Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilaufhebung eines Gebührenbescheids, soweit die ermessensfehlerhaft festgesetzte Gebühr den Mindestsatz des Gebührenrahmens übersteigt
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob Gebührenbescheide, die die Gebühr für eine Amtshandlung festsetzen, für die eine Rahmengebühr vorgesehen ist, im Falle ihrer Ermessensfehlerhaftigkeit insoweit teilweise aufgehoben werden dürfen, als die festgesetzte Gebühr die als Untergrenze des Gebührenrahmens festgelegte Mindestgebühr übersteigt.
Verfahrensgang
OVG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 20.12.2022; Aktenzeichen 3 LB 851/17) |
VG Greifswald (Urteil vom 11.10.2017; Aktenzeichen 3 A 1233/16 HGW) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 20. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 546 501,43 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und eines Verfahrensmangels nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen nicht vor.
Rz. 2
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Rz. 3
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint.
Rz. 4
a) Die vom Beklagten aufgeworfene Frage,
ob die mit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts verbundene Festsetzung der Gebühr auf den Mindestsatz des für diese Amtshandlung von der Immissionsschutz-Kostenverordnung des Landes Mecklenburg-Vorpommern (ImmSchKostVO M-V) vom 26. Oktober 2010 (GVOBl. M-V S. 626; im Folgenden ImmSchKostVO M-V 2010) vorgesehenen Rahmens rechtmäßig ist,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.
Rz. 5
Schon ihrer Formulierung nach wirft diese Grundsatzrüge keine fallübergreifende Frage auf. Sie zielt vielmehr darauf ab, ob das Oberverwaltungsgericht im vorliegenden Einzelfall richtig entschieden hat, indem es den von der Klägerin angefochtenen Gebührenbescheid aufgehoben hat, soweit er den Mindestwert des Gebührenrahmens überschreitet. Dementsprechend äußert sich der Beklagte auch nicht zur fallübergreifenden Bedeutung der Frage, sondern erläutert, weshalb das Oberverwaltungsgericht aus seiner Sicht falsch entschieden hat. Er hält es für rechtsfehlerhaft, dass das Berufungsgericht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Teilbarkeit von Ermessensentscheidungen auf den vorliegenden Fall übertragen, den Gebührenbescheid abgeändert und die vom Beklagten festgesetzte Höchstgebühr durch die nach dem Gebührenrahmen vorgesehene Mindestgebühr ersetzt habe, obwohl dies dem mutmaßlichen Willen des Beklagten nicht entspreche. Auf eine fehlerhafte Rechtsanwendung lässt sich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache jedoch nicht stützen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 ≪n. F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 19. November 2020 - 9 B 40.19 - Buchholz 424.01 § 58 FlurbG Nr. 7 Rn. 15).
Rz. 6
b) Selbst wenn die Ausführungen des Beklagten der Sache nach auf die Frage abzielen sollten,
ob Gebührenbescheide, die die Gebühr für eine Amtshandlung festsetzen, für die eine Rahmengebühr vorgesehen ist, im Falle ihrer Ermessensfehlerhaftigkeit insoweit aufgehoben werden können, als die Gebühr die als Untergrenze des Gebührenrahmens festgelegte Mindestgebühr übersteigt,
führt auch dies nicht zur Zulassung der Revision. Denn diese Frage lässt sich anhand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne Weiteres beantworten. Der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf es dazu nicht.
Rz. 7
Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO hebt das Gericht den angefochtenen Verwaltungsakt auf, soweit er rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Auf dieser Grundlage kann ein angefochtener Verwaltungsakt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts teilweise aufgehoben werden, wenn seine rechtlich unbedenklichen Teile nicht in einem untrennbaren inneren Zusammenhang mit dem rechtswidrigen Teil stehen (BVerwG, Urteil vom 13. November 1997 - 3 C 33.96 - BVerwGE 105, 354 ≪358≫). Der rechtswidrige Teil muss in der Weise selbständig abtrennbar sein, dass der Verwaltungsakt im Übrigen sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann (BVerwG, Urteile vom 17. Februar 1984 - 4 C 70.80 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 137 S. 29 und vom 8. Juli 2004 - 5 C 5.03 - Buchholz 435.12 § 45 SGB X Nr. 13 S. 4; Beschlüsse vom 2. Mai 2005 - 6 B 6.05 - juris Rn. 8 und vom 30. Mai 2006 - 6 B 28.06 - juris Rn. 6).
Rz. 8
§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO betrifft dabei nicht nur gebundene Verwaltungsakte, sondern auch Verwaltungsakte, die im Ermessen der Behörde stehen. Dementsprechend kann eine Teilaufhebung unter den genannten Voraussetzungen auch dann in Betracht kommen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt auf einer Ermessensentscheidung beruht (BVerwG, Beschlüsse vom 2. Mai 2005 - 6 B 6.05 - juris Rn. 8 und vom 30. Mai 2006 - 6 B 28.06 - juris Rn. 8; Urteil vom 24. Mai 2012 - 5 C 18.11 - BVerwGE 143, 171 Rn. 34). Mindestvoraussetzung dafür ist, dass der Ermessensverwaltungsakt auch ohne den aufzuhebenden Teil eine rechtmäßige und von der erlassenden Behörde so gewollte selbständige Regelung zum Inhalt hat, wobei eine objektive Auslegung des Willens der Behörde geboten ist (BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2012 - 5 C 18.11 - BVerwGE 143, 171 Rn. 34).
