Verfahrensgang
Hessischer VGH (Beschluss vom 11.10.2010; Aktenzeichen 27 F 1081/10) |
Tenor
Die Beschwerden der Beklagten und des Beigeladenen zu 2 gegen den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 11. Oktober 2010 werden zurückgewiesen.
Die Beklagte und der Beigeladene zu 2 tragen je zur Hälfte die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1, die diese selbst trägt.
Tatbestand
I
Rz. 1
Der Kläger begehrt mit dem diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Verfahren auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes (IFG) Einsicht in Unterlagen der beklagten Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die im Zusammenhang mit der Aufsicht über die Beigeladene zu 1 in den Geschäftsjahren 2001 bis 2007 angefallen sind.
Rz. 2
Mit Beschluss vom 2. März 2010 forderte der Verwaltungsgerichtshof als Gericht der Hauptsache – nach Durchführung eines Erörterungstermins – die Beklagte auf, die vom Kläger unter Bezugnahme auf den Erörterungstermin präzisierten Unterlagen vorzulegen. Der Ausgang des Rechtsstreits hänge allein davon ab, ob die Voraussetzungen für eine Informationsverweigerung nach § 3 Nr. 4 IFG i.V.m. der spezialgesetzlich normierten Geheimhaltungspflicht nach § 9 Abs. 1 KWG vorlägen. Daraufhin gab der Beigeladene zu 2 als oberste Aufsichtsbehörde mit Schreiben vom 15. April 2010 eine Sperrerklärung ab und führte zur Begründung aus: Die in den Akten enthaltenen Vorgänge seien ihrem Wesen nach geheim zu halten. Dies folge aus den sonst drohenden nachteiligen Auswirkungen auf die Kontroll- und Aufsichtsaufgaben der Beklagten im Sinne des § 3 Nr. 1 Buchst. d IFG sowie aus dem Ausschlussgrund nach § 9 Abs. 1 KWG. Die Abwägung im Rahmen der Ermessensentscheidung könne nicht zur Freigabe der Akten führen. Es gehe nicht an, über das prozessuale Einsichtsrecht nach § 100 Abs. 1 VwGO die Entscheidung in der Hauptsache vorweg zu nehmen und damit gesetzliche Verschwiegenheitspflichten und gesetzlich anerkannte Geheimhaltungsinteressen irreversibel zu verletzen. Gegenüber diesen besonderen Geheimhaltungsinteressen fielen weder das öffentliche Interesse an einer hinreichend transparenten Rechtsfindung noch das Interesse des Klägers an der Gewährung effektiven Rechtsschutzes entscheidend ins Gewicht. Denn im Ergebnis werde beiden Interessen auch in einem in-camera-Verfahren hinreichend Rechnung getragen.
Rz. 3
Mit Beschluss vom 11. Oktober 2010 hat der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs festgestellt, dass die Verweigerung der Vorlage der angeforderten Unterlagen der Beklagten rechtswidrig ist. Zur Begründung hat er ausgeführt: Der Beigeladene zu 2 berufe sich mit der in § 9 Abs. 1 KWG normierten Verschwiegenheitspflicht der Beklagten, die über § 3 Nr. 4 IFG dem Informationsanspruch entgegenstehe, zwar auf einen gesetzlichen Geheimhaltungsgrund im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Es fehlte an der substantiierten Darlegung, inwiefern diese Voraussetzungen in Bezug auf die angeforderten Unterlagen im Einzelnen vorlägen. Es bedürfe einer konkreten Zuordnung der Geheimhaltungsgründe zu den einzelnen Aktenbestandteilen. Demgegenüber stelle die Sperrerklärung ohne Differenzierung darauf ab, dass der gesamte Akteninhalt zurückgehalten werden müsse und verweise lediglich pauschal auf die Ausführungen der Beklagten im Verfahren. Es müsse dargelegt werden, dass es sich um die im Beweisbeschluss aufgeführten, entscheidungserheblichen Unterlagen handele. Der Sperrerklärung lasse sich folglich auch nicht entnehmen, dass eine Ermessensausübung auf der Grundlage einer umfassenden und ordnungsgemäßen Sachverhaltsermittlung erfolgt sei. Auch die Voraussetzungen einer Geheimhaltungsbedürftigkeit wegen des Ausschlusstatbestands nach § 3 Nr. 1 Buchst. d IFG seien nicht mit einer nachvollziehbar begründeten, durch konkrete Fakten untermauerten Prognose dargelegt.
