Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 20.05.2009; Aktenzeichen 7 KS 28/07) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. Mai 2009 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen je zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Kläger beimessen.
Rz. 2
1. Der Kläger zu 1 hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob die Präklusionsregelung in § 2 Abs. 3 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz – URG – der durch Art. 10a Abs. 1 UVP-RL und Art. 15a Abs. 1 IVU-RL angeordneten umfassenden Prüfungsbefugnis und dem gemeinschaftsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz entspricht. Nach § 2 Abs. 3 URG ist eine Vereinigung, die im Verwaltungsverfahren Gelegenheit zur Äußerung gehabt hat, im Verfahren über den Rechtsbehelf mit allen Einwendungen ausgeschlossen, die sie im Verwaltungsverfahren nicht oder nach den geltenden Rechtsvorschriften nicht rechtzeitig geltend gemacht hat, aber hätte geltend machen können. Der Kläger zu 1 möchte wissen, ob Europarecht Präklusionsvorschriften überhaupt zulässt. Er thematisiert nicht, welche Anforderungen das Europarecht im Einzelnen an diese Vorschriften stellt.
Rz. 3
Die Frage nötigt nicht zur Zulassung der Revision. Zwar ist – soweit ersichtlich – bis zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Zulässigkeit nationaler Präklusionsvorschriften ergangen. Dies führt jedoch nicht dazu, dass die Revision zuzulassen ist, um dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorzulegen, ob das Europäische Gemeinschaftsrecht eine innerstaatliche Präklusionsvorschrift im Sinne des § 2 Abs. 3 1. Alt. URG gestattet. Denn es besteht kein Anlass zu vernünftigen Zweifeln im Sinne der acte-claire-Doktrin (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – Rs. C-283/81 – Slg. 1982, 3415 Rn. 16), dass das Europarecht einer solchen Regelung nicht entgegensteht (so auch Halama, in: Berkemann/Halama, Handbuch zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EG, S. 766 Rn. 327).
Rz. 4
Nach Art. 10a Unterabs. 1 UVP-RL und dem insoweit wortgleichen Art. 15a Unterabs. 1 IVU-RL stellen die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaates dies als Voraussetzung fordert, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten. Die Einschränkung, dass das Recht auf Zugang zu Gerichten “im Rahmen innerstaatlicher Rechtsvorschriften” verliehen wird, stellt klar, dass die Ausgestaltung des Verfahrens, das den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten soll, Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten ist (vgl. die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 2. Juli 2009 in der Rechtssache C-263/08 Rn. 45).
Rz. 5
Die Mitgliedstaaten sind bei der Ausgestaltung ihrer “innerstaatlichen Rechtsvorschriften” allerdings nicht völlig frei. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (u.a. Urteil vom 16. Dezember 1976 – Rs. 33/76 – NJW 1977, 495; Urteil vom 14. Dezember 1995 – Rs. C-312/93 – Slg. 1995, I – C-4615 Rn. 12 und Urteil vom 14. Dezember 1995 – Rs. C-430/93 und 431/93 – Slg. 1995, I – 4728 Rn. 17) dürfen das nationale Verfahrens- und Prozessrecht nicht ungünstiger gestaltet sein als bei entsprechenden Klagen, die nur innerstaatliches Recht betreffen, und sie dürfen – was hier allein in Rede steht – die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.
