Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 27.06.2002; Aktenzeichen 14 S 2737/01) |
Tenor
Die Beschwerde der Beigeladenen zu 3 und 6 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 27. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene zu 3 trägt fünf Sechstel, die Beigeladene zu 6 trägt ein Sechstel der Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 € festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Beigeladene zu 3 betreibt eine Diskothek, die Beigeladene zu 6 ein Restaurant mit Außenbewirtschaftung. Die Betriebe gehören zum “Einkaufs- und Erlebniscenter” “Das Dick” im Stadtgebiet der Beklagten. Die für den Komplex u.a. erteilte Baugenehmigung vom 7. April 1994 enthält die “gaststättenrechtliche Nebenbestimmung”, dass für den Betrieb sämtlicher Einrichtungen, die dem Gaststättenrecht unterliegen, generell die gesetzlichen Sperrzeiten ab täglich 1.00 Uhr und für den Bereich der Außenbewirtschaftung ab täglich 23.00 Uhr gelten. Rechtsbehelfe der Kläger gegen die Baugenehmigung sind erfolglos geblieben.
Gemäß § 9 Abs. 1 der Verordnung der Landesregierung zur Ausführung des Gaststättengesetzes (Gaststättenverordnung – GastVO) in der Fassung vom 18. Februar 1991 (GBl S. 195, ber. 1992, 227), zuletzt geändert durch Verordnung vom 5. Dezember 2000 (GBl S. 730) beginnt die Sperrzeit für Schank- und Speisewirtschaften sowie für öffentliche Vergnügungsstätten um 2.00 Uhr, in der Nacht zum Samstag und zum Sonntag um 3.00 Uhr. §§ 11 und 12 GastVO regeln allgemeine Ausnahmen und Ausnahmen für einzelne Betriebe. Nach der auf § 11 GastVO beruhenden Rechtsverordnung der Beklagten vom 20. Februar 1995 beginnt die Sperrzeit für Außenbewirtschaftungen um 23.00 Uhr.
Die Beklagte hatte auf der Grundlage früherer Fassungen der Gaststättenverordnung Sperrzeitverkürzungen erteilt. Die Kläger hatten deren Aufhebung sowie eine Vorverlegung des Beginns der Sperrzeit u.a. für den Betrieb der Beigeladenen zu 3 auf 24.00 Uhr begehrt, was die Beklagte abgelehnt hatte.
Im Dezember 2000 setzte die Beklagte befristet bis Ende Dezember 2001 den Beginn der Sperrzeit für den Betrieb der Beigeladenen zu 3 für die Nächte von Donnerstag auf Freitag, von Freitag auf Samstag und von Samstag auf Sonntag auf jeweils 4.00 Uhr und für den Betrieb der Beigeladenen zu 6 (ohne Außenbewirtschaftung) für die Nächte von Donnerstag auf Freitag auf 3.00 Uhr fest. Die Regelungen wurden bis Ende Dezember 2002 verlängert.
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat die Bescheide der Beklagten über die Sperrzeitverkürzungen aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über den Antrag auf Verlängerung der Sperrzeit u.a. für die Beigeladene zu 3 bis 24.00 Uhr erneut zu entscheiden. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage auf Neubescheidung des Antrags auf Sperrzeitverlängerung abgewiesen und im Übrigen die Berufung zurückgewiesen.
Die Beigeladenen zu 3 und 6 haben gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde eingelegt und machen geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung.
Entscheidungsgründe
II.
1. Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Berufungsentscheidung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Berufungsentscheidung beruhen kann. Wird wie hier die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten, muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung dargelegt oder die Entscheidung, von der das Berufungsurteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Prüfung des beschließenden Senats ist demgemäß auf fristgerecht geltend gemachte Beschwerdegründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO beschränkt.
2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen verleihen der Sache keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung.
a) Die Beschwerdeführer halten zunächst für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob “der von Fußgängern auf einer öffentlichen Straße in einer Innenstadtlage verursachte Lärm dem Betreiber einer Gaststätte zugerechnet werden (kann), wenn von der Gaststätte aus kein Zugang zu dieser Straße besteht und daher von einem Messpunkt in dieser Straße aus nicht festgestellt werden kann, ob die Lärmverursacher tatsächlich an- oder abreisende Gäste der Gaststätte sind”.