Rz. 4
Hiergegen richten sich die Beschwerden der Beklagten und des Beigeladenen zu 2.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 5
Die zulässigen Beschwerden (vgl. dazu Beschluss vom 23. Juni 2011 – BVerwG 20 F 21.10 – juris Rn. 6) sind nicht begründet. Zu Recht hat der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs festgestellt, dass die Sperrerklärung vom 15. April 2010 rechtswidrig ist.
Rz. 6
Der Antrag nach § 99 Abs. 2 VwGO ist zulässig. Das Gericht der Hauptsache hat, wie als Voraussetzung des Verfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO in der Regel geboten, mit dem Beschluss vom 2. März 2010 (– 6 A 1684/08 – NVwZ 2010, 1036) ausführlich dargelegt, dass die Vorlage der Unterlagen für das anhängige Klagebegehren entscheidungserheblich ist. Nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache (stRspr, vgl. Beschluss vom 22. Juli 2010 – BVerwG 20 F 11.10 – BVerwGE 137, 318 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 60 Rn. 7) kommt es für die Entscheidung über den geltend gemachten Informationszugangsanspruch allein darauf an, ob die fraglichen Unterlagen Tatsachen enthalten, deren Geheimhaltung im Sinne von § 9 Abs. 1 KWG im Interesse der Beigeladenen zu 1 oder eines Dritten liegen.
Rz. 7
Der Antrag ist auch begründet. Die Sperrerklärung erweist sich als rechtswidrig. Zu Recht geht der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs davon aus, dass es an der ordnungsgemäßen Darlegung eines Weigerungsgrunds nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO fehlt; die Ermessenserwägungen können ebenfalls keinen Bestand haben.
Rz. 8
1. Die Weigerung, die angeforderten Unterlagen vorzulegen, kann nicht auf § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO in Verbindung mit § 9 Abs. 1 KWG gestützt werden. Schutzwürdigen Belangen der Beigeladenen zu 1 nicht auf der Grundlage von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO Rechnung zu tragen. Danach kann die Vorlage von Unterlagen verweigert werden, wenn die Vorgänge nach einem Gesetz geheim zu halten sind. Um ein solches Gesetz handelt es sich bei der Verschwiegenheitspflicht nach § 9 Abs. 1 KWG nicht. Der Tatbestand der Geheimhaltung nach einem Gesetz ist nicht bereits dann gegeben, wenn eine gesetzlich angeordnete Pflicht zur Verschwiegenheit besteht. Ein besonderes gesetzlich geschütztes Geheimnis im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 VwGO dient dem Schutz eines grundrechtlich geschützten Lebensbereichs von hoher Bedeutung. Hieran fehlt es bei § 9 Abs. 1 KWG (Beschluss vom 23. Juni 2011 – BVerwG 20 F 21.10. – juris Rn. 10 ff.). Die von der Beklagten hiergegen erhobenen Einwände geben dem Senat keinen Anlass von seiner Auffassung abzurücken. Allein der von der Beklagten betonte grundrechtliche Bezug der Verschwiegenheitspflicht rechtfertigt die Einordnung des § 9 KWG als gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift nicht. Denn auch die allgemeine Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit (§ 67 Abs. 1 Satz 1 BBG, § 37 BeamtStG), die durch das allgemeine Amtsgeheimnis (§ 30 VwVfG) ergänzt wird, findet insbesondere mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zugleich eine grundrechtliche Rechtfertigung. Dies führt aber gleichwohl nicht zu der von der Beklagten befürworteten Rechtsfolge.
