Verfahrensgang
Sächsisches OVG (Urteil vom 27.01.2015; Aktenzeichen 4 A 533/13) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. Januar 2015 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 EUR festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Kläger sind Initiatoren eines Bürgerbegehrens gegen die Eingliederung der Gemeinde Eulatal in die Stadt Frohburg. Der Gemeinderat der Gemeinde Eulatal hielt das Bürgerbegehren für unzulässig. Der hiergegen erhobene Widerspruch der Kläger blieb erfolglos. Nachdem die Eingliederung bereits vollzogen war, haben sie Klage mit dem Antrag erhoben, das Bürgerbegehren unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide für zulässig zu erklären, hilfsweise festzustellen, dass die entgegenstehenden Bescheide rechtswidrig gewesen sind und das Bürgerbegehren zulässig gewesen ist. Das Verwaltungsgericht hat dem Hilfsantrag stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht dieses Urteil geändert und auch den Hilfsantrag abgewiesen. Das hilfsweise geltend gemachte Fortsetzungsfeststellungsbegehren sei unzulässig, weil es am erforderlichen Feststellungsinteresse fehle. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision nicht zugelassen.
Rz. 2
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.
Rz. 3
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, wenn die Rechtssache eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die der – gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden – höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern diese Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten steht und dies zu einer Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus führen wird. Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.
Rz. 4
Die Kläger halten die Frage für klärungsbedürftig,
ob sich ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitierung oder Genugtuung nur dann ergeben kann, wenn sich aus dem angegriffenen Verwaltungsakt eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes des Betroffenen ergibt, oder ob sich ein nach vernünftigen Erwägungen schutzwürdiges Interesse auch aus der Verletzung basisdemokratischer Mitwirkungsrechte des Betroffenen herleiten kann.
Rz. 5
Die aufgeworfene Frage bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Sie lässt sich auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten. Es ist höchstrichterlich geklärt, dass ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung nur besteht, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern (BVerwG, Urteile vom 16. Mai 2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 Rn. 25 m.w.N. und vom 20. Juni 2013 – 8 C 39.12 – juris Rn. 24). Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Die Kläger machen insoweit geltend, bei Verletzung verfassungsrechtlich determinierter Mitwirkungsrechte müsse auch nach Erledigung des Klagebegehrens die Möglichkeit bestehen, die Rechtswidrigkeit einer Handlung der Verwaltung gerichtlich feststellen zu lassen. Diese Möglichkeit ist nach Maßgabe der vorzitierten Rechtsprechung unter den dort genannten Voraussetzungen gegeben. Abgesehen davon war die Frage auch nicht entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat bei der Prüfung des Rehabilitierungsinteresses den Vortrag der Kläger zugrunde gelegt, die eine Diskriminierung nicht durch die angegriffene Maßnahme selbst, sondern durch ihre Behandlung in der Lokalpresse und im kommunalpolitischen Raum geltend gemacht haben (UA S. 7 f.). Eine Verletzung der Mitwirkungsrechte der Kläger hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang hingegen nicht erörtert.
Rz. 6
Auch die weitere Frage,
ob es für die Prognose einer Wiederholungsgefahr im Sinne des berechtigten Feststellungsinteresses nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in jedem Fall bedarf, dass im Wesentlichen unveränderte tatsächliche oder rechtliche Umstände vorliegen, oder ob es ganz grundlegende Fragestellungen, die sich auch unter veränderten rechtlichen und tatsächlichen Bedingungen jederzeit wieder neu auf die gleiche Weise stellen können, erfordern, von der Forderung im Einzelfall abzuweichen, selbst wenn eine Wiederholung noch nicht zeitlich absehbar ist,
verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Sie ist nicht klärungsbedürftig. Nach gefestigter Rechtsprechung setzt die Annahme einer Wiederholungsgefahr die hinreichend bestimmte Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird (BVerwG, Urteile vom 12. Oktober 2006 – 4 C 12.04 – Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 23 Rn. 8, vom 16. Mai 2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 Rn. 21 und vom 20. Juni 2013 – 8 C 39.12 – juris Rn. 20). Das trägt dem Umstand Rechnung, dass die Verwaltungsgerichte nur ausnahmsweise für die Überprüfung erledigter Verwaltungsakte in Anspruch genommen werden können, wie sich aus dem Wortlaut des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO und dem systematischen Zusammenhang mit § 42 VwGO ergibt (BVerwG, Urteile vom 16. Mai 2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 Rn. 30 und vom 20. Juni 2013 – 8 C 39.12 – juris Rn. 27). Vor dem Hintergrund des Ausnahmecharakters einer derartigen Klage ist eine „Erweiterung” dieser Rechtsprechung nicht geboten. Entgegen der Auffassung der Kläger stellen die Voraussetzungen für die Annahme einer Wiederholungsgefahr weder „unüberwindliche Hürden” dar noch trifft ihr Vortrag zu, ein berechtigtes Feststellungsinteresse gegenüber einem rechtswidrig versagten Bürgerbegehren gegen beabsichtigte Eingemeindungen könne „niemals” angenommen werden, wenn die Eingemeindung vollzogen sei. Das lässt schon unberücksichtigt, dass die Annahme eines berechtigten Feststellungsinteresses nach Erledigung einer Maßnahme nicht auf die Fälle der Wiederholungsgefahr beschränkt ist.
Rz. 7
Weiterhin machen die Kläger geltend, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergebe sich aus folgenden Fragen:
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann sich ein berechtigtes Interesse an der Feststellung im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auch im Fall eines sich typischerweise kurzfristig erledigenden Verwaltungsaktes ergeben. Muss die Auslegung der genannten Vorschrift dahingehend erweitert werden, dass es einer kurzfristigen Erledigung, die sich aus der Eigenart des Bescheides selbst ergibt, nicht bedarf, wenn besonders hochrangige Prinzipien betroffen sind,
ferner,
ob es die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG i.V.m. dem Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG gebietet, die bisher anerkannte Auslegung des besonderen Feststellungsinteresses nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO dahingehend zu erweitern, dass Verletzungen des Demokratieprinzips stets einer gerichtlichen Hauptsacheentscheidung müssen zugeführt werden können.
Rz. 8
Auch diese Fragen bedürfen nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Die erste Teilfrage betrifft diejenigen Fälle, in denen sich die angegriffene Maßnahme typischerweise so kurzfristig erledigt, dass effektiver Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren ohne Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig nicht erlangt werden kann. Nur in diesen Fällen gebietet Art. 19 Abs. 4 GG, ein berechtigtes Feststellungsinteresse ausnahmsweise zu bejahen, obgleich sich das Anliegen des Betroffenen in der bloßen Klärung der Rechtmäßigkeit der erledigten Maßnahme erschöpft (BVerfG, Beschlüsse vom 5. Dezember 2001 – 2 BvR 527/99, 1337/00, 1777/00 – BVerfGE 104, 220 ≪232 f.≫ und vom 3. März 2004 – 1 BvR 461/03 – BVerfGE 110, 77 ≪86≫; BVerwG, Urteile vom 16. Mai 2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 Rn. 32 und vom 20. Juni 2013 – 8 C 39.12 – juris Rn. 29). Die Garantie effektiven Rechtsschutzes differenziert hingegen weder nach der Intensität des erledigten Eingriffs noch nach dem Rang der Rechte, die von ihm betroffen waren (BVerwG, Urteile vom 16. Mai 2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 Rn. 30 und vom 20. Juni 2013 – 8 C 39.12 – juris Rn. 27). Das gilt auch für die im Fall der Kläger betroffenen Rechte gemäß §§ 24, 25 der Sächsischen Gemeindeordnung. Einen über die aufgezeigte Rechtsprechung hinaus bestehenden Klärungsbedarf legen die Kläger nicht dar. Insbesondere lassen sich der Beschwerdebegründung keinerlei Gesichtspunkte entnehmen, weshalb in einem Fall wie dem vorliegenden „stets unabhängig von der Frage der Erledigung” eine gerichtliche Hauptsacheentscheidung geboten sein sollte. Darüber hinaus betrifft der von den Klägern in der Beschwerdebegründung geschilderte Verfahrensablauf, der zur Erledigung des Bürgerbegehrens führte, nur ihren konkreten Einzelfall und ist schon deshalb nicht geeignet, der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu verleihen. Eine Hauptsacheentscheidung in jedem Einzelfall gewährleistet zudem auch Art. 19 Abs. 4 GG nicht (BVerwG, Urteil vom 20. Juni 2013 – 8 C 39.12 – juris Rn. 32).
Rz. 9
Ferner führt auch die Frage,
ob die Annahme eines besonderen Feststellungsinteresses nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO eine unmittelbare Verletzung spezifischer Grundrechte erfordert, die zu einer Befassung des Bundesverfassungsgerichtes führen könnte, oder ob auch grobe Verletzungen von einfachgesetzlichen Vorschriften, die der unmittelbaren Umsetzung verfassungsrechtlich determinierter Rechte an der demokratischen Teilhabe dienen, zur Annahme eines berechtigten Feststellungsinteresses führen können,
nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Die Frage ist ebenfalls nicht klärungsbedürftig. Der bereits vorliegenden Rechtsprechung lässt sich entnehmen, dass im Falle erledigter Maßnahmen gerichtlicher Rechtsschutz grundsätzlich nur zur Verfügung gestellt wird, wenn der Kläger ein berechtigtes rechtliches, wirtschaftliches oder ideelles Interesse an einer nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme hat (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 Rn. 30). Die Annahme eines berechtigten Interesses setzt daher nicht zwingend die Verletzung spezifischer Grundrechte voraus. Auch die Verletzung einfachgesetzlicher demokratischer Mitwirkungsrechte – wie hier §§ 24, 25 der Sächsischen Gemeindeordnung – kann in den in der Rechtsprechung anerkannten Fallgruppen zur Annahme eines berechtigten Interesses trotz Erledigung der angegriffenen Maßnahme führen. Der Beschwerdebegründung legt insoweit nicht dar, weshalb im Fall der Verletzung einfachgesetzlicher demokratischer Mitwirkungsrechte eine Erweiterung des berechtigten Interesses unter dem Gesichtspunkt effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) zwingend geboten sein sollte.
Rz. 10
Schließlich verleiht auch die Frage,
ob es für die Annahme eines besonderen Feststellungsinteresses nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderlich ist, dass der Kläger den Eintritt der Erledigung eines Verwaltungsaktes aktiv zu verhindern versucht,
der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Die Frage wäre in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, denn sie ist nicht entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat zwar festgestellt, dass es die Kläger versäumt haben, nach Erlass des Ablehnungsbescheids um einstweiligen Rechtsschutz gemäß § 123 VwGO nachzusuchen (UA S. 11 Rn. 31). Es hat die Annahme eines berechtigten Interesses aber nicht von der vorherigen Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes abhängig gemacht.
Rz. 11
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert, Dr. Häußler, Hoock
Fundstellen