Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 22.12.1998; Aktenzeichen 8 S 746/98) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 22. Dezember 1998 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich kein Grund für eine Zulassung der Revision.
1. Die Beschwerde rügt, daß das Normenkontrollgericht in mehrfacher Hinsicht seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht erfüllt und deshalb unter Verletzung von § 108 Abs. 1 VwGO bei seiner Entscheidung von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen sei. Diese Verfahrensrügen greifen nicht durch.
1.1 Die Beschwerde wendet sich zunächst gegen die Rechtsauffassung des Normenkontrollgerichts, die Antragsgegnerin verfolge mit dem Ausschluß von Einzelhandelsbetrieben in mehreren Gewerbegebieten u.a. den Zweck, in diesen Gebieten Flächen für das (arbeitsplatzintensivere) produzierende Gewerbe und Handwerk (auch aus anderen Ortsteilen) freizuhalten. Sie meint, das Normenkontrollgericht hätte von seiner Rechtsauffassung aus, daß das Vorhalten von Flächen für produzierende Betriebe einen Einzelhandelsausschluß rechtfertige, einen Bedarf in dieser Richtung feststellen müssen; das sei unterblieben.
Die Rüge bleibt erfolglos. Nach Ansicht des Normenkontrollgerichts hängt die Planungsbefugnis (§ 1 Abs. 3 BauGB, § 1 Abs. 5 BauNVO) zum Ausschluß von Einzelhandelsbetrieben in Gewerbegebieten nicht von dem Nachweis ab, daß hierfür ein unabweisbares Bedürfnis vorhanden ist. Nach seiner Ansicht stellen die Anforderungen des § 1 Abs. 3 BauGB nur eine bei groben und einigermaßen offensichtlichen Mißgriffen wirksame Schranke der gemeindlichen Planungshoheit dar; die Aufstellung eines Bebauungsplans sei bereits dann „erforderlich”, wenn der Plan (hier: Einzelhandelsausschluß) „vernünftigerweise geboten” sei, was sich wiederum nach der von der Gemeinde verfolgten planerischen Konzeption bestimme. Gemeindliche Planung müsse zukunftsbezogen sein. Es könne deshalb nicht beanstandet werden, wenn die Antragsgegnerin in der Hoffnung auf eine Besserung der Wirtschaftslage Flächen für das verarbeitende Gewerbe reservieren wolle. Damit hat das Normenkontrollgericht das Vorliegen eines „groben und einigermaßen offensichtlichen Mißgriffs”, der § 1 Abs. 3 BauGB verletzen würde, verneint. Mit diesem Rechtsstandpunkt setzt die Beschwerde sich nicht auseinander. Sie legt insbesondere nicht dar, daß sich dem Normenkontrollgericht von diesem Rechtsstandpunkt aus die von der Antragstellerin vermißte Bedarfsprüfung hätte aufdrängen müssen.
Soweit der Beschwerde die rechtliche Vorstellung zugrunde liegt, der Ausschluß von Einzelhandelsbetrieben in einem Gewerbegebiet sei im Sinne von § 1 Abs. 3 BauGB nur dann „erforderlich”, wenn im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses ein Bedarf nach Flächen für produzierendes Gewerbe aktuell bestehe oder sich doch zumindest für die Zukunft bereits abzeichne, überspannt sie die Anforderungen des § 1 Abs. 3 BauGB. Erforderlich im Sinne dieser Vorschrift kann auch eine bauleitplanerische Regelung sein, die es der Gemeinde im Vorgriff auf künftige Entwicklungen ermöglichen soll, einer Bedarfslage gerecht zu werden, die sich zwar noch nicht konkret abzeichnet, aber bei vorausschauender Betrachtung in einem absehbaren Zeitraum erwartet werden kann. Unzulässig ist hingegen ein Bebauungsplan, der aus zwingenden rechtlichen Gründen nicht vollzogen werden kann oder der auf unabsehbare Zeit aus tatsächlichen Gründen keine Aussicht auf Verwirklichung hat (vgl. BVerwG, Beschluß vom 25. August 1997 – BVerwG 4 NB 12.97 – Buchholz 406.11 § 6 BauGB Nr. 7 m.w.N.).
