Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurückverweisung wegen Verfahrensfehlers. Bindungswirkung
Leitsatz (amtlich)
Die Bindungswirkung des § 144 Abs. 6 VwGO erfasst nur die entscheidungstragende Rechtsauffassung des Revisionsgerichts einschließlich der davon mitumfassten logischen Voraussetzungen (vgl. Urteil vom 25. Juni 1992 – BVerwG 3 C 16.90 – Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 68, Beschluss vom 21. August 1997 – BVerwG 8 B 151.97 – Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 65).
Wird das angefochtene Urteil im Revisions- oder Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wegen eines Verfahrensfehlers auf der Grundlage der materiellen Rechtsauffassung des Tatsachengerichts aufgehoben, so ist das Verwaltungs- oder Oberverwaltungsgericht nach der Zurückverweisung an die in dem aufgehobenen Urteil vertretene seinerzeitige Auffassung grundsätzlich nicht gebunden.
Normenkette
VwGO § 144 Abs. 6, § 133 Abs. 6
Verfahrensgang
VG Weimar (Entscheidung vom 05.04.2000; Aktenzeichen 1 K 1948/99.We) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 5. April 2000 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 557 610 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Das angefochtene Urteil leidet nicht an dem allein geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
1. Die Beschwerde meint zunächst, das Verwaltungsgericht habe unter „Verstoß gegen die Bindungswirkung einer Zurückverweisung gemäß § 144 Abs. 6 VwGO” die vom Bundesverwaltungsgericht in dem vorangegangenen – erfolgreichen – Beschwerdeverfahren durch Beschluss vom 7. Juni 1999 – BVerwG 8 B 103.99 – vermeintlich verbindlich „angeordnete” Ortsbesichtigung nicht durchgeführt. Dieser Vorwurf ist bereits im Ansatz verfehlt. Die Beschwerde übersieht nämlich, dass die seinerzeitige Verfahrensrüge des Beigeladenen allein auf der Grundlage der damaligen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts – unabhängig von deren materieller Richtigkeit – zu beurteilen war. Die Verfahrensrüge musste daher bereits deshalb erfolgreich sein, weil nach der Rechtsauffassung der damals zuständigen Kammer – auch wenn sie in der Sache nicht zutraf – eine weitere Sachverhaltsaufklärung geboten gewesen wäre. Aus der damit begründeten Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht folgt jedoch nicht, dass das Verwaltungsgericht bei der angeordneten erneuten Verhandlung eine als unrichtig erkannte seinerzeitige materiell-rechtliche Auffassung wider besseres Wissen auch seiner erneuten Entscheidung zugrunde legen müsste. Die Bindungswirkung des § 144 Abs. 6 VwGO erfasst nämlich nur die entscheidungstragende Rechtsauffassung des Revisionsgerichts (vgl. Urteil vom 13. September 1985 – BVerwG 4 C 72.82 – Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 43 S. 6 ≪8≫) einschließlich der davon mitumfassten logischen Voraussetzungen (Urteil vom 25. Juni 1992 – BVerwG 3 C 16.90 – Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 68 S. 63 ≪66≫, Beschluss vom 21. August 1997 – BVerwG 8 B 151.97 – Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 65 S. 7 ≪8≫); dies betrifft insbesondere etwa die in der zurückverweisenden Entscheidung sinngemäß bejahte Zulässigkeit der Klage (Beschluss vom 21. August 1997, a.a.O.). Wird das angefochtene Urteil im Revisions- oder Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren jedoch wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben, so ist das Verwaltungs- oder Oberverwaltungsgericht hinsichtlich der materiellrechtlichen Beurteilung an die in dem aufgehobenen Urteil vertretene Auffassung grundsätzlich nicht mehr gebunden (Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl., § 144 Rn. 12). Denn eine Verfahrensrüge ist bereits dann erfolgreich, wenn das Tatsachengericht auf der Grundlage seiner materiellen Rechtsauffassung weitere Ermittlungen hätte anstellen müssen; die Zurückverweisungsentscheidung beruht somit tragend nur auf der Annahme, dass das Verwaltungsgericht die vermisste weitere Aufklärung vornehmen muss, wenn es weiterhin von der bisherigen Rechtsauffassung ausgeht und keine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage eintritt. Aus dem Erfolg der Verfahrensrüge allein kann deshalb nicht – auch nicht stillschweigend – darauf geschlossen werden, dass das Bundesverwaltungsgericht sich die materiellrechtliche Auffassung des Tatsachengerichts zu Eigen gemacht hätte. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Hinweis am Ende des Beschlusses vom 7. Juni 1999 sogar eindeutig das Gegenteil. Mit der abschließenden – übrigens ebenfalls nicht entscheidungstragenden – Bemerkung, das Verwaltungsgericht werde bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung zu berücksichtigen haben, dass im vorliegenden Fall keine Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsordnung erforderlich sei, hat der Senat vielmehr verdeutlicht, dass die Rechtsauffassung der ursprünglich zuständigen Kammer des Verwaltungsgerichts in der Sache nicht zutraf. Der von der Beschwerde für ihre Auffassung angeführte Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. August 1997 (a.a.O.) betrifft – wie bereits erörtert – stillschweigend vorausgesetzte und damit der Bindungswirkung unterliegende Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage; er rechtfertigt deshalb keine andere Beurteilung.
2. Die Beschwerde hält § 144 Abs. 6 VwGO ferner deshalb für verletzt, weil sich die nach der Zurückverweisung zuständig gewordene 1. Kammer des Verwaltungsgerichts „die tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen der 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Weimar in keiner Weise zu Eigen gemacht hat” und nach Auffassung der Beschwerde – „zumindest was die Erwägungen zum unredlichen Erwerb anbetrifft” – eine Bindungswirkung besteht. Dies trifft ersichtlich nicht zu. Bindungswirkung kann – wie bereits dargelegt – nur ausdrücklichen oder zumindest sinngemäß vorausgesetzten entscheidungstragenden Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts in der zurückverweisenden Entscheidung zukommen. Zur Frage des redlichen Erwerbs hat sich das Bundesverwaltungsgericht aber in dem Beschluss vom 7. Juni 1999 jedenfalls nicht im Sinne einer Billigung der Rechtsauffassung des seinerzeit angefochtenen, durch den Beschluss aufgehobenen Urteils geäußert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach den §§ 13, 14 GKG. Dabei sieht der Senat keinen Anlass, von dem Streitwert abzuweichen, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 23. Mai 2000 unter Änderung einer früheren Streitwertfestsetzung festgesetzt hat. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend den Gebäudewert einbezogen. Der Hinweis der Beschwerde auf eine vermeintliche Bindungswirkung der ursprünglichen Streitwertfestsetzung durch die zunächst zuständige 1. Kammer des Verwaltungsgerichts geht aus den in dem Streitwertbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 23. Mai 2000 zutreffend dargelegten Gründen fehl.
Unterschriften
Dr. Müller, Sailer, Krauß
Fundstellen
Haufe-Index 566758 |
NJW 2001, 530 |
NVwZ 2000, 1299 |
DVBl. 2001, 308 |
ThürVBl. 2000, 250 |