Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 16.04.2008; Aktenzeichen 6 A 1702/05) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. April 2008 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde des Beklagten kann keinen Erfolg haben.
Die Klägerin macht geltend, die Zeit ihrer Tätigkeit als Religionslehrerin im kirchlichen Dienst an einem öffentlichen Gymnasium in Rheinland-Pfalz sei auf die laufbahnrechtliche Probezeit als Studienrätin anzurechnen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Anrechenbarkeit in entsprechender Anwendung des § 52 Abs. 4 der Laufbahnverordnung Nordrhein-Westfalen – LVO NRW – bejaht. Zwar ermögliche diese Vorschrift nach ihrem Wortlaut nur die Anrechnung von Zeiten einer beruflichen Tätigkeit als Lehrer an Ersatzschulen oder Auslandsschulen. Sie sei jedoch auf die vordienstliche Tätigkeit der Klägerin analog anzuwenden. Auch entspreche die Tätigkeit derjenigen einer Studienrätin in der Laufbahn des Lehramts für die Sekundarstufe II.
Mit seiner Beschwerde wirft der Beklagte die Fragen auf,
– ob die Anrechnungsmöglichkeit des § 52 Abs. 4 LVO NRW über die beiden ausdrücklich erwähnten Ausnahmen hinaus analog auf andere Fälle, insbesondere auf die Tätigkeit als Religionslehrer im Dienst der katholischen Kirche an einem öffentlichen Gymnasium angewendet werden könne;
– ob ein Lehrer eine der Tätigkeit eines Studienrats entsprechende Tätigkeit ausübe, wenn er weniger als die Hälfte der Wochenstunden in der Sekundarstufe II des Gymnasiums unterrichte.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. Der Zulassungsgrund soll die einheitliche Rechtsanwendung, nicht aber die materielle Richtigkeit verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen im Einzelfall gewährleisten. Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO obliegt es dem Beschwerdeführer darzulegen, worin der allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedarf an der Klärung der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage bestehen soll (Beschluss vom 2. Oktober 1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ≪91≫; stRspr). Ein derartiger Bedarf setzt voraus, dass gleich gelagerte Fälle, in denen sich die Rechtsfrage stellt, bereits zur Entscheidung anstehen oder doch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Die abstrakte Möglichkeit, dass ein solcher Fall irgendwann auftreten kann, kann nach dem Zweck des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht ausreichen.
Danach hat der Beklagte einen über den vorliegenden Fall hinausreichenden Bedarf an der Beantwortung der ersten Rechtsfrage nicht dargelegt, obwohl hierfür Anlass bestanden hat. Denn nach den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts handelt es sich um einen atypischen, vom Verordnungsgeber nicht als regelungsbedürftig erkannten Fall. Dies sei darauf zurückzuführen, dass der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in Nordrhein-Westfalen typischerweise nicht von staatlich ausgebildeten Lehrkräften erteilt werde. In Anbetracht dieser Aussagen genügt die pauschale Erklärung des Beklagten, die vorliegende Fallkonstellation könne zwar nicht regelmäßig oder häufig, jedoch immer wieder vorkommen, nicht, um die grundsätzliche Bedeutung der ersten Rechtsfrage darzulegen. Aus ihr geht nicht hervor, dass weitere Fälle dieser Art bereits anhängig oder zu erwarten sind.
Darüber hinaus ist die erste Rechtsfrage nicht rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil es zu ihrer Klärung nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Denn der Beklagte hat die plausibel begründete Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, die in § 52 Abs. 4 LVO NRW vorgesehene Anrechnungsmöglichkeit müsse im Wege der Analogie auf den vorliegenden Fall erstreckt werden, nicht substantiiert in Frage gestellt.
Durch eine Analogie wird die durch eine Norm angeordnete Rechtsfolge auf einen Sachverhalt übertragen, der nicht dem Tatbestand der Norm unterfällt. Eine Analogie darf nur vorgenommen werden, um eine echte Regelungslücke auszufüllen. Darunter ist eine Unvollständigkeit des Tatbestandes einer Norm wegen eines versehentlichen, dem Normzweck zuwiderlaufenden Regelungsversäumnisses des Normgebers zu verstehen. Eine solche Lücke darf von den Gerichten im Wege der Analogie geschlossen werden, wenn sich aufgrund der gesamten Umstände feststellen lässt, dass der Normgeber die von ihm angeordnete Rechtsfolge auch auf den nicht erfassten Sachverhalt erstreckt hätte, wenn er ihn bedacht hätte (Urteile vom 14. März 1974 – BVerwG 2 C 33.72 – BVerwGE 45, 85 ≪90≫ und vom 13. Dezember 1978 – BVerwG 6 C 46.78 – BVerwGE 57, 183 ≪186 f.≫; Beschluss vom 7. Juli 1993 – BVerwG 6 P 15.91 – Buchholz 251.2 § 40 BlnPersVG Nr. 1 S. 3 f.).
