Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 16.05.2007; Aktenzeichen 14 LB 2/06) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. Mai 2007 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 41 Abs. 1 LDG SH, § 69 BDG, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde des Beklagten kann keinen Erfolg haben.
In dem Berufungsurteil, durch das die erstinstanzlich ausgesprochene Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis bestätigt worden ist, hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, der Beklagte habe als Polizeivollzugsbeamter in den Jahren 2002 und 2003 in 28 Fällen Sicherheitsleistungen in Höhe von insgesamt 3 871 € unterschlagen. Dadurch habe er schwerwiegend gegen grundlegende Dienstpflichten verstoßen. Ein mit der Verhinderung und Aufklärung von Gesetzesverstößen beauftragter Polizeivollzugsbeamter, der im Dienst kriminell handele, sei als Beamter regelmäßig nicht mehr tragbar. Diese von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung sei hier nicht entkräftet. Die gemäß § 13 Abs. 1 und 2 LDG SH gebotene Gesamtwürdigung ergebe, dass das für den Verbleib im Beamtenverhältnis erforderliche Vertrauensverhältnis zerstört sei. Dem Beklagten komme kein sog. anerkannter Milderungsgrund zugute. Sein Geständnis nach der Aufdeckung seines Fehlverhaltens, die vorherige langjährige beanstandungsfreie Dienstausübung, die Wiedergutmachung des Schadens und die sehr angespannte finanzielle und familiäre Situation während des Tatzeitraums reichten in Anbetracht von Art, Häufigkeit und zeitlicher Dauer des Fehlverhaltens nicht aus, um das Beamtenverhältnis fortsetzen zu können.
Der Beklagte hält die Rechtssache für rechtsgrundsätzlich bedeutsam, weil das Oberverwaltungsgericht bei der Anwendung der landesgesetzlichen Bemessungsregelungen gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4, Abs. 2 Satz 1 LDG SH von den Grundsätzen abgewichen sei, die der Senat in dem Urteil vom 20. Oktober 2005 – BVerwG 2 C 12.04 – (BVerwGE 124, 252 ≪258 ff.≫) für die wortgleichen bundesgesetzlichen Bemessungsregelungen gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4, Abs. 2 Satz 1 BDG aufgestellt habe. Danach müsse die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer Gesamtwürdigung aller im Einzelfall be- und entlastenden Umstände bestimmt werden. Das Oberverwaltungsgericht habe die Senatsrechtsprechung zwar erwähnt, aber nicht umgesetzt. Es habe sich bereits aufgrund der Schwere des Dienstvergehens auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis festgelegt. Die entlastenden Umstände habe es nur daraufhin geprüft, ob sie für sich genommen das Gewicht eines sog. anerkannten Milderungsgrundes hätten.
Die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO sollen die Einheitlichkeit der Rechtsprechung, nicht aber die materielle Richtigkeit verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen im Einzelfall gewährleisten. Daher setzt eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO voraus, dass die Vorinstanz in dem angefochtenen Urteil einen inhaltlich bestimmten, das Urteil tragenden abstrakten Rechtsatz aufgestellt hat, mit dem es einem Rechtssatz widersprochen hat, den das Bundesverwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zwischen beiden Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer Rechtsvorschrift bestehen. Die Vorinstanz muss einen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts ablehnen, weil sie ihn für unrichtig hält. Demzufolge liegt eine Divergenz nicht vor, wenn die Vorinstanz einen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts im Einzelfall rechtsfehlerhaft anwendet oder daraus nicht die rechtlichen Folgerungen zieht, die etwa für die Sachverhalts- und Beweiswürdigung geboten sind (stRspr; vgl. nur Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26). Bezieht sich die Divergenz auf verschiedene wortgleiche Vorschriften des revisiblen Rechts, so folgt daraus jedenfalls die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
In dem Urteil vom 20. Oktober 2005 (a.a.O.) hat der Senat zu dem Bedeutungsgehalt von § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG ausgeführt, diese Regelungen begründeten die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte, über die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung und Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Als maßgebendes Bemessungskriterium sei die Schwere des Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG Ausgangspunkt für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme. Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung könnten im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere Maßnahme als diejenige geboten sei, die durch die Schwere des Dienstvergehens indiziert werde. Ein zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führender endgültiger Vertrauensverlust gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG sei anzunehmen, wenn aufgrund der Gesamtwürdigung der Schluss gezogen werden müsse, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei nicht wieder gutzumachen.
