Entscheidungsstichwort (Thema)
Bebauungsplan. Abwägungsgebot. private Belange. Erschließung. Teilnichtigkeit. ergänzendes Verfahren. Normenkontrolle. Antragsbefugnis
Leitsatz (amtlich)
Das Interesse eines Anliegers, von der Überlastung eines sein Grundstück erschließenden Weges als Folge der Aufstellung eines Bebauungsplans für ein neues Baugebiet (hier: für eine Sportmehrzweckhalle und eine Reithalle) verschont zu bleiben, ist ein abwägungserheblicher privater Belang (§ 1 Abs. 6 BauGB), der eine Antragsbefugnis gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO (Verletzung des Rechts auf gerechte Abwägung) auch dann begründet, wenn das Grundstück des Anliegers außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans liegt.
Bei der Prüfung der Gültigkeit eines Bebauungsplans ist das Normenkontrollgericht nicht auf die vom Antragsteller geltend gemachten Mängel beschränkt. Es kann den Bebauungsplan auch aus Gründen für nichtig erklären, die die privaten Belange des Antragstellers nicht berühren (hier: Verletzung des Gebots einer ordnungsgemäßen Erschließung des Plangebiets).
Ein Bebauungsplan, der bauliche Nutzungen mit einem erheblichen Zu- und Abgangsverkehr festsetzt, ohne Vorsorge für eine hinreichende Erschließung des gesamten Plangebiets zu treffen, kann nicht in zeitlicher Hinsicht, nämlich beschränkt für eine Übergangszeit bis zur planerischen Sicherung einer hinreichenden Erschließung, für teilnichtig erklärt werden. Ob die Feststellung nur der Unwirksamkeit (§ 47 Abs. 5 Satz 4 VwGO) in Betracht kommt, weil der Mangel durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls.
Normenkette
BauGB § 1 Abs. 6, § 215a Abs. 1; VwGO § 47 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Entscheidung vom 10.08.2000; Aktenzeichen 7a D 58/99) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. August 2000 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege der Normenkontrolle gegen einen Bebauungsplan der Antragsgegnerin, der ein Sondergebiet für eine Sport-Mehrzweckhalle und eine Reithalle nebst Longierhalle, Dressur- und Springplatz ausweist. Die Antragsteller sind Eigentümer eines etwa 100 m entfernt gelegenen Grundstücks im Außenbereich, das mit zwei Wohngebäuden und einer landwirtschaftlichen Hofstelle bebaut ist. Dieses Grundstück, das geplante Sondergebiet sowie zwei Sportplätze und eine Tennisanlage, die neben dem Plangebiet bereits bestehen, werden durch einen dem öffentlichen und landwirtschaftlichen Verkehr gewidmeten Wirtschaftsweg erschlossen, der in seinem asphaltierten Bereich teilweise nicht breiter als etwa 4 m, teilweise auch deutlich schmaler ist. Das Plangebiet grenzt unmittelbar an die Böschung einer zur Entlastung des Ortskerns planfestgestellten Straßentrasse (verlegte Landesstraße) an, die Gegenstand eines Rechtsstreits ist. Nach dem Bau der Landesstraße soll das Sondergebiet über einen Weg erschlossen werden, der unter der geplanten Landesstraße hindurch zum Ortskern führt.
Die Antragsteller machen u.a. geltend, der Bebauungsplan leide an Abwägungsfehlern: Die Antragsgegnerin habe nicht berücksichtigt, dass die vorhandenen Wege und Straßen zur Erschließung des Sondergebiets, insbesondere bei größeren Veranstaltungen, ungeeignet seien. Das auch ihr Grundstück erschließende Verkehrsnetz sei bereits durch den An- und Abfahrtverkehr zum vorhandenen Sportgelände überstrapaziert. Bei Großveranstaltungen seien erhebliche bzw. chaotische Verkehrsbelästigungen aufgetreten. Ob die geplante Landesstraße gebaut werde, sei offen. Die Erschließung des Sondergebiets sei daher ungesichert.
Das Normenkontrollgericht hat den Bebauungsplan für nichtig erklärt, weil er an einem Abwägungsmangel leide, der die Grundzüge der Planung berühre. Der Plan treffe keine Vorsorge für eine der zugelassenen Nutzung entsprechende wegemäßige Erschließung.
Die Antragsgegnerin wehrt sich mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.
Entscheidungsgründe
II.
Die auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich kein Grund für eine Zulassung der Revision.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Antragsgegnerin beimisst.