Diese weitgehend die tatsächlichen Umstände aufgreifende Fragestellung kann nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision führen. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich festgestellt, dass die Geräusche der Fußgänger auf der Martinstraße von den Besuchern des “Dick-Areals” stammen. Er hat keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennen können, dass gerade in den Nachtstunden andere Anlagen “Ziel- und Ausgangspunkt eines Fußgängerverkehrs waren” (UA S. 36). Unter diesen Umständen geht die Frage der Beschwerdeführer von einem so nicht gegebenen Sachverhalt aus. Steht fest, dass die von Fußgängern verursachten Geräusche von Besuchern des “Dick-Areals” stammen, so sind sie Folgen der Betriebsführung. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits in dem Urteil vom 7. Mai 1996 – BVerwG 1 C 10.95 – (BVerwGE 101, 157 ≪165 f.≫ = Buchholz 451.41 § 18 GastG Nr. 10 = GewArch 1996, 426) darauf hingewiesen, dass derartige Geräusche dem Gaststättenbetrieb zugerechnet werden müssen. Diese Aussage wird, soweit es um den Lärm der Fußgänger geht, durch die nachfolgend erlassene, auf § 48 BImSchG beruhende TA Lärm vom 26. August 1998 (GMBl S. 503) nicht in Frage gestellt, die bezüglich des nicht als “Verkehrsgeräusche” zu verstehenden Lärms der Fußgänger keine besonderen Regelungen enthält (s. Nr. 7.4). Nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs muss davon ausgegangen werden, dass das Geschehen noch erkennbar als Ziel- bzw. Quellverkehr der Gewerbebetriebe in Erscheinung tritt mit der Folge, dass die Geräusche der Fußgänger trotz fehlenden unmittelbaren Zugangs der Anlage zuzurechnen sind. Daher besteht kein Anlass zu der von den Beschwerdeführern angeregten Prüfung, ob die Rechtsprechung zur Zurechenbarkeit von Fußgängerlärm in Anlehnung an Nr. 7.4 TA Lärm durch Festlegung einer “Grenze” des Einwirkungsbereichs einer Gaststätte fortentwickelt werden könnte.
b) Die Beschwerdeführer werfen außerdem die Frage auf, ob “die TA Lärm auch für die Bewertung von Lärmimmissionen in Form von sozialen Geräuschen wie Gesprächen und Gehgeräuschen, die von Fußgängern auf öffentlichen Verkehrsflächen verursacht werden, (gilt), wenn diese Fußgänger nach den Kriterien des Gaststättenrechts einer Gaststätte zugerechnet werden können, obwohl die Gaststätte selbst und die sich auf ihrem Gelände aufhaltenden Personen überhaupt keinen Beitrag zu den gemessenen Lärmimmissionen leisten”.
Auch diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Zu der sich zu § 18 GastG stellenden und damit dem Bundesrecht angehörenden Frage der Bedeutung schädlicher Umwelteinwirkungen für eine Sperrzeitverkürzung hat das Bundesverwaltungsgericht bereits rechtsgrundsätzlich in dem angeführten Urteil vom 7. Mai 1996 Stellung genommen. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass dazu weiterer Klärungsbedarf bestehen könnte. Die Technische Anleitung zum Schutz gegen den Lärm mag als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift des Bundes ebenfalls zu dem nach § 137 Abs. 1 VwGO revisiblen Recht gehören (vgl. Urteil vom 28. Oktober 1998 – BVerwG 8 C 16.96 – BVerwGE 107, 338 ≪340≫; Beschluss vom 10. Januar 1995 – BVerwG 7 B 112.94 – Buchholz 406.25 § 48 BImSchG Nr. 4). Beim gegenwärtigen Stand der Rechtsentwicklung ist es indessen nicht zweifelhaft, dass im vorliegenden Zusammenhang die TA Lärm bei der Beurteilung der von den Fußgängern erzeugten Geräusche herangezogen werden kann. Gehören diese, wie es nach den Feststellungen des Berufungsgerichts der Fall ist, zu dem durch den Betrieb der Gaststätte verursachten Lärm, so besteht kein Anlass, sie grundsätzlich nach anderen Kriterien zu beurteilen als die sonstigen der Anlage zuzurechnenden Geräusche. Sollten die Entscheidungen über Sperrzeitverkürzungen nach § 18 GastG als öffentlich-rechtliche Zulassung im Sinne von Nr. 1 Abs. 3 b) aa) TA Lärm anzusehen sein, ergäbe sich daraus die Anwendbarkeit dieses Regelwerks. Sollte dies nicht der Fall sein, bliebe es auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ebenfalls dabei, dass die Beurteilung der Zumutbarkeit von Geräuschen u.a. nach der Lärmart und -intensität zu erfolgen hat, die nach dem einschlägigen technischen Regelwerk ermittelt werden kann (Urteil vom 7. Mai 1996 – BVerwG 1 C 10.95 – a.a.O.). In Ermangelung sonst einschlägiger Regelwerke – vgl. Nr. 1 der “Freizeitlärm-Richtlinie” (NVwZ 1997, 469); die VDI-Richtlinie 2058 ist nach Erlass der TA Lärm zurückgezogen worden (Beckert/Chotjewitz, TA Lärm, 2000, S. 31); die Anwendung der 16. BImSchV scheidet aus (Urteil vom 27. August 1998 – BVerwG 4 C 5.98 – Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 190) – ist dafür derzeit die TA Lärm anzuwenden, wobei bei der dem Tatrichter obliegenden Beurteilung die Besonderheiten menschlicher Lebensäußerungen zu berücksichtigen sein können, was durch das Berufungsgericht auch geschehen ist. Eine andere Beurteilungsgrundlage zeigt auch die Beschwerde nicht auf.
