Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 04.03.2008; Aktenzeichen 21 A 983/06) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. März 2008 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 51 312,17 € festgesetzt.
Tatbestand
1. Die Klägerin wurde mit Ablauf des 31. März 2000 wegen mangelnder Bewährung aus dem Probebeamtenverhältnis entlassen. Sie erhielt aufgrund einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vom Februar 2002 bis einschließlich Januar 2004 jeweils die Hälfte ihrer bisherigen Bezüge sowie eine Nachzahlung für den davor liegenden Zeitraum ab dem Oktober 2000, insgesamt 51 312,71 €. Nach Rechtskraft des die Entlassungsverfügung bestätigenden Urteils vom 31. Juli 2003 forderte der Beklagte diesen Betrag zurück. In dem Rückforderungsbescheid erklärte sich der Beklagte bereit, der Klägerin eine Ratenzahlung zu ermöglichen, sofern sie ihre wirtschaftlichen Verhältnisse im Einzelnen darlege. Die hiergegen gerichtete Klage und Berufung blieben erfolglos.
Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung ausgeführt: Rechtsgrundlage der Rückforderung sei § 12 Abs. 2 BBesG i.V.m. §§ 812 ff. BGB. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts habe nur einen vorläufigen Grund für die Fortzahlung eines Teils der Bezüge dargestellt, der mit dem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens entfallen sei. Aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn folge nicht, dass diese weitergezahlten Bezüge dem Beamten dauerhaft zu belassen seien. Die Billigkeitsentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG sei nicht zu beanstanden, da für die Behörde im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung nicht ersichtlich gewesen sei, dass es die aktuelle wirtschaftliche Lage der Klägerin erforderte, von der Rückforderung ganz oder teilweise abzusehen oder ihr Ratenzahlungen zu ermöglichen.
Entscheidungsgründe
2. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
a) Die Klägerin hält für grundsätzlich klärungsbedürftig (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO),
(1) ob der entlassene Probebeamte, wenn er aus Gründen der Fürsorgepflicht für die Dauer des Rechtsschutzverfahrens Bezüge erhält, diese zurückzahlen muss, wenn er im Hauptsacheverfahren gegen den Dienstherrn unterliegt, und
(2) ob zumindest eine rechtmäßige Billigkeitsentscheidung nach § 12 Abs. 2 BBesG bei einem Beamten, der die Bezüge aus Fürsorgegesichtspunkten weitererhalten habe, um eine wirtschaftliche Notlage zu verhindern, bei unveränderter wirtschaftlicher Situation nur in einem Absehen von einer Rückforderung der Bezüge liegen könne.
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO obliegt es dem Beschwerdeführer, diese Voraussetzungen darzulegen (Beschluss vom 2. Oktober 1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ≪91≫; stRspr). Für die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, denn sie sind bereits in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.
(1) Vorläufiger Rechtsgrund für die Fortzahlung eines Teils der Bezüge an die Klägerin war der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vom 18. Juni 2001 – 1 L 110/01 –. Dieser Rechtsgrund ist rückwirkend mit dem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens entfallen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass Dienstbezüge, die einem entlassenen Beamten aufgrund der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage bzw. seines Widerspruchs fortgezahlt worden sind, nach rechtskräftiger Abweisung der Klage gemäß § 12 Abs. 2 BBesG zurückzufordern sind und der verschärften Haftung des Empfängers unterliegen (Urteil vom 25. November 1982 – BVerwG 2 C 12.81 – Buchholz 235 § 12 BBesG Nr. 2 m.w.N. und Beschlüsse vom 16. Januar 1992 – BVerwG 2 CB 25.89 – Buchholz 240 § 12 BBesG Nr. 19 und vom 20. März 1998 – BVerwG 2 B 128.97 – Buchholz 240 § 12 BBesG Nr. 22). Die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage ist lediglich ein vorläufiger Rechtsgrund für die Fortzahlung der Dienstbezüge. Sie fingiert das vorläufige Fortbestehen des Beamtenverhältnisses, dessen Ausfluss die während des Rechtsbehelfsverfahrens fortwährende Fürsorgepflicht ist. Dieser vorläufige Rechtsgrund entfällt mit rechtskräftigem Abschluss des Klageverfahrens rückwirkend (Urteil vom 25. November 1982 a.a.O. und Beschluss vom 16. Januar 1992 a.a.O.). Dass – wie im Fall der Klägerin – der Dienstherr zunächst die sofortige Vollziehung der Entlassungsverfügung angeordnet hat und erst aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage wiederhergestellt worden ist, macht rechtlich keinen Unterschied (Beschluss vom 16. Januar 1992 a.a.O.).