Rz. 9
Die der Aufsicht der Beklagten unterworfenen Unternehmen sind bei dieser prozessrechtlichen Einordnung der Verschwiegenheitspflicht nach § 9 KWG nicht schutzlos gestellt. Grundrechtliche Schutzansprüche Dritter begründen “ihrem Wesen nach” einen Geheimhaltungsgrund im Sinne des § 99 Abs.1 Satz 2 VwGO, sofern kein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse vorliegt, das ausnahmsweise eine Offenbarung rechtfertigt. Hiernach können insbesondere die in § 9 Abs. 1 KWG ausdrücklich erwähnten und von Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu den ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftigen Vorgängen zählen (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 – 1 BvR 2087, 2111/03 – BVerfGE 115, 205 ≪230 f.≫; Beschlüsse vom 8. Februar 2011 – BVerwG 20 F 14.10 – juris Rn. 16 m.w.N. und vom 23. Juni 2011 – BVerwG 20 F 21.10 juris Rn. 14).
Rz. 10
2. Ob die mit dem Beweisbeschluss angeforderten Unterlagen wegen geschützter Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen zu 1 dem Wesen nach geheim zu halten sind und ihre Vorlage deshalb nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ganz oder teilweise verweigert werden darf, kann der Senat auf der Grundlage der abgegebenen Sperrerklärung nicht nachvollziehen. Die Sperrerklärung genügt nicht den Anforderungen, die an die Darlegung eines Weigerungsgrunds zu stellen sind. Bereits die Sperrerklärung muss hinreichend deutlich erkennen lassen, dass die in Anspruch genommenen Weigerungsgründe vorliegen. Insoweit muss die oberste Aufsichtsbehörde – hier der Beigeladene zu 2 – die Akten aufbereiten und je nach Inhalt der Schriftstücke den behaupteten Weigerungsgrund nachvollziehbar darlegen (vgl. auch Beschlüsse vom 8. März 2010 – BVerwG 20 F 11.09 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 56 und vom 19. April 2010 – BVerwG 20 F 13.09 – BVerwGE 136, 345 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 58 Rn. 15, jeweils zur Zuordnung zu je unterschiedlichen Geheimhaltungsgründen). Erst dann ist eine effektive gerichtliche Überprüfung durch den Fachsenat möglich.
Rz. 11
Zu den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zählen alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig sind. Neben dem Mangel an Offenkundigkeit der zugrunde liegenden Informationen setzt ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis ein berechtigtes Interesse des Unternehmens an deren Nichtverbreitung voraus. Ein solches Interesse besteht, wenn die Offenlegung der Informationen geeignet ist, exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen den Marktkonkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachteilig zu beeinflussen. Geschäftsgeheimnisse zielen auf den Schutz kaufmännischen Wissens; sie betreffen alle Konditionen, durch welche die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Unternehmens maßgeblich bestimmt werden können. Dazu gehören u.a. Umsätze, Ertragslage, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit und Kalkulationsunterlagen (Beschluss vom 8. Februar 2011 – BVerwG 20 F 14.10 – juris Rn. 16 m.w.N.).
