Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 22.05.2006; Aktenzeichen 24 B 05.3099) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Mai 2006 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat Erfolg. Die Revision ist zwar nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (1.). Das angefochtene Urteil beruht jedoch auf einem geltend gemachten Verfahrensmangel (2.).
1. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist nicht ausreichend dargelegt.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionszulassung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
a) Der Kläger hält es für eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, dass “laufend Kosten für Verfahren erhoben (werden), die vor dem Bundesverfassungsgericht gewonnen werden, wobei aber – soweit es sich um Eilverfahren handelt – das Bundesverfassungsgericht regelmäßig davon absieht, Kostenerstattung anzuordnen, und zwar mit der Begründung, dass ein Hauptsacheverfahren dazu durchzuführen sei”. Diese Frage bezieht sich auf Fälle, in denen der Kläger im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erfolglos um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht hat und ihm deshalb die Kosten dieser Verfahren auferlegt wurden, das Bundesverfassungsgericht hingegen vorläufigen Rechtsschutz gewährt hat, ohne die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen aufzuheben. Der Kläger ist der Auffassung, dass er bei einer solchen Fallgestaltung nicht mit den Kosten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens belastet werden dürfe. Die darauf zielende Frage kann schon deshalb nicht zur Revisionszulassung führen, weil sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde. Mit dem angefochtenen Urteil hat der Verwaltungsgerichtshof eine von dem Kläger erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage als unzulässig angesehen. Streitgegenstand war also nicht die von dem Kläger als rechtswidrig angesehene Belastung mit Kosten eines verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens trotz Gewährung von Eilrechtsschutz durch das Bundesverfassungsgericht.
Die hier in Rede stehende Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung genügt auch dann nicht den Begründungsanforderungen, wenn man sie auf die Erwägung in dem angefochtenen Urteil bezieht, entgegen der Auffassung des Klägers folge ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht daraus, dass er trotz des Erfolgs vor dem Bundesverfassungsgericht die Kosten des vorangegangenen verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens zu tragen habe (UA S. 20). Dies folgt schon daraus, dass sich der Kläger nicht in der von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gebotenen Weise substantiiert mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofs auseinandersetzt, dass die von dem Kläger beanstandete Kostentragungspflicht deshalb kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründen könne, weil die erstrebte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verbotsverfügung nichts an der rechtskräftigen Kostenentscheidung im gerichtlichen Eilverfahren ändern würde.
b) Soweit der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache mit der Erwägung begründet, einige Oberverwaltungsgerichte sähen in den Fällen eines erfolgreichen bundesverfassungsgerichtlichen Eilverfahrens von der Erhebung der Gerichtskosten für das vorangegangene Verwaltungsgerichtsverfahren ab, ist damit eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ebenfalls nicht ausreichend dargelegt. Die Erwägung betrifft die Frage der Rechtmäßigkeit der Erhebung der Verfahrenskosten für das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren. Da diese Frage aus den aufgezeigten Gründen die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht zu begründen vermag, kann für den Hinweis auf eine mit ihr im Zusammenhang stehende Praxis von Oberverwaltungsgerichten nichts Anderes gelten.
c) Soweit in der Beschwerdebegründung dargelegt wird, dass der Verwaltungsgerichtshof zu Unrecht ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse verneint habe, vermag dies die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ebenfalls nicht zu begründen. Die angebliche Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung rechtfertigt nicht die Revisionszulassung unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung.
2. Die Beschwerde hat jedoch deshalb Erfolg, weil das angefochtene Urteil auf einem Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruht.
Eine auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, die verfahrensrechtliche Probleme aufzeigen soll, kann als Verfahrensrüge im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu verstehen sein, wenn damit der Sache nach ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird. Ein derartiges Verständnis ist anerkannt im Falle einer Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), die sich auf die Anwendung von prozessrechtlichen Vorschriften bezieht (Beschluss vom 12. April 2001 – BVerwG 8 B 2.01 – Buchholz 310 § 92 VwGO Nr. 13 S. 5 m.w.N.), muss aber auch für die Grundsatzrüge Geltung beanspruchen. Denn der Revisionszulassungsgrund der Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO stellt vielfach einen Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung dar (Beschluss vom 27. Juni 1996 – BVerwG 7 B 94.96 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 5 S. 4 m.w.N.). Der Kläger beanstandet auch, der Verwaltungsgerichtshof habe zu Unrecht die Fortsetzungsfeststellungsklage mangels Feststellungsinteresse als unzulässig abgewiesen. Entscheidet das Berufungsgericht, dass eine Fortsetzungsfeststellungsklage wegen Fehlens eines berechtigten Interesses an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts unzulässig ist, so liegt ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, wenn in der Sache hätte entschieden werden müssen (vgl. Beschluss vom 16. Oktober 1989 – BVerwG 7 B 108.89 – NVwZ 1990, 360). Die daher auch als Geltendmachung eines Verfahrensverstoßes zu verstehenden Ausführungen des Klägers zeigen einen derartigen Mangel auf, auf dem das Urteil auch beruht.
Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsaktes im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO besteht u.a. im Falle eines anzuerkennenden Rehabilitationsinteresses. Ein Rehabilitationsinteresse begründet ein Feststellungsinteresse dann, wenn es bei vernünftiger Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalls als schutzwürdig anzuerkennen ist (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 18. Juli 2000 – BVerwG 1 WB 34.00 – Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 11 S. 23 m.w.N.). Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn der Kläger durch die streitige Maßnahme in seinem Persönlichkeitsrecht objektiv beeinträchtigt ist (vgl. Beschluss vom 4. März 1976 – BVerwG 1 WB 54.74 – BVerwGE 53, 134 ≪138≫). Eine solche Beeinträchtigung kann sich auch aus der Begründung der streitigen Verwaltungsentscheidung ergeben (vgl. Urteil vom 19. März 1992 – BVerwG 5 C 44.87 – Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 244 S. 86 f.). Begründungen für das Versammlungsrecht beschränkende Maßnahmen können diskriminierend wirken, insbesondere wenn sie Ausführungen über die Persönlichkeit des Veranstalters oder zu seinem zu erwartenden kriminellen Verhalten auf Versammlungen enthalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 – 1 BvR 461/03 – BVerfGE 110, 77 ≪92≫). Erforderlich ist, dass abträgliche Nachwirkungen der diskriminierenden Maßnahme fortbestehen, denen durch eine gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des Versammlungsverbots wirksam begegnet werden kann (vgl. Beschluss vom 18. Juli 2000 a.a.O. S. 23 m.w.N.; Urteil vom 21. November 1980 – BVerwG 7 C 18.79 – BVerwGE 61, 164 ≪166≫). Mit Blick auf das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) und die verfassungsrechtlich verbürgte Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) sind an das Vorliegen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses in versammlungsrechtlichen Streitigkeiten keine überhöhten Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 a.a.O. S. 85 ff.). Daran gemessen durfte der Verwaltungsgerichtshof das Bestehen eines berechtigten Feststellungsinteresses wegen eines Rehabilitationsbedürfnisses nicht verneinen.
In der streitigen Verfügung wird unter anderem dargelegt: “Sowohl der Versammlungsleiter, Herr R…, als auch der zu erwartende Teilnehmerkreis der für den 16. August 2003 angemeldeten Versammlung lassen angesichts des Versammlungsthemas ‘Gedenken an Rudolf Heß’ unmittelbar den Schluss zu, dass hier im Rahmen dieser Versammlung eine Verherrlichung des Nationalsozialismus und ein offensives Verfolgen nationalsozialistischer Ideen und Ziele erfolgen wird.” Dem ist auch die Behauptung zu entnehmen, dass der Kläger den Nationalsozialismus verherrlicht und nationalsozialistische Ideen sowie Ziele verfolgt. Mit dieser Erwägung wird zum Ausdruck gebracht, dass sich der Kläger mit den menschenverachtenden Ideen und Zielen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft identifiziert und diesen erneut Geltung verschafft wissen möchte. Darin liegt bei objektiver Betrachtung ein Unwerturteil (vgl. auch § 130 Abs. 4 StGB), das auch im vorliegenden Fall ein berechtigtes Rehabilitationsinteresse begründet. Der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass in der hier in Rede stehenden Erwägung in dem angegriffenen Bescheid keine die Persönlichkeit des Klägers herabwürdigende Aussage liege (UA S. 10 Satz 4), ist also nicht zu folgen. Soweit aus Sicht des Berufungsgerichts gegen den diskriminierenden Charakter wohl auch der hier interessierenden Erwägung spricht, dass der Kläger sie letztlich nicht bestritten habe, vermag dies die nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilende und von Amts wegen vom Gericht festzustellende diskriminierende Wirkung nicht auszuschließen.
Die Voraussetzungen eines Rehabilitationsinteresses liegen auch insoweit vor, als abträgliche Nachwirkungen der Diskriminierung gegeben sind, denen durch gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des Versammlungsverbots begegnet werden kann. Eine Nachwirkung der belastenden Erwägung besteht schon deshalb, weil das Landratsamt W… nach wie vor – wenn auch im Zusammenhang mit dem angenommenen Verstoß gegen den objektiven Tatbestand des § 130 Abs. 4 StGB und nicht zur Begründung eines Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung – davon ausgeht, dass der Kläger die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft verherrlicht oder billigt. Diese Erwägung findet sich in der Begründung des Bescheids des Landratsamts W… vom 6. Juli 2006, mit der eine von dem Kläger für den 19. August 2006 angemeldete Versammlung verboten wird. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Nachwirkung durch den Erfolg der Fortsetzungsfeststellungsklage begegnet werden kann.
Da das berechtigte Feststellungsinteresse aus dem aufgezeigten Grund nicht verneint werden kann, kann dahingestellt bleiben, ob auch andere Gründe diese Annahme rechtfertigen.
3. Der Senat macht im Interesse der Verfahrensbeschleunigung von der ihm nach § 133 Abs. 6 VwGO eröffneten Befugnis Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.
4. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 47 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Dr. Bardenhewer, Dr. Hahn, Vormeier
Fundstellen
Haufe-Index 1628578 |
BayVBl. 2007, 505 |