Rz. 6
Der Europäische Gerichtshof hat anlässlich der Prüfung der Gemeinschaftsrechtskonformität einer Bestimmung, nach der Klagen mit einem bestimmten, hier im Einzelnen nicht interessierenden Begehren innerhalb einer Ausschlussfrist erhoben werden müssen, den Rechtssatz betont, dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Rechtsbehelfen dem Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts grundsätzlich genügt, da sie ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit ist (EuGH, Urteil vom 16. Mai 2000 – Rs. C-78/98 – Slg. 2000, I – 3240 Rn. 33). Auch Präklusionsvorschriften dienen u.a. der Rechtssicherheit (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1982 – 2 BvR 1187/80 – BVerfGE 61, 82 ≪114, 116 f.≫ zu § 3 Abs. 1 der inzwischen außer Kraft getretenen Atomanlagen-Verordnung; BVerwG, Urteile vom 24. Mai 1996 – BVerwG 4 A 38.95 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 119 und vom 30. Januar 2008 – BVerwG 9 A 27.06 – NVwZ 2008, 678 Rn. 29, jeweils zu § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG a.F.), namentlich dem gesteigerten Bedürfnis des Vorhabenträgers nach Schutz und Beständigkeit der unter einer Drittbeteiligung zustande gekommenen Zulassungsentscheidung (Urteil vom 17. Juli 1980 – BVerwG 7 C 101.78 – BVerwGE 60, 297 ≪307≫).
Rz. 7
Nach der Entscheidungspraxis des Europäischen Gerichtshofs ist für die Anwendung des Effektivitätsgebots jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Gemeinschaftsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens zu prüfen (vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2003 – Rs. C-327/00 – Slg. 2003, I – 1907 Rn. 56). Der Senat hat bei Anwendung dieser Maßstäbe keinen Zweifel daran, dass die Präklusion des § 2 Abs. 3 1. Alt. URG “angemessen” begrenzt ist. Zwar tritt im Gegensatz zu Klagefristen, von deren Einhaltung der nationale Gesetzgeber den Zugang zu den Gerichten abhängig machen darf (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 2. Juli 2009 in der Rechtssache C-263/08 Rn. 45), der Ausschluss verfahrensrelevanten Vorbringens bereits vor einem anfechtbaren Rechtsakt ein. Dies ist aber ohne Bedeutung (so zutreffend Stüer/Rieder, EurUP 2004, 139 ≪146≫), weil das Einwendungsrecht als Anknüpfungspunkt für die Präklusion einem vorgezogenen Rechtsschutz gleichkommt (Urteil vom 17. Juli 1980 a.a.O. S. 306). Dieser Rechtsschutz ist nicht unzureichend; denn er liegt auch im wohlverstandenen Interesse der Einwendungsberechtigten, weil sie durch ihr Vorbringen die Chance der Einflussnahme wahren können, bevor eine Art planerische Verfestigung eingetreten ist (Urteil vom 24. Mai 1996 a.a.O.).
Rz. 8
Die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 2. Juli 2009 in der Rechtssache C-263/08 rechtfertigen nicht die Schlüsse, die der Kläger zu 1 aus ihnen zieht. Im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof geht es nicht um die in Art. 10a Unterabs. 4 UVP-RL in bejahendem Sinne entschiedene Frage, ob die vorherige Beteiligung am Verwaltungsverfahren zur Voraussetzung für den Zugang zu Gericht gemacht werden darf, sondern um die Frage, ob Art. 10a UVP-RL der betroffenen Öffentlichkeit, die am Genehmigungsverfahren beteiligt war, erlaubt, unmittelbar und ohne Einschränkungen die Gerichte anzurufen (Stellungnahme Rn. 32), ob also die Beteilung am Verwaltungsverfahren die Klagebefugnis zur Folge hat. Nur damit beschäftigt sich die Generalanwältin, die mit der Fallgestaltung konfrontiert war, dass eine Umweltorganisation sich an einem Verwaltungsverfahren beteiligt hatte, aber nach dem maßgeblichen Landesrecht nicht klagebefugt ist, weil sie nicht mindestens 2 000 Mitglieder hat, in den vom Kläger zu 1 markierten Passagen (Rn. 43, 44, 71) ihrer Stellungnahme.
