Verfahrensgang
Hessischer VGH (Urteil vom 23.01.2018; Aktenzeichen 9 C 814/13.T) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Januar 2018 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 19 500 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Rz. 1
Die Kläger verlangen die Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen zum Schutz gegen Fluglärm.
Rz. 2
Sie sind Eigentümer eines Wohngrundstücks, das außerhalb der Tag-Schutzzone 1 und Nacht-Schutzzone liegt, die § 2 der Verordnung über die Festsetzung des Lärmschutzbereichs für den Verkehrsflughafen Frankfurt Main vom 30. September 2011 (GVBl. I S. 438) festsetzt. Zu ihren Gunsten bestehen Grunddienstbarkeiten an einem in der Nähe und teilweise innerhalb der Nacht-Schutzzone belegenen Grundstück; die Kläger geben an, Miteigentümer dieses Grundstücks zu sein.
Rz. 3
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage abgewiesen. Der auf Erreichung eines bestimmten Schallschutzziels gerichtete Hauptantrag sei unzulässig und unbegründet, der Hilfsantrag, gerichtet auf Neubescheidung eines Antrags auf Erstattung von Aufwendungen, unbegründet.
II
Rz. 4
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
Rz. 5
1. a) Der Verwaltungsgerichtshof hat den Hauptantrag nach § 91 Abs. 1 VwGO abgewiesen, weil die Beteiligten in die Klageänderung nicht eingewilligt hätten und diese auch nicht sachdienlich sei. Im Übrigen fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Kläger ihr auf Bescheide aus den Jahren 2001 und 2002 gestütztes Begehren nicht zuvor gegenüber der Behörde geltend gemacht hätten.
Rz. 6
Die Beschwerde beanstandet die Behandlung des Hauptantrags als Klageänderung. Damit bezeichnet sie keinen Verfahrensfehler, auf dem das Urteil nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruhen kann. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Abweisung der Klage als unzulässig nämlich auch mit dem Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses begründet, ohne dass die Beschwerde insoweit einen Verfahrensfehler geltend macht. Da diese Begründung die Abweisung der Klage als unzulässig selbständig trägt, kommt es auf das Vorliegen des von der Beschwerde angenommenen Verfahrensfehlers nicht an.
Rz. 7
b) Die Beschwerde macht hinsichtlich der Begründetheit des Hauptantrags die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend. Dies führt nicht zur Zulassung der Revision.
Rz. 8
Die Kläger werden durch die Ausführungen zur Unbegründetheit des Hauptantrags nicht beschwert, auch wenn der Verwaltungsgerichtshof ihnen selbständig tragende Bedeutung beigemessen haben sollte (vgl. UA S. 11: "Im Übrigen..."). Wegen der Unzulässigkeit der Klage konnte der Verwaltungsgerichtshof verfahrensfehlerfrei nur ein Prozessurteil erlassen. Daher erwachsen seine Ausführungen zur Unbegründetheit des Hauptantrags nicht in Rechtskraft, sondern sind als nicht geschrieben zu behandeln (BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2000 - 7 C 3.00 - BVerwGE 111, 306 ≪312≫, Beschlüsse vom 14. Dezember 2018 - 6 B 133.18 - NVwZ 2019, 649 Rn. 22 und vom 27. November 2019 - 8 B 32.19 - juris Rn. 5). Mit Blick auf solche Ausführungen kann die Revision nicht zugelassen werden.
Rz. 9
2. Die Revision ist hinsichtlich des Hilfsantrags nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Rz. 10
Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig ist und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, siehe bereits BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 ≪91≫).
Rz. 11
a) Die Revision möchte der Sache nach rechtsgrundsätzlich klären lassen,
ob § 75 Abs. 2 Satz 2 HVwVfG im Anwendungsbereich des Fluglärmschutzgesetzes einen Anspruch auf passive Lärmschutzmaßnahmen gewährt.
Rz. 12
Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Sie lässt sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation (vgl. dazu BVerwG, Beschlüsse vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 ≪270≫ und vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - BauR 2020, 238 Rn. 6) beantworten.
