Verfahrensgang

OVG für das Land NRW (Urteil vom 07.03.1996; Aktenzeichen 20 A 657/95)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. März 1996 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 100 000 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin, die Eigentümerin eines mit mehreren Hochhäusern bebauten Geländes ist, wendet sich im wesentlichen gegen die ordnungsrechtliche Anordnung, in den Häusern Methangaswarngeräte installieren und in einem bestimmten Turnus auswerten zu lassen. Ursprünglich war das Gelände als Lehmgrube und anschließend bis Anfang der sechziger Jahre als Abfalldeponie genutzt worden. Ende der sechziger Jahre erfolgte die Bebauung des Geländes. Die Klägerin erwarb das Gelände Mitte der siebziger Jahre. Etwa 1990 wurde der Austritt von Deponiegas festgestellt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde muß erfolglos bleiben. Sie zeigt einen Revisionszulassungsgrund nicht auf.

1. Die Klägerin beruft sich zunächst auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Diese Voraussetzungen macht die Beschwerdebegründung nicht ersichtlich.

Die Klägerin hält in diesem Zusammenhang für grundsätzlich bedeutsam, “ob die Heranziehung einer Grundstückseigentümerin als ordnungsrechtliche Zustandsverantwortliche zur Gefahrenermittlung, Gefahrenaufklärung und Gefahrenabschätzung und die daraus folgende Kostenlast mit Art. 14 GG vereinbar ist, wenn die Grundstückseigentümerin zur Verursachung der angeblichen Gefahr für Sicherheit, Leib und Leben nichts beigetragen hat.”

Entgegen der Auffassung der Klägerin würde sich die von ihr formulierte Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Das Berufungsgericht hat in Anwendung irrevisiblen Landesrechts (§ 14 Abs. 1 OBG NW) das Vorliegen einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit bejaht und dies mit der feststehenden Methangasbildung im Deponiebereich und der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Eindringens von Methangas in die Kellerräume der Hochhäuser begründet. Das Berufungsgericht ist demnach nicht von einem sogenannten “Gefahrenverdacht” ausgegangen, also einer Situation, in der noch Ungewißheit über das Vorliegen einer “echten” polizeilichen Gefahr gegeben ist. Dementsprechend hat das Berufungsgericht die vom Beklagten angeordneten Maßnahmen auch nicht als sogenannte “Gefahrenerforschungseingriffe” qualifiziert, also als Maßnahmen “zur Gefahrenermittlung, Gefahrenaufklärung und Gefahrenabschätzung”. Vielmehr sind der Klägerin Maßnahmen zur Gefahrenabwehr auferlegt worden.

Auch wenn man die in der Beschwerde angesprochene Frage in dem Sinne versteht, daß es um die Heranziehung des Zustandsverantwortlichen zur Gefahrenabwehr geht, kommt ihr keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Frage kann unter Berücksichtigung der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die vom Berufungsgericht festgestellten Gegebenheiten des vorliegenden Falles ausreichend beantwortet werden, ohne daß es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.

Dabei kann offenbleiben, inwieweit der Rechtsauffassung zu folgen ist, die unter Berufung auf Art. 14 GG eine Begrenzung der nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht bestehenden Zustandsverantwortlichkeit des Grundstückseigentümers für die Sanierung von Altlasten befürwortet. Erwogen wird eine Haftungsreduzierung in Fällen, in denen sich der Eigentümer selbst in einer Art “Opferposition” befindet, weil sein Grundstück allein durch Fremdeinwirkung in Mitleidenschaft gezogen und dadurch zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geworden ist. Eine derartige Haftungsbegrenzung kann aus verfassungsrechtlichen Gründen in Betracht kommen, wenn eine Heranziehung zur Gefahrenbeseitigung, insbesondere die Belastung mit deren Kosten, den privatnützigen Gebrauch der Sache ausschalten würde bzw. schlechthin unzumutbar wäre (vgl. Beschlüsse vom 14. Dezember 1990 – BVerwG 7 B 134.90 – Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 50 = NVwZ 1991, 475 und vom 19. November 1991 – BVerwG 8 B 137.91 – Buchholz a.a.O. Nr. 54).

Nach den bindenden, von der Klägerin mit durchgreifenden Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) liegen die tatsächlichen Voraussetzungen für eine derartige Haftungsbegrenzung nicht vor. Das Berufungsgericht, das von der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Haftungsbegrenzung ausgegangen ist, hat die mit den betroffenen Häusern verbundene wirtschaftliche Situation der Klägerin untersucht und festgestellt, daß die Investitionskosten für die Meßgeräte lediglich einen geringen Bruchteil des gesamten Investitionsaufwandes für die Häuser ausmachten; die laufenden Kosten, insbesondere für das Ablesen und Erfassen der Meßdaten sowie für die Wartung der Geräte, seien zwar nicht unbeträchtlich; diese Kosten seien indessen ca. 260 Wohnungen mit insgesamt etwa 18 000 qm Wohnfläche zuzuordnen, so daß sie den Bereich unzumutbarer Überbeanspruchung im Sinne eines groben Mißverhältnisses zwischen Aufwand und Ertrag bei weitem nicht erreichten. Auch unter Berücksichtigung der schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den Häusern sei nichts dafür ersichtlich, daß die Klägerin durch die Ordnungsverfügung unangemessen hart getroffen werde; die Privatnützigkeit ihres Eigentums sei für die Klägerin nicht annähernd aufgehoben. Es lägen nicht einmal ansatzweise Umstände dafür vor, daß die ordnungsrechtliche Inanspruchnahme den wirtschaftlichen Wert des Eigentums übersteigen oder doch zumindest weitgehend aushöhlen würde. Danach sind die Voraussetzungen einer möglichen Haftungsbegrenzung der genannten Art nicht erfüllt.

