Verfahrensgang
Hessischer VGH (Beschluss vom 23.01.2007; Aktenzeichen 10 UE 2499/05) |
Tenor
Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Januar 2007 wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Gründe
Die Beschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Berufungsentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
Der Kläger rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe ihn über seine Absicht, über die Berufung des Beklagten abweichend von § 101 Abs. 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, nicht in genügender Weise zuvor angehört. Zwar sei ihm am 30. März 2006 ein Anhörungsschreiben zugestellt worden, in dem die Beteiligten zur Äußerung bis zum 21. März 2006 – später verlängert bis zum 4. Mai 2006 – aufgefordert worden seien. Darin könne jedoch eine hinlängliche Anhörung für den erst am 23. Januar 2007 ergangenen Berufungsbeschluss nicht gesehen werden, zumal der Berichterstatter die Beteiligten mit einem weiteren Schreiben vom 1. Juni 2006 zur Stellungnahme zu diversen Zweifelsfragen aufgefordert und sie zudem gefragt habe, ob sie auch mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter mit oder ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien.
Die Rüge ist begründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO verletzt, wonach die Beteiligten zu hören sind, bevor das Berufungsgericht über die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheidet. Der Verfahrensfehler wirkt sich nicht nur auf einzelne Sachverhaltsumstände, sondern auf das Vorbringen insgesamt aus und stellt insofern einen absoluten Revisionsgrund dar (§ 138 Nr. 3 VwGO), weshalb unwiderleglich vermutet wird, dass die angefochtene Entscheidung auf ihm beruht (stRspr; vgl. Beschluss vom 19. April 1999 – BVerwG 8 B 150.98 – Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 37 S. 12 m.w.N.).
Im Mittelpunkt des Berufungsverfahrens steht die mündliche Verhandlung, in der die Sache – auch um die Ergebnisrichtigkeit der Entscheidung zu fördern – mit den Beteiligten zu erörtern ist. Hiervon lässt § 130a VwGO eine Ausnahme zu. Der Ausnahmecharakter der Vorschrift führt aber dazu, dass an das Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen strenge Anforderungen zu stellen sind (stRspr; vgl. Beschluss vom 22. April 1999 – BVerwG 9 B 1037.98 – Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 38 S. 16 sowie allgemein Urteil vom 30. Juni 2004 – BVerwG 6 C 28.03 – BVerwGE 121, 211 = Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 64). Das gilt auch für die nach § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO vorgeschriebene Anhörungsmitteilung. Sie muss daher unmissverständlich erkennen lassen, wie das Berufungsgericht zu entscheiden beabsichtigt. Das gilt sowohl hinsichtlich der Verfahrensweise – ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss – als auch hinsichtlich der beabsichtigten Sachentscheidung – Begründetheit oder Unbegründetheit der Berufung (stRspr; vgl. Urteil vom 21. März 2000 – BVerwG 9 C 39.99 – BVerwGE 111, 69 ≪73 f.≫ = Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 49 S. 34).
Dem genügt das vom Verwaltungsgerichtshof geübte Verfahren nicht. Zwar war die Anhörungsmitteilung, die den Beteiligten am 30. März 2006 zugestellt wurde, für sich genommen unmissverständlich. Sie wurde jedoch durch das weitere Anhörungsschreiben des Berichterstatters vom 1. Juni 2006 nachträglich entwertet. Das gilt sowohl hinsichtlich der beabsichtigten Verfahrensweise wie hinsichtlich der beabsichtigten Sachentscheidung.
Mit Blick auf die beabsichtigte Verfahrensweise hat der Berichterstatter in diesem Schreiben darauf hingewiesen, dass er demnächst aus dem Amt scheiden werde, und versichert, die Sache bis dahin noch einer Entscheidung zuführen zu wollen. Er hat die Beteiligten um Stellungnahme gebeten, “ob als Alternative zu einer Entscheidung des Senats nach § 130a VwGO Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter mit oder ohne mündliche Verhandlung besteht”; die mündliche Verhandlung könne in der 25. Woche stattfinden. Zwar liegt nahe, dass der Verwaltungsgerichtshof sich damit grundsätzlich die Entscheidung nach § 130a VwGO offen halten wollte, sofern sich die Beteiligten mit einer – offenbar rascher erreichbaren – Entscheidung des Berichterstatters nach § 87a Abs. 2 VwGO nicht einverstanden erklären sollten. Ob die Anhörung nach § 130a VwGO noch die gebotene Unmissverständlichkeit besitzt, wenn diese Verfahrensweise von der Bedingung abhängig gemacht wird, dass sich die Beteiligten mit einer alternativen Verfahrensweise nicht einverstanden zeigen, ist zweifelhaft; doch mag dies auf sich beruhen. Der Berichterstatter hat nämlich die Aufforderung zur Stellungnahme mit dem Hinweis auf sein Ausscheiden aus dem Amt verknüpft. Dies konnte von den Beteiligten dahin verstanden werden, dass sämtliche genannten Verfahrenswege – auch die Verfahrensweise nach § 130a VwGO – nur für eine Entscheidung unter seiner Mitwirkung ins Auge gefasst seien, dass mit anderen Worten der Verwaltungsgerichtshof nach dem absehbaren Wechsel des Berichterstatters über die beabsichtigte Verfahrensweise neu befinden werde. Damit wurde die Anhörungsmitteilung gewissermaßen unter eine auflösende Bedingung gestellt, die auch alsbald eingetreten ist.
