Verfahrensgang
VG Potsdam (Urteil vom 29.08.2007; Aktenzeichen 6 K 3130/01) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 29. August 2007 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 146 945 € festgesetzt.
Gründe
Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die gerügte Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt nicht vor. Die Beschwerde macht zu Unrecht geltend, das Verwaltungsgericht habe den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, es liege nur dann ein Fall des § 1 Abs. 3 VermG vor, wenn die Enteignung zum Zeitpunkt der Nutzungsüberlassung und der Beantragung eines Baukredits für die beabsichtigte Baumaßnahme nach dem damaligen Recht der DDR nicht zu verwirklichen war. Vielmehr ist es in Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu dem Ergebnis gekommen, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei Beginn der Nutzung des Grundstücks ein – nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderliches – bewusst fehlerhaftes Handeln vorgelegen habe. Dementsprechend hat es eine unlautere Machenschaft verneint, weil die Enteignungsvoraussetzungen zum Zweck der Eigenheimerrichtung zu seiner Überzeugung schon zu Beginn der Nutzung durch die Beigeladenen vorgelegen haben. Damit hat sich das Verwaltungsgericht nicht in Widerspruch zu dem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Rechtssatz gesetzt, sondern es hat lediglich zum Ausdruck gebracht, dass bereits vor der Durchführung der Baumaßnahmen die Voraussetzungen für eine Enteignung nach dem Baulandgesetz vorgelegen hätten. Ob diese Aussage in der Sache zutreffend ist, ist für die Beurteilung der Divergenzrüge nicht maßgeblich.
2. Auch die gerügten Verfahrensmängel, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, liegen nicht vor.
a) Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß § 108 Abs. 2 VwGO wegen des Erlasses einer Überraschungsentscheidung greift nicht durch. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG) verbietet, dass ein Beteiligter durch die angegriffene Entscheidung im Rechtssinne “überrascht” wurde. Eine solche Überraschungsentscheidung im Rechtssinne liegt vor, wenn das Gericht seiner Entscheidung tragend eine Rechtsauffassung zugrunde legt, die weder im Verwaltungs- noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erörtert wurde und die etwa in ihrer Spezialität zunächst als fern liegend anzusehen ist (vgl. Urteil vom 19. Juli 1985 – BVerwG 4 C 62.82 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 170, Beschlüsse vom 23. Dezember 1991 – BVerwG 5 B 80.91 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 241 und vom 9. Dezember 1999 – BVerwG 6 B 60.99 – Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 16). Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben.
Zwar hatte die damalige Berichterstatterin mit Schreiben vom 20. Juli 2004 den Beteiligten einen Vergleichsvorschlag unterbreitet und in dessen Einleitung darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 VermG wohl vorliegen dürften. An diesen rechtlichen Hinweis war die Kammer bei ihrer Urteilsfindung aber nicht gebunden, denn die Beteiligten waren in der mündlichen Verhandlung auf die abweichende Auffassung der Kammer ausdrücklich hingewiesen worden: Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag gestellt hatte, hat die Kammer nach entsprechender Beratung diesen durch Beschluss abgelehnt und in der Begründung des Beschlusses ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 29. August 2007 festgestellt, dass es unter dem Blickwinkel der schädigenden Maßnahme auf die Frage ankomme, ob die später erfolgte Enteignung manipulativ war. Das sei nach der Auffassung der Kammer auch bei Wahrunterstellung der zu Beweis gestellten Tatsachen nicht der Fall. Die weitere Begründung entspricht fast wörtlich den Ausführungen im Urteil. Es heißt dort unter anderem: Sollte ein solcher Ratsbeschluss hier nicht vorgelegen haben, ist danach nicht erkennbar, inwieweit hierin eine Manipulation zur Ermöglichung der Enteignung zu sehen ist. Im Übrigen hat der Rat der Gemeinde später die Enteignung beantragt, sodass ein fehlender Ratsbeschluss damit “geheilt” worden wäre. Insgesamt ist nicht erkennbar, unter welchem Blickwinkel die zu Beweis gestellten Tatsachen einen Rechtsfehler belegen können, der gerade in der Absicht begangen worden ist, einen Eigentumszugriff überhaupt erst zu ermöglichen. Damit war für die Beteiligten offenkundig, dass die Kammer zur Frage des Vorliegens einer unlauteren Machenschaft eine andere Auffassung hatte als die im Jahr 2004 zuständige Berichterstatterin, die der Kammer nicht mehr angehörte. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung hatten die Beteiligten nach Verkündung dieses Beschlusses weitere Gelegenheit ihre Anträge zu begründen und damit die Möglichkeit, zu der in der Beschlussbegründung zum Ausdruck gekommenen Rechtsauffassung der Kammer Stellung zu nehmen.
