Entscheidungsstichwort (Thema)
Planfeststellungsbeschluss. Änderungsplanfeststellungsbeschluss. Bestandskraft. Planerhaltung. ergänzendes Verfahren. Fehlerbeseitigung
Leitsatz (amtlich)
Ein Urteil, das feststellt, dass ein Planfeststellungsbeschluss wegen eines behebbaren Mangels (§ 17e Abs. 6 Satz 2 FStrG) rechtswidrig ist und nicht vollzogen werden darf, wirkt nur zwischen den Beteiligten. Im Verhältnis zu anderen Planbetroffenen erweist sich der feststellende Ausspruch grundsätzlich als bloßer Rechtsreflex, der die ihnen gegenüber eingetretene Bestandskraft unberührt lässt (im Anschluss an Beschluss vom 22. September 2005 – BVerwG 9 B 13.05 – juris).
Normenkette
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2; FStrG § 17e Abs. 2, 6
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 15 000 € festgesetzt.
Tatbestand
I
Rz. 1
Der Antragsgegner stellte mit Beschluss vom 21. Februar 2007 den Plan für den Neubau der Bundesautobahn A 44 zwischen Ratingen und Velbert fest. Gegen diesen Planfeststellungsbeschluss klagte der Antragsteller, eine in Nordrhein-Westfalen anerkannte Naturschutzvereinigung, ebenso wenig wie gegen nachfolgende Änderungen und Ergänzungen des Beschlusses vom 28. Dezember 2007, 18. und 19. Februar 2009 sowie 15. März 2010. Auf die Klage zweier Grundstückseigentümer stellte das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 18. März 2009 – BVerwG 9 A 40.07 – die Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses in der Fassung der bis dahin erfolgten Änderungen und Ergänzungen fest, weil die Kläger jenes Verfahrens durch die vorgesehene Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Nutzflächen für naturschutzrechtliche Kompensationsmaßnahmen existenzgefährdend betroffen würden, ohne dass bei der Flächenauswahl ihr Interesse am Erhalt ihrer betrieblichen Existenz berücksichtigt worden sei.
Rz. 2
Nach Durchführung eines ergänzenden Verfahrens, in dem der Antragsteller von seinem Beteiligungsrecht Gebrauch gemacht hatte, erließ der Antragsgegner mit Datum vom 8. Februar 2012 einen Änderungsplanfeststellungsbeschluss. Die Planänderung richtet sich darauf, die geplanten Kompensationsmaßnahmen zu verlagern, um die Flächeninanspruchnahme der Kläger des Verfahrens BVerwG 9 A 40.07 zu verringern. Gegen den Änderungsplanfeststellungsbeschluss hat der Antragsteller fristgerecht Klage erhoben. Das Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage (BVerwG 9 VR 4.12) haben die Parteien in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem der Antragsgegner zuvor die sofortige Vollziehung des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses ausgesetzt hatte, um in einem ergänzenden Verfahren eine Umweltverträglichkeitsprüfung für die Planänderung durchzuführen.
Rz. 3
Der Vorhabenträger lässt in einem räumlichen Bereich, der abseits der im Änderungsplanfeststellungsbeschluss vorgesehenen Ausgleichsflächen liegt, auf der Grundlage des Planfeststellungsbeschlusses vom 21. Februar 2007 Arbeiten zur Errichtung der Brücke Ganslandsiepen und des Regenrückhaltebeckens 3 A ausführen. Der Antragsteller macht im vorliegenden Verfahren geltend, die Aussetzung der sofortigen Vollziehung durch die Planfeststellungsbehörde erfasse nicht nur die Planänderungen, sondern den gesamten Planfeststellungsbeschluss mit der Folge, dass es sich bei den laufenden Arbeiten um einen rechtswidrigen faktischen Vollzug handele. Er beantragt,
1. dem Antragsgegner Baumaßnahmen im Bereich der geplanten Brücke Ganslandsiepen zu untersagen,
2. dem Antragsgegner Baumaßnahmen im Bereich des Regenrückhaltebeckens 3 A zu untersagen,
3. festzustellen, dass der Antragsgegner aufgrund des Planfeststellungsbeschlusses vom 21. Februar 2007 in der Gestalt, die er durch die Änderungen bzw. Ergänzungen vom 28. Dezember 2007, 18./19. Februar 2009 und 15. März 2010 sowie durch den Änderungsplanfeststellungsbeschluss vom 8. Februar 2012 erhalten hat, bis zur Rechtskraft des Planfeststellungsbeschlusses keine Maßnahmen zu dessen Umsetzung treffen darf, die über rein verwaltungsinterne Maßnahmen hinausgehen.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 4
Der Antrag hat insgesamt keinen Erfolg.
