Leitsatz (amtlich)
Ob eine Raumeinheit in einer Beherbergungsstätte der vorübergehenden Unterbringung dient und deshalb gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 7 RBStV nicht als Wohnung gilt, hängt von der anhand der Umstände des Einzelfalles zu ermittelnden Zweckbestimmung der Raumeinheit ab. Die Dauer der Nutzung durch eine bestimmte Person ist hierbei lediglich ein in die Gesamtbetrachtung einzustellendes Indiz.
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 23.05.2019; Aktenzeichen 7 BV 18.1992) |
VG München (Urteil vom 20.06.2018; Aktenzeichen M 6 K 18.1261) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Mai 2019 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60,50 € festgesetzt.
Gründe
I
Rz. 1
Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Rundfunkbeiträgen in Höhe von insgesamt 60,50 € (52,50 € Rundfunkbeitrag und 8 € Säumniszuschlag) für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2016. Von Mai 2015 bis Juni 2018 bewohnte er mit kürzeren Unterbrechungen ein Apartment in einem Apartment-Hotel in der Nähe von München. Die nach Zurückweisung seines Widerspruchs durch den Beklagten erhobene Anfechtungsklage blieb vor dem Verwaltungsgericht ohne Erfolg.
Rz. 2
Unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils hat der Verwaltungsgerichtshof den Festsetzungsbescheid des Beklagten vom 2. Januar 2017 sowie den Widerspruchsbescheid vom 7. Februar 2018 aufgehoben. Im streitgegenständlichen Zeitraum bestehe bereits deshalb keine Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Abs. 1 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages (RBStV), weil das vom Kläger genutzte Apartment nach § 3 Abs. 2 Nr. 7 RBStV nicht als Wohnung gelte. An dieser Einschätzung ändere sich auch nicht deshalb etwas, weil der Kläger unter der Adresse des Hotels über einen längeren Zeitraum gemeldet war. Die Revision gegen sein Urteil hat der Verwaltungsgerichtshof nicht zugelassen.
II
Rz. 3
Die Beschwerde des Beklagten, die sich allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) stützt, hat keinen Erfolg.
Rz. 4
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nur, wenn die Rechtsfrage nicht auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung oder des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. November 2018 - 6 B 47.18 [ECLI:DE:BVerwG:2018:061118B6B47.18.0] - Buchholz 11 Art. 5 Abs. 1 GG Nr. 12 Rn. 4 m.w.N.).
Rz. 5
Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Rechtsfrage auf,
ob eine Raumeinheit zur entgeltlichen Beherbergung Dritter (hier: Apartment-Hotel/Boardinghouse) bei längerer Nutzung als Wohnung im Sinne des Rundfunkbeitragsrechts zu qualifizieren ist.
Rz. 6
Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung schon deshalb nicht, weil sie in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht verallgemeinerungsfähig geklärt werden kann. Denn ob eine Raumeinheit im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 7 RBStV der vorübergehenden Unterbringung in Beherbergungsstätten dient bzw. als Hotel- und Gästezimmer zu qualifizieren ist und deshalb - unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 RBStV - nicht als Wohnung gilt, lässt sich nicht einheitlich für alle in Betracht kommenden Beherbergungsstätten beantworten. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang auf allgemeine Merkmale abstellt, die er der Erläuterung des Begriffs "Boardinghouse" in der Online-Enzyklopädie Wikipedia entnimmt, oder Ausführungen zur mietrechtlichen Qualifizierung möblierter Wohnungen macht, ist ein Bezug zu dem konkreten Fall nicht erkennbar. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat auf der Grundlage einer Würdigung der Umstände des konkreten Einzelfalls tatsächlich festgestellt, dass das vom Kläger genutzte Apartment zu einer gewerblich betriebenen Beherbergungsstätte gehört, die typische Hotelleistungen erbringt (UA Rn. 16). Hieran ist das Revisionsgericht gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO).