Rz. 13
Das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm (Fluglärmschutzgesetz - FluglärmG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 31. Oktober 2007 (BGBl. I S. 2550) regelt in § 9 Abs. 1 bis 4 FluglärmG die Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen einschließlich der zugrundeliegenden Auslösewerte. Über die Ansprüche ist, soweit sie im Fluglärmschutzgesetz geregelt sind, grundsätzlich nicht im Planfeststellungsverfahren, sondern in einem gesonderten Festsetzungsverfahren zu entscheiden. Materiell-rechtlich sind die Erstattungsansprüche an die Belegenheit der Grundstücke in der Tag- oder der Nacht-Schutzzone und damit an das Überschreiten der in § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 FluglärmG jeweils gesondert geregelten Auslösewerte geknüpft (BVerwG, Urteil vom 4. April 2012 - 4 C 8.09 u.a. - BVerwGE 142, 234 Rn. 175 ff.). Die Vorschriften regeln nach § 13 Abs. 1 Satz 1 FluglärmG für die Umgebung von Flugplätzen die Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen nach § 9 Abs. 1 bis 4 FluglärmG mit Wirkung auch für das Genehmigungsverfahren nach § 6 LuftVG sowie das Planfeststellungsverfahren nach § 8 LuftVG.
Rz. 14
Das Fluglärmschutzgesetz geht als speziellere Regelung dem allgemeinen Planfeststellungsrecht, also auch § 75 Abs. 2 Satz 2 HVwVfG vor und schließt dessen Anwendung aus. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 HVwVfG kann der Betroffene Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen verlangen, welche die nachteiligen Wirkungen ausschließen, wenn nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens oder der dem festgestellten Plan entsprechenden Anlagen auf das Recht eines anderen erst nach Unanfechtbarkeit des Plans auftreten. Betroffene sollen nach dieser Vorschrift nicht schlechter stehen als sie stünden, wenn im Zeitpunkt der Planfeststellung die aufgetretenen nachteiligen Folgen bereits vorhergesehen worden wären (BVerwG, Urteil vom 7. März 2007 - 9 C 2.06 - BVerwGE 128, 177 Rn. 24). Das Fluglärmschutzgesetz regelt indes auch den Fall späterer Veränderungen abweichend von § 75 Abs. 2 Satz 2 HVwVfG. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 FluglärmG ist der Lärmschutzbereich für einen neuen, wesentlich baulich geänderten oder bestehenden Flugplatz neu festzusetzen, wenn eine Änderung in der Anlage oder im Betrieb des Flugplatzes zu einer wesentlichen Veränderung der Lärmbelastung in der Umgebung des Flugplatzes führen wird. Nach § 4 Abs. 6 Satz 1 FluglärmG ist spätestens nach Ablauf von zehn Jahren seit Festsetzung der Lärmschutzbereiche zu prüfen, ob sich die Lärmbelastung wesentlich verändert hat oder innerhalb der nächsten zehn Jahre voraussichtlich wesentlich ändern wird. Damit regelt das Fluglärmschutzgesetz 2007, soweit die Lärmschutzbelange von seinem Regelungsanspruch erfasst sind (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 4. April 2012 - 4 C 8.09 u.a. - BVerwGE 142, 234 Rn. 182), als speziellere Norm die Folgen veränderter tatsächlicher Verhältnisse und verdrängt die Regelung des § 75 Abs. 2 Satz 2 HVwVfG über nachträgliche Schutzanordnungen (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. September 2014 - 6 A 22.14 - juris Rn. 28 ff.).
Rz. 15
b) Die Kläger messen der Sache nach der Frage grundsätzliche Bedeutung bei,
ob § 9 Abs. 2 Satz 1 FluglärmG dem Eigentümer eines außerhalb der Nacht-Schutzzone gelegenen Wohngrundstücks einen Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen gewährt, wenn innerhalb der Nacht-Schutzzone ein Grundstück liegt, das zu Gunsten des Wohngrundstücks mit Dienstbarkeiten (Fahr- und Wegerecht, Kinderspielplatzbenutzungsrecht, Versorgungsleitungsrecht, Müllcontainer- und Antennenmitbenutzungsrecht) belastet ist.
Rz. 16
Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Ihre Beantwortung bedarf keines Revisionsverfahrens. Sie ist zu verneinen.
