Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 01.02.2007; Aktenzeichen 2 B 05.2470) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 1. Februar 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Frage, ob § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB nur anwendbar ist, wenn das durch Brand, Naturereignisse oder außergewöhnliche Ereignisse zerstörte Gebäude zu diesem Zeitpunkt entsprechend der zulässigen Nutzung funktionsfähig war und genutzt wurde oder zwar eine Nutzungsunterbrechung vorliegt, aber aufgrund der Zeitdauer (sog. Zeitmodell) und der sonstigen Umstände nach der Verkehrsauffassung mit der alsbaldigen Aufnahme der Nutzung zu rechnen ist, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Da sie sich auf der Grundlage der bisherigen Senatsrechtsprechung ohne weiteres beantworten lässt, kommt ihr keine grundsätzliche Bedeutung zu.
Nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB können der alsbaldigen Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten, durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse zerstörten, gleichartigen Gebäudes an gleicher Stelle bestimmte öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB nicht entgegengehalten werden. Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein bauaufsichtlich genehmigtes Gebäude dann “zulässigerweise errichtet”, wenn es bauaufsichtlich genehmigt oder zwar ohne Genehmigung errichtet worden war, aber wegen seiner materiellen Legalität Bestandsschutz genoss (Urteil vom 8. Juni 1979 – BVerwG 4 C 23.77 – BVerwGE 58, 124 ≪126 f.≫). In beiden Fällen wäre das Gebäude zwar zum Zeitpunkt seiner Zerstörung nicht genehmigungsfähig gewesen, weil es zu diesem Zeitpunkt mit der materiellen Rechtslage nicht (mehr) vereinbar war. Die erteilte Baugenehmigung oder die in der Vergangenheit gegebene Genehmigungsfähigkeit hätten das Gebäude jedoch gegenüber einer Beseitigungsanordnung geschützt. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB ermöglicht die Wiedererrichtung solcher Vorhaben, die im Zeitpunkt ihrer Zerstörung Bestandsschutz genossen. Darin liegt aber auch die Grenze des Anwendungsbereichs der Vorschrift: Hatte das Gebäude, auch wenn es früher einmal formell oder materiell rechtmäßig errichtet worden war, seinen Bestandsschutz später eingebüßt, so war es nicht (mehr) zulässigerweise errichtet (Beschluss vom 27. Juli 1994 – BVerwG 4 B 48.94 – BRS 56 Nr. 85).
Der Bestandsschutz, der durch eine Baugenehmigung vermittelt wird, erlischt, wenn die Genehmigung unwirksam wird. Dies kann nach Ansicht des Senats der Fall sein, wenn eine zulässige Nutzung zeitweilig nicht ausgenutzt wird (vgl. Urteil vom 18. Mai 1995 – BVerwG 4 C 20.94 – (BVerwGE 98, 235 ≪240≫). Zur Beurteilung der Frage, nach welchem Zeitablauf ein Wechsel der Grundstückssituation den Bestandsschutz entfallen lässt, hat er ein Zeitmodell entwickelt.
Ob Fragen zur Fortdauer eines durch eine Baugenehmigung gedeckten Bestandsschutzes und zur Angemessenheit eines derartigen Zeitmodells revisibles Recht oder irrevisibles Landesrecht betreffen, kann offen bleiben. Denn die Beschwerde zeigt nicht auf, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung der Korrektur oder Fortentwicklung bedarf. Sie schließt sich ihr im Gegenteil vorbehaltlos an. Die Formulierung einer fallübergreifenden Rechtsfrage kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es der Beschwerde in Wahrheit nicht um die grundsätzliche Klärung von Rechtsfragen zu § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB, sondern um eine Kritik an der vorinstanzlichen Sachverhaltswürdigung geht. Das Berufungsgericht hat den dreijährigen Leerstand des Gebäudes vor seiner Zerstörung nach Maßgabe des Zeitmodells des Senats nicht auf den Bestandsschutz durchschlagen lassen, weil die Klägerin plausibel und nachvollziehbar dargelegt habe, weshalb das Gebäude nach Eintritt des Wasserschadens leergestanden habe und mit der Reparatur zugewartet worden sei, und damit die Vermutung widerlegt habe, es sei eine endgültige Aufgabe der Wohnnutzung beabsichtigt gewesen (UA S. 8). Damit ist die Beklagte nicht einverstanden. Sie versucht, in ihrer Beschwerdebegründung den Nachweis zu führen, dass die Verhältnisse im Raum München im Allgemeinen und das Verhalten der Klägerin im Besonderen gegen die Absicht zur Wiederaufnahme der bisherigen Nutzung sprächen. Auch die weitere, in Frageform gekleidete und auf die konkreten Umstände des vorliegenden Falles zugeschnittene These, dass der Bestandsschutz erloschen und § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB nicht anwendbar ist, wenn zum Zeitpunkt des Ereignisses (hier Brand) ca. dreieinhalb Jahre zuvor ein kapitaler Wasserschaden eingetreten ist, daraufhin die Mietverträge wegen Unbewohnbarkeit gekündigt wurden, das Gebäude leer stand und keinerlei Schutz- und Sanierungsmaßnahmen durchgeführt wurden, d.h. das Gebäude dem Verfall preisgegeben war, zeigt, dass sich die Beklagte gegen die vorinstanzliche Tatsachenwürdigung und Rechtsanwendung im Einzelfall wendet. Der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist damit nicht dargetan.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Die Rüge, die angefochtene Entscheidung weiche von mehreren, im Einzelnen bezeichneten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ab, ist unzulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt. Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung liegt nur vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht (vgl. Beschluss vom 20. Dezember 1995 – BVerwG 6 B 35.95 – NVwZ-RR 1996, 712; stRspr). Der Tatbestand der Divergenz muss nicht nur durch die Angabe der höchstrichterlichen Entscheidung, von der abgewichen sein soll, sondern auch durch Gegenüberstellung der miteinander unvereinbaren Rechtssätze dargelegt werden. Hieran lässt es die Beschwerde fehlen. Sie arbeitet keinen Rechtssatz aus dem Berufungsurteil heraus, der von einem Rechtssatz aus den genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts abweicht. Vielmehr beanstandet sie, dass das Berufungsgericht Rechtssätze des Bundesverwaltungsgerichts unzutreffend angewandt habe. Subsumtionsfehler, so sie denn vorlägen, sind indes nicht mit einer Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gleichzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Gatz, Dr. Jannasch
Fundstellen
Haufe-Index 1772080 |
BauR 2007, 1697 |
GV/RP 2008, 347 |
BBB 2007, 56 |
BRS-ID 2007, 4 |
FuBW 2008, 56 |
FuHe 2008, 208 |
FuNds 2008, 571 |
IDAI 2007, 9 |