Rz. 9
2. Die Klägerin zu 2 möchte grundsätzlich klären lassen, ob es sich in der Abwägung einer luftrechtlichen Planfeststellung bei den Belangen der Flugsicherheit um lediglich private oder – zumindest auch – um öffentliche Belange handelt und ob sich Kläger, deren Grundstücke mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung durch eine luftrechtliche Planfeststellung überplant werden, auch auf erhebliche Fehler bei der Abwägung privater Belange Dritter berufen können, wenn die Beachtung dieser Belange kausal für die Inanspruchnahme ihrer Grundstücke sein kann. Hintergrund ist die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass derjenige Grundeigentümer, der von der enteignungsrechtlichen Vorwirkung eines Planfeststellungsbeschlusses betroffen ist, zwar geltend machen kann, öffentliche Belange seien bei der Abwägung nicht hinreichend beachtet worden, sich die privaten Belange anderer (hier: Schutz vor Beeinträchtigungen durch Lärm, Wirbelschleppen und andere Sicherheitsrisiken) aber nicht zu eigen machen darf (UA S. 18).
Rz. 10
Auch diese Fragen führen nicht zur Zulassung der Revision, weil sie in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich wären. Selbst wenn sie in dem einen oder dem anderen Sinne zu Gunsten der Klägerin zu 2 zu beantworten wären, könnte die Revision keinen Erfolg haben. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass Rechtsfehler, die sich hinweg denken lassen, ohne dass sich an der Grundstücksinanspruchnahme etwas ändern würde, als Anknüpfungspunkt für eine Rechtsverletzung von vornherein ausscheiden (vgl. Urteil vom 16. März 2006 – BVerwG 4 A 1075.04 – BVerwGE 125, 116 Rn. 511 m.w.N.). So liegt es hier. Die vom Oberverwaltungsgericht in einem Parallelverfahren festgestellten Mängel im Lärmschutzkonzept und die unzureichende Vorsorge gegen mögliche Schäden durch Wirbelschleppen nötigen zu einer Planergänzung (OVG Lüneburg, Urteil vom 20. Mai 2009 – 7 KS 59/07 – Nr. 2.3.4.2.1 und Nr. 2.3.4.2.3). Zu einer Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder zur Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit mit der Folge der Schonung des Grundeigentums der Klägerin zu 2 haben sie nicht geführt. Hinsichtlich der übrigen Sicherheitsrisiken (Wohnbebauung und Tanklager im Hafen am Mittellandkanal, Flutlichtanlage einer Sportanlage im Osten der Start- und Landebahn, Gefahr durch gleichzeitige Starts und Landungen von Segelfliegern und Mutterflugzeugen auf der Gras- und Asphaltbahn) hat die Vorinstanz Abwägungsfehler, die das Abwägungsergebnis beeinflussen, nicht ermittelt (Nr. 2.3.4.2.2). Gleiches gilt in Bezug auf etwaige Wertminderungen derjenigen Grundstücke, die von den vom Betrieb des Flughafens ausgehenden Emissionen betroffen sind (Nr. 2.3.4.2.7).
Rz. 11
3. Beide Kläger werfen zum Schutzregimewechsel von Art. 4 Abs. 4 Vogelschutz-Richtlinie – VRL – auf Art. 6 Abs. 4 Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie – FFH-RL – (bzw. § 34 Abs. 3 BNatSchG und § 34c NNatG) folgende als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Fragen auf:
a) Kann eine Gemeinde ein Gebiet wirksam durch Verordnung zum Landschaftsschutzgebiet erklären, wenn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung der Flächennutzungsplan für dieses Gebiet eine naturschutzfremde Nutzung vorsieht?
b) Darf eine Gemeinde die naturschutzfremde Festsetzung für ein Gebiet im Flächennutzungsplan aufrecht erhalten, wenn sie das Gebiet nach dem Wirksamwerden des Flächennutzungsplans durch Verordnung zum Landschaftsschutzgebiet erklärt hat?
