Verfahrensgang
VG Greifswald (Urteil vom 01.11.2001; Aktenzeichen 1 A 795/98) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 1. November 2001 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 76 694 € festgesetzt.
Gründe
Die Kläger begehren die vermögensrechtliche Rückübertragung eines Grundstücks, das der staatliche Verwalter an die Eltern des Beigeladenen zu 1 und Schwiegereltern der Beigeladenen zu 2 veräußert hatte, von denen die Beigeladenen das Grundstück wiederum im Wege vorgezogener Erbfolge schenkweise erworben haben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Beigeladenen das Grundstück redlich erworben hätten (§ 4 Abs. 2 VermG). Es hat dabei angenommen, eine (vom Verwaltungsgericht offen gelassene) manipulativ erwirkte Wohnraumzuweisung vor dem Erwerb des Grundstücks durch die Eltern und Schwiegereltern der Beigeladenen strahle auf den späteren Erwerb der Beigeladenen nicht mehr aus. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Kläger bleibt erfolglos.
Die Rechtssache hat nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Als grundsätzlich bedeutsam sehen die Kläger die Frage an,
ob die Unredlichkeit eines Zweiterwerbs auch dann zu bejahen ist, wenn der Zweiterwerb isoliert betrachtet zwar nicht sittlich anstößig war, der Zweiterwerber jedoch an manipulativen Machenschaften des ersten Erwerbsvorgangs aktiv oder passiv beteiligt war.
Die aufgeworfene Frage lässt sich anhand der einschlägigen Vorschrift und der hierzu bereits ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres beantworten, ohne dass es zu ihrer Klärung der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
Für die Annahme eines unredlichen Erwerbs im Sinne des § 4 Abs. 3 VermG kommen nur solche Umstände in Betracht, die den Erwerbsvorgang als solchen betreffen. Sie müssen diesen als auf einer sittlich anstößigen Manipulation beruhend erscheinen lassen. Das ist nicht mehr der Fall, wenn die Anstößigkeit sich auf einen Vorgang bezieht, der zwar bei einer bloßen Kausalitätsbetrachtung ursächlich für die Erwerbschance war, die sich später eröffnet hat, dem aber keine “Ausstrahlungswirkung” auf den späteren Erwerb mehr zukommt (Beschluss vom 15. April 1998 – BVerwG 7 B 114.98 – Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 54). Dies gilt ohne weiteres auch dann, wenn sich die Anstößigkeit auf den Erwerb des Rechtsvorgängers des jetzigen Verfügungsberechtigten bezieht, dem sich dadurch bei bloßer Kausalitätsbetrachtung die spätere Chance eines eigenen Erwerbs eröffnet hat. Auch dieser sittlich anstößige Ersterwerb und die Beteiligung des jetzigen Verfügungsberechtigten an ihm müssen noch auf den späteren eigenen Erwerb des jetzigen Verfügungsberechtigten ausstrahlen, damit dieser selbst als auf einer sittlich anstößigen Manipulation beruhend erscheint. Von dieser Auffassung ist das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung deshalb zu Recht ausgegangen.
Ob eine derartige Verknüpfung bei zeitlich zurückliegenden Vorgängen noch zu bejahen ist oder nicht, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich damit einer verallgemeinernden Betrachtung. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist dabei ebenfalls geklärt, dass ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen einer manipulativ erwirkten Wohnraumzuweisung und dem darauf folgenden Eigentumserwerb die Anstößigkeit des Erwerbs zwar indiziert, von einem solchen engen zeitlichen Zusammenhang aber nicht mehr die Rede sein kann, wenn bis zu dem Eigentumserwerb mehr als zehn Jahre vergangen sind (Beschluss vom 9. Oktober 2000 – BVerwG 7 B 84.00 –).
Das Verwaltungsgericht ist nicht im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von den Entscheidungen abgewichen, welche die Kläger in ihrer Beschwerdebegründung bezeichnet haben.
- Die Kläger entnehmen dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Oktober 2000 – BVerwG 7 B 84.00 – den abstrakten Rechtssatz, dass mit zunehmendem Zeitabstand zu einer in anstößiger Weise erhaltenen Wohnraumzuweisung die Notwendigkeit wachse, die Ausstrahlungswirkung einer solchen Wohnraumzuweisung auf den Eigentumserwerb anhand anderer Umstände des Einzelfalles zu belegen. Die Kläger zeigen nicht auf, dass das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung einen hiervon abweichenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat. Sie beanstanden lediglich, das Verwaltungsgericht habe bestimmten Umständen des Einzelfalles nicht die Bedeutung beigemessen, die ihnen nach Auffassung der Kläger zukommt. Die unrichtige Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten Rechtssatzes auf den Einzelfall erfüllt die Voraussetzungen einer Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht.