Die Fortzahlung der Bezüge aufgrund einer gerichtlichen Anordnung während des Klageverfahrens erfolgt unter dem Vorbehalt des rückwirkenden Wegfalls des Leistungsgrundes bei Abweisung der Klage. Die Zahlungen beruhten damit auf einem Rechtsgrund, dessen Wegfall im Sinne des § 820 Abs. 1 Satz 2 BGB nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts als möglich angesehen worden und tatsächlich erfolgt ist. Die Klägerin haftet damit gemäß § 820 Abs. 1 BGB i.V.m. § 818 Abs. 4 BGB verschärft, d.h. sie kann sich nicht mehr auf den Wegfall der Bereicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB berufen (vgl. Urteil vom 25. November 1982 a.a.O. m.w.N. und Beschlüsse vom 16. Januar 1992 a.a.O. und vom 20. März 1998 a.a.O.).
Allerdings kann in außergewöhnlich gelagerten Fällen auch bei verschärfter Haftung eine Berufung auf den Wegfall der Bereicherung durch den Verbrauch der wegen der aufschiebenden Wirkung fortgezahlten Bezüge zum Lebensunterhalt zu berücksichtigen sein, wenn besondere Umstände nach Treu und Glauben es verbieten, diesen Umstand unberücksichtigt zu lassen (vgl. Urteile vom 13. Oktober 1971 – BVerwG 6 C 137.67 – Buchholz 232 § 87 BBG Nr. 48 und vom 25. November 1982 a.a.O. m.w.N, Beschluss vom 16. Januar 1992 a.a.O.). Ob und inwieweit diese Voraussetzungen vorliegen, ist eine Frage des Einzelfalls und keine rechtsgrundsätzliche Frage.
Es besteht kein Rechtsgrundsatz, dass der seine Entlassung anfechtende Beamte in jedem Falle die einstweilen fortgezahlten Bezüge in Höhe des notwendigen Lebensbedarfs ersatzlos verbrauchen dürfe. Die Bestimmung der fortgezahlten Bezüge ist zwar der Verbrauch, aber nicht der in jedem Falle von einer Ersatzleistung befreiende Verbrauch. Dies folgt aus der verschärften Haftung gemäß § 820 Abs. 1 BGB (Urteil vom 25. November 1982 a.a.O. m.w.N.).
Die Annahme, dass der Dienstherr durch seine Fürsorgepflicht an der Rückforderung der vorläufig fortgezahlten Bezüge nach rechtskräftiger Abweisung der gegen die Entlassung erhobenen Klage gehindert sein könnte, liefe einerseits dem rein vorläufigen, verfahrensrechtlichen Charakter der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und andererseits den materiellrechtlichen Vorschriften zuwider, durch die der Gesetzgeber abschließend den Schutz eines zu entlassenden Beamten durch Entlassungsfristen (§ 34 LBG NRW) und durch Anspruch auf ein Übergangsgeld (§ 47 BeamtVG) geregelt hat. Ein Anspruch auf (endgültige) Fortzahlung von Bezügen über deren gesetzlich geregeltes Ende hinaus kommt, wie durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt ist, nicht in Betracht (Beschluss vom 20. März 1998 a.a.O. m.w.N.).