c) Kann der Schutzregimewechsel des Art. 7 FFH-RL dadurch herbeigeführt werden, dass eine naturschutzfremde Festsetzung im Flächennutzungsplan an eine zeitlich nach diesem erlassene Landschaftsschutzverordnung angepasst wird, die wegen der Kollision mit der ursprünglichen Festsetzung im Flächennutzungsplan nichtig ist?
d) Ist die nur teilweise förmliche innerstaatliche Unterschutzstellung einer für ein beeinträchtigendes Projekt überplanten Fläche aus Anlass des Projekts geeignet, gemäß Art. 7 FFH-RL den Schutzregimewechsel von Art. 4 Abs. 4 VRL auf Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL auszulösen?
e) Befreit die aus § 33 Abs. 2 BNatSchG folgende Pflicht, besondere Vogelschutzgebiete unter Schutz zu stellen, von der aus den §§ 22 ff. BNatSchG folgenden Anforderung, dass die Unterschutzstellung im Hinblick auf die Ziele und Grundsätze des Naturschutzes schutzwürdig und schutzbedürftig sein muss?
Rz. 12
Die Frage a würde sich in dieser Allgemeinheit nicht stellen, sondern nur in der Variante, ob eine Landschaftsschutzverordnung, deren Erlass nach § 34b Abs. 2 NNatG geboten ist, deshalb nicht ergehen darf, weil der Flächennutzungsplan für dieses Gebiet eine naturschutzfremde Nutzung vorsieht. In dieser Formulierung rechtfertigt die Frage nicht die Zulassung der Grundsatzrevision, weil sie sich ohne Weiteres dahingehend beantworten lässt, dass dem Normbefehl des § 34b Abs. 2 NNatG Folge zu leisten und der Flächennutzungsplan zur Vermeidung des Eintritts der (teilweisen) Funktionslosigkeit anzupassen ist, soweit seine Darstellungen den Bestimmungen der Landschaftsschutzverordnung widersprechen. Die Frage b geht ins Leere, weil nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts die Stadt Braunschweig ihren Flächennutzungsplan durch die 94. Änderung der Landschaftsschutzgebietsfestsetzung angepasst hat (UA S. 26). Auf die Frage c käme es in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht an. Zum einem hat das Oberverwaltungsgericht nicht angenommen, dass der Schutzregimewechsel durch die Anpassung des Flächennutzungsplans an die Landschaftsschutzverordnung erfolgt ist, sondern hat ihn auf die Landschaftsschutzverordnung selbst zurückgeführt (UA S. 25). Zum anderen hat das Oberverwaltungsgericht aus dem Umstand, dass der Flächennutzungsplan zum Zeitpunkt des Erlasses der Landschaftsschutzverordnung für einen Teil der unter Schutz gestellten Flächen eine naturschutzfremde Nutzung vorsah, nicht den Schluss gezogen hat, dass die Verordnung nichtig ist (UA S. 26). Die Frage d geht von einem Sachverhalt aus, den das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt hat. Die Fläche, die das planfestgestellte Vorhaben in Anspruch nehmen soll, ist nicht nur teilweise, sondern vollständig unter Schutz gestellt. Die Flächen, die zum Vogelschutzgebiet gehören, aber nicht als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen wurden, sind von dem Projekt nicht betroffen (UA S. 28). Die Frage würde selbst dann nicht die Zulassung der Revision auslösen, wenn die Kläger mit ihr geklärt wissen wollten, ob die lediglich teilweise Unterschutzstellung eines Vogelschutzgebietes für einen Schutzregimewechsel etwas hergibt. Es spricht alles dafür, dass bezüglich der unter Schutz gestellten Gebietsteile ein Regimewechsel eintritt, es für die nicht unter Schutz gestellten, aber unter Schutz zu stellenden Gebietsteile dagegen beim Verschlechterungsverbot des Art. 4 Abs. 4 VRL verbleibt. Mit dieser nahe liegenden Rechtsfolge beschäftigt sich die Beschwerde nicht. Die Frage e ist eindeutig zu verneinen. Nach § 33 Abs. 2 BNatSchG erklären die Länder die in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung eingetragenen Gebiete nach Maßgabe des Artikels 4 Abs. 4 der Richtlinie 92/43/EWG – FFH-RL – und die Europäischen Vogelschutzgebiete entsprechend den jeweiligen Erhaltungszielen zu geschützten Teilen von Natur und Landschaft im Sinne des § 22 Abs. 1. BNatSchG Das gilt auch dann, wenn feststeht, dass in das Gebiet durch ein Infrastrukturvorhaben eingegriffen werden soll. Die Ausweisung des Schutzgebiets hat zur Folge, dass sich die Zulässigkeit der Infrastrukturvorhaben nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL, § 34 BNatSchG, § 34c NNatG beurteilt. Dagegen ist die Absicht, ein Infrastrukturvorhaben in einem Vogelschutzgebiet zu verwirklichen, kein Hinderungsgrund für die Unterschutzstellung.