In den Urteilen vom 3. Mai 2007 – BVerwG 2 C 30.05 – NVwZ 2007, 1196 ff. und – BVerwG 2 C 9.06 – NVwZ-RR 2007, 695 ff. hat der Senat nochmals herausgestellt, dass die Schwere des Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG als maßgebendes Bemessungskriterium richtungweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist. Dies bedeute, dass das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der gesetzlich vorgesehenen Disziplinarmaßnahmen zugeordnet werden müsse. Dabei könnten die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein. Auf der Grundlage dieser Zuordnung komme es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beamten gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 BDG und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 BDG im Einzelfall derart ins Gewicht fielen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten sei.
Der Beklagte hat nicht aufgezeigt, dass das Oberverwaltungsgericht diese Rechtsgrundsätze im vorliegenden Fall bei der Anwendung von § 13 Abs. 1 und 2 LDG SH außer Acht gelassen hat, weil es sie für unrichtig hält:
Das Oberverwaltungsgericht hat der dargestellten Senatsrechtsprechung zum Bedeutungsgehalt vom § 13 Abs. 1 und 2 BDG nicht widersprochen, sondern hat sie auf die wortgleichen Regelungen gemäß § 13 Abs. 1 und 2 LDG SH übertragen. So hat es einleitend unter Verweis auf das Urteil des Senats vom 20. Oktober 2005 (a.a.O.) ausgeführt, das Disziplinargericht habe zur Feststellung der Endgültigkeit des Vertrauensverlustes eine umfassende Prognoseentscheidung unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu treffen (Seite 7 des Urteilsabdrucks). Weiter heißt es in dem Berufungsurteil, der Senat folge ausdrücklich der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine günstige Persönlichkeitsprognose selbst dann getroffen werden könne, wenn kein anerkannter Milderungsgrund vorliege. Vielmehr könnten sich Entlastungsgründe aus allen Umständen ergeben, die in ihrer Gesamtheit die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabsetzten. Die Prognose zur Endgültigkeit des Vertrauensverlustes müsse auch bei schweren Dienstvergehen nicht zwangsläufig negativ ausfallen (Seite 10 des Urteilsabdrucks).
Das Oberverwaltungsgericht hat die vom Senat aufgestellten Rechtsgrundsätze nicht nur wiedergegeben, sondern seiner Einzelfallprüfung zugrunde gelegt. Es hat zunächst die Schwere des Dienstvergehens bestimmt und dieses aufgrund der Schwere der Disziplinarmaßnahme “Entfernung aus dem Beamtenverhältnis” zugeordnet. Im Anschluss daran hat es die für den Beklagten sprechenden Gesichtspunkte als nicht ausreichend bewertet, um die von der Schwere ausgehende Indizwirkung zu entkräften. Die abgehandelten Gesichtspunkte “langjährige beanstandungsfreie Dienstausübung” und “Wiedergutmachung des Schadens nach Entdeckung” können auch nach der ständigen Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich nicht entlastend berücksichtigt werden (vgl. nur Urteile vom 28. November 2000 – BVerwG 1 D 62.99 –, vom 22. Februar 2005 – BVerwG 1 D 30.03 – juris und vom 15. März 2006 – BVerwG 1 D 3.05 – juris).
Demgegenüber liegt der Rüge des Beklagten, das Oberverwaltungsgericht habe allein auf die Schwere des Dienstvergehens abgestellt, ein unzutreffender rechtlicher Ansatz zugrunde. Der Beklagte verkennt, dass nach der Senatsrechtsprechung zu § 13 Abs. 1 und 2 BDG der Schwere des Dienstvergehens Indizwirkung für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme zukommt. Bei einem Dienstvergehen wie den hier festgestellten vorsätzlichen Straftaten eines Polizeivollzugsbeamten unter Ausnutzung seiner dienstlichen Stellung, die das Oberverwaltungsgericht nach Art, Häufigkeit und zeitlicher Dauer zu Recht als sehr schwerwiegend eingestuft hat, bedarf es ganz außergewöhnlicher Umstände, um aufgrund einer Gesamtwürdigung von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis absehen zu können.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 41 Abs. 1 LDG SH, § 77 Abs. 4 BDG, § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Kugele, Dr. Müller, Dr. Heitz
Fundstellen