Entscheidungsstichwort (Thema)
Straßenausbaubeitrag. Kommunalabgabe. Verjährung. Abgabenordnung. Festsetzungsverjährung. Festsetzungsfrist. Hemmung. Rechtsbehelfsverfahren. dynamische Verweisung im Landesgesetz auf Bundesrecht. Bezugnahme. Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung. Willkürverbot
Leitsatz (amtlich)
Die Auslegung des niedersächsischen Landesrechts dahingehend, dass die dynamische Verweisung in § 11 Abs. 1 Nr. 4b NKAG auf Vorschriften der Abgabenordnung sich auch schon vor der Neufassung vom 23. Januar 2007 (Nds. GVBl S. 41) in der Sache auf die durch das Steuerbereinigungsgesetz 1999 mit Wirkung vom 30. Dezember 1999 in einen anderen Absatz des § 171 AO (von Abs. 3 in Abs. 3a) überführte Regelung über die Hemmung der Festsetzungsverjährung durch ein Rechtsbehelfsverfahren bezogen habe, zeigt keinen bundesrechtlichen Klärungsbedarf zu den Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung auf.
Normenkette
GG Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1, § 137 Abs. 1; AO § 171 Abs. 3, 3a; NKAG § 11 Abs. 1 Nr. 4b
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Beschluss vom 11.10.2007; Aktenzeichen 9 LC 345/04) |
VG Hannover (Entscheidung vom 28.09.2004; Aktenzeichen 4 A 6114/03) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 17 246,07 € festgesetzt.
Tatbestand
I
Die Klägerin ist zu einem Straßenausbaubeitrag herangezogen worden. Ihre Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, ein Ablauf der Verjährungsfrist für die Festsetzung der Beitragsforderung sei gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4b des Niedersächsischen Kommunalabgabengesetzes (NKAG) i.V.m. § 171 Abs. 3a der Abgabenordnung (AO) gehemmt gewesen, obwohl die landesrechtliche Verweisungsnorm vor ihrer Neufassung vom 23. Januar 2007 (Nds. GVBl S. 41) nach ihrem Wortlaut nur auf die Absätze 1 bis 3 des § 171 AO, nicht aber auch auf § 171 Abs. 3a AO Bezug nahm. Vielmehr habe sich die Verweisung in § 11 Abs. 1 Nr. 4b NKAG schon vor ihrer Neufassung in der Sache auch auf § 171 Abs. 3a AO bezogen.
Die letztgenannte Vorschrift ist durch das Steuerbereinigungsgesetz 1999 vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2601) mit Wirkung vom 30. Dezember 1999 in § 171 AO eingefügt worden. Die bis dahin geltende Bestimmung des § 171 Abs. 3 AO, wonach die Festsetzungsfrist durch eine Anfechtung des Festsetzungsbescheides gehemmt wird, ist durch die Neuregelung dahin geändert worden, dass dies nur noch für Anträge außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens gilt. Die früher im Absatz 3 enthaltene Bestimmung über den Eintritt der Hemmung durch ein Rechtsbehelfsverfahren findet sich seit dem Steuerbereinigungsgesetz 1999 nunmehr in Absatz 3a. Erst die Neufassung des § 11 Abs. 1 Nr. 4b NKAG vom 23. Januar 2007 erklärt nunmehr ausdrücklich die Absätze 1 bis 3a des § 171 AO auf kommunale Abgaben für anwendbar.
Das Oberverwaltungsgericht begründet seine – auch in Rechtsprechung und Literatur (vgl. OVG Magdeburg, Beschluss vom 12. Juli 2002 – 1 M 273/01 – NVwZ-RR 2003, 233; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl. 2007, § 19 Rn. 37 m.w.N.) überwiegend vertretene – Ansicht damit, dass der Landesgesetzgeber mit der dynamischen Verweisung in § 11 Abs. 1 Nr. 4b NKAG nach deren Sinn und Zweck habe erreichen wollen, dass die Regelungen in der Abgabenordnung über die Hemmung der Festsetzungsverjährung auch bei etwaigen sachlichen Änderungen des Bundesgesetzes ohne besonderen weiteren Gesetzesbefehl des Landesgesetzgebers auf kommunalabgabenrechtliche Verfahren angewendet werden sollen. Dass die vom Landesgesetz in Bezug genommene Regelung vom Bundesgesetzgeber (später) in einen anderen Absatz derselben Rechtsvorschrift aufgenommen worden sei, könne unter diesen Umständen nicht von Belang sein. Auch ergäbe die in der landesrechtlichen Verweisungsnorm enthaltene Maßgabe (Ersetzung von Vorschriften der Finanzgerichtsordnung durch solche der Verwaltungsgerichtsordnung) keinen Sinn, wenn sich die Bezugnahme in § 11 Abs. 1 Nr. 4b NKAG nicht auf § 171 Abs. 3a AO erstrecken würde. Dass diese Bezugnahme nicht bereits bei einer früheren Änderung des Kommunalabgabengesetzes, sondern erst am 23. Januar 2007 an das geänderte Bundesrecht angepasst worden sei, rechtfertige nicht den Schluss, dass der Landesgesetzgeber die Rechtslage in Niedersachsen habe abweichend regeln wollen, sondern beruhe darauf, dass ihm die bundesrechtliche Änderung nicht bewusst gewesen sei; der Wille zur Beibehaltung der bisherigen Rechtslage sei durch die Neufassung vom 23. Januar 2007 vielmehr deutlich zu Tage getreten.