1.2 Die Beschwerde greift ferner die Auffassung des Normenkontrollgerichts an, die Antragsgegnerin verfolge mit dem Ausschluß von Einzelhandelsbetrieben in Gewerbegebieten nicht nur das Ziel, Flächen für das verarbeitende Gewerbe vorzuhalten, sondern wolle auch der Gefahr entgegenwirken, daß der Ortskern von F. an Attraktivität einbüße, weil peripher gelegene Geschäfte Kaufkraft absaugten. Die Antragstellerin trägt vor, die Antragsgegnerin besitze kein Konzept für eine Aufwertung des Ortskerns in seiner Versorgungsfunktion für die Bevölkerung. Zentraler Gesichtspunkt der Diskussion im Gemeinderat sei stets nur der Schutz des örtlichen Einzelhandels gewesen. Zum Beweis dafür habe die Antragstellerin zwei Mitglieder des Gemeinderates als Zeugen benannt. Das Normenkontrollgericht habe von einer Beweisaufnahme abgesehen und in seiner Entscheidung auch nicht ausgeführt, aus welchen Gründen es auf die Beweiserhebung verzichtet habe. Dieser Begründungsmangel stelle ebenfalls einen Verfahrensfehler dar.
Soweit dieses Beschwerdevorbringen eine Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) enthält, entspricht es nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Das Normenkontrollgericht befaßt sich in den Gründen seiner Entscheidung eingehend mit dem Einwand der Antragstellerin, die Antragsgegnerin besitze kein Konzept für eine Aufwertung des Ortskerns, und weist diesen Einwand unter Berücksichtigung der GMA-Untersuchung vom Juli 1997 und dem auf diese Untersuchung gestützten Katalog der Einzelhandelsbetriebe, die nach der angegriffenen Planänderung ausnahmsweise auch in den Gewerbegebieten zugelassen werden können, zurück. Das stimmt mit der im Tatbestand des Normenkontrollbeschlusses wiedergegebenen Planbegründung überein, städtebauliches Ziel der Antragsgegnerin sei nicht, vorhandene Lebensmittelbetriebe zu schützen, sondern den sanierten oder noch zu sanierenden Ortskern als attraktiven Einzelhandelsstandort zu erhalten. Die Beschwerde zeigt nicht auf, daß das Normenkontrollgericht vor diesem rechtlichen Hintergrund Anlaß gehabt hätte, dem von der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 21. Dezember 1998 angebotenen, aber unsubstantiierten Zeugenbeweis nachzugehen. Der Umstand, daß das Normenkontrollgericht in den Gründen seines Beschlusses nicht ausdrücklich auf den angebotenen Zeugenbeweis eingegangen ist, läßt ebenfalls keinen Verfahrensfehler, insbesondere keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, erkennen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfaßt die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen und Anträge der Prozeßbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das ist hier – wie dargelegt – hinsichtlich der städtbaulichen Ziele der Antragsgegnerin geschehen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör schützt nicht gegen eine nach Meinung eines Beteiligten sachlich unrichtige Ablehnung eines Beweisangebots (oder eines förmlichen Beweisantrags).
Die Beschwerde rügt ferner, das Normenkontrollgericht habe ein Konzept der Antragsgegnerin für eine Aufwertung des Ortskerns bejaht, ohne durch Einnahme eines Augenscheins aufzuklären, ob im Ortskern ein Lebensmittelgeschäft „mit dem im GMA-Gutachten ermittelten Gesamtflächenbedarf von mindestens 2 000 m²” errichtet werden könne. Auch diese Aufklärungsrüge greift nicht durch. Das Normenkontrollgericht war nicht genötigt, die von der Antragstellerin vermißte Beweisaufnahme durchzuführen; denn nach seiner Rechtsauffassung steht und fällt die auf einer Aufwertung des Ortskerns zielende planerische Konzeption der Antragsgegnerin nicht mit der Ansiedlung eines Lebensmittel-Discountmarktes mit einem Grundflächenbedarf von 2 000 m². In der GMA-Untersuchung, auf die das Normenkontrollgericht sich stützt, wird die Ansiedlung eines Lebensmittel-Discountmarkts lediglich als ein Beispiel für eine Aufwertung des Ortskerns genannt.
