Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 10.12.2007; Aktenzeichen 12 BV 06.3028) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr Prozesskostenhilfe für eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Dezember 2007 zu bewilligen und Rechtsanwalt … beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
Der Klägerin kann Prozesskostenhilfe nicht bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden; denn eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO, § 114 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO). Ein Grund für die Zulassung der Revision nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO ergibt sich weder aus den Gesichtspunkten, welche die Klägerin zur Begründung der beabsichtigten Beschwerde anführt, noch ist er sonst ersichtlich.
1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Klägerin beigemessene grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dies wäre nur dann zu bejahen, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Revisionsverfahren erheblich wäre und deren höchstrichterliche Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr des BVerwG; vgl. Beschluss vom 11. August 1999 – BVerwG 11 B 61.98 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19). Das ist nicht der Fall.
a) Die von der Klägerin im Zusammenhang mit der Anwendung von § 92c BSHG für klärungsbedürftig gehaltene Frage,
“Ist eine analoge Anwendung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf eine (rechtswidrige) Geltendmachung der Kostenersatzpflicht aus § 92c BSHG möglich?”,
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
Der Senat braucht nicht zu vertiefen, ob der Revisionszulassung insoweit bereits entgegen steht, dass § 92c BSHG ausgelaufenes Recht ist. Mit dem Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 (BGBl I S. 3022, 3071) ist das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) an die Stelle des BSHG getreten, ohne dass erkennbar ist, dass die Klärung noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung wäre (vgl. Beschluss vom 31. August 1993 – BVerwG 9 B 393.93 – Buchholz 412.3 § 11 BVFG Nr. 5). Für Rechtsstreitigkeiten, welche die mit § 92c BSHG nicht wortgleiche, aber in den maßgeblichen Punkten rechtsähnliche Bestimmung des § 102 SGB XII betreffen, sind zudem nach dem Siebenten Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 9. Dezember 2004 (BGBl I S. 3302) die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG, eingefügt durch Art. 1 Nr. 10 Buchst. b des genannten Gesetzes) zuständig (vgl. etwa – für eine besondere Fallkonstellation – Beschluss vom 22. März 2005 – BVerwG 5 B 55.04).
Der Revisionszulassung steht jedenfalls entgegen, dass die aufgeworfene Rechtsfrage sich bereits auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten lässt und deshalb nicht klärungsbedürftig ist (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 22. Dezember1994 – BVerwG 4 B 114.94 – Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 102 S. 10, vom 28. Mai 1997 – BVerwG 4 B 91.97 – NVwZ 1998, 172 und vom 11. Oktober 2000 – BVerwG 6 B 47.00 – Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 10 S. 6).
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt (Urteil vom 5. Oktober 1999 – BVerwG 5 C 27.98 – BVerwGE 109, 346), dass die Rücknahme einer rechtswidrigen, aber bestandskräftigen Heranziehung zum Kostenersatz nach § 92a BSHG weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X verlangt werden kann, sondern nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X im Ermessen des Sozialhilfeträgers steht. Dies gilt erst Recht für den Kostenersatz nach § 92c BSHG (vgl. Schellhorn, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl. 2006, § 102 Rn. 34). Tragende, für beide Normen greifende Erwägungen hierfür sind, dass es sich bei dem Heranziehungsbescheid zum Kostenersatz weder um einen eine Sozialleistung ablehnenden Bescheid noch um einen Beitragserhebungsbescheid im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X handelt und der Gesetzgeber mit den §§ 44 ff. SGB X eine umfassende und abschließende, grundsätzlich nicht analogiefähige Abwägung zwischen den rechtsstaatlichen Prinzipien der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns und der Rechtssicherheit in einer auf die Besonderheiten des Sozialleistungsbereichs abgestimmten Weise getroffen hat. Die quasi-deliktische Haftung nach Art einer Schadensersatzpflicht wegen verschuldensqualifizierter Herbeiführung von Sozialhilfebedürftigkeit nach § 92a BSHG steht dem Leistungsverhältnis sogar noch näher als die unmittelbare, eigenständige Haftung des Erben gegenüber dem Träger der Sozialhilfe nach § 92c BSHG. Einer von der Klägerin unter Hinweis auf die materielle Gerechtigkeit befürworteten analogen Anwendung dieser Vorschrift auf eine (rechtswidrige) Geltendmachung der Kostenersatzpflicht aus § 92c BSHG steht insbesondere der Sinn und Zweck der Regelung entgegen. Es ist – wie das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) zur Anwendung des § 44 SGB X auf einen Kostenersatzbescheid nach § 92a BSHG klargestellt hat – nicht Anliegen des Gesetzgebers, gegenüber jedwedem im Sozialleistungsbereich ergangenen rechtswidrigen, aber unanfechtbar gewordenen nicht begünstigenden Verwaltungsakt die durch Bestandskraft und Unanfechtbarkeit bewirkte Rechtssicherheit aufgrund eines Rechtsanspruchs des materiell Berechtigten auf Rücknahme des Verwaltungsakts hinter die materielle Gerechtigkeit zurücktreten zu lassen. Deshalb überschritte auch eine analoge Anwendung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf eine (rechtswidrige) Geltendmachung der Kostenersatzpflicht aus § 92c BSHG den Normzweck der Vorschrift. Es geht bei der Heranziehung von Erben nach § 92c BSHG nicht um eine nachträgliche Gewährung nach materiellem Recht geschuldeter Sozialleistungen, sondern um den außerhalb des Sozialleistungsverhältnisses stehenden Gedanken der Herstellung des Nachranges der Sozialhilfe, der wegen Vermögensschutzregelungen zugunsten des Hilfe empfangenden Erblassers zu dessen Lebzeiten nicht hat durchgesetzt werden können.
