitsgehalt der einschlägigen Lageberichte und Auskünfte als Zeugen zu vernehmen sowie deren Verfasser “zur Erläuterung” der angeführten Lageberichte und Auskünfte “sowie zum Beweis dessen, dass jedenfalls die Lageberichte bis September 1999 … mit dem Bundesministerium des Innern … abgestimmt wurden, zu laden und zu hören”. Mit diesem Vorbringen ist eine Gehörsverletzung nicht schlüssig bezeichnet. Der Beschwerdebegründung ist nicht zu entnehmen, dass das Berufungsgericht die entsprechenden Beweisanträge der Kläger prozessrechtswidrig abgelehnt hat. Das Berufungsgericht hat die Beweisanträge in seinem in der Berufungsverhandlung vom 27. November 2003 verkündeten Beschluss als unsubstanziiert angesehen und als unzulässige Ausforschungsbeweisanträge abgelehnt, weil sie erkennbar der Aufklärung eines – nicht näher konkretisierten – Verdachts einer Manipulation der Lageberichte dienen sollten. Hinsichtlich der beantragten Anhörung der Verfasser der Lageberichte und Auskünfte des Auswärtigen Amtes hat es außerdem ausgeführt, dass diese Beweismittel nicht den Regeln des Sachverständigenbeweises unterfielen. Die Kläger hatten sich im Berufungsverfahren auf Äußerungen des früheren Staatsministers im Auswärtigen Amt hinsichtlich eines Lageberichts zum Kosovo bezogen, der nicht der empirischen Wahrheit entsprochen habe, sondern vor dem Regierungswechsel 1998 aus innenpolitischen Gründen von der alten Regierung entsprechend verfasst worden sei. Die Kläger hatten darüber hinaus auf einzelne, offenbar unzutreffende Auskünfte des Auswärtigen Amtes in Asylverfahren türkischer Staatsangehöriger verwiesen. Aus welchen Gründen das Berufungsgericht unter diesen Umständen die Beweisanträge nicht mit der von ihm angeführten Begründung ablehnen durfte, legt die Beschwerde nicht hinreichend dar (vgl. zu entsprechenden Rügen der Prozessbevollmächtigten der Kläger auch Beschluss vom 22. August 2001 – BVerwG 1 B 95.01 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 249). Den Klägern hätte es überdies freigestanden, eine weitere Aufklärung der als unwahr angegriffenen Tatsachenfeststellungen und Wertungen, soweit sie für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich waren, insbesondere durch weitere (Ober-)Gutachten und amtliche Auskünfte selbst zu beantragen und hierbei die Validität der früheren Lageberichte und Auskünfte im Einzelnen fallbezogen in Zweifel zu ziehen. Im Übrigen waren die entsprechenden Beweisanträge der Kläger zeitlich beschränkt auf Lageberichte bis September 1999, die “von der damaligen Regierung” verfasst und “unter der derzeitigen Regierung auf Beamtenebene” fortgeschrieben worden seien. Die Beschwerde macht nicht ersichtlich, inwieweit die Berichte bis zum Herbst 1999 überhaupt entscheidungserhebliche Bedeutung hatten. Denn das Berufungsgericht hat sich an zahlreichen Stellen seiner Entscheidung auf jüngere Lageberichte des Auswärtigen Amtes zur Türkei gestützt.
Soweit die Beschwerde eine Gehörsverletzung hinsichtlich des klägerischen Vortrags zum Zugang zu Gesundheitseinrichtungen in der Türkei rügt, legt sie nicht dar, dass die anwaltlich vertretenen Kläger das ihnen aufgrund ihrer prozessualen Mitwirkungspflicht Zumutbare getan haben, um sich vor dem Berufungsgericht Gehör zu verschaffen. Die Beschwerde bemängelt in diesem Zusammenhang, das Berufungsgericht habe Vorbringen der Kläger zu ihren finanziellen Möglichkeiten “überinterpretiert”. Aus diesem Vorbringen ergebe sich nicht, dass die Kläger noch heute – mehr als zehn Jahre nach ihrer Ausreise und ihrer relativen Wohlhabenheit in der Türkei – in der Lage seien, die erforderliche medizinische Versorgung zu finanzieren. Das Berufungsgericht hat seine Ablehnung des Beweisantrages der Kläger hinsichtlich des Zugangs zu türkischen Gesundheitseinrichtungen in der Berufungsverhandlung damit begründet, es sehe sich ohne Weiteres in der Lage, für Personen, die über ausreichende finanzielle Mittel verfügten, abschließend über die Frage des Zugangs zu entscheiden. Die Kläger hätten an dieser Stelle in der Berufungsverhandlung zum Ausdruck bringen können und müssen, dass sie sich finanziell nicht mehr im Stande sähen, die erforderliche medizinische Behandlung zu ermöglichen. Da dies unterblieben ist, hatte das Berufungsgericht keine Veranlassung, das Vorbringen der Kläger zu ihren finanziellen Möglichkeiten anders zu verstehen bzw. in Frage zu stellen. Auch die weitere Rüge, das Berufungsgericht habe das Vorbringen der Kläger, insbesondere aufgrund ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit sei ihr Zugang zum türkischen Gesundheitssystem nicht gewährleistet, im Wege einer vorweggenommenen Beweiswürdigung behandelt und damit ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, ist nicht ordnungsgemäß erhoben. Die Beschwerde beanstandet, die Erkenntnismittel, auf die sich das Berufungsgericht gestützt habe, enthielten keine ausdrücklichen Hinweise darauf, ob kurdische Volkszugehörige bei der medizinischen Versorgung in der Türkei benachteiligt würden. Das Berufungsgericht hat den entsprechenden Beweisantrag der Kläger auf Einholung eines Sachverständigengutachtens mit der Begründung abgelehnt, es sei auf der Grundlage der vorhandenen Erkenntnismittel ohne Weiteres in der Lage, über die Frage des Zugangs zu türkischen Gesundheitseinrichtungen – jedenfalls für Kurden mit ausreichenden finanziellen Mitteln – abschließend ohne Zuhilfenahme noch weiteren Sachverstandes zu entscheiden. Die Beschwerde macht nicht ersichtlich, inwiefern diese prozessrechtlich grundsätzlich zulässige Begründung hier fehlerhaft sein sollte. Sie benennt keine substanziellen Anhaltspunkte dafür, dass das Berufungsgericht ausgehend von seiner Rechtsauffassung trotz seiner nachvollziehbar dargestellten, auf einer Gesamtbewertung der einschlägigen Erkenntnisquellen beruhenden Einschätzung die beantragte weitere Beweiserhebung ermessensfehlerhaft abgelehnt hat. Insbesondere bezeichnet sie keine gutachterliche Stellungnahme oder sonstige Auskunft, die auch nur ansatzweise auf eine Gefährdung kurdischer Volkszugehöriger durch Verweigerung des Zugangs zu einer von ihnen selbst finanzierten medizinischen Behandlung schließen ließe. Dies wäre aber zur Darlegung der Notwendigkeit weiterer Beweiserhebung auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts im Rahmen des hier allein im Streit stehenden Anspruchs auf Asyl und Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG erforderlich gewesen.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b Abs. 1 AsylVfG a.F. (= § 83b AsylVfG i.d.F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004, BGBl I S. 718) nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83b Abs. 2 AsylVfG a.F. (vgl. § 60 RVG).
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Richter, Beck
Fundstellen