Rz. 13
4. Die Kläger messen ferner den Fragen grundsätzliche Bedeutung zu,
a) ob bei einem luftrechtlichen Planfeststellungsverfahren im Rahmen der Abweichungsprüfung gemäß Art. 6 Abs. 4 FFH-RL, § 34 BNatSchG und § 34c NNatG für die Prüfung des Vorhandenseins “zwingender Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses” relevant ist, ob die den Ausbauwunsch begründenden einzelnen Wünsche der Nutzer berechtigt sind und welches Gewicht diese Wünsche haben;
b) ob die Annahme “zwingender Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses” im Sinne des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL (bzw. § 34 Abs. 3 BNatSchG und § 34c Abs. 3 NNatG) daraus abgeleitet werden kann, dass die für ein planfestgestelltes Vorhaben sprechenden Belange geeignet sind, die Voraussetzungen des Gemeinwohlerfordernisses des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG zu erfüllen.
Rz. 14
Keine der beiden Fragen rechtfertigt die Zulassung der Grundsatzrevision.
Rz. 15
Die Frage a geht mit der ersten Unterfrage am Inhalt des angefochtenen Urteils vorbei und ist mit der zweiten Unterfrage einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht den Rechtssatz aufgestellt, dass sowohl berechtigte als auch unberechtigte Ausbauwünsche einzelner Nutzer eines Flughafens zu den zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses zählen. Es hat der Beklagten vielmehr attestiert, dass die für die Erweiterung des Flughafens angeführten Gründe, den jetzt und in Zukunft bestehenden Bedarf der Nutzer des Flughafens unter Berücksichtigung der spezifischen Anforderungen der Forschung und des Werkverkehrs bedienen zu können und die Sicherheit des bestehenden und künftigen Flugverkehrs zu erhöhen, “vernünftig” seien und das Ausbauvorhaben deshalb im Sinne des Luftverkehrsgesetzes planerisch gerechtfertigt sei (UA S. 18). Wie das Oberverwaltungsgericht richtig erkannt hat, liegt ein Vorhaben, das im Sinne der Planrechtfertigung den Zielsetzungen des Luftverkehrsgesetzes entspricht und Zwecken der Zivilluftfahrt dient, im öffentlichen Interesse und ist damit grundsätzlich auch geeignet, entgegenstehende FFH-Belange zu überwinden (Urteil vom 9. Juli 2009 – BVerwG 4 C 12.07 – juris Rn. 14, zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen). Ob das öffentliche Interesse die FFH-Belange überwiegt, hängt freilich von dem Ergebnis der im Weiteren erforderlichen konkreten Abwägung ab (Urteil vom 9. Juli 2009 a.a.O.). Mit welchem Gewicht der Ausbaubedarf als Element des öffentlichen Interesses dabei zu Buche schlägt, ist eine Frage des Einzelfalls.