- Aus demselben Grund ist auch eine Abweichung des Verwaltungsgerichts von dem Beschluss vom 2. April 1993 – BVerwG 7 B 22.93 – (Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 1) nicht dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung ausdrücklich den jener Entscheidung entnommenen Rechtssatz zugrunde gelegt, dass ein Fall unredlichen Erwerbs im Verständnis von § 4 Abs. 3 VermG vorliege, wenn der Erwerb auf einer sittlich anstößigen Manipulation beruhte, an welcher der Erwerber in vorwerfbarer Weise beteiligt war. Die Kläger machen wiederum nur geltend, das Verwaltungsgericht habe diesen Rechtssatz auf den Einzelfall unzutreffend angewandt.
- Soweit die Kläger auf den Beschluss vom 16. Oktober 1995 – BVerwG 7 B 163.95 – (Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 22) verweisen, legen sie schon nicht konkret dar, von welchem dort enthaltenen abstrakten Rechtssatz das Verwaltungsgericht abgewichen sein soll. In Wirklichkeit greifen die Kläger die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts an, ohne dass ihren Darlegungen jedoch ein anderer hierauf bezogener Zulassungsgrund sinngemäß entnommen werden könnte.
Das angefochtene Urteil leidet nicht an dem geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Es ist entgegen der Auffassung der Kläger im Verständnis von § 138 Nr. 6 VwGO mit Gründen versehen.
Das Verwaltungsgericht hat allerdings gesetzwidrig, nämlich unter Verstoß gegen § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO das Urteil nicht alsbald nach der Verkündung und der Niederlegung der Entscheidungsformel vollständig abgefasst, unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift führt jedoch allein noch nicht dazu, dass das Urteil als nicht mit Gründen versehen zu gelten hat. Dies ist vielmehr erst dann der Fall, wenn aufgrund der verspäteten Absetzung des Urteils nicht mehr gewährleistet ist, dass die schriftlich niedergelegten Gründe das Ergebnis der Beratung wiedergeben. Eine äußerste Grenze ist erreicht, wenn das Urteil nicht binnen fünf Monaten nach der Verkündung vollständig abgefasst, unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 27. April 1993 – GmS-OGB 1/92 – BVerwGE 92, 367). Diese Frist ist hier gerade noch eingehalten, denn das Verwaltungsgericht hat nach der Verkündung des Urteils am 1. November 2001 das vollständig abgefasste Urteil der Geschäftsstelle am 28. März 2002 übergeben. Dies ergibt sich aus dem Eingangsstempel der Geschäftsstelle auf dem vollständig abgefassten Urteil. Es kommt auf den Eingang des Urteils bei der Geschäftsstelle, nicht aber auf die Ausfertigung des Urteils durch die Geschäftsstelle oder dessen Zustellung an die Beteiligten an. Für den Verlust des Erinnerungsvermögens, an den die Frist von fünf Monaten anknüpft, ist die weitere Zeit nicht maßgeblich, die nach der Übergabe des vollständigen Urteils an die Geschäftsstelle bis zu dessen Zustellung an die Beteiligten vergeht (Beschluss vom 21. Juli 1997 – BVerwG 3 B 146.97 – Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 31).
Wird ein Urteil noch vor Ablauf von fünf Monaten der Geschäftsstelle übergeben, kann es allerdings gleichwohl im Einzelfall nicht mit Gründen versehen sein, nämlich wenn zu dem Zeitablauf besondere Umstände hinzukommen, die wegen des Zeitablaufs bereits bestehende Zweifel zu der Annahme verdichten, dass der gesetzlich geforderte Zusammenhang zwischen der Beratung und den schriftlich niedergelegten Gründen nicht mehr gewahrt ist. Solche Umstände haben die Kläger nicht dargelegt. Sie sind möglicherweise der Ansicht, es sei insbesondere auf die Angaben der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung angekommen. Sie verweisen dabei allerdings auf die erste mündliche Verhandlung vom 22. März 2001, auf welche das angefochtene Urteil nicht ergangen ist und in der die Angaben der Beigeladenen zudem umfangreich protokolliert waren. Offen bleiben kann, ob das Verwaltungsgericht – wie die Kläger meinen – aus den Angaben der Beigeladenen den Schluss auf deren aktive Mitwirkung an der manipulativen Erwirkung der Wohnraumzuweisung hätte ziehen müssen. Das Fehlen eines solchen Schlusses deutet nicht darauf hin, dem Verwaltungsgericht seien bei Abfassung der Entscheidungsgründe der Ablauf der mündlichen Verhandlung und die Angaben der Beigeladenen in ihr nicht mehr gegenwärtig gewesen. Denn das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob die Wohnraumzuweisung manipulativ erwirkt war, weil es nach seiner Rechtsauffassung hierauf nicht ankam.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Sailer, Herbert, Neumann
Fundstellen