Rz. 12
Die mit dem Beweisbeschluss angeforderten Unterlagen beziehen sich zwar in ihrer allgemeinen Umschreibung auf nicht offenkundige Umstände, die wirtschaftliche Verhältnisse der Beigeladenen zu 1 sowie deren Bewertung betreffen. Allein damit sind die Voraussetzungen eines Geschäftsgeheimnisses nach den obigen Kriterien aber nicht erfüllt. Es fehlt nämlich an der Feststellung eines berechtigten Interesses der Beigeladenen zu 1 an der Nichtverbreitung der betreffenden Informationen. Ein solches Interesse versteht sich hier nicht von selbst; es kann nicht in generalisierender Weise für alle Informationen angenommen werden. Die Wettbewerbsrelevanz der Informationen ist vielmehr insbesondere für die Unterlagen, die sich auf bereits länger zurückliegende Vorgänge und eine gegebenenfalls abgeschlossene Geschäftspolitik beziehen, im Einzelnen darzutun. Des Weiteren ist nicht ausgeschlossen, dass sich in den vorgelegten Unterlagen nicht zuletzt wegen der dem Kläger nach seinem Vorbringen bereits bekannten einschlägigen Vorgänge auch Schriftstücke befinden, die keiner Geheimhaltung mehr bedürfen. Dem hat der Beigeladene zu 2 bislang nicht Rechnung getragen. Er hat auch im Beschwerdeverfahren lediglich fünf Vorgänge beispielhaft benannt, bei denen die Voraussetzungen eines Geschäftsgeheimnisses vorliegen sollen. Damit ist der Substantiierungspflicht für das gesamte vorgelegte Aktenkonvolut mit einem Umfang von über 24 000 Seiten nicht Genüge getan.
Rz. 13
3. Das Vorliegen eines Weigerungsgrunds wegen der behaupteten Beeinträchtigung der Kontroll- und Aufsichtsaufgaben der Beklagten hat der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs ebenfalls zu Recht verneint. Ein Nachteil kann dem Wohl des Bundes im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO zwar dann erwachsen, wenn durch die Offenlegung von Informationen eine wirksame Beaufsichtigung von Finanzdienstleistungen behindert wird. Dieser Zusammenhang muss wiederum nachvollziehbar belegt werden (Beschluss vom 23. Juni 2011 – BVerwG 20 F 21.10 – juris Rn. 20). Hier gilt im Ergebnis nichts anderes als beim Ausschluss des fachgesetzlichen Informationszugangs nach § 3 Nr. 1 Buchst. d IFG, auf den sich der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs bezieht (vgl. Urteil vom 24. Mai 2011 – BVerwG 7 C 6.10 – NVwZ 2011, 1012 Rn. 13. An einem solchen Vortrag fehlt es weiterhin; überzogene Anforderungen an die Darlegungslast liegen dieser Einschätzung nicht zugrunde. Der Einwand einer Beeinträchtigung der Finanzaufsicht durch eine verminderte Kooperationsbereitschaft der Finanzinstitute, die allein mittels der Durchsetzung gesetzlicher Mitwirkungspflichten insbesondere wegen der damit verbundenen Verzögerungen nicht ausgeglichen werden könne, wird auch durch den vorgelegten Zeitungsbericht über die Reaktionen der Banken zu einer eventuellen Veröffentlichung der Ergebnisse des so genannten Stresstests durch die Europäische Bankenaufsichtsbehörde nicht plausibel gemacht. Dies gilt nicht zuletzt deswegen, weil insoweit nach einer offensichtlich nicht vergleichbaren Rechtslage den von der Veröffentlichung betroffenen Geschäftsgeheimnissen keinerlei rechtliche Bedeutung zugemessen wird.
Rz. 14
4. Schließlich wäre die Sperrerklärung auch dann rechtswidrig, wenn entgegen den vorstehenden Ausführungen die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Verweigerung der Vorlage gegeben wären. Denn die Ermessenserwägungen sind nicht tragfähig. Sie verkennen die Eigenständigkeit der im Rahmen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geforderten Ermessensausübung (vgl. nur Beschlüsse vom 21. Februar 2008 – BVerwG 20 F 2.07 – BVerwGE 130, 236 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 46 Rn. 11, 22 und vom 18. Juni 2008 – BVerwG 20 F 44.07 – Buchholz § 99 VwGO Nr. 49).
Rz. 15
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO sowie § 100 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Neumann, Dr. Bumke, Brandt
Fundstellen