Gemäß § 52 Abs. 4 LVO NRW können Zeiten einer beruflichen Tätigkeit als Lehrer an Ersatzschulen oder Auslandsschulen auf die laufbahnrechtliche Probezeit angerechnet werden, wenn die Tätigkeit nach Art und Bedeutung mindestens der Tätigkeit in einem Amt der Laufbahn entsprochen hat. Die Vorschrift ermöglicht bei Lehrern auch die Anrechnung von Tätigkeiten, die nicht im öffentlichen Dienst, d.h. aufgrund eines Dienstverhältnisses mit einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder Anstalt, ausgeübt werden. Sie geht damit über die allgemeine Regelung des § 39 Abs. 3 LVO NRW hinaus, die die Anrechnung auf Dienstzeiten im öffentlichen Dienst beschränkt. Im Gegensatz zu § 39 Abs. 3 LVO NRW stellt § 52 Abs. 4 für die Anrechenbarkeit von Vordienstzeiten nur auf die Gleichwertigkeit der ausgeübten Tätigkeit mit derjenigen eines Amtes der Laufbahn ab. Erfasst werden auch Beschäftigungsverhältnisse mit privaten Arbeitgebern.
Daraus hat das Oberverwaltungsgericht zutreffend gefolgert, dass es dem Normzweck des § 52 Abs. 4 LVO NRW zuwiderliefe und sachlich nicht zu rechtfertigen wäre, Zeiten gleichwertiger Tätigkeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes als Lehrer an Privatschulen, nicht aber an öffentlichen Schulen auf die Probezeit anzurechnen. Denn aus Tätigkeiten an öffentlichen Schulen kann der Dienstherr erst recht Rückschlüsse auf die Bewährung von Lehrern im Beamtenverhältnis auf Probe ziehen. Das Oberverwaltungsgericht hat auch seine weitere tragende Erwägung, § 52 Abs. 4 LVO NRW enthalte in Bezug auf den vorliegenden Fall eine echte Regelungslücke, schlüssig und nachvollziehbar begründet: Danach hat der Verordnungsgeber Tätigkeiten an öffentlichen Schulen außerhalb des öffentlichen Dienstes nicht in den Blick genommen, weil sie an öffentlichen Schulen in Nordrhein-Westfalen nicht vorkommen.
Das Beschwerdevorbringen des Beklagten ist nicht geeignet, das Bestehen einer versehentlichen, im Wege der Analogie zu schließenden Gesetzeslücke in Zweifel zu ziehen: Das Oberverwaltungsgericht hat sich nicht über den klaren Wortlaut des § 52 Abs. 4 LVO NRW hinweggesetzt, sondern diesen Wortlaut zum Anlass genommen, die Voraussetzungen einer Analogie zu prüfen. Dieses Vorgehen entspricht allgemeinen Auslegungsgrundsätzen. Aus § 39 Abs. 3 LVO NRW lässt sich ein Verbot der analogen Anwendung des § 52 Abs. 4 LVO NRW nicht herleiten. Denn der Zweck dieser Vorschrift besteht gerade darin, den Grundsatz des § 39 Abs. 3 LVO NRW, die Anrechenbarkeit auf Zeiten im öffentlichen Dienst zu beschränken, für Lehrer aufzuheben. Schließlich lässt der Umstand, dass der Verordnungsgeber den vorliegenden Fall nicht in den Tatbestand des § 52 Abs. 4 LVO NRW einbezogen hat, gerade nicht den Schluss zu, er habe sich bewusst gegen dessen Gleichstellung mit Tätigkeiten an Ersatzschulen und Auslandsschulen entschieden. Insoweit setzt sich der Beklagte nicht mit den Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts zum Normzweck des § 52 Abs. 4 LVO NRW und zur Erteilung des Religionsunterrichts in Nordrhein-Westfalen auseinander, auf die es die analoge Anwendung der Vorschrift gestützt hat.
Die zweite von dem Beklagten aufgeworfene Frage hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil sie als geklärt gelten kann. Der Senat hat zu dem Bedeutungsgehalt der – insoweit mit § 52 Abs. 4 LVO NRW inhaltsgleichen – Anrechnungsregelung des § 7 Abs. 4 Satz 1 der Bundeslaufbahnverordnung – BLV – ausgeführt, die Anrechenbarkeit einer Tätigkeit setze nicht voraus, dass diese mit dem gesamten Tätigkeitskatalog der entsprechenden Laufbahn vergleichbar sei oder eine Identität der Aufgaben bestehe. Es genüge, dass sie im Einzelfall überwiegend einer Tätigkeit in der jetzigen Laufbahn entsprochen habe und von ihr maßgeblich geprägt worden sei (Urteil vom 24. November 1983 – BVerwG 2 C 17.82 – Buchholz 232.1 § 7 BLV Nr. 1).
Diesen rechtlichen Ansatz hat das Oberverwaltungsgericht der Beurteilung der Tätigkeit der Klägerin an dem öffentlichen Gymnasium in Rheinland-Pfalz zugrunde gelegt. Die Beschwerde zeigt einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf nicht auf. Vielmehr wendet sie sich in der Art einer Revisionsbegründung gegen die fallbezogene Anwendung des Rechtsgrundsatzes, d.h. gegen die rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts durch das Oberverwaltungsgericht. Im Übrigen verkennt der Beklagte, dass es sich bei den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zur Praxis des bedarfsabhängigen Einsatzes von Lehrern in beiden Sekundarstufen um bindende, weil nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffene Tatsachenfeststellungen handelt (§ 137 Abs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Herbert, Dr. Heitz, Thomsen
Fundstellen