Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 13.10.2006; Aktenzeichen 22 A 474.02) |
Tenor
Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 13. Oktober 2006 werden zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu folgenden Anteilen: die Kläger zu 1 und 2 zu 32,56 %, die Klägerinnen zu 3 und 4 zu 31,90 %, die Kläger zu 5 bis 13 zu 9,28 %, die Klägerin zu 5 zu weiteren 17,35 % und die Kläger zu 14 bis 19 zu 8,91 %.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.
Gründe
Ob die Beschwerden der Kläger zu 14 bis 19 wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) unzulässig sind und auch ein Wiedereinsetzungsgrund unter Berufung auf § 6 Abs. 6 VermG ausscheidet, bedarf keiner abschließenden Prüfung und Entscheidung.
Die Beschwerden sind – bei unterstellter Zulässigkeit – jedenfalls unbegründet. Die Beschwerdevorbringen führen auf keinen Revisionszulassungsgrund i.S.v. § 132 Abs. 2 VwGO. Weder im Hinblick auf die Urteilsgründe unter 2. (UA S. 10 f.) noch im Hinblick auf die Urteilsgründe unter 3. (UA S. 11 ff.) treffen die Behauptungen der Beschwerden zu, das Verwaltungsgericht sei von einschlägiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), (nur) in dem angestrebten Revisionsverfahren werde es zur Klärung rechtsgrundsätzlich bedeutsamer klärungsfähiger und -bedürftiger Rechtsfragen des Bundesrechts kommen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und dem angefochtenen Urteil hafteten Verfahrensmängel an (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
1. Die zu den Urteilsgründen unter 2. (UA S. 10 f.) vorgebrachten Beschwerdegründe richten sich gegen den entscheidungstragenden rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichts, dass ein (verwertbarer) Ersatzeinheitswert i.S.v. § 4 Abs. 2 Satz 1 EntschG, welcher gemäß § 2 Satz 5 NS-VEntschG entsprechend anzuwenden ist, nicht vorliegt, falls er nicht i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 EntschG nach den Regeln des Beweissicherungs- und Feststellungsgesetzes “ermittelt” und unanfechtbar festgesetzt worden ist. Weil sich dieser rechtliche Standpunkt auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens als zutreffend erweist, müssen die hierzu erhobenen Zulassungsrügen erfolglos bleiben. Auch weicht das Verwaltungsgericht insoweit nicht von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab. Die von den Klägern angeführten Urteile vom 27. Mai 2002 – BVerwG 3 C 2.02 – (Buchholz 428.41 § 4 EntschG Nr. 1) und vom 16. September 2004 – BVerwG 3 C 42.03 – (Buchholz 428.41 § 4 EntschG Nr. 2) betreffen nicht die Frage der Verwendbarkeit von Ersatzeinheitswerten, die im Verfahren nach dem Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz zunächst ermittelt, aber in der Folge nicht aufrechterhalten worden sind.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass § 4 Abs. 2 Satz 1 EntschG hinsichtlich des Merkmals eines Ersatzeinheitswerts an die Bestimmungen der – für sich gesehen in § 2 Satz 5 NS-VEntschG nicht für entsprechend anwendbar erklärten – Vorschrift des § 4 Abs. 1 EntschG anknüpft. Nach Satz 1 ist als Bemessungsgrundlage der Entschädigung für Unternehmen bei Fehlen eines Einheitswertes auch ein nach dem Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz ermittelter Ersatzeinheitswert maßgeblich; er wird nach Satz 2 dem zuständigen Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen von der Ausgleichsverwaltung im Wege der Amtshilfe mitgeteilt. Die Sätze 1 und 2 gelten nach Satz 3 nicht, wenn Wiederaufnahmegründe i.S.d. § 580 ZPO vorliegen.
Aus diesen Regelungen in § 4 Abs. 1 Satz 1 bis 3 EntschG folgert das Verwaltungsgericht in Übereinstimmung mit dem Schrifttum zu Recht, dass bei der entsprechenden Anwendung von § 4 Abs. 2 EntschG für eine in der NS-Zeit erfolgte Unternehmensschädigung der angestrebte Zweck der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung, der mit dem Verweis auf einen in einem anderen Verfahren ermittelten Ersatzeinheitswert verbunden sein soll, nur dann erreicht werden kann, wenn dieser Ersatzeinheitswert bestands- bzw. rechtskräftig festgesetzt worden ist (vgl. neben den im Urteil mitgeteilten Kommentarstellen etwa auch Hirschinger, in: Das Deutsche Bundesrecht, Kommentar zum Entschädigungsgesetz, V F 58, § 4, S. 29). Denn eine Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung kann im Entschädigungsverfahren mit Hilfe eines in einem anderen Verfahren ermittelten Ersatzeinheitswerts nur erzielt werden, wenn dieser Ersatzeinheitswert im Entschädigungsverfahren nicht mehr oder allenfalls unter den erschwerten Voraussetzungen nach § 580 ZPO in Frage gestellt werden kann. Das ist nicht der Fall, wenn – wie hier – ein im Verlaufe des Verfahrens nach dem Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz zwischenzeitlich einmal errechneter Ersatzeinheitswert nicht Gegenstand einer abschließenden unanfechtbaren Entscheidung geworden ist. Somit besteht nämlich die Gefahr, dass über die Verwertbarkeit solcher unverbindlich angenommener Ersatzeinheitswerte im Entschädigungsverfahren (weiter) gestritten wird, was die vom Gesetzgeber beabsichtigte Verfahrensbeschleunigung verfehlt.
Ist das Verwaltungsgericht danach zu Recht davon ausgegangen, dass ein verbindlicher Ersatzeinheitswert nach § 2 Satz 5 NS-VEntschG, § 4 Abs. 2 EntschG fehlt, können die Kläger auch nicht mit Erfolg geltend machen, das Verwaltungsgericht habe sich mit “wesentlichen Argumentationslinien” zur Notwendigkeit eines Rückgriffs auf den Ersatzeinheitswert nicht auseinandergesetzt. Insoweit greift die Beschwerde in Wahrheit im Gewande der Gehörsrüge die materielle Rechtsauffassung und die zu ihrer Begründung angestellten Erwägungen an. Damit lässt sich ein Gehörsverstoß nicht begründen.
2. Entsprechendes gilt für die Divergenz-, Grundsatz- und Gehörsrüge im Hinblick auf die Ausführungen unter 3. der Urteilsgründe (UA S. 11 ff.):
a) Mit seiner entscheidungstragenden rechtlichen Auffassung, die Verweisung auf § 3 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 EntschG in § 2 Satz 5 NS-VEntschG betreffe nur Fälle der Entschädigung für Grundvermögen sowie land- und forstwirtschaftliches Vermögen nach § 3 EntschG, nicht aber Fälle nach § 4 EntschG (Entschädigung für Unternehmen), setzt sich das Verwaltungsgericht nicht in Widerspruch zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juli 2006 – BVerwG 5 C 2.06 – (Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 2). Denn dieses Urteil befasst sich nicht mit der Frage der Hinzurechnung eines Abgeltungsbetrages auf den Einheitswert, sondern ausschließlich mit der Bewertung langfristiger Verbindlichkeiten, welche auf einem Betriebsgrundstück lasten.
Im Übrigen durfte das Verwaltungsgericht aus dem Umstand, dass § 2 NS-VEntschG sowohl Regeln für die Grundstücks- als auch für die Unternehmensentschädigung enthält und dementsprechend Satz 5 u.a. die entsprechende Geltung des § 4 Abs. 2 bis 4 EntschG bestimmt, bedenkenfrei ableiten, bei der entsprechenden Anwendung von § 4 Abs. 2 EntschG solle es mit den darin enthaltenen Bezugnahmen auf § 3 Abs. 3 und 4 EntschG sein Bewenden haben. Deshalb ist in Fällen nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz, in denen für das zu entschädigende Unternehmen kein verwertbarer Einheitswert oder Ersatzeinheitswert vorhanden ist, bei einer Reinvermögensbewertung § 3 Abs. 1 EntschG ebenso wenig entsprechend anzuwenden wie § 3 Abs. 2 EntschG. Auch das ergibt sich ohne Weiteres aus dem Gesetz und erfordert nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens.
Soweit speziell § 3 Abs. 1 Satz 2 EntschG im Zusammenhang der Entschädigung für Grundstücksvermögen dem Umstand Rechnung trägt, dass Grundstücke seit 1926 wegen der Belastung mit der so genannten Hauszinssteuer besonders niedrig bewertet worden sind und deren spätere Ablösung sich wertsteigernd ausgewirkt haben kann (vgl. Hirschinger, a.a.O., § 3 S. 27), zwingt dies im Übrigen im vorliegenden Zusammenhang einer Entschädigung für Unternehmen selbst dann nicht zu einer entsprechenden Anwendung von § 3 Abs. 1 Satz 2 EntschG, wenn es – wie im Streitfall – darum geht, auch mit Hilfe von Einheitswerten, die für Betriebsgrundstücke vorliegen, zu einer angemessenen Unternehmensentschädigung auf dem Wege der Reinvermögensermittlung zu gelangen (im Ergebnis ebenso Motsch/Weiß/Hohmeyer, in: Rädler u.a., Vermögen in der ehemaligen DDR, § 2 NS-VEntschG, 33. Erg.Lfg., Rn. 47); abgesehen davon steht hier noch nicht einmal fest, ob für die Betriebsgrundstücke jemals Abgeltungsbeträge i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 2 EntschG “entrichtet worden” sind (vgl. a.a.O. Rn. 15 f.).
Auch im vorliegenden Zusammenhang ist die Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs in Wahrheit lediglich ein Angriff auf die gegenteilige Rechtauffassung des Verwaltungsgerichts, das nicht alle Gegenargumente im Einzelnen bescheiden muss.
b) Ebenfalls Entsprechendes gilt für die im Hinblick auf die Urteilsgründe unter 3. c) (UA S. 13) angebrachte Divergenz- und Grundsatzrüge.
Zu Recht macht die Beklagte in ihrer Erwiderung geltend, dass das von der Beschwerde herangezogene Urteil vom 27. Juli 2006 (a.a.O.) nicht zu der Frage ergangen ist, ob eine Darlehensverpflichtung, die zwar dem Unternehmen, nicht aber Betriebsgrundstücken des Unternehmens zuzuordnen ist (namentlich nicht i.S.v. § 3 Abs. 4 Satz 1 EntschG “an solchem Vermögen dinglich gesichert war”), in entsprechender Anwendung von § 3 Abs. 4 EntschG unberücksichtigt bleiben muss, weil sie in der Zeit nach dem 15. September 1935 entstanden ist. Vielmehr war entscheidungserheblich die Frage, ob im Zusammenhang einer Unternehmensentschädigung langfristige Verbindlichkeiten, die auf einem Betriebsgrundstück lasten, nach § 2 Satz 5 Teilsatz 3 NS-VEntschG (auch) dann nicht oder nur zur Hälfte zu berücksichtigen sind, wenn kein verwertbarer Einheitswert oder Ersatzeinheitswert vorhanden und demzufolge der Wert des Betriebsgrundstücks nach § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EntschG festzustellen ist. Nur diese Frage hat das Bundesverwaltungsgericht u.a. mit den von den Klägern herangezogenen Begründungssätzen bejaht, was es ausschließt, sie auf Fälle wie den vorliegenden zu übertragen.
Im Übrigen ist bereits durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Februar 1999 – BVerwG 3 C 8.98 – (VIZ 1999, 476) der wesentliche Bedeutungsgehalt der hier in Rede stehenden Maßgaberegelung geklärt. Danach findet § 3 Abs. 4 EntschG mit der Maßgabe Anwendung, dass die in der Zeit vom 15. September 1935 bis 8. Mai 1945 entstandenen Verbindlichkeiten unberücksichtigt bleiben und die übrigen Verbindlichkeiten vorbehaltlich des Nachweises eines höheren verfolgungsbedingten Anteils mit der Hälfte ihres zum Zeitpunkt der Schädigung valutierenden Nennwertes abgezogen werden. In diesem Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht dargelegt, die im Vermittlungsausschuss eingefügte Regelung verfolge zwar das Ziel, dass die entsprechenden Entschädigungen nach dem Nettoprinzip zu erfolgen hätten und deshalb langfristige, im Zusammenhang mit dem zu entschädigenden Grundstück stehende Verbindlichkeiten entschädigungsmindernd zu berücksichtigen seien, weil sie die entschädigungsfähige Substanz minderten, dass aber solche Belastungen, die nach geschichtlichem Erfahrungswissen zumindest in aller Regel verfolgungsbedingt entstanden waren bzw. nicht in der üblichen Weise getilgt werden durften, nicht oder höchstens zur Hälfte als entschädigungsmindernd in Abzug zu bringen sind (“diskriminierende Belastungen”).
Ebenso wenig wie dem Urteil vom 27. Juli 2006 (a.a.O.) sind dem Urteil vom 18. Februar 1999 Maßstäbe für die im Streitfall bedeutsame Frage zu entnehmen, ob langfristige Verbindlichkeiten, die keinem Grundstück (sei es ein Betriebs- oder sonstiges Grundstück) zuzuordnen sind und daher nicht die entschädigungsfähige Substanz eines Grundstücks vermindert haben können, in ähnlicher Weise nicht oder nur teilweise in Abzug zu bringen sind. Dem Regelungsgeflecht in § 2 NS-VEntschG einerseits und § 3 Abs. 4 EntschG andererseits kann ein entsprechender Wille des Gesetzes jedenfalls nicht entnommen werden, weil § 3 Abs. 4 EntschG sowie die auf § 3 Abs. 4 EntschG bezogene Regelung in § 2 NS-VEntschG nach ihrem Wortlaut und Zweck auf Grundstücke oder vergleichbares unbewegliches Vermögen und hierauf bezogene Belastungen zugeschnitten sind (vgl. auch § 2 Satz 7 NS-VEntschG). Auch der Verfassung ist kein Gebot zu entnehmen, bei der Entschädigung sonstiger Vermögenswerte sämtliche damit in Zusammenhang stehenden Verbindlichkeiten, die verfolgungsbedingt sein könnten, nicht oder nur zur Hälfte in Abzug zu bringen.
Von einer weiteren Begründung sieht der beschließende Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 52 Abs. 4 GKG, § 5 ZPO unter Zugrundelegung der beim Verwaltungsgericht zuletzt gestellten und bezifferten Anträge (vgl. UA S. 7 f.: 153 049,74 € + 87 678,38 € + 81 561,28 € + 43 635,29 € + 41 881,72 € + 62 288,15 € = 470 094,56 € zuzüglich Zinsen). Dabei kann offenbleiben, ob die Streitwerthöchstgrenze von 500 000 € für Ansprüche nach dem Vermögensgesetz im Hinblick auf § 1 Abs. 1, § 4 NS-VEntschG entsprechend oder unmittelbar anzuwenden ist.
Unterschriften
Hund, Dr. Franke, Dr. Brunn
Fundstellen