Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Aktenzeichen 3 L 5503/98) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. Februar 1999 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet. Ein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO läßt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen.
1. Die Beschwerde ist bereits unzulässig, soweit sie auf die Behauptung gestützt wird, das Urteil des Berufungsgerichts weiche von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab und beruhe auf dieser Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Das darauf gerichtete Vorbringen genügt nämlich nicht den Begründungsanforderungen aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Eine die Revision eröffnende Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend dargetan, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (oder des Bundesverfassungsgerichts) aufgestellten ebensolchen tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschriften widersprochen hat. Den Anforderungen einer Divergenzrüge genügt die Beschwerde nicht, weil sie nicht in dieser Weise einen abstrakten Rechtssatz aus der angefochtenen Berufungsentscheidung aufzeigt (a) – (b). Das bloße Aufzeigen einer angeblich fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht oder das Bundesverfassungsgericht in ihrer Rechtsprechung aufgestellt haben, genügt nicht den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluß vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 (n.F.) VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328 = DÖV 1998, 117 m.w.N.).
a) Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht sei von dem in den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts BVerwGE 4, 364; 39, 247; 71, 318; 89, 327; Urteil vom 7. Mai 1987 – BVerwG 3 C 53.85 – DVBl 1987, 1071 und Urteil vom 13. Januar 1969 – BVerwG 1 C 86.64 – Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 31 aufgestellten Rechtssatz abgewichen, nach dem einem Bürger im Regelfall nicht zuzumuten sei, die Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen auf der Anklagebank erleben zu müssen. Das Bundesverwaltungsgericht bejahe deshalb regelmäßig das Feststellungsinteresse stets auch dann, wenn dem Kläger eine Strafanzeige oder ein Ordnungswidrigkeitenverfahren drohe. Der Bürger müsse verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz erlangen können, wenn er anders der Gefahr straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlicher Verfolgung oder auch nur behördlichen Einschreitens ausgesetzt sei. Dieser Angabe stellt die Beschwerde keinen abstrakten Rechtssatz des Berufungsurteils gegenüber, der sich zu den in der Beschwerde angeführten Rechtssätzen des Bundesverwaltungsgerichts in Widerspruch setzen würde. Der Kläger rügt nur die unzutreffende Anwendung der von ihm angeführten Rechtssätze. Mit der Beschwerdebegründung trägt er im übrigen ausdrücklich vor, das Berufungsgericht habe die Frage offengelassen, ob Art. 19 Abs. 4 GG eine Auslegung des § 19 Abs. 5 Niedersächsisches Naturschutzgesetz gebiete, nach der eine Feststellungsklage den Lauf der Frist von 3 Jahren hemme.
b) Eine Divergenz des Berufungsurteils im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zu der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist auch nicht in bezug auf § 19 Abs. 5 des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes gegeben. Auf Landesrecht beruhende Rechtsprechung ist nicht revisibel (§ 137 Abs. 1 VwGO). Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht zu der landesrechtlichen Vorschrift des § 19 Abs. 5 Niedersächsisches Naturschutzgesetz keinen Rechtssatz aufgestellt, dem das Berufungsurteil widersprechen könnte.
Die von der Beschwerde in diesem Zusammenhang als Argumentationshilfe angeführten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zu § 43 VwGO können eine Divergenz nicht begründen, weil auf dieser Rechtsvorschrift das Berufungsurteil nicht beruht. Die Divergenz abstrakter Rechtssätze muß aber in Anwendung derselben Rechtsvorschriften bestehen.
c) Soweit die Beschwerde auf eine angebliche Abweichung des Berufungsurteils von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 19 Abs. 4 GG gestützt wird, führt sie keinen abstrakten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts zu dieser Vorschrift aus der Bundesverfassung an, in bezug auf den die Divergenz bestehen soll. Das Berufungsgericht hat auch keinen Rechtssatz zu dieser Vorschrift aufgestellt. Es hat vielmehr ausdrücklich offengelassen, ob Art. 19 Abs. 4 GG fordert, daß im Falle eines Rechtsstreits der Lauf der materiellen Frist aus § 19 Abs. 5 Niedersächsisches Naturschutzgesetz gehemmt ist. Es hat in dem angefochtenen Berufungsurteil auch nicht den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, die Fortsetzung des Bodenabbaus bleibe grundsätzlich zumutbar, obwohl die Behörde geäußert habe, ein Bodenabbau wäre formell illegal und würde eine Ordnungswidrigkeit darstellen. Das Berufungsgericht hat lediglich darauf abgestellt, wegen der Schwierigkeiten des Einzelfalls hätte gegen den Kläger für den Fall einer Fortsetzung des Bodenabbaus in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren der Fahrlässigkeitsvorwurf nicht erhoben werden können.
d) Schließlich widerspricht das Berufungsurteil auch nicht der von der Beschwerde angeführten sog. „Damoklesschwert-Rechtsprechung” des Bundesverwaltungsgerichts zu den Voraussetzungen eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses i.S.v. § 43 Abs. 1 VwGO. Nach dem Urteil vom 23. Januar 1992 – BVerwG 3 C 50.89 – BVerwGE 89, 327, 331 hat diese Rechtsprechung zur Voraussetzung, „daß durch die Drohung mit einer Strafanzeige Druck auf den Bürger ausgeübt werden soll, um ein bestimmtes verwaltungsrechtlich relevantes Verhalten des Bürgers zu erzielen”.
