Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 14.02.2006; Aktenzeichen 4 LB 10/05) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. Februar 2006 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 12 147,36 € festgesetzt.
Gründe
Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (1.) und eines Verfahrensmangels (2.) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14 m.w.N.). Daran gemessen führen die von der Beklagten aufgeworfenen und von ihr als rechtsgrundsätzlich angesehenen Fragen nicht zur Zulassung der Revision.
a) Die Beklagte möchte die Frage beantwortet wissen: “Unterfallen Ansammlungen auf Gleisanlagen, d.h. auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes, dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit im Sinne von Art. 8 GG?”. Diese Frage trägt dem Begründungserfordernis deshalb nicht ausreichend Rechnung, weil sie von einer unzutreffenden Voraussetzung ausgeht.
Ausweislich der Begründung der Beschwerde ist die Beklagte der Auffassung, dass sich die grundsätzliche Bedeutung der Frage daraus ergebe, dass das angefochtene Urteil insbesondere der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zur Einschränkung der verfassungsrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit wegen Verstoßes gegen bahnrechtliche Bestimmungen widerspreche. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in dem von der Beschwerde in Bezug genommenen Beschluss vom 26. Februar 2004 – 11 LA 239/03 – (NVwZ-RR 2004, 575) angenommen, dass eine einen Ordnungswidrigkeitentatbestand erfüllende Zuwiderhandlung gegen Bestimmungen der Eisenbahn-, Bau- und Betriebsordnung (EBO) vom 8. Mai 1967 (BGBl I S. 1563), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Juni 2005 (BGBl I S. 1818), die das Betreten und Benutzen der Bahnanlagen und das Verhalten auf dem Gebiet der Bahnanlagen regeln, die Auflösung einer dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG unterfallenden Versammlung auf der Grundlage des § 15 Abs. 3 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz – VersG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 15. November 1978 (BGBl I S. 1789), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. März 2005 (BGBl I S. 969), und damit eine Einschränkung des Grundrechts im Sinne von Art. 8 Abs. 2 GG rechtfertigen kann. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ist nicht etwa davon ausgegangen, dass die in Rede stehenden eisenbahnrechtlichen Bestimmungen bereits den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG beschränken.
Die Beschwerde nimmt zu Unrecht an, dass das angefochtene Urteil der zitierten Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts widerspricht. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass es sich bei den Blockadeaktionen der Kläger um Versammlungen im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG gehandelt habe. Es hat die nicht näher konkretisierte Auffassung vertreten, dass die Blockadeaktionen rechtswidrig waren und deshalb eine Einschränkung des Grundrechts im Wege einer Auflösung der Versammlungen in Betracht gekommen wäre (UA S. 11 unten). Im vorliegenden Zusammenhang ist nicht entscheidend, ob es die Rechtswidrigkeit in Zuwiderhandlungen gegen bahnrechtliche Bestimmungen gesehen oder aus einem anderen Grund angenommen hat. Das Oberverwaltungsgericht hat jedenfalls nicht die Auffassung vertreten, dass entgegen der Auffassung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Zuwiderhandlungen gegen eisenbahnrechtliche Vorschriften nicht geeignet sind, eine Einschränkung des Grundrechts im Wege der Auflösung einer Versammlung zu rechtfertigen. Aus dem von der Beklagten ebenfalls in Bezug genommenen Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 1. März 1997 – 13 M 1272/97 – (NVwZ-RR 1997, 474) ergibt sich nichts anderes. Mithin steht die angefochtene Entscheidung nicht im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts. Die angefochtene Entscheidung widerspricht auch nicht den in der Beschwerde zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 12. März 1998 – 1 BvR 222/97 – NJW 1998, 3113) und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 19. Februar 2000 – 1 S 414/00 – NVwZ 2000, 1201). Da die von der Klägerin zur Begründung der grundsätzlichen Bedeutung der aufgeworfenen Frage behauptete Rechtsprechungsdivergenz nicht besteht, genügt die Begründung nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
b) Die Beklagte wirft weiter die Frage auf: “Handelt es sich auch bei solchen Blockadeaktionen um Versammlungen im Sinne von Art. 8 GG, bei denen die Teilnehmer sich in einer Art und Weise an Gleisanlagen anketten, die ihnen selbst eine Befreiung unmöglich macht und bei denen die Befreiung durch Dritte viele Stunden und den Einsatz umfangreichen Geräts in Anspruch nimmt, d.h. zeit- und kostenintensiv ist, mit der Folge, dass aufgrund der objektiven Umstände nicht mehr der Kommunikationszweck, sondern das Ziel einer möglichst langen Verhinderung einer Nutzung der Gleisanlagen und die Verursachung von Kosten auf dritter Seite im Vordergrund steht?” Auch diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision.