Rz. 16
Die Frage b knüpft an den Rechtssatz des Senats in der Entscheidung vom 16. März 2006 (a.a.O. Rn. 566) an, dass sich Belange, die sich durch Qualifikationsmerkmale auszeichnen, welche den strengen Anforderungen des Enteignungsrechts genügen, auch als zwingende Gründe des überwiegenden Interesses im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Buchst. c FFH-RL ins Feld führen lassen. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Rechtssatz mit der Begründung auf Art. 6 Abs. 4 FFH-RL übertragen, dass der Ausnahmegrund in der Vorschrift gleichlautend wie in Art. 16 Abs. 1 Buchst. c FFH-RL formuliert ist und deshalb kein Grund zu einer unterschiedlichen Auslegung des Ausnahmetatbestandes besteht (UA S. 35). Die Kläger möchten in einem Revisionsverfahren klären lassen, ob dieser Transfer zulässig ist (Beschwerdebegründung S. 44), zeigen aber keinen Grund auf, warum die Ansicht des Oberverwaltungsgerichts zumindest in Zweifel gezogen werden könnte. Sie setzen sich namentlich nicht damit auseinander, dass auch im Schrifttum auf die Parallele zwischen beiden Bestimmungen hingewiesen wird, soweit sie auf zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses abstellen (Halama, in: Berkemann/Halama, a.a.O. S. 729 Rn. 223), und das Bundesverwaltungsgericht einen Unterschied zwischen den Regelungen des Habitatschutzes und des Artenschutzes, was die Zulassung von Abweichungen angeht, nur insoweit ausgemacht hat, als Art. 16 Abs. 1 FFH-RL abweichend von Art. 6 Abs. 4 FFH-RL verlangt, dass die vom Vorhaben negativ betroffenen Populationen “in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen” (Urteil vom 17. Januar 2007 – BVerwG 9 A 20.05 – BVerwGE 128, 1 Rn. 160). Mit der bloßen Behauptung, es spreche schon allgemein Erhebliches gegen pauschalisierende Gleichsetzungen von Wertigkeiten des Art. 14 GG mit denen des Naturschutzes und Überwiegendes gegen die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Ähnlichkeit der Strukturen in Art. 6 Abs. 4 FFH-RL und in Art. 16 FFH-RL erlaube eine pauschale Gleichstellung des nötigen Gewichts “zwingender Gründe des überwiegenden Interesses” in beiden Vorschriften (Beschwerdebegründung S. 45), ist es nicht getan. Im Übrigen hat sich der Senat zu den “zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses” im Sinne des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL inzwischen eingehend geäußert (Urteil vom 9. Juli 2009 a.a.O.). Zu wiederholen ist insoweit, dass ein Vorhaben, das im Sinne der Planrechtfertigung den Zielsetzungen des Luftverkehrsgesetzes entspricht und Zwecken der Zivilluftfahrt dient, im öffentlichen Interesse liegt und damit grundsätzlich auch geeignet ist, entgegenstehende FFH-Belange zu überwinden; ob das öffentliche Interesse die FFH-Belange überwiegt, hängt aber von dem Ergebnis der im Weiteren erforderlichen konkreten Abwägung ab (Urteil vom 9. Juli 2009 a.a.O. Rn. 14). Von dieser Rechtslage ist auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen (UA S. 35 f.) und hat das Gewicht der öffentlichen Interessen am Ausbau des Flughafens dem Gewicht der Beeinträchtigungen gegenübergestellt, die für das betroffene Vogelschutzgebiet zu erwarten sind. Dabei hat es nicht verkannt, dass die Gewichtung des öffentlichen Interesses den Ausnahmecharakter einer Abweichungsentscheidung gemäß Art. 6 Abs. 4 FFH-RL berücksichtigen muss (Urteil vom 9. Juli 2009 a.a.O. Rn 15). Es hat sich nämlich nicht von der Annahme leiten lassen, dass jedem Vorhaben, welches das Erfordernis der Planrechtfertigung erfüllt, bereits für sich ein besonderes Gewicht zukommt, sondern hat erkannt, dass im Einzelnen begründet werden muss, woraus sich das erhebliche Gewicht ergibt, und das Gewicht der öffentlichen Belange am Ausbau des Flughafens vor allem deshalb als hoch gewertet, weil die in Braunschweig bereits vorhandene technische Kompetenz und Infrastruktur für die Avionik-Forschung mindestens in Deutschland einzigartig ist.