1.3 Die Beschwerde macht schließlich geltend, der angegriffene Satzungsbeschluß der Antragsgegnerin sei rechtswidrig, weil in früheren Verfahrensabschnitten ein befangenes Mitglied des Gemeinderats unzulässigerweise mitgewirkt habe, der Satzungsbeschluß durch das vorausgegangene rechtswidrige Verfahren also „infiziert” worden sei: Ausgangspunkt des nachträglichen Ausschlusses von Einzelhandelsbetrieben in Gewerbegebieten sei eine Expertise des Einzelhandelsverbandes an das befangene Ratsmitglied, Inhaber eines im Ortszentrum gelegenen Lebensmittelmarktes, gewesen. Für das Vorhandensein dieser Expertise habe die Antragstellerin Zeugenbeweis angeboten, den das Normenkontrollgericht unter Verletzung seiner Aufklärungspflicht nicht erhoben habe.
Auch diese Rüge greift nicht durch. Das Normenkontrollgericht geht ausführlich auf den Einwand der unzulässigen Mitwirkung eines befangenen Ratsmitglieds ein. Es verneint ein „Hineinwirken der wohl verfahrensfehlerhaften Teilnahme eines Gemeinderats an früheren Beschlüssen in den Satzungsbeschluß” mit der Begründung, daß die Antragsgegnerin mit der Planänderung nicht das Ziel verfolgt habe, im Ortskern vorhandene Lebensmittelbetriebe zu schützen, sondern die Innerortslage als attraktiven Standort auch für konkurrierenden Einzelhandel zu erhalten und zu stärken; die von der Antragstellerin bekämpfte Planung laufe auch auf eine räumlich unmittelbare Konkurrenz zu dem Geschäft des befangenen Gemeinderatsmitglieds hinaus. Der Sache nach stellt sich das Normenkontrollgericht damit auf den Rechtsstandpunkt, daß eine Verletzung der Befangenheitsvorschriften nur dann zur Rechtswidrigkeit des Abwägungsvorgangs führen könne, wenn sie sich in diesem Vorgang auch ausgewirkt haben würde. Derartige Auswirkungen verneint es mit Rücksicht auf die festgestellten städtebaulichen Ziele der Antragsgegnerin. Von diesem Rechtsstandpunkt aus bestand für das Normenkontrollgericht kein Anlaß, dem Hinweis der Antragstellerin auf eine Expertise des Einzelhandelsverbandes an das genannte Ratsmitglied nachzugehen. Soweit die Beschwerde die Ausführungen des Normenkontrollgerichts zu den städtebaulichen Zielsetzungen der Antragsgegnerin angreift, beschränkt sie sich auf eine Kritik der tatrichterlichen Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung, die nicht geeignet ist, die gerügte Verletzung der Aufklärungspflicht zu begründen.
2. Die mit der Beschwerde aufgeworfene Frage,
„ob eine Infizierung des Satzungsbeschlusses über eine Bebauungsplanänderung wegen der verfahrensfehlerhaften Teilname eines befangenen Gemeinderats an früheren Beschlüssen schon dann zu verneinen ist, wenn der Vortrag zur Motivation des Befangenen dem Normenkontrollgericht nicht schlüssig erscheint”,
hat keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung, weil sie auf Besonderheiten des vorliegenden Falles und auf eine herausgegriffene Formulierung des Normenkontrollgerichts zugeschnitten ist und deshalb nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise geklärt werden kann. Im übrigen mißversteht die Beschwerde die Argumentation des Normenkontrollgerichts. Dieses stützt seine Auffassung, der Satzungsbeschluß sei nicht durch die vorangegangene Mitwirkung eines befangenen Ratsmitglieds „infiziert”, nicht auf eine (beschränkte) Schlüssigkeitsprüfung der mit der Beschwerde vorgebrachten Gegenansicht, sondern auf näher begründete Feststellungen zu den städtebaulichen Zielen des Gemeinderats, der den angegriffenen Satzungsbeschluß – ohne Mitwirkung des genannten Ratsmitglieds – gefaßt hat.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 14 Abs. 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Gaentzsch, Lemmel, Rojahn
Fundstellen
Haufe-Index 1392588 |
ZfBR 2000, 275 |
BRS 2000, 9 |