Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 19.09.2013; Aktenzeichen 81 D 2.13) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. September 2013 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf Verfahrensfehler gestützte Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
1. Der 1963 geborene Beklagte steht als Polizeiobermeister im Dienst des klagenden Landes und wurde zuletzt als Streifenbeamter eingesetzt. Im Jahr 2006 verurteilte ihn das Amtsgericht wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in einem Fall zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils fasste der Beklagte der damals höchstens 11-jährigen Tochter seiner damaligen Ehefrau in den Sommerferien des Jahres 1996 oder 1997 in den Schambereich. Im sachgleichen Disziplinarverfahren entfernte das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis, die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Durch Beschluss vom 15. März 2013 – BVerwG 2 B 22.12 – (NVwZ-RR 2013, 557) hob das Bundesverwaltungsgericht das Berufungsurteil auf und verwies den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurück, weil die vom Beklagten beantragte Zeugenvernehmung seines jüngsten Sohnes verfahrensfehlerhaft abgelehnt worden war.
Mit Urteil vom 19. September 2013 hat das Oberverwaltungsgericht die Disziplinarklage daraufhin abgewiesen. Im Hinblick auf eine nachträgliche eidesstattliche Versicherung des jüngsten Sohnes des Beklagten hat es sich von den tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils teilweise gelöst und mit der Vernehmung dieses Zeugen sowie des Tatopfers eine eigenständige Beweisaufnahme durchgeführt. Danach bestünden zwar an dem strafgerichtlich abgeurteilten Vorfall selbst keine Zweifel, es könne aber nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass der Beklagte mit einem Finger in die Scheide der Opferzeugin eingedrungen sei. Obwohl der Orientierungsrahmen angesichts der Strafandrohung des § 176 Abs. 1 StGB a.F. bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis reiche, stelle deshalb hier die Zurückstufung die dem Schuld- und Unrechtsgehalt der Pflichtverletzung angemessene Maßnahme dar. Dem Beklagten werde nur eine einmalige Tat zur Last gelegt, deren Gewicht im untersten Bereich eines sexuellen Missbrauchs liege. Dem entspreche auch die verhältnismäßig geringe Höhe der vom Strafgericht ausgesprochenen Strafe. Die angemessene Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung könne wegen Ablaufs der in § 15 Abs. 3 LDG Bbg bestimmten Frist aber nicht mehr ausgesprochen werden.
2. Die Beschwerde des Klägers hat keinen Verfahrensmangel des angegriffenen Urteils aufgezeigt (§ 70 LDG Bbg i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Der behauptete Begründungsmangel liegt nicht vor.
Die Begründungspflicht des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO verlangt, dass in den Urteilsgründen diejenigen tatsächlichen Umstände und rechtlichen Erwägungen wiedergegeben werden, die das Gericht bestimmt haben, die Voraussetzungen für seine Entscheidung als erfüllt anzusehen. Das Urteil muss erkennen lassen, dass das Gericht den ermittelten Tatsachenstoff wertend gesichtet und in welchen konkreten Bezug es ihn zu den angewandten Rechtsnormen gesetzt hat (stRspr; vgl. Urteil vom 18. Februar 1981 – BVerwG 6 C 159.80 – BVerwGE 61, 365 ≪368≫ = Buchholz 448.0 § 25 WPflG Nr. 119 S. 2; zuletzt Beschluss vom 2. März 2012 – BVerwG 2 B 8.11 – juris Rn. 19 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt das angegriffene Urteil. Insbesondere lassen die Gründe erkennen, warum und aufgrund welcher Tatsachengrundlage das Oberverwaltungsgericht zu einer Würdigung gelangt ist, die nicht der im Urteil vom 15. Dezember 2011 ursprünglich ausgesprochenen Disziplinarmaßnahme entspricht.
Das Oberverwaltungsgericht hat in der angegriffenen Entscheidung ausgeführt, allein das Vorliegen einer Straftat nach § 176 Abs. 1 StGB a.F. führe nicht dazu, dass stets der im Hinblick auf die gesetzliche Strafdrohung indizierte Orientierungsrahmen auszuschöpfen sei. In Anknüpfung an die Rechtsprechung des erkennenden Senats hat es für die Einordnung des Dienstvergehens innerhalb des Orientierungsrahmens vielmehr maßgeblich auf die Schwere des Dienstvergehens und die diese bestimmenden Umstände abgestellt (stRspr; vgl. etwa Urteile vom 25. März 2010 – BVerwG 2 C 83.08 – BVerwGE 136, 173 = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 11 jeweils Rn. 11 und vom 19. August 2010 – BVerwG 2 C 13.10 – Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 12 Rn. 25). Dabei hat es dem Umstand, dass der Beklagte das Geschlechtsteil des Opfers nur berührt hat, ohne in die Scheide einzudringen, maßgebliche Bedeutung zugemessen. Die Tathandlung „von vergleichsweise begrenzter Intensität” sei auf der Skala denkbarer Missbrauchsfälle im untersten Bereich einzuordnen und rechtfertige die Verhängung der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme nicht. Die für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts leitenden Gesichtspunkte sind daher klar erkennbar offengelegt und schlüssig.