Rz. 17
5. Die weitere Frage, ob hinsichtlich der Alternativenprüfung gemäß Art. 6 Abs. 4 FFH-RL bei der Planfeststellung von Verkehrsflughäfen nur Vermeidungsmöglichkeiten des Planungsträgers oder auch derjenigen Nutzer relevant sind, die den Ausbaubedarf beim Planungsträger geltend gemacht haben, führt ebenfalls nicht auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Das Oberverwaltungsgericht hat sie im Sinne der Beschwerde beantwortet, indem es gefragt hat, ob die Forschungsunternehmen (DLR, Aerodata) darauf verwiesen werden können, auf einen anderen Standort auszuweichen oder sich mit der Nullvariante oder einer Verlängerung der Startbahn auf weniger als 2 300 m zufrieden zu geben (UA S. 38 ff.), und sich auch der Frage gewidmet hat, ob der Volkswagen AG mit einer kürzeren Startbahn als 2 300 m gedient ist (UA S. 39). Die Rechtssache wird nicht dadurch grundsätzlich bedeutsam, dass die Kläger eine andere Sachverhaltswürdigung für richtig halten (Beschwerdebegründung S. 46 f.), als sie das Oberverwaltungsgerichts vorgenommen hat, indem es zumutbare Alternativlösungen verneint hat.
Rz. 18
6. Wegen der abschließenden Frage, ob zur Sicherung der Kohärenz des Netzes Natura 2000 auch das Unterlassen von Maßnahmen in Betracht kommt, die ihrerseits Verbotstatbestände des besonderen Artenschutzrechts erfüllen, kommt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht in Betracht. Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Einschränkung der forstwirtschaftlichen Bewirtschaftung des Waldgebiets “Sundern” als ausreichende Maßnahme zur Sicherung der Kohärenz artenschutzrechtlich zulässig ist (UA S. 48 ff.). Rechtsfragen, die sich stellen würden, wenn die Vorinstanz anders entschieden hätte, rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht (Beschluss vom 29. Juni 1992 – BVerwG 3 B 102.91 – Buchholz 418.04 Heilpraktiker Nr. 17). Im Übrigen legen die Kläger in der Beschwerdebegründung nicht dar, warum die angeordneten Kohärenzsicherungsmaßnahmen artenschutzrechtlich verboten sein sollen.
Rz. 19
Der Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist in diesem Zusammenhang nicht verletzt worden. Die Beschwerde stellt nicht in Abrede, dass das Oberverwaltungsgericht den Sachvortrag der Kläger zur Kenntnis genommen und gewürdigt hat; denn sie räumt ein, dass sich die Vorinstanz mit der fachlichen Kritik der Kläger beschäftigt, sie aber nicht geteilt hat (Beschwerdebegründung S. 50). Auch ist sie bereit, den Hinweis des Oberverwaltungsgerichts auf die gezahlten “Stillstandsgelder” (UA S. 49) als Billigung der Anerkennungsfähigkeit der Kompensationsmaßnahmen auch in rechtlicher Hinsicht zu verstehen (Beschwerdebegründung S. 51).
Rz. 20
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.
Rz. 21
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, § 162 Abs. 3 VwGO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Rubel, Dr. Gatz, Petz
Fundstellen
Haufe-Index 2263203 |
NuR 2010, 339 |
ZUR 2010, 382 |
UPR 2010, 103 |