Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 19.04.2012; Aktenzeichen 20 D 7/08.AK) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. April 2012 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 € festgesetzt.
Tatbestand
I
Rz. 1
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, mit dem die Geltungsdauer verfügter Nachtflugbeschränkungen für den Flughafen Köln/Bonn über den 31. Oktober 2015 hinaus bis zum 31. Oktober 2030 verlängert wurde. Das Oberverwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage als unzulässig abgewiesen, weil der Klägerin sowohl die Klagebefugnis als auch das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Gegen die Nichtzulassung der Revision richtet sich die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde der Klägerin.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 2
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 3
Ist die vorinstanzliche Entscheidung – wie hier – auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 1994 – BVerwG 11 PKH 28.94 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4; stRspr). Wenn nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese Begründung nämlich hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert. Vorliegend scheitert die Beschwerde daran, dass sie hinsichtlich der Verneinung der Klagebefugnis durch das Oberverwaltungsgericht keinen Grund für die Zulassung der Revision aufzeigt. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Klägerin insoweit beimisst.
Rz. 4
1. Die Fragen,
– ob die Planfeststellungsfiktion eines Verkehrsflughafens nachträglichen Betriebsbeschränkungen während der nächtlichen Kernruhezeit (0.00 bis 5.00 Uhr) erst dann nicht mehr entgegensteht, wenn eine Gesundheitsgefahr für die Flughafenanwohner besteht, die durch Maßnahmen des passiven Schallschutzes nicht beseitigt werden können, oder schon dann nicht mehr, wenn während der Nachtkernzeit Nachtflugbetrieb erfolgt, ohne dass ein standortspezifischer Nachtflugbedarf besteht;
– ob angesichts der neuen Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung davon auszugehen ist, dass Nachtflugverkehr während der Kernruhezeit, ohne dass hierfür ein standortspezifischer Nachtflugbedarf besteht, wegen der hohen Bedeutung der Nachtruhe für die Gesundheit der Bevölkerung eine Gesundheitsgefahr darstellt, die auch im Sinne der bisherigen Rechtsprechung nachträgliche Betriebsbeschränkungen im Rahmen des Teilwiderrufs eines planfestgestellten Flughafens zulässt;
– ob es schließlich mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar ist, wenn Anwohnern eines Flughafens mit fingierter Planfeststellung und Genehmigung Nachtflugverkehr in der Nachtkernzeit zugemutet wird, obwohl ein standortspezifischer Nachtflugbedarf nicht oder nur eingeschränkt besteht, während Anwohner eines neuen oder geänderten Flughafens nur solchen Nachtflugverkehr hinnehmen müssen, für den ein standortspezifischer Nachtflugbedarf mit der Folge besteht, dass der Nachtflugverkehr an den Flughäfen ohne Nachtflugbeschränkung weiter zunimmt,
führen nicht zur Zulassung der Revision. Es ist bereits zweifelhaft, ob sie sich im vorliegenden Fall überhaupt stellen können oder auf den Fall gemünzt sind, dass – wie in anderen Verfahren – im Wege einer Verpflichtungsklage der behauptete Anspruch verfolgt wird, den Nachtflugverkehr auf dem Flughafen Köln/Bonn im Wege eines Teilwiderrufs des (fingierten) Planfeststellungsbeschlusses zu untersagen oder zu beschränken. Die Beschwerde scheitert jedenfalls daran, dass die Fragen auf einen Sachverhalt zugeschnitten sind, von dem das Oberverwaltungsgericht nicht ausgegangen ist. Die Vorinstanz hat nämlich nicht festgestellt, dass es an einem standortspezifischen Bedarf für nächtlichen Flugverkehr fehlt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts scheidet die Zulassung der Revision aber aus, wenn ein Gericht eine Tatsache nicht festgestellt hat, die für die Entscheidung der angesprochenen Rechtsfrage erheblich sein würde, sondern lediglich die Möglichkeit besteht, dass die Rechtsfrage nach Zurückverweisung der Sache aufgrund weiterer Sachaufklärung entscheidungserheblich werden könnte (vgl. Beschlüsse vom 28. Dezember 1998 – BVerwG 9 B 197.98 – juris und vom 28. November 2005 – BVerwG 4 B 66.05 – ZfBR 2006, 159).
Rz. 5
2. Die Frage, ob eine Gemeinde, die Eigentümerin von durch nächtlichen Fluglärm beeinträchtigten Wohnungen und Einrichtungen ist, eine nachträgliche Beschränkung des Nachtflugverkehrs auf den standortspezifischen Nachtflugbedarf im Rahmen eines Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Teilwiderruf der Flughafengenehmigung augrund ihrer privatrechtlichen Stellung als Eigentümerin bzw. als Trägerin der kommunalen Planungshoheit geltend machen kann oder ob sich ein solcher Anspruch allein aus dem der Gemeinde nicht zustehenden Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit ergibt, rechtfertigt nicht die Zulassung der Grundsatzrevision, weil sie den Streitgegenstand verfehlt. Es geht im vorliegenden Verfahren nicht um den mit einer Verpflichtungsklage geltend zu machenden Anspruch der Klägerin auf eine vom Beklagten abgelehnte Beschränkung zugelassenen Nachtflugverkehrs, sondern um die Anfechtung der Verlängerung eines die Klägerin begünstigenden Teilwiderrufs einer unbeschränkten Nachtfluggenehmigung.
Rz. 6
3. Die Frage, ob die Entscheidung der zuständigen Luftverkehrsbehörde über die Verlängerung eines bestehenden Bescheides über Flugbeschränkungen für den Betrieb eines Flughafens eine dem fachplanerischen Abwägungsgebot unterliegende Planungsentscheidung oder zumindest eine auch die Interessen der Flughafenanwohner berücksichtigende Ermessensentscheidung ist, die subjektive Rechte der Flughafenangrenzer und Flughafenanwohner beeinträchtigen kann, weil sie deren Interessen nicht vollständig berücksichtigt, nötigt nicht zur Zulassung der Revision, weil die Klägerin die grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit der Frage nicht aufzeigt. Es genügt nicht, darauf hinzuweisen, dass ich die Frage nicht nur im Einzelfall, sondern fallübergreifend stellt. Vielmehr ist darzulegen, dass die Antwort, die die Vorinstanz gegeben hat, mindestens zu Bedenken Anlass gibt und es deshalb im Interesse der Rechtssicherheit oder Weiterentwicklung des Rechts einer revisionsgerichtlichen Klärung der Frage bedarf. Das nötigt zu einer Auseinandersetzung mit der Lösung und der Argumentation im angefochtenen Urteil (Beschluss vom 9. März 1993 – BVerwG 3 B 105.92 – NJW 1993, 2825; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 133 Rn. 26; Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl. 2010, § 133 Rn. 31; Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 133 Rn. 15). Daran fehlt es vorliegend. Die Klägerin beschäftigt sich nicht mit der Begründung des Oberverwaltungsgerichts, warum es einer Abwägung der Nachbarbelange nicht bedurfte (UA S. 15 ff.), und zeigt keinen Grund dafür auf, weshalb die Begründung auf den Prüfstand eines Revisionsverfahrens gestellt werden müsste. Zwar mag eine kritische Würdigung der vorinstanzlichen Rechtsauffassung entbehrlich sein, wenn die höchstrichterliche Klärungsbedürftigkeit offenkundig ist (Pietzner/Bier, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand August 2012, § 133 Rn. 32). Das ist hier jedoch nicht der Fall.
Rz. 7
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Rubel, Dr. Gatz, Dr. Decker
Fundstellen