Verfahrensgang
Hessischer VGH (Urteil vom 26.09.2012; Aktenzeichen 5 A 375/10) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. September 2012 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 978,72 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Revision ist nicht deshalb zuzulassen, weil ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Rz. 2
1. Die Beschwerde rügt eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) sowie der Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO), soweit das angefochtene Urteil auf einen Satzungsmangel gestützt ist, den es darin erblickt, dass § 13 der Entwässerungssatzung der Beklagten vom 27. Januar 2000 in der Fassung der ersten Änderungssatzung vom 27. Februar 2001 für den unbeplanten Innenbereich gebietsbezogene Geschossflächenzahlen festlegt. Die Beschwerde moniert in diesem Zusammenhang die Aussage des Berufungsurteils, die Beklagte habe nicht dargelegt, dass die betreffenden Geschossflächenzahlen “übergreifend” die tatsächlichen Verhältnisse im Gemeindegebiet zum Zeitpunkt der Beitragsentstehung widerspiegelten. Sie bezeichnet diese Ausführungen des Berufungsgerichts als unrichtig; in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof habe vielmehr der Bevollmächtigte der Beklagten mit Unterstützung des dort ebenfalls anwesenden Bauamtsleiters dargelegt, dass die in der Satzung festgesetzten Geschossflächenzahlen im Gemeindegebiet aufgrund der topografischen Verhältnisse und der städtebaulichen Situation regelmäßig erreicht werden könnten. Das Berufungsgericht hätte vor diesem Hintergrund den Sachverhalt weiter aufklären müssen und das Vorbringen der Beklagten nicht übergehen dürfen.
Rz. 3
Damit übersieht die Beschwerde, dass Unrichtigkeiten oder Lücken bei der Wiedergabe des tatsächlichen Vorbringens eines Verfahrensbeteiligten im Berufungsurteil nicht als Verfahrensmangel geltend gemacht werden können, sondern nur durch einen fristgebundenen Antrag auf Berichtigung des Urteils nach Maßgabe des § 119 Abs. 1 VwGO (Beschlüsse vom 1. September 2010 – BVerwG 9 B 80.09 – Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 41 Rn. 7 und vom 9. Dezember 2010 – BVerwG 4 B 49.10 – juris Rn. 6, jeweils m.w.N.). Der Senat hat dazu in dem Beschluss vom 1. September 2010 (a.a.O.) ausgeführt:
Träfe die Behauptung der Beschwerde zu, würde es sich bei der beanstandeten Aussage des angefochtenen Urteils (…) um eine “andere Unrichtigkeit” i.S.v. § 119 Abs. 1 VwGO handeln, die nur im Wege einer binnen zwei Wochen nach Zustellung des Urteils zu beantragenden Berichtigung nach dieser Vorschrift beseitigt werden kann. Unerheblich ist, dass diese Aussage nicht im Tatbestand, sondern in dem mit “Entscheidungsgründe” überschriebenen Teil des angefochtenen Urteils enthalten ist. Die in Rede stehende Aussage betrifft den Ablauf der mündlichen Verhandlung. Sie gehört allerdings nicht zu den gemäß § 105 VwGO i.V.m. § 160 ZPO für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten, deren Beachtung gemäß § 105 VwGO i.V.m. § 165 Satz 1 ZPO nur durch das Protokoll bewiesen werden kann. Der äußere Ablauf der mündlichen Verhandlung und der maßgebliche Verhandlungsstoff ergeben sich vielmehr aus dem Tatbestand des Urteils, der gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 314 ZPO Beweis für das mündliche Parteivorbringen liefert und als öffentliche Urkunde gemäß § 98 VwGO i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO vollen Beweis für die darin bezeugten eigenen Wahrnehmungen und Handlungen des Gerichts erbringt. Das gilt auch für Passagen in den Entscheidungsgründen mit Tatbestandsfunktion. § 117 Abs. 2 Nr. 4 und 5 VwGO verlangt keine äußere Trennung des Tatbestands von den Entscheidungsgründen. Hiernach ist das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen in der Regel auch dann gebunden, wenn diese nicht im Urteilstatbestand, sondern in den Entscheidungsgründen enthalten sind. Dem entsprechend ist ein Beteiligter auch in diesem Fall gehalten, auf eine Berichtigung der (behaupteten) Unrichtigkeit gemäß § 119 Abs. 1 VwGO zu dringen (vgl. Urteil vom 16. Oktober 1984 – BVerwG 9 C 67.83 – Buchholz 310 § 117 VwGO Nr. 25 S. 14). Diese Bindung des Revisionsgerichts gilt für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision entsprechend (Beschluss vom 21. August 1998 – BVerwG 6 B 88.98 – juris Rn. 4 ≪insoweit in NuR 1999, 595 und NordÖR 1998, 443 nicht abgedruckt≫).