Rz. 7
Wird unter Berücksichtigung der weiteren Ausführungen in der Beschwerdebegründung zugunsten des Beklagten unterstellt, dass er mit Blick auf die Entscheidungsgründe des Berufungsurteils die Rechtsfrage grundsätzlich klären lassen will, ob eine Raumeinheit in einer Beherbergungsstätte, in der typische Hotelleistungen erbracht werden, bei längerer Nutzung durch eine Person stets als Wohnung im Sinne des Rundfunkbeitragsrechts zu qualifizieren ist oder ob es auf die anhand der Umstände des Einzelfalles zu ermittelnde Zweckbestimmung der Raumeinheit ankommt, führt auch dies nicht zur Zulassung der Revision. Denn diese Frage lässt sich auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln eindeutig im Sinne des Berufungsurteils beantworten. Sie bedarf daher keiner Klärung in einem Revisionsverfahren.
Rz. 8
Der Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, dass es vornehmlich von der Zweckbestimmung abhängt, ob Raumeinheiten in Beherbergungsstätten der vorübergehenden Unterbringung dienen, und bei Vorliegen dieses Merkmals auch dann nicht dem Wohnungsbegriff unterfallen, wenn die konkrete Nutzung durch den Gast im Einzelfall längerfristig ist. Eine Änderung der Zweckbestimmung zur "vorübergehenden Unterbringung" könne jedoch dazu führen, dass auch Raumeinheiten in Beherbergungsstätten zur "Wohnung" im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 RBStV werden (UA Rn. 19). Ob sich die Zweckbestimmung einer Raumeinheit zur "vorübergehenden Unterbringung" geändert habe, sei anhand der objektiven Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei sei zunächst auf die Zweckbestimmung abzustellen, die der Betreiber der Beherbergungsstätte der jeweiligen Raumeinheit gebe (UA Rn. 21). Gebe es im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich die Zweckbestimmung der Raumeinheit durch schlüssiges Handeln geändert habe, komme es allerdings auf eine anderslautende Bekundung des Betreibers der Beherbergungsstätte nicht an. Als Indizien dafür, dass keine nur vorübergehende, sondern eine längerfristige Nutzung der Raumeinheit vorliegt, nennt der Verwaltungsgerichtshof die jeweilige Vertragsgestaltung, die konkreten Nutzungsmodalitäten der Raumeinheit, die Modalitäten der Vertragsbeendigung sowie die Dauer der Nutzung (UA Rn. 22). Der Verwaltungsgerichtshof hält mithin zwar auch die Dauer der Nutzung für einen Gesichtspunkt, der gegen die Zweckbestimmung einer Raumeinheit zur "vorübergehenden Unterbringung" im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 7 RBStV sprechen kann. Er fordert jedoch eine Gesamtbetrachtung, in die auch andere Gesichtspunkte einzustellen sind. Diese Auffassung steht mit dem revisiblen Recht offensichtlich in Einklang.
Rz. 9
§ 3 Abs. 2 RBStV bestimmt, dass Raumeinheiten in bestimmten Betriebsstätten nicht als Wohnung gelten. Gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 7 RBStV gehören hierzu u.a. Raumeinheiten, die der vorübergehenden Unterbringung in Beherbergungsstätten dienen, insbesondere Hotel- und Gästezimmer, Ferienwohnungen, Unterkünfte in Seminar- und Schulungszentren. Schon aus dem Wortsinn des Verbs "dienen" folgt, dass nicht in erster Linie auf den objektiven Umstand des Erreichens einer bestimmten Aufenthaltsdauer des jeweiligen Gastes, sondern auf den - in der Regel von dem Betriebsinhaber bestimmten - Zweck der Räumlichkeiten abzustellen ist. Dies wird gesetzessystematisch dadurch bestätigt, dass nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 RBStV auch Raumeinheiten, die der nicht dauerhaften heim- oder anstaltsmäßigen Unterbringung, insbesondere in Behinderten- und Pflegeheimen dienen, nicht als Wohnung gelten. In diesem Zusammenhang kommt es offensichtlich ebenfalls nicht auf die tatsächlich verstrichene Zeit, sondern darauf an, ob eine lediglich vorübergehende Unterbringung von den Beteiligten bezweckt ist. In der Begründung des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages wird dementsprechend ausgeführt, dass die betreffenden Personen dann beitragspflichtig werden, wenn "ein grundsätzlich unbefristetes Bewohnen der Raumeinheiten vorgesehen" ist, die Menschen dort also - wie in Altenwohnheimen - regelmäßig ihren Wohnsitz begründen (vgl. LT-Drs. BY 16/7001 S. 15). Nach dem Willen des Normgebers soll demnach für die Abgrenzung ausschlaggebend sein, ob Zweck der Unterbringung ein - zumeist durch das Vorliegen einer bestimmten Bedarfslage - zeitlich begrenzter oder aber ein grundsätzlich unbefristeter Aufenthalt in der betreffenden Raumeinheit ist.