Rz. 5
1. Der Antrag zu 3 ist statthaft. Der Antragsteller will mit ihm der Sache nach geklärt wissen, ob der Planfeststellungsbeschluss vom 21. Februar 2007 in der Fassung nachfolgender Änderungen seine Vollziehbarkeit auch insoweit eingebüßt hat, als sein Regelungsgehalt über die in dem Änderungsplanfeststellungsbeschluss vom 8. Februar 2012 als solchen enthaltenen Regelungen hinausgeht. Statthafter Rechtsbehelf hierfür ist ein Antrag auf Feststellung mangelnder Vollziehbarkeit in entsprechender Anwendung von § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Rz. 6
Da der Antragsgegner der Rechtsansicht des Antragstellers, der Planfeststellungsbeschluss geänderter Fassung dürfe insgesamt nicht vollzogen werden, entgegentritt, bestehen auch im Übrigen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit dieses Antrags.
Rz. 7
Der Antrag zu 3 ist aber nicht begründet.
Rz. 8
a) Abgesehen von den Regelungen, die auf den Änderungsplanfeststellungsbeschluss zurückgehen, ist der Planfeststellungsbeschluss für den Neubau der A 44 zwischen Ratingen und Velbert gegenüber dem Antragsteller vollziehbar. Unabhängig davon, dass die Planfeststellungsbehörde mit ihrer im Zuge des Verfahrens BVerwG 9 VR 4.12 abgegebenen Erklärung, den Sofortvollzug des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses auszusetzen, keine dem Planfeststellungsbeschluss im Übrigen betreffende Aussetzungsregelung getroffen hat, folgt dies daraus, dass der Planfeststellungsbeschluss für den Autobahnbau gegenüber dem Antragsteller in Bestandskraft erwachsen ist; im Verhältnis zum Antragsteller darf er aus diesem Grund selbst ungeachtet der die bloß vorläufige Vollziehbarkeit bewirkenden Regelung des § 17e Abs. 2 Satz 1 FStrG vollzogen werden.
Rz. 9
Den Planfeststellungsbeschluss für den Autobahnbau hat der Antragsteller weder in seiner ursprünglichen Fassung noch in der Fassung späterer Änderungen und Ergänzungen bis hin zur Änderung vom 15. März 2010 angefochten.
Rz. 10
Die dadurch gegenüber dem Antragsteller eingetretene Bestandskraft ist nicht durch das Urteil vom 18. März 2009 entfallen, in dem der Senat auf die Klage privater Planbetroffener hin den Planfeststellungsbeschluss im Verfahren BVerwG 9 A 40.07 für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärt hat. Dieses Urteil entfaltet mit seinem feststellenden Ausspruch (vgl. Urteil vom 21. März 1996 – BVerwG 4 C 19.94 – BVerwGE 100, 370 ≪372≫; Beschluss vom 22. September 2005 – BVerwG 9 B 13.05 – juris Rn. 7) Wirkung nur zwischen den Beteiligten (§ 121 Nr. 1 VwGO), während dieser Ausspruch sich gegenüber anderen Planbetroffenen als bloßer Rechtsreflex erweist, der die einmal eingetretene Bestandskraft unberührt lässt (Beschluss vom 22. September 2005 a.a.O.; zur differenzierenden Beurteilung der sofortigen Vollziehbarkeit von Planfeststellungsbeschlüssen im Verhältnis zu verschiedenen Betroffenen vgl. auch Beschluss vom 27. Januar 1982 – BVerwG 4 ER 401.81 – BVerwGE 64, 347 ≪353≫).
