Verfahrensgang
VG Potsdam (Urteil vom 14.11.2013; Aktenzeichen 1 K 533/12) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. November 2013 ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 500 000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I
Die Kläger begehren gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Bbg wegen neuer Beweismittel das Wiederaufgreifen des durch Bescheid des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 11. August 1998 und Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 8. Juni 2000 – VG 1 K 3767/98 – rechtskräftig abgeschlossenen vermögensrechtlichen Verfahrens betreffend das frühere Rittergut B. in D. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. November 2013 ergangenen Urteil als unbegründet abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.
1. Die von den Klägern erhobene Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist nicht begründet.
Die geltend gemachte Abweichung ist nicht ersichtlich. Der in der Beschwerdebegründung (S. 24, 2. Absatz) bezeichnete Rechtssatz („Wenn eine Behörde ein rechtlich maßgebliches, erreichbares oder vorliegendes Beweismittel im inzwischen rechtskräftig abgeschlossenen Ausgangsverfahren seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt hatte, so kann es gegen einen späteren Wiederaufgreifensantrag, der sich auf das fragliche Beweismittel stützt, nicht einwenden, dieser sei verspätet oder mit einem Beweismittel erfolgt, das bereits damals vorgelegen habe.”), von dem das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts abweichen soll, findet sich weder wörtlich noch sinngemäß in dem angeführten Urteil des 7. Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Juli 1989 – BVerwG 7 C 78.88 – (BVerwGE 82, 272 ≪277≫), insbesondere nicht an der angegebenen Stelle (S. 277).
Diese Entscheidung befasst sich zwar mit dem Begriff des „neuen Beweismittels” im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG. In ihr legt das Bundesverwaltungsgericht dar, dass zu den Beweismitteln, die die Überzeugung von der Existenz von Tatsachen begründen können, auch Werturteile zählen, über die wie über sonstige Tatsachen Beweis erhoben werden kann, sofern sie nicht unmittelbar zur Bestimmung des Inhalts einer Rechtsnorm dienen (a.a.O. S. 276). Ferner wird darin ausgeführt, ein nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens gefertigtes, Bewertungen enthaltendes Schriftstück dürfe daher im Wiederaufgreifensverfahren nicht ohne Weiteres mit der Begründung zurückgewiesen werden, es sei kein neues Beweismittel, weil Neuheit nur dem Werturteil, nicht aber dem bewerteten Faktum zuzusprechen sei (a.a.O. S. 276, 1. Absatz a.E.). Nach ständiger Rechtsprechung könne ein Sachverständigengutachten nur dann als neues Beweismittel gelten, wenn es selbst auf neuen Beweismitteln beruhe (a.a.O. S. 277). Die Auffassung, dass fachliche Meinungen, wissenschaftliche Ansichten und bloße Folgerungen sachkundiger Personen für sich gesehen nicht genügten, um als Gegenstand neuer Beweismittel einen Anspruch auf Wiederaufgreifen zu begründen, finde, so das Bundesverwaltungsgericht, letztlich ihre Rechtfertigung in der Forderung des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, dass das neue Beweismittel eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde (a.a.O. S. 277, letzter Absatz).
Diesen abstrakten Rechtssätzen widerspricht der in der Beschwerdebegründung (S. 25) angeführte Rechtssatz („… Ist Antragstellervortrag oder sind entsprechende Tatsachen im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren aktenkundig gewesen, so steht das im späteren Wiederaufgreifensverfahren der Berufung auf den ≪neuen≫ Beweis solcher Tatsachen auch dann im Wege, wenn diese Tatsachen im damaligen Behörden- und Gerichtsverfahren nicht gewürdigt wurden.”), der sich im angegriffenen Urteil finden soll, nicht. Jedenfalls legen die Kläger nicht nachvollziehbar dar, worin die angeführten Rechtssätze einerseits des Bundesverwaltungsgerichts und andererseits des Verwaltungsgerichts konkret voneinander abweichen sollen. Angesichts dessen kann offenbleiben, ob sich der in der Beschwerdebegründung (S. 25) von den Klägern formulierte Rechtssatz überhaupt mit diesem Inhalt im angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts findet.
Soweit das Beschwerdevorbringen dahingehend verstanden werden sollte, dass die Kläger eine unrichtige Anwendung des von ihnen angeführten, vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 28. Juli 1989 vermeintlich formulierten Rechtssatzes rügen, vermag dies eine Zulassung der Revision wegen Divergenz ohnehin nicht zu begründen.
2. Die Rechtssache hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden entscheidungserheblichen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist (stRspr, vgl. u.a. Beschluss vom 9. September 2011 – BVerwG 8 B 15.11 – ZOV 2011, 226). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Die Klägerin wirft die Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig auf:
„Macht es eine Zeugenaussage zu einem i.S.d. § 51 Abs. 1 Ziffer 2 VwVfG unverwertbaren Beweismittel, wenn diese Aussagen zu nicht entscheidungserheblichen Tatsachen enthält, die teilweise im Widerspruch zur Aktenlage stehen, wenn die Zeugenaussage im Übrigen glaubhafte Aussagen zu den entscheidungserheblichen Aspekten enthält?”