Auf dieser Rechtsprechung beruht das Berufungsurteil nicht, soweit es den hilfsweise gestellten Feststellungsantrag abgewiesen hat. Dieser Teil der angegriffenen Entscheidung beruht im wesentlichen auf den naturschutzrechtlichen Erwägungen zum Verhältnis von zeitlich befristeter Abbaugenehmigung, genehmigter Unterbrechung sowie darauf gerichteter Verlängerungsanträge. Außerdem setzen die Entscheidungsgründe in diesem Teil sich noch mit einem etwaigen berechtigten Feststellungsinteresse im Hinblick auf einen Amtshaftungsanspruch auseinander. Zu darüber hinausgehenden Ausführungen unter dem Gesichtspunkt der sog. „Damoklesschwert-Rechtsprechung” bestand für das Berufungsgericht keine Veranlassung. Eine abstrakte Rechtsbelehrung des Klägers über die Straf- oder Ordnungswidrigkeit eines Verhaltens durch den Beklagten reicht dafür nicht aus (vgl. Urteil vom 7. Mai 1987 – BVerwG 3 C 53.85 – DVBl 1987, 1071, 1072; Urteil vom 13. Januar 1969 – BVerwG 1 C 86.64 – Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 31 S. 2).
Hinzu kommt, daß das Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung nicht festgestellt hat, daß der Beklagte dem Kläger konkret mit einem Bußgeldverfahren gedroht habe. Vielmehr hat das Berufungsgericht festgestellt, daß der Beklagte mit Schreiben vom 10. Januar 1995 und in der Folgezeit darauf hingewiesen hat, daß ein Abbau ohne die erforderliche Genehmigung eine Ordnungswidrigkeit darstelle und er sich eine gelegentliche Kontrolle der Abbaustelle vorbehalte (Seite 4 des Berufungsurteils). In den Entscheidungsgründen wird dazu ausgeführt, der Beklagte habe lediglich „die Auffassung geäußert, ein Bodenabbau nach dem 31. Dezember 1994 wäre formell illegal und würde eine Ordnungswidrigkeit darstellen” (Seite 11 des Berufungsurteils). An diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die nicht mit Verfahrensrügen angegriffen sind, insbesondere an dessen sachverhaltsbezogene Würdigung ist der Senat gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO).
2. Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist ebenfalls nicht gegeben. Aus dem Vorbringen der Nichtzulassungsbeschwerde ergibt sich nicht, daß das erstrebte Revisionsverfahren zur Beantwortung von entscheidungserheblichen konkreten Rechtsfragen revisiblen Rechts (§ 137 VwGO) beitragen könnte, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortbildung des Rechts noch höchstrichterlicher Klärung bedürfen (vgl. zum Inhalt des Revisionszulassungsgrundes BVerwGE 13, 90 ≪91 f.≫).
Der Beschwerdeführer bringt zwar im Zusammenhang mit der behaupteten Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG zwei Rechtsfragen des revisiblen Rechts, nämlich der Bundesverfassung vor. Die Beschwerdebegründung legt aber nicht dar, worin die über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche rechtliche Bedeutung der Rechtssache liegt, nachdem das Berufungsgericht – im Gegensatz zum erstinstanzlichen Gericht – die aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen zwar zumindest teilweise beantwortet, dabei aber maßgeblich auf die besonderen Schwierigkeiten des Einzelfalls unter Beachtung vor allem des materiellen Rechts abgestellt hat.
Abgesehen davon ist aber auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt, daß Rügen, die sich auf die Auslegung materieller Rechtspositionen beziehen, in der Regel nicht auf Art. 19 Abs. 4 GG gestützt werden können (BVerfG, Beschluß vom 20. Februar 1998 – 1 BvR 661/94 – BVerfGE 97, 298, 315 f.). So ist es auch im vorliegenden Fall, weil die behauptete Verletzung des Rechts aus Art. 19 Abs. 4 GG ausweislich der Gründe des Berufungsurteils auf einem Zusammenspiel von materiell-rechtlichen Normen des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes beruht. In den Fällen, in denen der notwendige Zeitaufwand für den Rechtsschutz in der Hauptsache zu einem materiellen Rechtsverlust führt, gebietet Art. 19 Abs. 4 GG – anstatt einer Umformung des materiellen Rechts etwa im Wege der verfassungskonformen Auslegung – vielmehr die verfahrensrechtliche Lösung im Wege eines effektiven einstweiligen Rechtsschutzverfahrens.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangt Art. 19 Abs. 4 GG jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. In den Fällen einer drohenden erheblichen, über Randbereiche hinausgehenden, nicht wiedergutzumachenden Verletzung von Grundrechten ist erforderlichenfalls schon im vorläufigen Rechtsschutzverfahren der im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch tatsächlich und rechtlich eingehend zu prüfen, es sei denn, daß ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (vgl. BVerfG, Beschluß vom 12. März 1999 – 1 BvR 355/99 – NVwZ 1999, 866, 867; Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166, 216; Beschluß vom 25. Oktober 1988 – 2 BvR 745/88 – BVerfGE 79, 69, 74 f.). Dies kann zum Beispiel im vorläufigen Rechtsschutzverfahren durch eine Ausnahme von dem Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache gewährleistet werden. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird eine solche Ausnahme regelmäßig gemacht, wenn sich die begehrte vorläufige Regelung auf unmittelbar bevorstehende Termine oder Zeiträume bezieht, nach deren Ablauf sie gegenstandslos wird (vgl. nur Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage, Rn. 226 m.w.N.). Eine vergleichbare Situation lag hier unmittelbar vor Ablauf der Frist des § 19 Abs. 5 Niedersächsisches Naturschutzgesetz vor.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes folgt aus § 14 Abs. 1 und 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Niehues, Albers, Graulich
Fundstellen