Rz. 10
Dass für die Frage, ob eine Raumeinheit im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 7 RBStV der vorübergehenden Unterbringung in Beherbergungsstätten dient bzw. als Hotel- und Gästezimmer zu qualifizieren ist und deshalb - unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 RBStV - nicht als Wohnung gilt, der vom Inhaber bestimmte Zweck der betreffenden Raumeinheit und nicht etwa die Dauer des Aufenthalts einer bestimmten Person in dieser Raumeinheit ausschlaggebend ist, ergibt sich schließlich aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Die Bestimmung des Begriffs der Wohnung in § 3 RBStV ist an den Abgrenzungserfordernissen des Beitragsrechts ausgerichtet und im Lichte des Beitragsmodells auszulegen (vgl. LT-Drs. BY 16/7001 S. 14). Die in § 3 Abs. 2 RBStV geregelte Herausnahme bestimmter Raumeinheiten in Betriebsstätten aus dem Begriff der Wohnung, auch wenn die genannten Raumeinheiten im Einzelfall den Tatbestand des § 3 Abs. 1 RBStV erfüllen, dient der Vermeidung von tatbestandlichen Überschneidungen mit dem nicht privaten Bereich und damit der Abgrenzung von der in §§ 5 und 6 RBStV geregelten Rundfunkbeitragspflicht im nicht privaten Bereich (vgl. LT-Drs. BY 16/7001 S. 15). Dieser Normzweck erfordert klare und praktikable Maßstäbe, die eine Subsumtion grundsätzlich unabhängig von Gesichtspunkten ermöglichen, die sich - wie die tatsächliche Dauer des Aufenthalts einer Person in der betreffenden Raumeinheit - in der Regel nur rückblickend ermitteln lassen.
Rz. 11
Zudem ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass der rundfunkbeitragsrechtliche Wohnungsbegriff nicht - wie etwa der melderechtliche Wohnungsbegriff nach § 20 Satz 1 BMG - auf die tatsächliche Wohnnutzung, sondern auf die Eignung einer Raumeinheit für Wohnzwecke abstellt. Ist diese gegeben, kommt es nicht darauf an, ob die Raumeinheit tatsächlich bewohnt wird oder wieviel Zeit die betreffende Person dort verbringt (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2019 - 6 C 20.18 [ECLI:DE:BVerwG:2019:091219U6C20.18.0] - NVwZ-RR 2020, 510 Rn. 15, 18; Beschluss vom 27. Juli 2017 - 6 B 45.17 [ECLI:DE:BVerwG:2017:270717B6B45.17.0] - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 83 Rn. 4, 6). Diesem Grundsatz entspricht es, dass die tatsächliche Dauer des Aufenthalts einer Person nicht allein ausschlaggebend dafür sein kann, eine Raumeinheit in einer Beherbergungsstätte rundfunkbeitragsrechtlich als Wohnung zu qualifizieren.
Rz. 12
Auch mit dem Hinweis auf § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RBStV vermag die Beschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht darzulegen. Nach dieser Vorschrift wird als Inhaber einer Wohnung jede Person vermutet, die dort nach dem Melderecht gemeldet ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgeführt, dass diese gesetzliche Vermutungsregelung das Vorliegen einer Wohnung im Sinne des § 3 Abs. 1 RBStV zwar gerade voraussetzt, der Umstand der melderechtlichen Meldung der betreffenden Person unter der Adresse der Beherbergungsstätte jedoch ebenfalls ein Indiz für das Vorliegen einer nicht nur vorübergehenden Nutzung sein kann (UA Rn. 22). Ob der Verwaltungsgerichtshof den Umstand, dass der Kläger unter der Adresse des Hotels über einen längeren Zeitraum gemeldet war, im Rahmen der Gesamtwürdigung mit hinreichendem Gewicht berücksichtigt hat, ist eine Frage der Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung im Einzelfall, die einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist.
Rz. 13
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Rz. 14
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Fundstellen
DÖV 2020, 946 |
JZ 2020, 531 |
ZUM-RD 2021, 189 |
K&R 2021, 68 |