Rz. 11
Eine andere Sichtweise widerspräche im Übrigen dem Gedanken der Planerhaltung, der in § 17e Abs. 6 Satz 2 FStrG Niederschlag gefunden hat. Danach soll eine – gegenüber jedem Planbetroffenen wirkende – Kassation des Planfeststellungsbeschlusses vermieden werden, soweit der festgestellte Fehler sich voraussichtlich in einem ergänzenden Verfahren ausräumen lässt. Mit diesem Gedanken wäre es unvereinbar, wenn der gerichtliche Ausspruch der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit der Bestandskraft in weitergehendem Umfang entgegenstünde als zur Beseitigung des Fehlers nötig (Beschluss vom 22. September 2005 a.a.O. Rn. 6). Eine Fehlerbeseitigung in einem ergänzenden Verfahren aber ist möglich, ohne die Bestandskraft auch gegenüber solchen Planbetroffenen wieder aufzugeben die den Planfeststellungsbeschluss nicht angefochten haben.
Rz. 12
Die Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses für den Autobahnbau ist auch nicht durch den Änderungsplanfeststellungsbeschluss vom 8. Februar 2012 entfallen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts werden durch einen Änderungsplanfeststellungsbeschluss Rechtsschutzmöglichkeiten grundsätzlich nur in dem Umfang eröffnet, in dem der Beschluss eigene Regelungen enthält. Soweit eine bereits erfolgte wirksame Anlagenzulassung durch Planfeststellung reicht, bedarf es keiner neuen Zulassungsentscheidung. Ist der ursprüngliche Planfeststellungsbeschluss gegenüber einer Person bestandskräftig geworden, so kann diese auf die Planänderung hin nur insoweit Rechtsschutz verlangen, als der Regelungsgehalt des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses reicht (vgl. Urteil vom 21. Mai 1997 – BVerwG 11 C 1.97 – Buchholz 442.40 § 6 LuftVG Nr. 27 S. 4; Beschlüsse vom 17. September 2004 – BVerwG 9 VR 3.04 – Buchholz 316 § 76 VwVfG Nr. 13 S. 4 und vom 22. September 2005 a.a.O. Rn. 5). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Erlass eines den noch nicht vollzogenen Planfeststellungsbeschluss abändernden weiteren Planfeststellungsbeschlusses zusammen mit den Festsetzungen im vorausgegangenen Planfeststellungsbeschluss inhaltlich zu einer einheitlichen Planfeststellungsentscheidung führt (Beschluss vom 17. September 2004 a.a.O.).
Rz. 13
Ebenso wenig wird die mit der Bestandskraft des ursprünglichen Planfeststellungsbeschlusses verbundene Beschränkung der gerichtlichen Überprüfungsbefugnis dadurch infrage gestellt, dass der Änderungsplanfeststellungsbeschluss aus einem nach gerichtlicher Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit durchgeführten ergänzenden Verfahren hervorgegangen ist. Im Gegenteil spricht der Grundsatz der Planerhaltung sogar zusätzlich für diese Beschränkung, da sie gewährleistet, dass die Regelungsteile des ursprünglichen Planfeststellungsbeschlusses, die beanstandungsfrei geblieben sind, weiterem Streit entzogen werden (vgl. Beschluss vom 22. September 2005 a.a.O. Rn. 6).
