Verfahrensgang
VG Berlin (Entscheidung vom 24.11.1999; Aktenzeichen 7 A 164.99) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. November 1999 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 Million DM festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Rechtssache kommt die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht zu. Auch der weiter geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt nicht vor.
1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.
a) Die Beschwerde bezeichnet die Frage als klärungsbedürftig:
Ist es mit § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG, insbesondere unter den Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes und der behördlichen Gesetzesbindung, vereinbar, den Beginn der Jahresfrist von der Durchführung einer Anhörung abhängig zu machen, wenn die Behörde diese Anhörung über mehrere Jahre hinweg pflichtwidrig unterlässt?
In dieser Allgemeinheit könnte sich die Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Das Verwaltungsgericht hat nämlich festgestellt, die fehlende Anhörung sei erforderlich gewesen, weil der Beklagte bei Anlegung eines objektiven Maßstabes nicht ohne weiteres habe davon ausgehen dürfen, dass es an einer Vertrauensbetätigung der Klägerin fehlte. Diente die Anhörung demnach noch zur Ermittlung weiterer entscheidungserheblicher Tatsachen, so ergibt sich aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres, dass die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG noch nicht zu laufen begonnen hatte. Es entspricht seit der Entscheidung des Großen Senats vom 19. Dezember 1984 – BVerwG Gr. Sen. 1 und 2.84 – (BVerwGE 70, 356 = Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 33) der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. zuletzt Urteil vom 20. Dezember 1999 – BVerwG 7 C 42.98 – BVerwGE 110, 226 ≪233≫), dass die Frist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG erst zu laufen beginnt, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Zu diesen Tatsachen gehören ohne weiteres auch alle Umstände, die für die Frage von Bedeutung sind, ob der Begünstigte in schutzwürdiger Weise auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat (§ 48 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 VwVfG). Demgegenüber kann der von der Beschwerde erhobene Vorwurf der mehrjährigen pflichtwidrigen Unterlassung der Anhörung nur im Zusammenhang mit einer möglichen Verwirkung des Rechts auf Rücknahme des Bescheides (vgl. dazu Urteil vom 20. Dezember 1999 – BVerwG 7 C 42.98 – a.a.O. S. 236 f.) oder gegebenenfalls im Rahmen eines Amtshaftungsanspruchs von Bedeutung sein.
b) Die Beschwerde bezeichnet weiter die Frage als grundsätzlich bedeutsam:
Bedarf es im Rahmen einer Rücknahmeentscheidung nach § 48 VwVfG in Fällen eines rechtswidrigen Feststellungsbescheides über die Berechtigtenstellung nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes überhaupt einer (nochmaligen) Vertrauensschutzprüfung? Falls ja, bedarf es einer solchen Vertrauensschutzprüfung auch dann, wenn der Adressat des Feststellungsbescheides über diesen Bescheid hinaus keine Vergünstigungen empfangen hat?
Wie die Ausführungen in der Beschwerdebegründung zeigen, will die Beschwerde mit dieser Frage offenbar geklärt wissen, ob Berechtigtenfeststellungsbescheide nach dem Vermögensgesetz unter die Regelung des § 48 Abs. 2 VwVfG fallen oder ob auf sie § 48 Abs. 3 VwVfG anwendbar ist. In diesem Sinne ist die Frage aber nicht entscheidungserheblich. Im Übrigen ist sie in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt.
In dem Urteil vom 20. Dezember 1999 – BVerwG 7 C 42.98 – (a.a.O.) hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass ein Bescheid, mit dem die Rückgabe von Grundstücken nach § 6 Abs. 6 a VermG verfügt wird, weder eine Geldleistung noch eine teilbare Sachleistung im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG darstellt. Dies gilt erst recht für Bescheide, mit denen lediglich die Berechtigtenstellung gemäß § 2 Abs. 1 VermG festgestellt wird. Für Rücknahme derartiger Bescheide ist daher allein § 48 Abs. 3 VwVfG einschlägig. Auch in diesen Fällen bedarf es aber unter Umständen für die Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsaktes einer Klärung der Frage, ob der Begünstigte in schutzwürdiger Weise auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und ihm dadurch Vermögensnachteile entstanden sind, weil dies im Rahmen der von der Behörde zu treffenden Ermessensentscheidung wegen der Rechtsfolgen des § 48 Abs. 3 Satz 1 VwVfG für die Frage von Bedeutung sein kann, ob die Behörde von der Möglichkeit der Rücknahme Gebrauch machen will.
2. Entgegen der Ansicht der Beschwerde beruht das angefochtene Urteil auch nicht auf einer Abweichung von dem Urteil vom 20. Dezember 1999 – BVerwG 7 C 42.98 – (a.a.O.). Dabei kann dahinstehen, ob dem verwaltungsgerichtlichen Urteil – wie die Beschwerde geltend macht – unausgesprochen der Rechtssatz zugrunde liegt, dass auch in den Fällen, in denen die Behörde die erforderliche Anhörung vor der Rücknahmeentscheidung verzögert und dadurch den Beginn der Rücknahmefrist hinausschiebt, § 48 Abs. 4 VwVfG eine abschließende Regelung darstellt und der Rückgriff auf die Grundsätze der Verwirkung nicht gerechtfertigt ist. Denn jedenfalls hat das Verwaltungsgericht der Sache nach die Frage einer möglichen Verwirkung geprüft, indem es auf S. 8 f. des Urteils ausführt, das Verhalten der Beklagten könne nicht als treuwidrig bezeichnet werden. Im Übrigen habe der Beklagte der Klägerin auch keinen hinreichenden Anlass für die Annahme gegeben, er werde den Bestand des Bescheides vom 5. November 1991 unangetastet lassen. Der Sache nach ist damit die Frage der Verwirkung angesprochen und im Ergebnis verneint worden, auch wenn diese Ausführungen im Zusammenhang mit der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 2 VwVfG stehen. Das Urteil könnte daher auf der angeblichen Divergenz nicht beruhen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 13, 14 GKG.
Unterschriften
Dr. Müller, Golze, Postier
Fundstellen