Rz. 9
Dies zugrunde gelegt, kommt bei ermessensfehlerhafter Festsetzung von Verwaltungsgebühren, für die wie hier die Gebührenvorschriften eine Rahmengebühr vorsehen, grundsätzlich eine Teilaufhebung des Gebührenbescheids in Betracht, soweit die festgesetzte Gebühr die als Untergrenze des Gebührenrahmens festgelegte Mindestgebühr übersteigt und die verbleibende Gebührenfestsetzung in Höhe der zwingend festzusetzenden Mindestgebühr bei der gebotenen objektiven Auslegung dem Willen der Behörde entspricht. Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht eine Teilaufhebung in einem derartigen Fall (OVG Berlin, Urteil vom 25. August 1992 - 8 B 59.91 - juris Rn. 23) auch nicht beanstandet (BVerwG, Beschluss vom 1. April 1993 - 11 B 79.92 - juris Rn. 4, insoweit in Buchholz 442.10 § 6a StVG Nr. 6 nicht abgedruckt).
Rz. 10
c) Auch die Frage,
ob es einen Verfahrensfehler darstellt, wenn das Tatsachengericht durch die (unzutreffende) Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null seine Kompetenz bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung (§ 113 Abs. 5, § 114 VwGO) überschritten hat,
verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Sie war für die angefochtene Entscheidung ohne Bedeutung.
Rz. 11
Das Oberverwaltungsgericht hat den angefochtenen Gebührenbescheid, soweit er die nach der Gebührenregelung vorgesehene Mindestgebühr nach Nr. 201.3 des Gebührenverzeichnisses zu § 1 Abs. 1 Satz 2 ImmSchKostVO M-V 2010 abzüglich des Höchstsatzes der Ermäßigung nach Nr. 201.4.6 des Gebührenverzeichnisses zu § 1 Abs. 1 Satz 2 ImmSchKostVO M-V 2010 übersteigt (UA S. 27), nicht wegen einer Ermessensreduktion auf Null aufgehoben. Vielmehr hat es den Gebührenbescheid in diesem Umfang aufgehoben, weil es die konkrete Gebührenfestsetzung als ermessensfehlerhaft für rechtswidrig hielt. Von einer vollständigen Aufhebung des Gebührenbescheids hat das Oberverwaltungsgericht hingegen abgesehen, weil es ihn im Übrigen als rechtmäßig angesehen hat. Denn wegen des Vorliegens der gebührenanspruchsbegründenden Voraussetzungen sei zumindest die sich aus den Rahmensätzen ergebende Mindestgebühr anzusetzen gewesen (UA S. 27 f.). Die Mindestgebührenhöhe ergibt sich dabei weder aus einer Ermessensreduzierung auf Null noch aus einer Ausübung des behördlichen Ermessens durch das Gericht, sondern ohne einen Eingriff in die behördliche Ermessensbetätigung aus der einschlägigen Gebührenregelung (vgl. UA S. 28 und BVerwG, Beschluss vom 1. April 1993 - 11 B 79.92 - juris Rn. 4, insoweit in Buchholz 442.10 § 6a StVG Nr. 6 nicht abgedruckt).
Rz. 12
Im Übrigen ist die Frage in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Zwar hat das Gericht in seinem Beschluss vom 26. März 2004 - 1 B 79.03 - (Buchholz 310 § 133 ≪n. F.≫ VwGO Nr. 71 S. 32) noch offengelassen, ob eine von einem Gericht angenommene Ermessensreduzierung auf Null bereits deshalb verfahrensfehlerhaft sein kann, weil das Gericht seine Kompetenz bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung überschritten hat. Es hat aber inzwischen entschieden, dass es keinen Verfahrensfehler, sondern eine Verletzung des materiellen Rechts darstellt, wenn ein Gericht die Grenzen der Kontrollbefugnis überschreitet, die ihm durch § 114 Satz 1 VwGO eingeräumt ist. Verstöße gegen prozessrechtliche Vorschriften begründen nur dann einen Verfahrensmangel, wenn eine Bestimmung missachtet wird, die den äußeren Verfahrensablauf regelt, nicht aber dann, wenn eine Regelung verletzt wird, die den inneren Vorgang der richterlichen Rechtsfindung bestimmt, wie dies bei § 114 Satz 1 VwGO der Fall ist. Denn diese Vorschrift ergänzt § 113 Abs. 1 und 5 VwGO, indem sie für den Fall, dass die Behörde nach Ermessen handelt, die materielle Entscheidungsbefugnis des Gerichts definiert (BVerwG, Beschluss vom 11. März 2009 - 4 BN 7.09 - juris Rn. 6 m. w. N.).
Rz. 13
2. Die Revision ist schließlich auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen. Eine verfahrensfehlerhafte Verletzung von § 113 Abs. 1 Satz 1 und § 114 Satz 1 VwGO, wie der Beklagte sie geltend macht, liegt nicht vor.
Rz. 14
Zum einen ist das Oberverwaltungsgericht, wie ausgeführt, weder von einer Ermessensreduktion auf Null ausgegangen, noch hat es sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Behörde gesetzt. Es hat deshalb auch insoweit nicht seine Kompetenzen nach § 113 Abs. 1 und § 114 Satz 1 VwGO überschritten. Zum anderen würde eine solche Kompetenzüberschreitung, wie dargelegt, auch keinen Verfahrensmangel begründen, sondern eine Verletzung des materiellen Rechts darstellen (BVerwG, Beschluss vom 11. März 2009 - 4 BN 7.09 - juris Rn. 6).
Rz. 15
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Fundstellen
Haufe-Index 16079618 |
JZ 2024, 9 |
LKV 2024, 26 |
BayVBl. 2024, 174 |