b) Ob das Verwaltungsgericht gegen die Aufklärungspflicht (§ 86 VwGO) oder gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) verstoßen hat, weil es nicht beachtet hat, dass das Baulandgesetz vom 15. Juni 1984 (GBl I S. 201) erst am 1. Januar 1985 in Kraft getreten ist, kann letztlich dahinstehen. Denn die Entscheidung beruht zumindest nicht auf einem solchen Verfahrensmangel. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass zum Zeitpunkt der zwischen den Beigeladenen und dem Rat der Gemeinde getroffenen Vereinbarungen in den Jahren 1982 und 1984 grundsätzlich die Enteignung des streitgegenständlichen Grundstücks möglich war und deshalb kein Anlass zu der Annahme oder Vermutung bestehe, dass bewusst rechtsfehlerhaft gehandelt wurde, um die Enteignung überhaupt erst zu ermöglichen, ist im Ergebnis richtig. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass die Enteignung eines Grundstücks erst nach der Durchführung der Baumaßnahme allein noch keinen Machtmissbrauch darstellt, wenn eine Enteignung zur Durchführung der Baumaßnahme zum damaligen Zeitpunkt nach DDR-Recht zulässig gewesen wäre. Es handelt sich insoweit um eine nachträgliche Fehlerkorrektur, die eine entstandene “formelle” Gesetzwidrigkeit nachträglich beseitigen soll (vgl. Urteil vom 26. Juni 1997 – BVerwG 7 C 25.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 113 S. 348 f.; Beschlüsse vom 28. März 2000 – BVerwG 7 B 19.00 – Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 12 und vom 5. Februar 2003 – BVerwG 7 PKH 4.02 – Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 27).
In den Jahren der Vereinbarungen zwischen den Beigeladenen und dem Rat der Gemeinde 1982 und 1984 galt das Aufbaugesetz vom 6. September 1950 (GBl S. 965), das erst zum 1. Januar 1985 durch § 24 Abs. 2 Nr. 1 des Baulandgesetzes aufgehoben und durch dieses abgelöst wurde (vgl. VIII. der Erläuterungen und Hinweise zur Arbeit mit dem Baulandgesetz des Ministeriums für Bauwesen, Bereich Städtebau, Wohnungsbau und örtliches Bauwesen vom 18. Januar 1985). Dessen § 14 ließ i.V.m. § 2 der 2. Durchführungsbestimmung zum Aufbaugesetz vom 29. September 1972 (GBl II S. 641) die Überführung von Grundstücken in Volkseigentum zum Zweck der Eigenheimbebauung zu. Dabei gab es keine Beschränkung auf die Räte der Städte, Stadtbezirke oder Gemeinden als Bauauftraggeber. Da es darauf ankommt, ob die Inanspruchnahme des Grundstücks für den Aufbauzweck zulässig gewesen wäre, kommt es nicht darauf an, ob auch die weiteren Voraussetzungen wie die Ausweisung eines Aufbaugebietes und die Aufnahme der Maßnahme in den Volkswirtschaftsplan erfüllt waren.
Wenn der Bau des Eigenheims erst nach dem 1. Januar 1985 begonnen worden wäre, hätte nach dem Baulandgesetz eine ausreichende Rechtsgrundlage bestanden. Der Entzug von Eigentumsrechten an Grundstücken für den Eigenheimbau ist im Baulandgesetz ausdrücklich vorgesehen (§ 2 Abs. 2, § 12 Abs. 4 BauLG). Der Einwand des Klägers, dass das Baulandgesetz auch beim Eigenheimbau einen staatlichen Bauauftraggeber voraussetze, also für den Bau eines Privaten – wie hier – keine Anwendung finde, trifft nicht zu. Die vom Kläger für seine Ansicht herangezogene Vorschrift des § 8 Abs. 1 BauLG, die regelt, wer berechtigt ist, die Bereitstellung von Grundstücken für Baumaßnahmen zu beantragen, bestätigt das Gegenteil. Denn § 8 Abs. 1 BauLG differenziert beim Antragsrecht zwischen Bauauftraggebern (vgl. § 1 Abs. 1 BauLG) und den beim Eigenheimbau als Antragsberechtigte gesondert genannten Räten der Städte, Stadtbezirke und Gemeinden, die das Baulandgesetz für den Eigenheimbau gerade nicht als Bauauftraggeber ansieht.
