Verfahrensgang
VG Wiesbaden (Urteil vom 28.05.2008; Aktenzeichen 7 E 1543/06(V)) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 28. Mai 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 947,88 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die allein auf den Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 2
1. Nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Ein Verfahrensmangel ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (Beschluss vom 26. Oktober 2006 – BVerwG 6 B 75.06 – juris Rn. 7 m.w.N.). Daran fehlt es hier.
Rz. 3
Die Beschwerde wirft dem Verwaltungsgericht vor, es habe gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verstoßen, indem es seiner Entscheidung die Annahme zugrunde gelegt habe, bei der Musterung des Klägers sei dessen “deutliche Akneerkrankung unmittelbar sichtbar” gewesen (UA S. 9) und der Kläger habe zudem “im Verlauf der weiteren Untersuchung” angegeben, dass er bei körperlicher Belastung an Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule leide (UA S. 9); insoweit sei das Gericht von einem aktenwidrig festgestellten falschen Sachverhalt ausgegangen. Diese Rüge geht fehl.
Rz. 4
Die Verfahrensrüge aktenwidriger Sachverhaltsfeststellung setzt die schlüssig vorgetragene Behauptung voraus, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt bestehe ein Widerspruch. Dieser Widerspruch muss offensichtlich sein, so dass es einer weiteren Beweiserhebung zur Klärung des richtigen Sachverhalts nicht bedarf; der Widerspruch muss also “zweifelsfrei” sein (Beschlüsse vom 4. Oktober 2005 – BVerwG 6 B 40.05 – juris Rn. 23 und vom 26. Oktober 2006 a.a.O. Rn. 8). Darüber hinaus muss dargetan werden, welche Schlussfolgerungen sich dem Tatsachengericht, ausgehend von dessen materiellrechtlicher Auffassung, aufgrund der zutreffend festgestellten Tatsachen hätten aufdrängen müssen (Beschluss vom 26. Oktober 2006 a.a.O.; Pietzner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Bd. 2 Stand März 2008, § 133 Rn. 48). Diese Voraussetzungen sind erforderlich, da eine Kritik an der tatrichterlichen Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung als solche nicht als Verfahrensmangel rügefähig ist (Beschluss vom 2. November 1999 – BVerwG 4 BN 41.99 – UPR 2000, 226). Die Beschwerde hat keinen Widerspruch in diesem Sinne schlüssig vorgetragen (a). Im Übrigen hat sie die Entscheidungserheblichkeit der von ihr gerügten (vermeintlichen) Widersprüche nicht in der geforderten Weise dargetan (b).
Rz. 5
a) Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die “deutliche” Akneerkrankung des Klägers sei “unmittelbar sichtbar” gewesen, setzt sich entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht in Widerspruch zur Aktenlage. Ausweislich des zur Erhebung der gesundheitlichen Vorgeschichte (Anamnese) verwendeten Formulars hatte der Kläger bei der Musterung die Frage, ob er an einer Gesundheitsstörung der Haut leide, verneint (Frage 4) und lediglich eine “Hautreizung bei speziellen Waschmitteln” (Frage 8) angegeben. Der vom Musterungsarzt unterzeichnete Untersuchungsbogen enthält unter der Rubrik “Haut/Hautanhangsgebilde, sichtbare Schleimhäute” (Rubrik 24) den Eintrag “Akne (leicht)”. Dem Inhalt dieser Schriftstücke steht die verwaltungsgerichtliche Feststellung einer deutlichen, unmittelbar sichtbaren Akneerkrankung nicht offensichtlich entgegen. Dies könnte nur der Fall sein, wenn die Ausführungen des Gerichts nicht nur auf den Umstand der äußeren Erkennbarkeit der Akneerkrankung, sondern unzweideutig auch auf die Schwere und auf die Erkennbarkeit gerade einer schweren Akneerkrankung zu beziehen wären. Dem ist nicht so. Die gerichtlichen Feststellungen lassen sich vielmehr auch im Sinne einer bloßen Augenscheinlichkeit der Krankheitsmerkmale verstehen. Dass der Kläger die Erkrankung nicht selbst als Gesundheitsstörung der Haut angeführt und der Musterungsarzt eine “leichte” Ausprägung der Akne diagnostiziert hat, schließt die Annahme von äußerlich klar erkennbaren Krankheitssymptomen nicht aus.