Rz. 4
Diese Ausführungen gelten ebenso für den hier vorliegenden Fall. An die im Berufungsurteil getroffene, von der Beschwerde als unrichtig bezeichnete Feststellung, die Beklagte habe hinsichtlich der Erreichbarkeit der festgesetzten Geschossflächenzahlen die tatsächlichen Verhältnisse im Gemeindegebiet nicht dargelegt, ist der Senat gebunden, so dass eine Vernehmung der von der Beschwerde benannten Zeugen nicht in Betracht kommt. Auf der Grundlage dieser tatsächlichen Feststellung ist – unter Berücksichtigung des in der Sitzungsniederschrift vermerkten Hinweises des Berufungsgerichts auf seine Rechtsprechung zu gebietsbezogenen Geschossflächenzahlen als Verteilungsmaßstab für den unbeplanten Innenbereich – nicht ersichtlich, inwieweit das angefochtene Urteil auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen könnte; die Beschwerde legt solches auch nicht dar. Ebenso wenig liegt unter dieser Prämisse ein Aufklärungsmangel vor. Denn auch nach dem den Verwaltungsprozess beherrschenden Amtsermittlungsgrundsatz ist jeder Beteiligte unter dem Gesichtspunkt der Mitwirkungslast gehalten, die in seinen Erkenntnisbereich bzw. in seine Sphäre fallenden Tatsachen zu substantiieren, um Anlass zu weiterer gerichtlicher Sachverhaltsermittlung zu geben (stRspr; s. zuletzt Beschluss vom 16. Mai 2013 – BVerwG 9 B 6.13 – juris Rn. 14 m.w.N.).
Rz. 5
2. Die Rüge, das Berufungsgericht habe den Grundsatz des rechtlichen Gehörs auch insoweit verletzt, als es eine von der Beklagten nach Art einer überschlägigen Globalkalkulation erstellte und schriftsätzlich vorgelegte Kontrollberechnung unberücksichtigt gelassen habe, dringt ebenfalls nicht durch. Das gilt schon deshalb, weil es im Falle einer mehrfachen, die Entscheidung jeweils selbstständig tragenden Begründung des angefochtenen Urteils in Bezug auf jede dieser Begründungen eines Revisionszulassungsgrundes bedarf (Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 15). Daran fehlt es, weil sich der vom Berufungsgericht entscheidungstragend herausgestellte Satzungsmangel eines unzulässigen Verteilungsmaßstabes, wie die Beschwerde selbst nicht verkennt, durchgängig auf sämtliche in dem Urteil erwähnten Entwässerungssatzungen der Beklagten bezieht.
Rz. 6
3. Schließlich vermag auch die Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Unparteilichkeit bzw. des fairen Verfahrens der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Sie sieht den Verstoß darin, dass der Kläger die Zulässigkeit der Verteilungsregelung in § 13 der Entwässerungssatzung selbst nicht in Zweifel gezogen, der Verwaltungsgerichtshof sich insoweit vielmehr “ungefragt auf Fehlersuche” begeben habe. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner hierzu ergangenen Rechtsprechung betont, dass die gelegentlich ausgesprochene Mahnung, eine gleichsam ungefragte Fehlersuche zu vermeiden, die Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes in § 86 Abs. 1 VwGO nicht in Frage stellen, sondern dessen sachgerechter Handhabung unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung und der Prozessökonomie dienen solle, wobei sich nicht abstrakt festlegen lasse, was im Einzelfall sachgerecht sei (Urteil vom 17. April 2002 – BVerwG 9 CN 1.01 – BVerwGE 116, 188 ≪196 f.≫). Inwieweit sich aus diesen Überlegungen überhaupt ein Bezug zu den von der Beschwerde genannten Verfahrensprinzipien herstellen lässt, mag auf sich beruhen. Denn jedenfalls kann im vorliegenden Fall, nachdem der Kläger die umstrittene Beitragssatzregelung, wenn auch in anderem Zusammenhang, als gleichheitswidrig beanstandet hatte, dem Verwaltungsgerichtshof nicht vorgeworfen werden, er habe mit seiner Argumentation das eigentliche Rechtsschutzbegehren des Klägers aus dem Auge verloren.
Rz. 7
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Unterschriften
Dr. Bier, Dr. Christ, Prof. Dr. Korbmacher
Fundstellen