Diese Frage lässt sich nicht verallgemeinerungsfähig beantworten. Sie ist im Übrigen auch nicht entscheidungserheblich und im angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Denn das Verwaltungsgericht ist in Würdigung des Vorbringens der Kläger – unabhängig („Abgesehen davon …”) von der anschließend diskutierten und verneinten Frage der inhaltlichen Richtigkeit („Fehlerhaftigkeit”) der Aussage des Herrn N. – bereits zu der entscheidungstragenden Feststellung gelangt, dass die Kläger im Wiederaufgreifensverfahren mit dem Schreiben des Herrn N. kein neues Beweismittel im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vorgelegt haben. Das Verwaltungsgericht hat dies im Einzelnen näher begründet (UA S. 6). In tatsächlicher Hinsicht sind dagegen mit der Beschwerde keine begründeten Rügen geltend gemacht worden (vgl. dazu unten 3.).
Aufgrund dessen stellt sich die als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage nicht, unter welchen Voraussetzungen eine Zeugenaussage dann „unverwertbar” ist, wenn sie Aussagen zu nicht entscheidungserheblichen Tatsachen enthält, die teilweise im Widerspruch zur Aktenlage stehen, und wenn die Zeugenaussage im Übrigen glaubhafte Aussagen zu den entscheidungserheblichen Aspekten enthält.
3. Das angefochtene Urteil beruht schließlich auch nicht auf dem behaupteten Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) eines Verstoßes gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO („Überzeugungsgrundsatz”). Wie oben ausgeführt, ist das angegriffene Urteil nicht selbstständig tragend auf die Anmahnung einer „Fehlerhaftigkeit” der Aussage des Zeugen N. gestützt. Davon abgesehen liegt auch keine Verletzung des § 108 Abs. 1 VwGO vor. Nach § 108 Abs. 1 VwGO hat das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen. Es darf nicht einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse aus seiner Würdigung ausblenden. Im Übrigen darf es zur Überzeugungsbildung die ihm vorliegenden Tatsachen und Beweise frei würdigen. Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist deshalb nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Gericht. Diese Grenzen sind erst dann überschritten, wenn es nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen (stRspr, vgl. Beschluss vom 17. Mai 2011 – BVerwG 8 B 88.10 – juris; Urteil vom 30. August 2012 – BVerwG 8 C 5.11 – Buchholz 428 § 1 Abs. 1 VermG Nr. 28 = ZOV 2012, 361). Die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts darf vom Revisionsgericht nicht daraufhin überprüft werden, ob sie überzeugend ist, ob festgestellte Einzelumstände mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die abschließende Würdigung des Sachverhalts eingegangen sind und ob solche Einzelumstände ausreichen, die Würdigung zu tragen. Solche Fehler sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO deshalb grundsätzlich nicht begründen (stRspr, vgl. u.a. Beschluss vom 8. April 2008 – BVerwG 9 B 13.08 – Buchholz 451.29 Schornsteinfeger Nr. 44 Rn. 10).
So liegt der Fall hier. Das Verwaltungsgericht hat die Aussage des Zeugen N. mit weiteren vorliegenden Beweismitteln abgeglichen und ist dabei im Rahmen seiner Beweiswürdigung zu dem im Urteil dargelegten (UA S. 7, vorletzter Absatz) Ergebnis gelangt. In der Beschwerdebegründung wird nicht nachvollziehbar dargelegt, dass es dabei unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergangen oder aktenwidrige Tatsachen angenommen hat oder dass die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen.
4. Da das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts entscheidungstragend auf das Fehlen eines Wiederaufgreifensgrundes im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG gestützt ist und die dagegen geltend gemachten Zulassungsgründe nicht durchgreifen, kommt es auf die von den Klägern des Weiteren geltend gemachten Zulassungsrügen gegen die – dem Sinne nach – hilfsweise angeführten Gründe des Verwaltungsgerichts zum Fehlen der materiellen Voraussetzungen einer Rückübertragung des begehrten Rittergutes (im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht angenommene fehlende faktische Enteignung des Rittergutes vor dem 8. Mai 1945, zur Anwendbarkeit des § 1 Abs. 8 VermG auf Eigentumsentziehungen durch sowjetische Organe vor dem 8. Mai 1945 sowie zur Nichtanwendbarkeit des § 1 Abs. 6 VermG auf diese) nicht mehr an.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 4 Nr. 3 GKG. Sie orientiert sich an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gegen die die Beteiligten keine Einwände erhoben haben.
Unterschriften
Dr. Christ, Dr. Deiseroth, Hoock
Fundstellen