Verfahrensgang
VG Dresden (Aktenzeichen 1 K 760/98) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 12. November 1998 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht Dresden zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.
Gründe
Der Kläger möchte nach dem Vermögensgesetz u.a. seine (Entschädigungs-)Berechtigung in bezug auf Vermögensgegenstände des ehemaligen Akkordeonbetriebs M. T. in Kl. festgestellt wissen, die ihm durch Übergabe einer Schenkungsurkunde seines Schwiegervaters am 18. Mai 1947 übereignet worden sein sollen. Nach seinem Vorbringen wurden die Vermögensgegenstände (Akkordeons und Akkordeonteile), deren Abtransport nach Gera zur Einlagerung in der Sattlerei des Kriegskameraden R. des Klägers vom sowjetischen Ortskommandant Major Bukow genehmigt worden sei, am 28. Mai 1948 beim Beladen des Transportfahrzeugs von der örtlichen Polizei beschlagnahmt und einem volkseigenen Betrieb zugeführt. Der Beklagte hat durch Bescheid vom 18. Februar 1994 unter Bezugnahme auf Feststellungen, die das Verwaltungsgericht Karlsruhe im BFG-Verfahren des Klägers getroffen hatte, dessen Berechtigung mit der Begründung abgelehnt, er habe seine Eigentümerstellung nicht nachgewiesen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat mit dem Ergebnis Erfolg, daß auf seine Verfahrensrüge das angegriffene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen wird (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 6 VwGO).
1. a) Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die von der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Genehmigung der Besatzungsmacht, einen Vermögenswert an einen anderen Ort zu verbringen, einem besatzungshoheitlichen Enteignungsverbot gleichstehe, rechtfertigt die Zulassung der Grundsatzrevision nicht, weil die Tatsachen, die für die Entscheidung dieser Frage in einem Revisionsverfahren erheblich sein würden, nicht festgestellt sind. Das Verwaltungsgericht hat lediglich für möglich gehalten, daß die Besatzungsmacht dem Kläger die Genehmigung zur Einlagerung der Vermögensgegenstände in Gera erteilt hat, und nicht festgestellt, daß diese Genehmigung im Zeitpunkt der Beschlagnahme noch bestand. Schon angesichts fehlender tatsächlicher Feststellungen dazu, daß der Abtransport des Betriebsvermögens besatzungshoheitlich genehmigt war, würde sich darum die Frage, ob in einer solchen Genehmigung ein Enteignungsverbot zu sehen ist, in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Ebensowenig ist festgestellt, inwiefern die von der örtlichen Polizei beschlagnahmten Vermögensgegenstände überhaupt „auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage” im Sinne des § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG enteignet wurden; das Verwaltungsgericht ist offenbar davon ausgegangen, daß jede Enteignungsmaßnahme, die im Zeitraum 1945 bis 1949 von deutschen Stellen in der sowjetischen Besatzungszone vorgenommen wurde, den Ausschlußtatbestand unabhängig davon erfüllt, ob sie ihrer Art nach von der Besatzungsmacht veranlaßt oder ermöglicht worden sein konnte (vgl. demgegenüber Beschluß vom 20. März 1996 – BVerwG 7 B 78.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 70; Beschluß vom 16. Oktober 1996 – BVerwG 7 B 232.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 90). Die bloße Möglichkeit, daß die von der Beschwerde aufgeworfene Frage nach Zurückverweisung der Sache aufgrund weiterer Sachverhaltsaufklärung entscheidungserheblich werden kann, reicht für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht aus (vgl. Beschluß vom 5. September 1996 – BVerwG 9 B 387.96 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 12 m.w.N.).
Grundsätzliche Bedeutung erlangt die Rechtssache auch nicht durch die weiteren Fragen, ob der Ausschluß des Widerspruchsverfahrens in vermögensrechtlichen Streitigkeiten gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 VermG verfassungsgemäß und welches Verwaltungsgericht zuständig ist, wenn der Bescheid von der Außenstelle eines Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen erlassen wurde. Die erste Frage ist ohne weiteres zu verneinen, da weder Art. 19 Abs. 4 GG noch das Rechtsstaatsprinzip die Vorschaltung eines Widerspruchsverfahrens gebieten und die Beschwerde nichts für ihre Behauptung darlegt, daß durch die gesetzliche Regelung des Verfahrens in vermögensrechtlichen Streitigkeiten ein wirkungsvoller Rechtsschutz nicht gewährleistet sei. Die zweite Frage ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt (vgl. Beschluß vom 2. April 1993 – BVerwG 7 ER 400.93 – Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 22 a.E.).