Rz. 14
b) In besonderen Fallgestaltungen mag es allerdings aus Gründen effektiven Rechtsschutzes geboten sein, die Anfechtbarkeit über den Regelungsgehalt des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses hinaus ausnahmsweise auf die Regelungen der Planfeststellung im Übrigen auszudehnen. Dies ist namentlich dann in Betracht zu ziehen, wenn ein durch die Änderung Betroffener gegen den Planfeststellungsbeschluss in früherer Fassung mangels rechtlicher Betroffenheit noch nicht vorgehen konnte (Beschluss vom 17. September 2004 a.a.O. S. 5; vgl. auch Urteil vom 9. Juni 2010 – BVerwG 9 A 25.09 – Buchholz 316 § 76 VwVfG Nr. 19) oder wenn die Änderung die festgestellte Planung in ihrer Grundkonzeption berührt. Die Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses vom 21. Februar 2007 wird jedoch unter keinem dieser Gesichtspunkte eingeschränkt.
Rz. 15
Die planfestgestellte Autobahnplanung ist in vielfältiger Hinsicht mit Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden, die dem Antragsteller Anlass und Befugnis zur Klage gaben. Der Antragsteller hat also nicht erst aufgrund der Änderungsplanung nach § 42 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 64 Abs. 1, 63 Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG ein Klagerecht erlangt.
Rz. 16
Ebenso wenig wird durch die mit dem Änderungsplanfeststellungsbeschluss geregelten Planänderungen die Grundkonzeption der Planung berührt. Eine den Anforderungen der §§ 13 ff. BNatSchG entsprechende Kompensation, die durch den Änderungsplanfeststellungsbeschluss gewährleistet werden soll, ist zwar Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Autobahnplanung. Die Änderungen betreffen aber nur einen geringen Teil der insgesamt geplanten Kompensationsmaßnahmen (ca. 6 %), ohne das Kompensationskonzept in seinen Grundzügen zu berühren. Sollten die betreffenden Regelungen sich in bestimmter Hinsicht als fehlerhaft oder defizitär erweisen, so lassen sich diese Mängel jedenfalls durch Anpassung und Ergänzung des Kompensationskonzepts ausräumen. Dies gilt jedenfalls deshalb, weil eine Kompensation auch durch Ersatzmaßnahmen erfolgen und, sofern sich Ausgleich oder Ersatz wider erwarten nicht realisieren lassen sollten, nach § 15 Abs. 6 BNatSchG auf die Festsetzung eines Ersatzgeldes ausgewichen werden kann. Allerdings knüpft § 15 Abs. 5 BNatSchG die Zulassung des mit dem Vorhaben verbundenen Eingriffs für den Fall unzureichender Kompensierbarkeit an die Voraussetzung, dass bei der Abwägung aller Anforderungen an Natur und Landschaft die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege anderen Belangen im Range nicht vorgehen. Mit Rücksicht auf die untergeordnete Bedeutung der zum Gegenstand der Änderungsplanung gemachten naturschutzrechtlichen Maßnahmen spricht aber nichts für die Annahme, dass diese Abwägung zu Lasten des Vorhabens ausfallen würde. Angesichts dessen bleibt die Grundkonzeption der Autobahnplanung von den Änderungen, die Gegenstand des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses sind, unberührt mit der Folge, dass auch das Gebot effektiven Rechtsschutzes keine Einschränkungen der Bestandskraft des ursprünglichen Planfeststellungsbeschlusses erfordert.
Rz. 17
2. Die Anträge zu 1 und 2, mit denen der Antragsteller begehrt, dem Antragsgegner die Fortsetzung der Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses vom 21. Februar 2007 durch Arbeiten des Vorhabenträgers an der geplanten Brücke Ganslandsiepen bzw. dem geplanten Regenrückhaltebecken 3 A zu untersagen, kann gleichfalls keinen Erfolg haben. Diese Anträge sind zwar in entsprechender Anwendung des § 80a Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 VwGO statthaft (vgl. Beschluss vom 9. Februar 2012 – BVerwG 9 VR 2.12 – NVwZ 2012, 570 Rn. 6). Ihnen kann jedoch mit Rücksicht auf die Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses in der Sache nicht entsprochen werden.
Rz. 18
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstands aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
Unterschriften
Dr. Bier, Dr. Nolte, Dr. Christ
Fundstellen
Haufe-Index 3201845 |
DÖV 2012, 898 |
NuR 2012, 566 |
DVBl. 2012, 1163 |
I+E 2012, 186 |