1.1 Die Antragsgegnerin wirft zunächst (sinngemäß) die Rechtsfrage auf, ob der Eigentümer eines Grundstücks außerhalb des Plangebiets im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in seinen Rechten verletzt sein kann, wenn die Straße, durch die sein Grundstück erschlossen wird, gleichzeitig der Erschließung des neuen Plangebiets dient, aber nicht den Mindestanforderungen an eine ausreichende Erschließung des Plangebiets genügt. Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, da sie auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres zu beantworten ist. Mit Urteil vom 24. September 1998 – BVerwG 4 CN 2.98 – (BVerwGE 107, 215) hat der beschließende Senat entschieden, dass das in § 1 Abs. 6 BauGB enthaltene Abwägungsgebot drittschützenden Charakter hinsichtlich solcher privater Belange hat, die für die planerische Abwägung erheblich sind. Der daraus folgende Anspruch auf gerechte Abwägung ist ein Recht im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Der Senat hat ferner bereits entschieden, dass das Interesse des Eigentümers eines Grundstücks außerhalb des streitbefangenen Plangebiets, von Lärmimmissionen der im Plangebiet zugelassenen Nutzungen oder des Zu- und Abgangsverkehrs auf einer planfestgesetzten Erschließungsstraße, die unmittelbar an seinem Wohngrundstück vorbei führt, verschont zu bleiben, ein für die Abwägung erheblicher privater Belang sein kann (vgl. Senatsurteil vom 24. September 1998, a.a.O. – Freizeitlärm einer Kleingartenanlage mit Vereinsheim; Urteil vom 26. Februar 1999 – BVerwG 4 CN 6.98 – ZfBR 1999, 223 = DVBl 1999, 1293 – Verkehrsimmissionen von einer Erschließungsstraße für die Erweiterung eines reinen Wohngebiets um bis zu 32 Wohnungen). Es versteht sich von selbst, dass auch das Interesse außerhalb des Plangebiets ansässiger Anlieger, von der Überlastung eines Weges, der auch der Erschließung ihrer Grundstücke dient, verschont zu bleiben, ein abwägungsrelevantes, schutzwürdiges Privatinteresse bilden und eine Antragsbefugnis im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO begründen kann. Ob der Anspruch auf eine gerechte Abwägung dieses privaten Belangs durch den Bebauungsplan verletzt wird, ist eine Frage der Begründetheit des Normenkontrollantrags, die von den Umständen des Einzelfalls abhängt und sich einer rechtsgrundsätzlichen Klärung entzieht.
Ein Normenkontrollgericht ist im Übrigen nicht daran gehindert, einem nach den vorstehenden Grundsätzen zulässigen Antrag eines Grundstückseigentümers außerhalb des Plangebiets stattzugeben, weil die ordnungsgemäße Erschließung des Plangebiets nicht gesichert ist, und dabei die (weitere) Frage offen zu lassen, ob das Grundstück des Antragstellers in anliegerverträglicher Weise erschlossen ist. Diesen Weg hat das Normenkontrollgericht ab Seite 10 (unten) seiner Entscheidung beschritten. Diese Vorgehensweise rechtfertigt sich daraus, dass das Verfahren der Normenkontrolle nach § 47 VwGO nicht nur dem subjektiven Rechtsschutz dient, sondern zugleich ein Verfahren der objektiven Rechtskontrolle darstellt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 1989 – BVerwG 4 N 3.87 – BVerwGE 82, 225). Bei der Prüfung eines Bebauungsplans ist das Normenkontrollgericht daher nicht auf die vom Antragsteller geltend gemachten Mängel beschränkt. Es kann den Plan auch aus Gründen für nichtig erklären, die die privaten Belange des Antragstellers nicht berühren. Anders als bei der Anfechtung eines Verwaltungsakts (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) darf ein Normenkontrollgericht (auf einen zulässigen Antrag hin) einen Bebauungsplan nicht nur dann für nichtig erklären, wenn dieser den Antragsteller in seinen subjektiven Rechten verletzt. Ein Normenkontrollantrag ist auch dann begründet, wenn der Plan gegen lediglich objektives (nicht drittschützendes) Recht (hier: Gebot einer ordnungsgemäßen Erschließung des Plangebiets) verstößt.
1.2 Mit der Beschwerde greift die Antragsgegnerin ferner die Feststellung des Normenkontrollgerichts auf, der genannte Wirtschaftsweg solle der Erschließung des Plangebiets nur vorläufig dienen, nämlich bis zur Herstellung der bereits planfestgestellten (verlegten) Landesstraße. Sie wirft hierzu die Frage auf, ob eine für einen Übergangszeitraum vorgesehene, als fehlerhaft erkannte Erschließung zur Nichtigkeit des Bebauungsplans insgesamt führt oder ob der Bebauungsplan nur insoweit (teil-)nichtig ist, als er für einen Übergangszeitraum eine unzureichende Erschließung vorsieht. Nach Ansicht der Antragsgegnerin hätte das Normenkontrollgericht den Bebauungsplan bis zur endgültigen Erschließung des Plangebiets für teilnichtig erklären müssen. Auch diese Rechtsfrage führt nicht zu einem revisionsgerichtlichen Klärungsbedarf.