b) Die Revision ist auch nicht wegen der geltend gemachten Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Soweit die Beschwerde dies in bezug auf einen Rechtssatz behauptet, wonach die Besatzungsmacht „generell die von der DWK oder den Landesregierungen erlassenen Entscheidungen (billigte), ohne daß sie sich noch eine nachträgliche Kontrolle oder gar Bestätigung der einzelnen Enteignungs- oder Freigabebeschlüsse vorbehalten hätte” (Beschluß des Senats vom 14. Januar 1998 – BVerwG 7 B 339.97 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 134), ist sie bereits unzulässig (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO); denn die Beschwerde legt nicht dar, daß das Verwaltungsgericht ausdrücklich oder der Sache nach einen hiervon abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat. Gleiches gilt für die angegebene Abweichung von dem Urteil des Senats vom 13. Februar 1997 – BVerwG 7 C 50.95 – BVerwGE 104, 84 ≪89 f.≫ –, da das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines besatzungshoheitlichen Enteignungsverbots nicht festgestellt hat. Dem Beschwerdevorbringen läßt sich insoweit allenfalls die Behauptung entnehmen, das Verwaltungsgericht – das übrigens die genannten Entscheidungen in seinem Urteil selbst zitiert hat – habe zu Unrecht das Vorliegen eines Enteignungsverbots verneint oder die Voraussetzungen seines Fortbestehens verkannt. Derartige Rechtsanwendungsfehler erfüllen nicht den Zulassungsgrund der Divergenz.
2. Das angegriffene Urteil beruht jedoch auf dem von der Beschwerde gerügten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Das Verwaltungsgericht hat ohne Beweiserhebung angenommen, es spreche zwar „einiges” für die Richtigkeit der Angaben des Klägers, daß die Besatzungsmacht ihm oder seinem Schwiegervater eine Genehmigung für die Einlagerung der Vermögensgegenstände und dem Spediteur aus Hof eine Interzonenfahrerlaubnis erteilt habe. Es sei jedoch „nicht ersichtlich”, daß die Besatzungsmacht noch im maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlagnahme am 28. Mai 1948 die Einlagerung der Vermögensgegenstände in Gera gewollt und deshalb der deutschen Schutzpolizei deren Beschlagnahme ausdrücklich verboten habe. Angesichts dessen, daß sich der Kläger ausdrücklich auf eine „schriftliche Einlagerungsgenehmigung” der namentlich genannten Vertreter der Besatzungsmacht beruft und unter Hinweis auf ein Schreiben des Auswärtigen Amts vom 19. September 1995 eine Beweiserhebung angeregt hatte, durfte das Verwaltungsgericht nicht einerseits von der Richtigkeit des Vorbringens zu Erteilung der Genehmigung ausgehen und andererseits deren Fortbestand im Beschlagnahmezeitpunkt ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt hierfür verneinen. Es mag dahingestellt bleiben, ob es sich dem Verwaltungsgericht aufgrund seiner Pflicht zur Sachaufklärung (vgl. § 86 Abs. 1 VwGO) aufdrängen mußte, dem vom Kläger vorgetragenen Sachverhalt durch Einholung einer Auskunft aus dem Zentralarchiv der Russischen Föderation nachzugehen, wie offenbar die Beschwerde meint. Jedenfalls ergibt das Beschwerdevorbringen, daß das Verwaltungsgericht gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verstoßen hat.
Das Verwaltungsgericht mußte nach seinem rechtlichen Standpunkt, der an die Möglichkeit eines in der Einlagerungsgenehmigung zu erblickenden konkreten Enteignungsverbots anknüpfte, die von ihm der Sache nach als wahr unterstellte Behauptung für entscheidungserheblich halten, daß dem Kläger oder seinem Schwiegervater von der Besatzungsmacht die Genehmigung zum Abtransport der Akkordeons erteilt wurde. Es liegt nämlich von diesem rechtlichen Ausgangspunkt her auf der Hand, daß eine von deutschen Stellen vorgenommene Enteignung, die gegen ein von der Besatzungsmacht ausgesprochenes Verbot verstieß, nicht schon deshalb auf besatzungshoheitlicher Grundlage beruhte, weil die Besatzungsmacht keine Anstalten zur Durchsetzung ihres Verbots unternommen und die Enteignung stillschweigend geduldet hat (vgl. Urteil vom 27. Juni 1996 – BVerwG 7 C 3.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 83; Urteil vom 13. Februar 1997, a.a.O.). Das Verwaltungsgericht hat sich jedoch einer Prüfung der sich angesichts seiner Wahrunterstellung aufdrängenden Frage, ob die Besatzungsmacht sich mit der Enteignung des zum Abtransport bereitgestellten Betriebsvermögens ausdrücklich einverstanden erklärt hat, mit der Erwägung entzogen, daß sie kraft ihrer Oberhoheit bei der Verwirklichung der von ihr angeordneten Maßnahmen jederzeit lenkend und korrigierend habe eingreifen können. Damit hat das Verwaltungsgericht seinen mit einem konkreten besatzungshoheitlichen Enteignungsverbot verknüpften rechtlichen Ausgangspunkt verlassen und statt dessen ohne nachvollziehbare Begründung darauf abgestellt, daß die Besatzungsmacht die deutsche Polizei zumindest habe gewähren lassen. Dieser nicht näher begründete und insofern überraschende Wechsel des rechtlichen Ausgangspunkts läßt nur den Schluß zu, daß er durch die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Wahrunterstellung beeinflußt ist, die das Verwaltungsgericht damit nicht durchgehalten hat. Hierin liegt ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (vgl. Beschluß vom 20. Dezember 1994 – BVerwG 7 B 151.94 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 260).
3. Der Senat nimmt den dem angegriffenen Urteil zugrundeliegenden Verfahrensfehler zum Anlaß, das Urteil gemäß § 133 Abs. 6 VwGO durch Beschluß aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Dr. Bardenhewer, Herbert
Fundstellen