Das vom Kläger gerügte Begründungsdefizit folgt auch nicht aus dem Umstand, dass das Oberverwaltungsgericht ursprünglich anders entschieden hatte. Abgesehen davon, dass das Oberverwaltungsgericht nach der Zurückverweisung der Sache seiner Entscheidung gemäß § 144 Abs. 6 VwGO die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen hatte (vgl. zur Reichweite dieser Bindungswirkung etwa Urteil vom 28. November 2012 – BVerwG 8 C 21.11 – BVerwGE 145, 122 = Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 46 jeweils Rn. 22; Beschluss vom 3. November 2011 – BVerwG 2 B 1.11 – juris Rn. 7), war die geänderte Maßnahmebemessung offenkundige Folge der nunmehr vom Oberverwaltungsgericht eigenständig getroffenen Tatsachenfeststellungen.
Das Oberverwaltungsgericht hat sich hinsichtlich des für die disziplinarrechtliche Bewertung maßgeblichen Sachverhalts von den tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils gelöst und eine eigenständige Beweisaufnahme durchgeführt. Danach hat es nicht die Überzeugung gewonnen, dass der Beklagte mit einem Finger in die Scheide des Tatopfers eingedrungen ist. Von diesem Vorwurf hat es den Beklagten vielmehr ausdrücklich freigestellt (UA S. 21). Diesem Umstand hat das Oberverwaltungsgericht auch bei seinen Zumessungserwägungen maßgebliche Bedeutung zuerkannt. Anders als im ursprünglichen Urteil vom 15. Dezember 2011 (UA S. 29) hat das Oberverwaltungsgericht deshalb nicht mehr das erhebliche Gewicht des Dienstvergehens betont, sondern das Eigengewicht im Hinblick auf die konkreten Umstände der Tatbegehung relativiert. Die Abweichung von der im Urteil vom 15. Dezember 2011 für richtig erachteten Maßnahmebemessung ergibt sich daher schlüssig aus den Begründungserwägungen der angegriffenen Entscheidung.
Schließlich stellt es auch keinen Widerspruch dar, dass das Oberverwaltungsgericht im Rahmen der Feststellung eines Dienstvergehens das Eindringen in die Scheide für bedeutungslos erachtet, diesem Umstand bei der Maßnahmebemessung aber Beachtung schenkt. Der Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern setzt entsprechende Handlungen nicht voraus, sodass deren Vorliegen zur Annahme einer entsprechenden Straftat und des damit gegebenenfalls einhergehenden Dienstvergehens nicht erforderlich ist. Zur Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens und der deshalb erforderlichen Disziplinarmaßnahme dagegen sind, wie bereits dargelegt, auch die Umstände der Tatbegehung von Bedeutung.
Worin die insoweit ebenfalls gerügte Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegen soll, ist mit der Beschwerde nicht dargetan und auch sonst nicht erkennbar. Angesichts der mit Beschluss vom 19. September 2013 ausgesprochenen Lösung von den für den Disziplinarvorwurf maßgeblichen Tatsachenfeststellungen aus dem Strafurteil musste der Kläger mit der Möglichkeit einer Änderung der im Urteil vom 15. Dezember 2011 verhängten Disziplinarmaßnahme rechnen.
3. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 70 LDG Bbg i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Die mit der Beschwerde bezeichnete Frage:
„Führt es in Fällen des sexuellen Kindesmissbrauchs durch Beamte zu einer Aufhebung der indizierten Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, wenn der sexuelle Missbrauch ohne ein Eindringen stattgefunden hat?”
ist in dieser generellen Form nicht klärungsfähig, die Antwort hängt vielmehr von den konkreten Umständen der Einzelfallgestaltung ab.
Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 LDG Bbg ist die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall be- und entlastenden Gesichtspunkte zu bestimmen. Erst aufgrund des Ergebnisses dieser Gesamtwürdigung kann festgestellt werden, ob ein Beamter aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist, weil er das erforderliche Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat (stRspr; vgl. zuletzt etwa Beschluss vom 25. Mai 2012 – BVerwG 2 B 133.11 – NVwZ-RR 2012, 607 Rn. 8). Auch wenn für die Bestimmung der Schwere eines Dienstvergehens generelle Maßstäbe als Orientierungsrahmen für einzelne Fallgruppen entwickelt worden sind, folgt hieraus deshalb nicht der von der Beschwerde in der vorbezeichneten Frage zugrunde gelegte Schematismus. Gerade die Bewertung von Handlungen mit sexuellem Bezug hängt vielmehr maßgeblich von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab (Beschlüsse vom 31. Mai 2012 – BVerwG 2 B 141.11 – juris Rn. 8 und vom 11. Februar 2014 – BVerwG 2 B 37.12 – Rn. 13; hierzu auch Urteil vom 28. Februar 2013 – BVerwG 2 C 62.11 –NVwZ–RR 2013, 693 Rn. 40 m.w.N.).
Soweit sich die Beschwerde in der Sache gegen die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene Gesamtwürdigung wendet und das Fehlverhalten des Beklagten strenger beurteilt sehen will, ist dies nicht geeignet, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 70 LDG Bbg i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO darzulegen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 78 Abs. 4 LDG Bbg, § 154 Abs. 2 VwGO.
Ein Streitwert für das Beschwerdeverfahren muss nicht festgesetzt werden, weil sich die Höhe der Gerichtskosten streitwertunabhängig aus dem Gesetz ergibt (vgl. § 79 Abs. 1 Satz 1 LDG Bbg i.V.m. Nr. 10 und 62 der Anlage zu § 78 BDG).
Unterschriften
Domgörgen, Dr. Kenntner, Dollinger
Fundstellen