Rz. 17
Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 FluglärmG werden dem Eigentümer eines in der Nacht-Schutzzone gelegenen Grundstücks, auf dem bei Festsetzung des Lärmschutzbereichs Einrichtungen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 FluglärmG oder Wohnungen errichtet sind oder auf dem die Errichtung von solchen baulichen Anlagen gemäß § 5 Abs. 4 FluglärmG zulässig ist, für Räume, die in nicht nur unwesentlichem Umfang zum Schlafen benutzt werden, Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen erstattet. § 9 Abs. 2 Satz 1 FluglärmG setzt voraus, dass auf dem in der Nacht-Schutzzone gelegenen Grundstück die geschützte Nutzung - der Schlaf in Wohnungen oder schutzbedürftigen Einrichtungen - ausgeübt wird (zur Maßgeblichkeit der Belegenheit des Grundstücks vgl. BVerwG, Urteil vom 4. April 2012 - 4 C 8.09 u.a. - BVerwGE 142, 234 Rn. 180). Für die von der Beschwerde geforderte erweiternde Auslegung fehlt ein Anhaltspunkt. Es ist nicht erkennbar, warum zu Gunsten der Eigentümer von Wohngrundstücken außerhalb der Nacht-Schutzzone Grundstücke anspruchsbegründend wirken sollen, die nicht zum Schlafen genutzt werden und eines Schallschutzes nicht bedürfen.
Rz. 18
Der Hinweis auf § 5 der Verordnung über die Festsetzung des Lärmschutzbereichs für den Verkehrsflughafen Frankfurt Main vom 30. September 2011 (GVBl. I S. 438) zeigt keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf. Danach gilt ein Grundstück als vollständig in der Tag-Schutzzone 1 oder der Nacht-Schutzzone gelegen, wenn es zum Teil in einer dieser Zonen liegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat für die Anwendung dieser nicht revisiblen Norm das Grundstück im grundbuchrechtlichen Sinne für maßgeblich gehalten (UA S. 17). Revisionsrechtlichen Klärungsbedarf legt die Beschwerde insoweit nicht dar.
Rz. 19
c) Die Beschwerde möchte schließlich klären lassen,
ob das gegenüber § 2 FluglärmG höhere Schutzniveau aus den Bescheiden des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 26. April 2001 und vom 25. November 2002 auch nach Inkrafttreten des Fluglärmschutzgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 31. Oktober 2007 und dem Erlass des Planfeststellungsbeschlusses für den Verkehrsflughafen Frankfurt Main vom 18. Dezember 2007 noch anwendbar ist.
Rz. 20
Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, weil sie allein auf den Einzelfall zugeschnitten ist. Hiervon unabhängig legt die Beschwerde nicht dar, warum die Frage für die Entscheidung über den - allein zulässigen - Hilfsantrag erheblich sein könnte.
Rz. 21
Schließlich könnte die Revision nicht zugelassen werden, wenn das Vorbringen als rechtsgrundsätzliche Frage zu § 13 Abs. 1 Satz 2 FluglärmG verstanden würde. Nach dieser Vorschrift bleiben weitergehende Regelungen unberührt, soweit diese in einer Genehmigung, Planfeststellung oder Plangenehmigung getroffen worden sind, die bis zum 6. Juni 2007 erteilt worden ist. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs hat der Planfeststellungsbeschluss vom 18. Dezember 2007 eine umfassende Regelung getroffen und die Bestimmungen der früheren Bescheide nicht beibehalten (UA S. 12). An diese tatrichterliche Auslegung des Planfeststellungsbeschlusses wäre der Senat mangels Verfahrensrügen in einem Revisionsverfahren (BVerwG, Urteile vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 - Buchholz 442.42 § 27a LuftVO Nr. 8 Rn. 74 und vom 1. September 2016 - 4 C 4.15 - BVerwGE 156, 94 Rn. 26) gebunden, so dass vom Fehlen weitergehender Regelungen im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 2 FluglärmG auszugehen wäre. Die Ausführungen der Beschwerde zu § 13 Abs. 1 Satz 2 FluglärmG gehen daran vorbei, dass maßgeblich für den Verwaltungsgerichtshof nicht die Auslegung des Gesetzes, sondern die Auslegung des Planfeststellungsbeschlusses als überholende Entscheidung war (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 2011 - 6 C 3.10 - Buchholz 442.066 § 55 TKG Nr. 6 Rn. 13; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 43 Rn. 213; Leisner-Egensberger, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 43 Rn. 70).
Rz. 22
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen