Leitsatz (amtlich)
Die Versagung und der Widerruf des Kleinen Waffenscheins können auf die freiwillige Zugehörigkeit zu einer organisierten Gruppe gestützt werden, wenn die Gewaltausübung ein prägendes Strukturmerkmal dieser Gruppe darstellt und ein Mitglied jederzeit in deren Gewalttätigkeiten hineingezogen werden kann (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2015 - 6 C 1.14 - Buchholz 402.5 WaffG Nr. 105).
Verfahrensgang
Hessischer VGH (Urteil vom 07.12.2017; Aktenzeichen 4 A 814/17) |
VG Frankfurt am Main (Urteil vom 16.11.2016; Aktenzeichen 5 K 4670/15.F) |
Gründe
Rz. 1
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers kann keinen Erfolg haben. Aus seiner Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass die Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat. Aufgrund des Darlegungserfordernisses nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ist das Bundesverwaltungsgericht darauf beschränkt, über die Zulassung der Revision aufgrund der Gesichtspunkte zu entscheiden, die der Beschwerdeführer fristgerecht in der Beschwerdebegründung vorgebracht hat.
Rz. 2
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf des Kleinen Waffenscheins. Der Verwaltungsgerichtshof hat die erstinstanzlich erfolgreiche Anfechtungsklage auf die Berufung des Beklagten abgewiesen. In den Gründen des Berufungsurteils heißt es im Wesentlichen, der Kläger besitze die für das Führen von Waffen erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr, weil das Risiko bestehe, dass er nicht umfassend ordnungsgemäß mit Waffen umgehen werde. Diese ungünstige Prognose ergebe sich aus dem Umstand, dass der Kläger zunächst Mitglied, seit 2011 Vizepräsident und seit 2014 Präsident des "Outlaws MC Friedberg", eines "Chapter" des Motorradclubs "Outlaws MC Germany", sei. Die Gruppenzugehörigkeit einer Person rechtfertige für sich genommen die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit, wenn die Gruppe durch eine Bereitschaft zur Gewaltanwendung geprägt sei und sich das einzelne Mitglied der Unterstützung im Konfliktfall aufgrund freiwillig eingegangener Bindungen nicht entziehen könne. Dies sei bei dem Motorradclub, dem das "Chapter" des Klägers angehöre, der Fall: Zahlreiche Vorfälle belegten, dass auch dessen Mitglieder jederzeit bereit seien, Auseinandersetzungen mit rivalisierenden Motorradclubs gewaltsam auszutragen. Auch sei belegt, dass sich die "Chapter" eines Clubs in derartigen Auseinandersetzungen bedingungslos gegenseitig Beistand leisteten. Die Mitglieder könnten jederzeit in diese Gewalttätigkeiten hineingezogen werden, weil sie in eine streng hierarchische Struktur eingebunden und sich zu unbedingter Loyalität verpflichtet hätten. Es sei nicht ersichtlich, dass das "Chapter", dem der Kläger vorstehe, eine Ausnahme darstelle.
Rz. 3
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wirft der Kläger die Frage als rechtsgrundsätzlich bedeutsam auf, ob die Zuverlässigkeit in Bezug auf das Führen von Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen (Kleiner Waffenschein) nach demselben Maßstab zu beurteilen sei wie die Zuverlässigkeit in Bezug auf das Führen von Schusswaffen. Das Gebot der Verhältnismäßigkeit verlange, dass der Kleine Waffenschein nur versagt oder widerrufen werden dürfe, wenn sich die Unzuverlässigkeit aus konkreten Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalles ergebe. Generalisierende Annahmen wie die Zugehörigkeit zu einer Gruppe reichten nicht aus.
Rz. 4
Damit hat der Kläger einen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht aufgezeigt (stRspr; vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 2015 - 6 B 43.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:270115B6B43.14.0] - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 421 Rn. 8). Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, unter welchen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zu einer organisierten Gruppe die waffenrechtliche Zuverlässigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG entfallen lässt. Diese Rechtsprechung findet auch Anwendung auf die Erteilung des Kleinen Waffenscheins sowie auf dessen Rücknahme und Widerruf.
Rz. 5
Die erforderliche Zuverlässigkeit nach § 5 WaffG gehört zu den allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung von Waffen- und Munitionserlaubnissen. Die Zuverlässigkeit muss dauerhaft gegeben sein; ansonsten ist die Erlaubnis zu widerrufen (§ 45 Abs. 2 WaffG). Personen besitzen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Sorgfaltsanforderungen für den Umgang mit Waffen und Munition nicht beachten werden, etwa diese Gegenstände missbräuchlich oder leichtfertig verwenden, nicht sorgfältig verwahren oder nicht berechtigten Personen überlassen werden (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG). Erlaubnispflichtig ist auch das Führen von Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen; diese Erlaubnis wird durch den Kleinen Waffenschein erteilt. Auch dessen Erteilung setzt die erforderliche Zuverlässigkeit nach § 5 WaffG voraus, weil diese Erlaubnisvoraussetzung nicht für entbehrlich erklärt worden ist (§ 10 Abs. 4 Satz 4 WaffG i.V.m. der Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 3 Nr. 2 und 2.1 dieses Gesetzes).
Rz. 6
Über die waffenrechtliche Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG ist aufgrund einer Prognose des künftigen Verhaltens zu entscheiden, deren Maßstab dem Gesetzeszweck Rechnung zu tragen hat. Dieser besteht darin, die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, auf ein Mindestmaß zu beschränken. Das Gebot der Risikominimierung ist Ausdruck der präventiven Gefahrenvorsorge. Daraus folgt, dass nur solche Personen als zuverlässig gelten können, bei denen die tatsächlichen Umstände keinen vernünftigen Zweifel zulassen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen werden (stRspr; vgl. BVerwG, Urteile vom 30. September 2009 - 6 C 29.08 - Buchholz 402.5 WaffG Nr. 100 Rn. 17; vom 28. Januar 2015 - 6 C 1.14 [ECLI:DE:BVerwG:2015:280115U6C1.14.0] - Buchholz 402.5 WaffG Nr. 105 Rn. 17 und vom 17. November 2016 - 6 C 36.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:171116U6C36.15.0] - BVerwGE 156, 283 Rn. 15).
Rz. 7
Dementsprechend können sich berechtigte Zweifel, dass eine Person die Anforderungen an den Umgang mit Waffen und Munition dauerhaft ohne Einschränkungen beachten wird, auch aus der Zugehörigkeit zu einer gewaltaffinen organisierten Gruppe ergeben. Die Bereitschaft, unter bestimmten Umständen Gewalt auszuüben, muss ein prägendes Strukturmerkmal der Gruppe darstellen. Davon kann ausgegangen werden, wenn gewaltsame Angriffe auf Außenstehende oder gewalttätige Auseinandersetzungen in der Vergangenheit zum spezifischen Erscheinungsbild der Gruppe gehört haben, ohne dass diese sich umfassend und glaubhaft davon distanziert hat. Hinzukommen muss, dass das einzelne Mitglied der Gruppe aufgrund freiwillig eingegangener Bindungen, etwa aufgrund einer Verpflichtung zur unbedingten Loyalität, typischerweise in die Gewaltausübung hineingezogen werden kann (BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2015 - 6 C 1.14 - NJW 2015, 3594 = Buchholz 402.5 WaffG Nr. 105 Rn. 11 ff.).
Rz. 8
Zwar muss die Zuverlässigkeitsprüfung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG die in Rede stehende Erlaubnispflicht in den Blick nehmen. Die jeweilige Person muss in Bezug auf diejenigen Waffen, für die der Umgang gestattet werden soll, zuverlässig sein. Dies ändert aber nichts daran, dass der dargelegte Maßstab für die Zuverlässigkeitsprognose für alle gesetzlich vorgesehenen Erlaubnisse und damit auch für die Erteilung und den Widerruf des Kleinen Waffenscheins gilt. Dieser Prognose müssen diejenigen Tatsachen zugrunde gelegt werden, die für die Beurteilung des künftigen Verhaltens der Person von Bedeutung sein können. Damit lässt sich nicht vereinbaren, bestimmte Tatsachen wie die Zugehörigkeit zu einer gewaltaffinen organisierten Gruppe generell auszublenden. Dieser Bedeutungsgehalt des § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG ergibt sich eindeutig aus der Gesetzessystematik und dem Gesetzeszweck.
Rz. 9
Das Zuverlässigkeitserfordernis nach § 5 WaffG ist in die Liste des § 4 Abs. 1 WaffG aufgenommen, der die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung waffenrechtlicher Erlaubnisse einheitlich festlegt. Dem entspricht die Stellung der Vorschriften in dem Unterabschnitt 1 des Abschnittes 2 des Waffengesetzes mit der Überschrift "Allgemeine Voraussetzungen für Waffen- und Munitionserlaubnisse". Auch Rücknahme und Widerruf von Erlaubnissen sind einheitlich geregelt (§ 45 Abs. 1 und 2 WaffG). Eine Erlaubnis muss widerrufen werden, wenn eine Voraussetzung wie die Zuverlässigkeit nach § 5 WaffG aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen nicht mehr besteht. Aus diesem gesetzlichen Regelungskonzept ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass der einheitlich vorgegebene, "vor die Klammer gezogene" gesetzliche Begriff der Zuverlässigkeit unterschiedliche, je nach Erlaubnis variierende Prognosemaßstäbe enthält.
Rz. 10
Hiergegen spricht auch das Gebot der Risikominimierung als allgemeiner gesetzlicher Grundsatz für den erlaubnispflichtigen Umgang mit Waffen. Es gilt uneingeschränkt auch für den Umgang mit Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen und damit für Erteilung und Widerruf des Kleinen Waffenscheins (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2016 - 6 C 36.15 - BVerwGE 156, 283 Rn. 15). Auch diese Waffen sind geeignet, erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen und Verletzungen herbeizuführen. Hinzu kommt der missbräuchliche Umgang mit solchen Waffen, den der Gesetzgeber durch die Einführung der Erlaubnispflicht durch das Waffenrechtsneuregelungsgesetz vom 11. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3970) eindämmen wollte (BT-Drs. 14/7758 S. 1). Nach dem Waffen- und Sprengstoffbericht des Bundeskriminalamtes für das Jahr 1996 waren 55 % der für die Begehung von Straftaten verwendeten Waffen bis dahin erlaubnisfreie Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen (BR-Drs. 764/99 S. 2).
Rz. 11
Das Zuverlässigkeitserfordernis als Voraussetzung für das Führen von Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen ist mit dem dargelegten Inhalt verhältnismäßig. Es ist geeignet und erforderlich, um die gesetzlichen Ziele zu erreichen. Es stellt keine unzumutbare Belastung dar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber die Erteilung des Kleinen Waffenscheins nur an die grundlegenden Anforderungen der Zuverlässigkeit und der persönlichen Eignung, nicht aber an den Nachweis der Sachkunde und eines waffenrechtlichen Bedürfnisses geknüpft hat (§ 4 Abs. 1, § 10 Abs. 4 Satz 4 WaffG i.V.m. der Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 3 Nr. 2 und 2.1 dieses Gesetzes). In Anbetracht des legitimen gesetzlichen Zwecks, das Risiko des Umgangs mit Waffen zu minimieren, der Gefährlichkeit der erfassten Waffen und der Missbrauchsmöglichkeiten liegt auf der Hand, dass sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kein Verbot herleiten lässt, eine negative Zuverlässigkeitsprognose unter den dargestellten Voraussetzungen darauf zu stützen, dass sich eine Person freiwillig in einem gewaltaffinen Umfeld bewegt, in dessen Gewaltausübung sie jederzeit hineingezogen werden kann.
Rz. 12
Der Verwaltungsgerichtshof hat die dargestellte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG seiner Sachverhaltswürdigung zugrunde gelegt. Insoweit erhebt der Kläger keine Einwendungen.
Rz. 13
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
Haufe-Index 11883050 |
DÖV 2018, 916 |
JZ 2018, 744 |
BayVBl. 2019, 99 |
GV/RP 2019, 358 |
KomVerw/LSA 2019, 213 |
FuBW 2019, 195 |
FuNds 2019, 235 |
Jura 2019, 123 |
KomVerw/B 2019, 221 |
KomVerw/MV 2019, 217 |
KomVerw/S 2019, 213 |
KomVerw/T 2019, 214 |