Es kann dahinstehen, ob mit ihr eine grundsätzliche Frage aufgeworfen ist. Die auf eine eng begrenzte Fallgestaltung zugeschnittene Fragestellung spricht eher dafür, dass die Beklagte die Klärung einer auf einen Einzelfall bezogenen Frage erstrebt. Die Frage verhilft der Beschwerde jedenfalls deshalb nicht zum Erfolg, weil sie sich auf einen Sachverhalt bezieht, der vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden ist. Die Revision kann nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden, wenn das Berufungsgericht eine Tatsache nicht festgestellt hat, die für die Entscheidung der mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochenen Rechtsfrage in dem erstrebten Revisionsverfahren erheblich sein würde, vielmehr lediglich die Möglichkeit besteht, dass sie nach Zurückverweisung der Sache aufgrund weiterer Sachaufklärung entscheidungserheblich werden kann (vgl. Beschluss vom 5. September 1996 – BVerwG 9 B 387.96 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 12 S. 20 m.w.N.). So liegt es hier. Die aufgeworfene Frage setzt in tatsächlicher Hinsicht unter anderem voraus, dass die Kläger nicht in der Lage waren, sich selbst von den Gleisen, an denen sie angekettet waren, zu befreien. Das Oberverwaltungsgericht hat dies nicht festgestellt, sondern offen gelassen, ob die Kläger die Möglichkeit der Selbstbefreiung hatten (UA S. 12 oben). Ebenso wenig hat es festgestellt, dass an den Blockadeaktionen nur die Kläger beteiligt waren. Die fehlende Sachverhaltsfeststellung ist hier auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Beklagte in der Vorinstanz ordnungsgemäß eine entsprechende Sachverhaltsaufklärung beantragt hatte, die nur deshalb unterblieben ist, weil das Oberverwaltungsgericht den Beweisantrag als nicht entscheidungserheblich abgelehnt hat (vgl. Beschluss vom 17. März 2000 – BVerwG 8 B 287.99 – BVerwGE 111, 61 ≪62≫). Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Beweisantrag dahin gestellt, dass die an der Blockade Beteiligten zur Selbstbefreiung nicht in der Lage waren.
c) Die Revision ist auch nicht zur Beantwortung der Frage zuzulassen: “Ist eine Versammlung dann unfriedlich und fällt deshalb nicht mehr unter den Schutzbereich des Art. 8 GG, wenn Teilnehmer einer Veranstaltung sich in einer Art und Weise an Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes gekettet haben, dass sie sich nicht mehr selbst befreien können und deshalb abstrakt und konkret eine erhebliche Gefährdung ihrer selbst und Dritter vorliegt?” Auch diese Frage setzt hinsichtlich der in ihr vorausgesetzten Unmöglichkeit der Selbstbefreiung der Teilnehmer einen Sachverhalt voraus, der von dem Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt wurde.
d) Soweit die Beklagte geklärt wissen möchte, ob “eine an sich nach § 15 VersG erforderliche Versammlungsauflösung dann entbehrlich (ist), wenn sich die Teilnehmer der Versammlung aufgrund einer Ankettung, aus der sie sich nicht selbst befreien können, nicht entfernen können”, scheidet eine Revisionszulassung ebenfalls deshalb aus, weil in dem angefochtenen Urteil die fehlende Möglichkeit der Selbstbefreiung der Teilnehmer nicht festgestellt wurde.
e) Im Übrigen sind die wesentlichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits beantwortet (BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 u.a. – BVerfGE 104, 92).
2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen.
Nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Ein solcher Mangel ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn er sowohl in Bezug auf die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan ist (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14 m.w.N.). Daran gemessen führen die Verfahrensrügen nicht zur Zulassung der Revision.
a) Die von der Beklagten gerügte Verletzung der Aufklärungspflicht des § 86 Abs. 1 VwGO ist nicht ausreichend dargetan.
Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Die Beklagte meint, das Oberverwaltungsgericht hätte den Sachverhalt hinsichtlich der Frage, ob die Blockadeaktionen der Kläger von einem kommunikativen Anliegen geprägt gewesen seien und deshalb dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG unterfielen, näher aufklären müssen, etwa im Wege der Parteivernehmung der Kläger. Hinsichtlich eines behaupteten Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO muss substantiiert dargelegt werden, bezüglich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachaufklärung voraussichtlich getroffen wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. Beschlüsse vom 6. März 1995 – BVerwG 6 B 81.94 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265 S. 9 und vom 19. August 1997 a.a.O. S. 14 f.). Dem genügt die Beschwerdebegründung nicht. Ihr ist nicht zu entnehmen, dass die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht auf die Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung hingewirkt hat, insbesondere im Wege eines entsprechenden Beweisantrags. Es ist auch nicht ausreichend dargelegt, dass sich dem Oberverwaltungsgericht die Sachaufklärung von sich aus hätte aufdrängen müssen. Die Erwägungen in dem angefochtenen Urteil, die aus Sicht des Gerichts die Annahme rechtfertigen, dass die Blockadeaktionen von einem kommunikativen Anliegen geprägt gewesen seien (UA S. 8 f.), sind schlüssig und auch im Übrigen nachvollziehbar. Sie rechtfertigen deshalb nicht den Schluss, dass sich dem Oberverwaltungsgericht eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen.
b) Der von der Beklagten gerügte Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist ebenfalls nicht in einer dem § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt.
Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es ist Sache des Tatsachengerichts, sich im Wege der freien Beweiswürdigung im Sinne von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eine Überzeugung über den entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden. Dabei sind die Grundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung revisionsrechtlich dem sachlichen Recht zuzurechnen. Mit Angriffen gegen die Beweiswürdigung kann daher grundsätzlich ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht begründet werden (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O. S. 15 m.w.N.). Soweit die Beklagte mit Blick auf § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO sinngemäß beanstandet, dass die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts zu der Frage, ob die Blockadeaktionen von einem kommunikativen Anliegen getragen gewesen seien, nicht überzeugend seien, beanstandet sie im Kern die Sachverhaltswürdigung, die in der Regel – wie hier – einer Verfahrensrüge nicht zugänglich ist. Der Ausnahmefall einer aktenwidrigen Sachverhaltsfeststellung ist von der Beklagten weder dargetan noch ist sie ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes findet seine Grundlage in § 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.
Unterschriften
Dr. Bardenhewer, Dr. Hahn, Vormeier
Fundstellen