Rz. 6
Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Kläger habe “im Verlauf der weiteren Untersuchung” auf Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule hingewiesen, die bei körperlicher Belastung aufträten, widerspricht ebenfalls nicht offensichtlich der behördlichen Gesundheitsakte. Dieser ist lediglich zu entnehmen, dass der Kläger bei Beantwortung der Fragen des Anamneseformulars Gesundheitsstörungen der Knochen, Gelenke und Wirbelsäule verneint hatte (Frage 4). Die Annahme, dass er (erst) in einem späteren Stadium der Untersuchung Wirbelsäulenbeschwerden angesprochen hat, ist damit vereinbar.
Rz. 7
b) Selbst wenn davon ausgegangen würde, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Überzeugungsbildung nicht eine “unmittelbar sichtbare”, “deutliche” Akneerkrankung des Klägers sowie des Weiteren nicht zugrunde legen dürfen, dass der Kläger im Rahmen seiner Musterung Beschwerden im Wirbelsäulenbereich vorgetragen habe, bliebe die Beschwerde im Ergebnis ohne Erfolg. Denn sie hat nicht hinreichend dargelegt, welche Schlussfolgerungen sich dem Verwaltungsgericht, ausgehend von dessen materiellrechtlicher Auffassung, aufgrund der zutreffenden Tatsachenlage hätten aufdrängen müssen. Mit der Beschwerde wird stattdessen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts beanstandet; auf diese Weise wird aber kein als solcher rügefähiger Verfahrensmangel dargetan (Beschluss vom 2. November 1999 a.a.O.).
Rz. 8
Nach der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts durfte der Kläger die private Heranziehung eines Hautfacharztes deshalb für geboten halten, weil der musterungsärztliche Dienst trotz seiner Erklärung, dass er unter einer allergischen Erkrankung leide, die sich z.B. an Hautreizungen bei bestimmten Waschmitteln zeige, und trotz seiner Akneerkrankung keine entsprechende Zusatzuntersuchung veranlasst hatte. Es habe zwingender Anlass zur Abklärung der Akneerkrankung bestanden, “weil der Kläger bei entsprechenden Expositionen, wie sie bei der Ableistung des Wehrdienstes unverzichtbar sind, Gefahr laufen würde, dass sich ein evtl. Heilungsprozess verzögert bzw. die Erkrankung sich verschlimmern könnte” (UA S. 9 f.). Auf der Grundlage dieser Erwägungen spricht viel dafür, dass das Verwaltungsgericht auch dann zu keinem anderen Ergebnis hätte gelangen können, wenn es – wie die Beschwerde fordert – von einer nicht offenkundigen Akneerkrankung ausgegangen wäre, die vom Musterungsarzt jedoch als solche festgestellt, wenn auch nur als leicht bewertet worden war. Nicht dargelegt ist jedenfalls, welche abweichenden Schlussfolgerungen sich dem Gericht insoweit hätten aufdrängen müssen.
Rz. 9
Die Notwendigkeit einer fachorthopädischen Zusatzuntersuchung hat das Verwaltungsgericht damit begründet, dass “das Zusammentreffen von einer Fußfehlform einerseits und einer Veränderung der Wirbelsäule andererseits” einen Rückschluss darauf zulasse, dass “auch bei den Kniegelenken und Hüftgelenken bereits Veränderungen vorhanden sind, die durch die Belastung des Wehrdienstes verstärkt werden könnten” (UA S. 10). Das Vorliegen einer Fußgewölbestörung (“Senk-Knickfüße”) und einer Verbiegung der Wirbelsäule (Skoliose) entsprach der Diagnose des Musterungsarztes (Rubriken 28, 29 des Untersuchungsbogens). Die Beschwerde legt nicht dar, dass das Verwaltungsgericht vor dem Hintergrund seiner materiellrechtlichen Argumentation nicht schon im Hinblick auf diesen musterungsärztlichen Befund die Erforderlichkeit einer orthopädischen Zusatzuntersuchung bejaht, sondern sich ihm eine andere Beurteilung deshalb aufgedrängt hätte, weil der Kläger in Bezug auf den Wirbelsäulenbereich – wie hier zu unterstellen ist – keine Beschwerden geäußert hatte.
Rz. 10
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Unterschriften
Dr. Bardenhewer, Dr. Graulich, Dr. Möller
Fundstellen