Entscheidungsgründe
II
Die allein auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde wendet sich gegen die vorstehend wiedergegebene Auslegung von § 11 Abs. 1 Nr. 4b NKAG in seiner vor dem 27. Januar 2007 geltenden Fassung durch das Oberverwaltungsgericht und hält die Frage für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig,
“ob die Grenzen richterlicher Auslegung von Rechtsvorschriften überschritten sind, wenn eine dynamische Verweisungsvorschrift über ihren eindeutigen Wortlaut hinaus dahingehend ausgelegt wird, sie beziehe sich auch auf eine Änderung oder Ergänzung der Norm, auf welche verwiesen wird”.
Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil ein bundesrechtlicher Klärungsbedarf damit nicht aufgezeigt ist. Sie betrifft die Grenzen zulässiger Auslegung des irrevisiblen Landesrechts durch das Oberverwaltungsgericht. Auslegungsregeln und allgemeine Grundsätze über die Auslegung von Rechtsvorschriften sind dem Bundesrecht nur zuzuordnen, wenn und soweit sie der Anwendung von Bundesrecht dienen. Sie sind dagegen Teil des revisionsgerichtlicher Prüfung grundsätzlich nicht unterliegenden Landesrechts (§ 137 Abs. 1 VwGO), wenn und soweit es sich – wie hier – um ihre Anwendung im Rahmen von Landesrecht handelt. Eine generelle Zuordnung der Auslegungsregeln zum Bundesrecht, namentlich als allgemeine rechtsstaatliche Vorgabe für die richterliche Tätigkeit, würde dazu führen, dass jede Fehlauslegung irrevisiblen Rechts, die letztlich immer auf der Verletzung von irgendwelchen Auslegungsgrundsätzen beruhen muss, eben wegen dieser Verletzung als ein Verstoß gegen Bundesrecht deklariert und damit revisibel gemacht werden könnte (Beschluss vom 30. August 1972 – BVerwG 7 B 43.71 – Buchholz 310 § 137 VwGO Nr. 53 S. 19; Eichberger, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 137 Rn. 69 m.w.N.).
Unter diesen Umständen vermag die Rüge, Landesrecht sei unter Verstoß gegen Bundes(verfassungs)recht, hier unter Überschreitung der Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung, angewandt worden, für sich genommen noch nicht eine klärungsbedürftige Frage des Bundesrechts aufzuzeigen; vielmehr muss zusätzlich dargelegt werden, dass die Auslegung der einschlägigen Grundsätze des Bundes(verfassungs)rechts durch die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht oder nicht hinreichend ausdifferenziert und entwickelt ist, um einen Maßstab für das Landesrecht abzugeben (Beschluss vom 21. September 2001 – BVerwG 9 B 41.01 – Buchholz 401.8 Verwaltungsgebühren Nr. 44 S. 28). Dafür trägt die Beschwerde nichts vor.
Allerdings stellen das Rechtsstaatsprinzip, insbesondere der Vorrang des Gesetzes und die Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG), und das im allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verankerte Willkürverbot eine unübersteigbare bundesrechtliche Grenze jeder Art des Verwaltungshandelns und der Rechtsprechung dar. Demgemäß hat sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere die Prüfung vorbehalten, ob sich das Instanzgericht bei der Anwendung und Auslegung irrevisiblen Rechts so weit vom zugrunde liegenden Gesetz entfernt hat, dass der Zusammenhang mit dem Gesetz nicht mehr hinreichend erkennbar und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt – auch nicht als richterliche Rechtsfortbildung – verständlich ist (Urteil vom 23. August 1991 – BVerwG 8 C 37.90 – Buchholz 401.8 Verwaltungsgebühren Nr. 27 S. 15, Beschluss vom 14. Oktober 1994 – BVerwG 1 B 153.93 – Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 27 S. 10; Eichberger, a.a.O., § 137 Rn. 70 m.w.N.). Aber auch insoweit besteht mit Blick auf die vorstehend wiedergegebene Auslegung von § 11 Abs. 1 Nr. 4b NKAG durch das Oberverwaltungsgericht kein bundesrechtlicher Klärungsbedarf, zumal es um die Auslegung ausgelaufenen Rechts geht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes entspricht der Höhe der streitigen Beitragsforderung (§ 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 und 3 GKG).
Unterschriften
Dr. Storost, Domgörgen, Buchberger
Fundstellen