Teilnichtigkeit eines Bebauungsplans kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eintreten, wenn der Rechtsfehler nur eine einzelne Festsetzung oder einen in anderer Weise abgrenzbaren Teil des Plans betrifft. Ob die dadurch entstehende teilweise Ungültigkeit den Bebauungsplan insgesamt zu Fall bringt oder ob er in seinen nicht betroffenen Teilen gültig bleibt, beurteilt sich nach den allgemeinen Grundsätzen über die teilweise Nichtigkeit von Gesetzen und anderen Rechtsvorschriften (vgl. auch § 139 BGB). Bei Bebauungsplänen ist hiernach darauf abzustellen, ob der gültige Teil des Plans für sich betrachtet noch eine den Anforderungen des § 1 BauGB gerecht werdende, sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken kann und ob die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch einen Plan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 1989 – BVerwG 4 N 3.87 – a.a.O., S. 230 m.w.N.). Ein Bebauungsplan, der – wie hier nach den tatsächlichen Feststellungen des Normenkontrollgerichts – einerseits bauliche Nutzungen mit erheblichem Zu- und Abfahrtsverkehr festsetzt, andererseits aber keine Vorsorge für eine hinreichende Erschließung des gesamten Plangebiets trifft, kann nicht in diesem Sinne in einen ungültigen und in einen vom Mangel der Erschließung nicht betroffenen gültigen Teil aufgespalten werden. Die rechtliche Möglichkeit einer zeitlich eingeschränkten, befristeten Nichtigerklärung des gesamten Plans für eine Übergangszeit bis zur planerischen Sicherung einer ausreichenden Erschließung besteht nicht. Eine derartige „Nichtigkeit auf Zeit”, bei der die Gültigkeit des Plans erst nach Beseitigung des Rechtsfehlers einsetzt, ist dem Verwaltungsprozessrecht und dem Bauplanungsrecht fremd. Das Rechtsinstitut der Teilnichtigkeit erfasst derartige Fälle nicht.
1.3 Die Frage, ob die Anpassung einer vorgesehenen Erschließungsstraße (z.B. durch Verbreiterung der Fahrbahn oder den Bau von Ausweichbuchten) an die vom Normenkontrollgericht dargelegten Mindestanforderungen in einem ergänzenden Verfahren nach § 215 a Abs. 1 BauGB erfolgen könne, der Mangel einer ausreichenden Erschließung des Plangebiets also nicht zur Nichtigkeit des Bebauungsplans führe, ließe sich in einem Revisionsverfahren nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise klären. Ein Mangel des Bebauungsplans, der im Sinne von § 215 a Abs. 1 BauGB in einem ergänzenden Verfahren behoben werden kann, liegt nicht vor, wenn der festgestellte Fehler so schwerwiegt, dass er die Grundzüge der Planung berührt bzw. den Kern der Abwägungsentscheidung betrifft (Senatsurteil vom 8. Oktober 1998 – BVerwG 4 CN 7.97 – Buchholz 406.11 § 215 a BauGB Nr. 1 = DVBl 1999, 243; Beschluss vom 10. November 1998 – BVerwG 4 BN 45.98 – Buchholz 406.11 § 215 a BauGB Nr. 2 = NVwZ 1999, 420). Ob danach ein ergänzendes Verfahren ausscheidet, beurteilt sich jeweils nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. In der Sache greift diese Grundsatzrüge der Antragsgegnerin die Auffassung des Normenkontrollgerichts an, dass die Ausweisung des streitbefangenen Sondergebiets ohne derzeit ausreichende Erschließung „sinnlos” und nicht „umsetzbar” sei und der darin liegende Abwägungsmangel die Grundzüge der Bebauungsplanung betreffe. Einzelfallbezogene Kritik an der Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung des Normenkontrollgerichts können die grundsätzliche Bedeutung einer Sache jedoch nicht begründen.
2. Die Divergenzrüge ist unzulässig. Sie genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Beschwerde legt keinen abstrakten Rechtssatz der Normenkontrollentscheidung dar, der einem vom Bundesverwaltungsgericht in den angeführten Entscheidungen aufgestellten abstrakten Rechtssatz widerspricht. Allein der Umstand, dass das Normenkontrollgericht nach Ansicht der Antragsgegnerin einen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Rechtssatz unrichtig anwendet, stellt keine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dar.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Gaentzsch, Halama, Rojahn
Fundstellen
Haufe-Index 557245 |
BauR 2001, 747 |
NVwZ 2001, 431 |
IBR 2001, 232 |
NuR 2001, 457 |
ZfBR 2001, 202 |
BRS 2000, 258 |
BayVBl. 2001, 314 |
DVBl. 2001, 669 |
UPR 2001, 152 |
FSt 2001, 732 |