Der Anhörungsmitteilung wurde die gebotene Unmissverständlichkeit durch das Berichterstatterschreiben vom 1. Juni 2006 aber vor allem hinsichtlich der beabsichtigten Sachentscheidung genommen. Im Anhörungsschreiben hatte der Berichterstatter mitgeteilt, dass der Senat die Berufung des Beklagten “nach Beratung … einstimmig für begründet” halte. In seinem Schreiben vom 1. Juni 2006 wirft der Berichterstatter nunmehr – “nach nochmaliger Überprüfung” – wieder etliche Zweifelsfragen auf und bittet den Beklagten – den Berufungskläger – insofern um ergänzenden Vortrag. Damit war der frühere Hinweis auf die einstimmige Senatsüberzeugung überholt.
Hat der Verwaltungsgerichtshof mithin § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO verletzt, so führt dies zur Aufhebung seiner Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO. Einen Grund, der die Durchführung des Revisionsverfahrens erforderte, hat der Kläger nicht dargetan. Zwar hält er die Rechtssache wegen der Frage für grundsätzlich bedeutsam (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), ob die Sonderregelung des Art. 1 Ziff. 2 der Verordnung (EG) Nr. 192/2001 der Kommission vom 30. Januar 2001 (ABl EG Nr. L 29 S. 27) auch für zwischen dem 1. Januar und dem 28. Februar 2001 in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft versendete Tiere gilt. Er legt indes nicht dar, inwiefern diese Frage dem Rechtsstreit über den vorliegenden Einzelfall hinausweisende, allgemeine Bedeutung verleiht. Hierzu hätte umso mehr Anlass bestanden, als die angeführte Sonderregelung nur das Antragsjahr 2001 betraf. Zweifelsfragen zu auslaufendem oder ausgelaufenem Recht – auch zu auslaufendem oder ausgelaufenem Gemeinschaftsrecht – verleihen einem Rechtsstreit aber nur ausnahmsweise dann noch grundsätzliche Bedeutung, wenn sie sich noch in einer unbestimmten Vielzahl offener Fälle stellen oder wenn nachfolgende Regelungen vergleichbare Fragen aufwerfen (stRspr; vgl. Beschluss vom 13. Juli 2007 – BVerwG 3 B 16.07 – m.w.N. sowie zu der in Rede stehenden EG-Verordnung Beschluss vom 12. April 2005 – BVerwG 3 B 41.05 –). Hierzu enthält die Beschwerdebegründung keine Ausführungen.
Bei seiner erneuten Verhandlung und Entscheidung wird der Verwaltungsgerichtshof zu berücksichtigen haben, dass die Sonderprämie nach Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1254/1999 des Rates vom 17. Mai 1999 (ABl EG Nr. L 160 S. 21), auch wenn sie in Deutschland gemäß Art. 4 Abs. 6 dieser Verordnung sowie gemäß Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 2342/1999 der Kommission vom 28. Oktober 1999 (ABl EG Nr. L 281 S. 30) zum Zeitpunkt der Schlachtung gewährt wird, keine Schlacht-, sondern eine Halteprämie ist. Angesichts dessen wird er zu erwägen haben, ob eine Auslegung des Art. 1 Ziff. 2 der Verordnung (EG) Nr. 192/2001, welche die dort vorgesehene Vergünstigung nur für vor dem 1. März 2001 im Inland geschlachtete, nicht aber für vor diesem Zeitpunkt in einen anderen Mitgliedstaat versendete (oder in einen Drittstaat ausgeführte) Tiere vorsieht, mit Art. 8 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2342/1999 und mit dem auch im Gemeinschaftsrecht geltenden Gleichbehandlungsgebot vereinbar ist.
Unterschriften
Kley, Liebler, Prof. Dr. Rennert
Fundstellen
Haufe-Index 1815385 |
DÖV 2008, 79 |
AuUR 2008, 111 |