Die Rücknahme des Kostenersatzbescheides steht mithin – wie das Berufungsgericht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgeführt hat – gemäß § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X im Ermessen des Sozialhilfeträgers.
b) Die von der Klägerin weiter für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, ob
“der Gesichtspunkt der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bzw. die Berücksichtigung der materiellen Gerechtigkeit eine Verpflichtung der Behörde (begründet), im Rahmen einer Ermessensentscheidung nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X, eine Heranziehung zum Kostenersatz nach § 92c BSHG bei nicht rechtmäßiger Hilfegewährung in der Regel zurückzunehmen und Ausnahmefälle besonders begründen zu müssen”,
rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Denn weder aus der gesetzlichen Regelung noch aus der dazu ergangenen Rechtsprechung lassen sich Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass ein Heranziehungsbescheid in den in Rede stehenden Fällen “in der Regel” zurückgenommen werden muss. Das nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X eröffnete Ermessen ist sachgerecht zu betätigen, aber – insbesondere angesichts der vom Gesetzgeber selbst vorgenommenen Abstufungen – nicht durch den aus dem Gedanken der materiellen Gerechtigkeit hin zu einer Rücknahme als Regelfall determiniert. Selbst wenn man im Sinne der Klägerin von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis ausginge, das eine besondere Begründungsbedürftigkeit einer ablehnenden Ermessensentscheidung erzeugte, würde sich die aufgeworfene Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren voraussichtlich nicht stellen, weil der Beklagte seinen ablehnenden Bescheid vom 14. Mai 2004 auf ausführliche, die Umstände des Einzelfalles würdigende Ermessenserwägungen gestützt hat (siehe hierzu auch die zutreffenden Erwägungen des Berufungsgerichts auf S. 8 des Urteilsabdrucks).
2. Eine die Revisionszulassung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtfertigende Abweichung des angefochtenen Urteils von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist nicht erkennbar. Eine solche Abweichung läge nur dann vor, wenn sich der Verwaltungsgerichtshof in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem in der herangezogenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hätte (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 12. Dezember 1991 – BVerwG 5 B 68.91 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302). Dies ist hier nicht der Fall. Die Klägerin verwechselt bei ihrer Berufung auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Oktober 1987 (BVerwG 5 C 39.85 – BVerwGE 78, 165) die Voraussetzungen für den Kostenersatz nach § 92c BSHG einerseits, der eine rechtmäßige Leistungsgewährung voraussetzt, mit den Voraussetzungen für die Aufhebung eines in Bestandskraft erwachsenen Kostenersatzbescheides anderseits, zu der sich die herangezogene Entscheidung nicht verhält. Im Übrigen ist das Berufungsgericht im Einklang mit der Rechtsprechung davon ausgegangen, dass eine Ermessensentscheidung über die Rücknahme zu treffen war.
3. Auch ein Verfahrensmangel, der zur Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen könnte, ist nicht erkennbar. Die mit der beabsichtigten Beschwerde erhobene Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO entspricht weder den Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO noch ist eine Verletzung ersichtlich.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfordert die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht die substanziierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Oberverwaltungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich oder geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für die Beschwerdeführerin günstigeren Entscheidung hätten führen können. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen. Denn die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (Urteil vom 22. Januar 1969 – BVerwG 6 C 52.65 – BVerwGE 31, 212 ≪217 f.≫; Beschlüsse vom 13. Juli 2007 – BVerwG 9 B 1.07 – juris und vom 21. Februar 2008 – BVerwG 5 B 122.07 – juris). Eine derartige substanziierte Darlegung enthält das Vorbringen der Klägerin nicht. Sie hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof am 10. Dezember 2007 keinen Beweisantrag im Sinne von § 86 Abs. 2 VwGO gestellt und legt auch nicht dar, warum sich dem Verwaltungsgerichtshof die nunmehr für erforderlich gehaltene Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen.
Der Sache nach rügt die Klägerin zudem keinen Aufklärungsmangel, sondern eine fehlerhafte Würdigung des Sachverhaltes durch das Berufungsgericht. Dieses habe zu Unrecht auch ihr – und nicht allein ihrer Mutter bzw. ihrer Schwester – zugerechnet, dass die Eigentumswohnung nicht bereits zu Lebzeiten ihrer Mutter als verwertbares Vermögen berücksichtigt worden sei. Etwaige Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts regelmäßig indes nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen (vgl. Beschluss vom 2. November 1995 – BVerwG 9 B 710.94 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f.; stRspr). Für einen als Verfahrensfehler denkbaren formellen Begründungsmangel (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2, § 138 Nr. 6 VwGO) ist nichts dargetan und ersichtlich.
Unabhängig hiervon ist zweifelhaft, ob die von der Klägerin als fehlerhaft gerügte Bewertung des Berufungsgerichts für dessen rechtliche Beurteilung, dass die Ermessensentscheidung fehlerfrei getroffen worden ist, entscheidungserheblich war. Denn das Berufungsgericht hat sich unabhängig von der Ursächlichkeit eines etwaigen schuldhaften Verhaltens der Klägerin für die Leistungsgewährung tragend auch auf einen anderen Umstand gestützt. Es hat zutreffend darauf verwiesen, dass die Leistungsgewährung an die Mutter nur deswegen nicht rechtmäßig gewesen ist, weil nicht die Verwertung des Verkaufserlöses aus der Eigentumswohnung verlangt worden ist – wobei eine Verwertung das Erbe der Klägerin geringer hätte ausfallen lassen.
Unterschriften
Hund, Prof. Dr. Berlit, Dr. Störmer
Fundstellen