Die erstmals mit der Beschwerdeschrift angeregte Beweisaufnahme war nicht geboten. Einen wie mit der Beschwerdebegründung ausformulierten Beweisantrag hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt. Dem Verwaltungsgericht musste sich auch keine Beweisaufnahme aufdrängen. Ein Klärungsbedarf darüber, ob vor der Inanspruchnahme des Grundstücks versucht worden war, einen Vertrag über die Übertragung des Eigentumsrechts abzuschließen, bestand nicht. Wegen der bestehenden staatlichen Verwaltung konnte damals weder mit dem Eigentümer noch mit dem Verwalter ein Kaufvertrag abgeschlossen werden. Der staatliche Verwalter hatte über Eigentumsrechte nur bei Vorliegen einer Überschuldungsanlage verfügen können (§ 1 Abs. 2 der Verwaltungsverordnung).
3. Der Sache kommt auch nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zu. Die von der Beschwerde für rechtsgrundsätzlich gehaltenen Fragen,
“1. Liegt ein Fall der unlauteren Machenschaften im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG vor, wenn ein Grundstück nach dem BLG enteignet wird, welches bereits vor dem Inkrafttreten des BLG und vor der Enteignung in Volkseigentum nach dem BLG auf Grundlage der Verordnung über die Förderung des Baues von Eigenheimen vom 24. November 1971 an einen begünstigt kreditierten Eigenheimbauer übergeben wurde und der Eigenheimbauer das Eigenheim nur mit dem begünstigten Kredit vor der Enteignung nach dem BLG fertiggestellt hatte;
2. Liegt ein Fall der unlauteren Machenschaften im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG vor, wenn ein Grundstück, das in der Vergangenheit bereits vor der Enteignung nach dem BLG auf Grundlage der Verordnung über die Förderung des Baues von Eigenheimen vom 24. November 1971 an eine Privatperson übergeben wurde, um getätigte private Investitionen in das Grundstück zugunsten einer Privatperson zu sichern?
3. Liegt ein Fall der unlauteren Machenschaften im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG vor, wenn ein privates Grundstück, auf dem bereits ein Eigenheim auf Grundlage der Verordnung über die Förderung des Baues von Eigenheimen vom 24. November 1971 finanziert und errichtet wurde, nach der Fertigstellung des Eigenheims auf Grundlage des BLG enteignet wird?”,
sind, soweit sie die ihnen gemeinsame grundsätzliche Frage betreffen, ob die Enteignung eines Grundstücks, auf dem eine Baumaßnahme bereits durchgeführt wurde, eine unlautere Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG darstellt, in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Danach stellt, wie dargelegt, die Enteignung eines Grundstücks erst nach der Durchführung der Baumaßnahme allein noch keinen Machtmissbrauch dar, wenn eine Enteignung zur Durchführung der Baumaßnahmen zum damaligen Zeitpunkt nach DDR-Recht zulässig gewesen wäre. Es handelt sich insoweit um eine nachträgliche Fehlerkorrektur, die eine entstandene “formelle” Gesetzeswidrigkeit nachträglich beseitigen soll (Urteil vom 26. Juni 1997 – BVerwG 7 C 25.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 113; Beschlüsse vom 28. März 2000 – BVerwG 7 B 19.00 – Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 12 und vom 5. Februar 2003 – BVerwG 7 PKH 4.02 – Buchholz 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 27). Soweit die Beschwerde mit ihrer Fragestellung darüber hinausgehende Varianten aufwirft, handelt es sich um Fragen des Einzelfalles, die einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich sind. Frage 2 würde sich auch deshalb in einem Revisionsverfahren nicht stellen, weil nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts das streitgegenständliche Grundstück den Beigeladenen vor Tätigung der privaten Investitionen übergeben wurde.
Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO abgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47, 52 GKG.
Unterschriften
Gödel, Dr. Pagenkopf, Dr. von Heimburg
Fundstellen