Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 22.02.2011; Aktenzeichen 18 A 1603/10) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Februar 2011 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde, mit der sich der Kläger gegen die Bestätigung seiner Ausweisung durch das Berufungsgericht wendet und insoweit eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend macht, hat keinen Erfolg. Sie genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Rz. 2
Der Kläger erachtet folgende Frage als grundsätzlich bedeutsam:
“Darf ein Kind, insbesondere ein Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit so von seinem Elternteil durch eine Ausweisungsverfügung getrennt werden, dass es voraussichtlich auf Dauer ohne Vater aufwachsen muss, obwohl die Straftat dieses Elternteils schon 16-21 Jahre zurückliegt und nur eine Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls vom Gericht gesehen wird?”
Rz. 3
Die Beschwerde zeigt aber nicht – wie erforderlich – auf, dass sich diese Frage im Revisionsverfahren stellen könnte. Sie unterstellt eine dauerhafte Trennung des Klägers von seiner deutschen Tochter als Folge seiner Ausweisung, ohne darzutun, weshalb die nachträgliche Befristung der Wirkungen der Ausweisung (§ 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG) nicht geeignet sein könnte, diese dauerhafte Trennung zu verhindern. Nach der bis zum 25. November 2011 geltenden Rechtslage wurden die Wirkungen der Ausweisung auf Antrag in der Regel befristet. Mit der Änderung des § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I, S. 2258) kommt dem ausgewiesenen Ausländer nunmehr seit dem 26. November 2011 in jedem Fall ein Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu.
Rz. 4
Entsprechendes gilt für die weitere von der Beschwerde aufgeworfene Frage:
“Darf ein Kind, insbesondere ein Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit, so von seinem Elternteil getrennt werden, dass das vaterlose Aufwachsen des Kindes sicher ist, der Rückfall bezüglich einer Straftat aber nur wahrscheinlich möglich ist?”
Rz. 5
Auch insoweit hätte die Beschwerde § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG in den Blick nehmen und unter diesem Gesichtspunkt darlegen müssen, weshalb ein vaterloses Aufwachsen der Tochter des Klägers “sicher” sein soll.
Rz. 6
Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wird auch mit der dritten von der Beschwerde aufgeworfenen Frage nicht dargetan:
“Stellt es sich als rechtsfehlerhaft dar, insbesondere liegt ein Verstoß gegen die Rechtsgrundsätze von Art. 1 GG und Art. 6 GG und Art. 20 Abs. 2 GG und Art. 8 EMRK dar bei einer Abwägung im Rahmen eines angenommenen zu treffenden Ermessensentscheid dem Umstand eines lediglich für möglich gehaltenen Rückfalls bei einem Straftäter, der vor mehr als 15 Jahren zuletzt straffällig geworden wurde, mit der Zielsetzung der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung den Vorrang einzuräumen gegenüber dem originären Recht des Kindes auf seinen Vater und seinem Recht mit seinem Vater aufzuwachsen?”
Rz. 7
Die Beschwerde wendet sich damit der Sache nach gegen die Rechtsanwendung durch das Oberverwaltungsgericht im Einzelfall, ohne aufzuzeigen, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Dies wäre aber zur Darlegung eines Zulassungsgrundes nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erforderlich (stRspr, vgl. Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328 m.w.N.).
Rz. 8
Insgesamt übersieht die Beschwerde mit den von ihr aufgeworfenen Fragen, dass aus den in Bezug genommenen verfassungsrechtlichen Bestimmungen ebenso wenig wie aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ein absolutes Ausweisungsverbot für eine bestimmte Gruppe von Ausländern folgt. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist vielmehr geklärt, dass es bei der im Rahmen der Ermessensentscheidung zu prüfenden Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung einer einzelfallbezogenen Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien bedarf (vgl. Urteil vom 22. Oktober 2009 – BVerwG 1 C 26.08 – BVerwGE 135, 137 Rn. 28 m.w.N.; Beschluss vom 10. Februar 2011 – BVerwG 1 B 22.10 – juris Rn. 4). Dabei ist auch die Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten einzelfallbezogen in den Blick zu nehmen. Daher lässt sich regelmäßig – und so auch hier – die Rechtmäßigkeit einer Ausweisungsverfügung im Lichte von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht unabhängig von den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls beurteilen und ist deshalb einer über den Einzelfall hinausgehenden verallgemeinerungsfähigen Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich (vgl. Beschluss vom 27. Juli 2011 – BVerwG 1 B 15.11 – juris Rn. 4). Im Übrigen hat das Oberverwaltungsgericht im angegriffenen Urteil zutreffend ausgeführt, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts eines Ausländers im Einzelfall auch ganz erhebliche familiäre Belange zurückdrängen kann, wenn von dem Ausländer schwerwiegende Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2006 – 2 BvR 1935/05 – NVwZ 2006, 682). Daher kann im Einzelfall auch die Trennung eines Vaters von seinem deutschen Kind für einen längeren Zeitraum mit den Grundrechten der Betroffenen vereinbar sein.
Rz. 9
Sollte die Beschwerde mit ihrem Hinweis, dass der Bewährungshelfer des Klägers vom Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung nicht gehört worden sei, das Vorliegen eines Verfahrensmangels geltend machen wollen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), wäre dieser ebenfalls nicht entsprechend den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt. Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, hätte es ihm oblegen darzutun, weshalb sich dem Berufungsgericht die erwünschte Beweisaufnahme von sich aus hätte aufdrängen müssen (Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O.). Daran fehlt es hier.
Rz. 10
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Rz. 11
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes folgt aus den §§ 47, 52 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Beck, Prof. Dr. Kraft
Fundstellen