c) Schließlich möchten die Beschwerdeführer geklärt wissen, ob “im Rahmen der Beurteilung der Zumutbarkeit von Lärmimmissionen, die von Fußgängern auf öffentlichen Verkehrsflächen verursacht werden und die in Verbindung mit der Nutzung eines innerstädtischen Gebäudekomplexes durch verschiedene Gaststätten und Vergnügungsstätten stehen, die soziale Adäquanz der Nutzung und der mit ihr verbundenen Geräuschereignisse berücksichtigt werden (muss)”.
Diese Fragestellung berücksichtigt nicht, dass der Verwaltungsgerichtshof bereits bei der Frage der Zumutbarkeit auch wertende Gesichtspunkte, “darunter die der Sozialadäquanz und Akzeptanz der Geräusche” herangezogen hat (UA S. 20). Das entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 24. April 1991 – BVerwG 7 C 12.90 – BVerwGE 88, 143 = Buchholz 406.25 § 22 BImSchG Nr. 8 und Beschluss vom 3. Mai 1996 – BVerwG 4 B 50.96 – Buchholz 406.12 § 15 BauNVO Nr. 28 = NVwZ 1996, 1001). Der Begriff der Sozialadäquanz erfüllt danach keine eigenständige Maßstabsfunktion. Der Kreis der zumutbaren Immissionen wird durch ihn weder erweitert noch verengt. Er dient in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lediglich als Differenzierungsmerkmal, das es unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten ermöglicht, der jeweiligen Art der Störung Rechnung zu tragen. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass sich der Grad der Schutzwürdigkeit und der Schutzbedürftigkeit nicht losgelöst von allgemeinen Wertungen, die in rechtserheblichen Regelungen ihren Niederschlag gefunden haben, abstrakt festlegen und an einem starren Lärmwert ablesen lässt. Der Begriff dient zur Beschreibung von Verhaltensweisen oder Zuständen, die sich im sozialen Zusammenleben ergeben und die sich möglicherweise für den Einzelnen sogar nachteilig auswirken, jedoch von der Bevölkerung insgesamt hingenommen werden, weil sich die Verhaltensweisen oder Zustände noch in den Grenzen des als sozial Üblichen und Tolerierbaren halten. Diese Erwägungen liegen auch dem Urteil vom 7. Mai 1996 – BVerwG 1 C 10.95 – (a.a.O.) zugrunde. Welche Verhaltensweisen und Zustände, die sich im sozialen Zusammenleben ergeben und für den Einzelnen nachteilig auswirken können, von der Bevölkerung insgesamt als üblich und tolerierbar angesehen und hingenommen werden, ist vornehmlich eine Frage tatrichterlicher Würdigung. Dem Vorbringen der Beschwerdeführer ist nichts zu entnehmen, was Anlass geben könnte, die vorliegende Rechtsprechung zur Sozialadäquanz und Zumutbarkeit von Geräuschen mit Tragweite über den vorliegenden Fall hinaus weiterzuentwickeln. Die hierzu in der Beschwerdebegründung aufgestellte Behauptung, im innerstädtischen Bereich liege der nächtliche Lärmpegel häufig über den Richtwerten der TA Lärm, besagt – selbst wenn sie zutreffen sollte – nichts zur Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit eines diese Richtwerte deutlich überschreitenden Gaststättenlärms in der Zeit nach 2.00 Uhr. Auch das von den Beschwerdeführern in Übereinstimmung mit der Beklagten geltend gemachte “öffentliche Interesse an dem Erhalt der Gaststättennutzungen” trägt zur Beantwortung dieser Frage nichts bei.
3. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 und 3, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 2 ZPO und berücksichtigt, dass die Beschwerdeführer unterschiedlich gewichtige Interessen verfolgen. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 13 Abs. 1, § 14 GKG.
Unterschriften
Bardenhewer, Hahn, Graulich
Fundstellen