(2) In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist außerdem geklärt, dass die gemäß § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG bei der Rückforderung vom Dienstherrn zu treffende Billigkeitsentscheidung die Aufgabe hat, eine allen Umständen des Einzelfalles gerecht werdende, für die Behörde zumutbare, für den Bereicherten tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen. Sie soll der besonderen Lage des Einzelfalles Rechnung tragen, die formale Strenge des Besoldungs- und Versorgungsrechts auflockern und Ausdruck des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben sein und sich als sinnvolle Ergänzung des ohnehin von dem gleichen Grundsatz geprägten Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung auswirken. Sie ist insbesondere in Fällen der verschärften Haftung bedeutsam. Dabei ist nicht nochmals die gesamte Rechtsbeziehung, aus welcher der Bereicherungsanspruch erwächst, nach dem Grundsatz von Treu und Glauben zu würdigen, sondern es ist auf das konkrete Rückforderungsbegehren und vor allem auf die Modalitäten der Rückabwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensumstände des Bereicherungsschuldners abzustellen. Dafür kommt es entscheidend auf die Lage im Zeitpunkt der Rückabwicklung an, aber nicht auf die Lage in dem Zeitraum, für den die Zahlung geleistet worden ist (stRspr., vgl. Urteil vom 25. November 1982 a.a.O. m.w.N.)
Ob die der Klägerin angebotene Ratenzahlung eine den Erfordernissen des § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG ausreichend Rechnung tragende Billigkeitsentscheidung ist, kann deshalb nicht rechtsgrundsätzlich geklärt, sondern nur nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden.
b) Die Klägerin ist außerdem der Auffassung, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 15. Dezember 1989 – 2 BvR 1574/89 – NVwZ 1990, 853) lege nahe, dass der Beamte dann, wenn er auf der Grundlage der den Dienstherrn treffenden Fürsorgepflicht für die Dauer des gegen die Entlassungsverfügung gerichteten Rechtsschutzverfahrens Bezüge erhalte, diese auch behalten dürfe, sodass das Urteil des Berufungsgerichts von dieser Rechtsprechung abweiche.
Auch diese Rüge vermag nicht zur Zulassung der Revision führen. Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass das Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil einen inhaltlich bestimmten, das Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, mit dem es einem Rechtssatz widersprochen hat, den das Bundesverwaltungsgericht oder das Bundesverfassungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Es genügt nicht, wenn das Berufungsgericht einen solchen Rechtssatz im Einzelfall rechtsfehlerhaft anwendet oder daraus nicht die rechtlichen Folgerungen zieht, die etwa für die Sachverhalts- und Beweiswürdigung geboten sind (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 und vom 3. Juli 2007 – BVerwG 2 B 18.07 – Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1).
Die Beschwerde legt schon nicht dar, von welchem abstrakten Rechtssatz in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1989 – 2 BvR 1574/89 – (a.a.O.) das Berufungsgericht mit welchem Rechtssatz abgewichen sein soll. In dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts geht es ausschließlich um die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eines entlassenen Probebeamten in die Abwägung einzustellende vorläufige Sicherung seines Lebensunterhalts. Das Bundesverfassungsgericht hat keinen abstrakten Rechtssatz zum endgültigen Behaltendürfen dieses Betrages aufgestellt.
c) Schließlich macht die Beschwerde geltend, das Berufungsgericht habe die Billigkeitsentscheidung des Beklagten zu Unrecht aufgrund der Aktenlage gebilligt. Aus den Verwaltungsakten hätte sich dem Beklagten geradezu aufdrängen müssen, dass die Klägerin über keine nennenswerten materiellen Mittel verfügt habe, sodass er zu einer weiteren Sachaufklärung verpflichtet gewesen sei. Dem Beklagten hätte sich auch aufdrängen müssen, dass die Klägerin die Mittel vollständig zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes habe verwenden müssen, was in die Billigkeitsentscheidung einzustellen gewesen wäre. Es sei nicht erkennbar, dass der Dienstherr überhaupt eine Billigkeitsentscheidung getroffen habe. Dies habe das Berufungsgericht übersehen.
Dieses Vorbringen geht an der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorbei. Es ist zudem nur eine allgemeine Kritik an der Richtigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts, ohne dass zugleich zumindest sinngemäß ein Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO den Erfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt wird.
3. Der Klägerin kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil die Nichtzulassungsbeschwerde, die nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist nicht mehr auf neue Gesichtspunkte gestützt werden kann, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daher kommt auch die Beiordnung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht in Betracht (§ 166 VwGO, § 114 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertentscheidung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und Abs. 3 GKG.
Unterschriften
Herbert, Thomsen, Dr. Burmeister
Fundstellen