Die Annahme einer “Opferposition” und einer daraus folgenden Haftungsbegrenzung scheidet darüber hinaus von vornherein aus, wenn der Zustandsverantwortliche bei Begründung des Eigentums bzw. der Sachherrschaft vom ordnungswidrigen Zustand der Sache wußte oder doch zumindest Tatsachen kannte, die auf das Vorhandensein eines solchen Zustandes schließen lassen konnten; wer dieses Risiko eingeht, muß auch die gesetzliche Folge der ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit tragen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht ebenfalls bereits ausgesprochen (Beschluß vom 14. Dezember 1990 – BVerwG 7 B 134.90 – a.a.O.). Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist es ungeklärt, ob die Klägerin beim Erwerb der Wohnanlage wußte, daß die Häuser zum Teil auf einem ehemaligen Deponiegelände mit Ausgasungen stehen. Das Berufungsgericht hat jedoch ausgeführt, es liege ausgesprochen nahe, daß ein Kaufinteressent vor dem Erwerb eines zumal wirtschaftlich bedeutsamen Objekts über dessen Beschaffenheit Erkundigungen einhole, was auch im Falle der Klägerin gelte. Sie hätte sich diese Kenntnis durch Nachfrage bei dem Beklagten bzw. durch Einsichtnahme in die Bauakten verschaffen können; die frühere Nutzung des Geländes als Lehmgrube mit anschließender Wiederverfüllung sei bei dem Beklagten aktenkundig gewesen; bei den Akten habe sich auch ein geologisches Gutachten befunden. Es spreche nichts dafür, daß Bemühungen in dieser Richtung insoweit keinen Aufschluß erbracht hätten. Die Klägerin sei daher, wenn sie sich denn über das Gelände, auf dem die Häuser errichtet seien, vor dem Kauf nicht vergewissert habe, “bewußt das Risiko eingegangen, den erkennbar ungeklärten Auswirkungen der früheren Nutzung der Flächen ausgesetzt zu sein”.

Nach der erwähnten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts befindet sich derjenige grundsätzlich nicht in einer die Haftungsbegrenzung rechtfertigenden “Opferposition”, der ein entsprechendes Risiko eingeht; er hat auch die gesetzliche Folge der ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit zu tragen. Dies gilt – wie ausgeführt – in erster Linie für Fälle, in denen der Grundstückseigentümer beim Erwerb des Grundstücks Kenntnis von dessen ordnungswidrigem Zustand oder doch zumindest von Tatsachen hatte, die auf einen ordnungswidrigen Zustand hindeuteten. Nichts anderes kann jedoch in Fällen wie dem vorliegenden gelten, in denen zwar nicht feststeht, ob der Erwerber eines Altlastengrundstücks von Hinweisen auf den ordnungswidrigen Zustand des Grundstücks wußte, in denen es insbesondere wegen der wirtschaftlichen Bedeutung des Objekts naheliegt, Erkundigungen über dessen Beschaffenheit einzuholen, der Erwerber aber gleichwohl leicht zugängliche Informationsmöglichkeiten über die frühere Verwendung und die derzeitige Beschaffenheit des Grundstücks nicht nutzt und bewußt das Risiko auf sich nimmt, daß sich Altlasten ergeben und Sanierungsfragen stellen. Auch in diesen Fällen gebietet Art. 14 GG aus denselben Gründen wie in den vorgenannten Fällen nicht, den Eigentümer von seiner ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit für die Sanierung der Altlasten auf Kosten der Allgemeinheit ganz oder teilweise freizustellen.

2. Als Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) rügt die Klägerin, daß das Berufungsurteil auf ungenügender Sachaufklärung beruhe (§ 86 Abs. 1 VwGO).

Nach Auffassung der Beschwerde hätte das Berufungsgericht den Sachverhalt im Hinblick darauf weiter aufklären müssen, ob tatsächlich eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der Bewohner der Wohnanlage besteht und ob es Maßnahmen gibt, die die Klägerin weniger belasten. Damit ist ein Verfahrensfehler nicht hinreichend dargelegt. Mit der Aufklärungsrüge muß dargetan werden, welche Beweise angetreten worden sind oder welche Ermittlungen sich dem Berufungsgericht hätten aufdrängen müssen, welche Beweismittel bzw. Aufklärungsmöglichkeiten in Betracht gekommen wären, welches Ergebnis die Beweisaufnahme bzw. weitere Aufklärung voraussichtlich gehabt hätte und inwiefern dieses Ergebnis zu einer dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Sie beschränkt sich auf den Vorhalt der unzureichenden Sachaufklärung und enthält sonst keine Angaben der genannten Art.

Die Beschwerde rügt ferner, das Berufungsgericht habe die Aufklärung verfahrensfehlerhaft unterlassen, ob die Zustandshaftung der Klägerin angesichts ihrer besonderen wirtschaftlichen Situation unbegrenzt sein kann oder nicht der inhaltlichen Begrenzung bedarf. Damit rügt die Beschwerde nicht eine unzureichende Sachaufklärung, sondern die – für die Klägerin nachteilige – rechtliche Würdigung des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Meyer, Gielen, Richter

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1511158

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